Wie finden US-Kritiker „Unsere Mütter, unsere Väter“? Wie kommt es, dass eine Dokumentarfilmerin nicht weiß, was ein Plagiat ist? Wie kam es, dass arte einmal einen ekelhaften Satz sendete, der in der ZDF-Fassung derselben Dokumentation glücklicherweise fehlte? Hat Angela Merkel einer früheren taz-Chefredakteurin etwas zu verdanken? Außerdem: Einschätzungen zum Free-TV-Start des Disney Channel und zur Teil-Reamateurisierung professioneller Journalisten.
Am Mittwoch ist in den USA eine Kinoversion des ZDF-Straßenfegers „Unsere Mütter, unsere Väter“ gestartet, weshalb sich nun hiesige Medienjournalisten dafür interessieren, was amerikanische Kritiker zur Produktion unseres großen Vergangenheitsbewältigungsgurus Nico Hofmann zu sagen haben, die dort unter dem Titel „Generation War“ zu sehen ist. Das Interesse ist berechtigt, denn die New York Times hat zum Beispiel die kluge Beobachtung gemacht, „Generation War“ wirke teilweise, als sei der Film 1943 in Deutschland entstanden bzw. „wie ein Propaganda-Film von 1943", wie es der Tagesspiegel frei, aber inhaltlich korrekt übersetzt in seiner Überschrift zuspitzt. Derartige Einschätzungen überwogen in der deutschen Rezeption ja nun keineswegs, auch wenn seinerzeit, im März 2013, auch Verrisse zu lesen waren (siehe Altpapier).
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Kritisiert wird in dem gestern in sozial-medialen Timelines freudig weitergereichten NYT-Text unter anderem „the way facts are shaped, juxtaposed and given emotional weight“. A.O. Scott, der „Chefkritiker“ (Tagesspiegel), schreibt ferner:
„The evil of the Nazis is (...) mainly localized within a few cartoonishly sadistic SS and Gestapo commanders, who are nearly as cruel to regular German soldiers as they are to Jews and Russians. There is also an element of moral relativism in the way the film portrays the Polish resistance, whose members hate Jews as much as the Germans, but with worse manners, and the bestial, rampaging members of the Red Army, who have no manners at all."
Von Sonja Álvarez im Tagesspiegel ebenfalls zitiert: Joshua Rothkopf (Time Out New York), der sich darüber wundert, dass das „herkömmliche Melodram“ in Deutschland so viele Zuschauer hatte. Rothkopf fragt in diesem Zusammenhang:
„Haben die kein ,Breaking Bad‘?“
Also bitte! Witze über Dritte-Welt-Fernsehen - das geht ja gar nicht. Wobei man natürlich nicht weiß, ob Rothkopf meint, „wir“ würden „Breaking Bad“ nicht kennen oder „wir“ würden etwas in dieser Art nicht hinkriegen (was ja bekanntlich der Wahrheit entspricht). Die Gesamtwertung fällt dennoch wohlwollend aus: Drei von fünf möglichen Punkten gibt der Time-Out-Mann, was Nico Hofmann, der „am Mittwoch bei der Premiere im New Yorker Film Forum dabei war“ (Tagesspiegel) freuen wird. Der Maestro sei im Übrigen „zufrieden mit den Reaktionen und Rezensionen in Amerika, die er ‚differenziert‘ nennt“.
Eine Zusammenfassung diverser amerikanischer Rezensionen findet man auch bei Spiegel Online, wo man die Formulierung „fünf Stunden Selbstmitleid“ herausstellenswert fand, sowie bei meedia.de.
[+++] Nachdem vom Jahr 1943 schon die Rede war, springen wir einfach mal zwei Jahre weiter. Den Anlass liefert uns die deutsche Ausgabe der Zeitschrift Harper‘s Bazaar, die einen derzeit nicht frei zugänglichen Artikel mit einem im April 1945 in Hitlers Münchener Wohnung entstandenen Foto aufmacht, das die Kriegsreporterin Lee Miller in der dortigen Badewanne zeigt.
„Zuletzt war das Foto (...) auf der Documenta 13 zu sehen, wo es um die traumatische Aufladung von Kunstwerken in Krisen ging“,
bloggt anlässlich dessen Silke Hohmann (Monopol). In dem entsprechend bebilderten Harper‘s-Bazaar-Artikel geht es aber um weniger Traumatisches, sondern um die segensreichen Wirkungen eines Wannenvollbads und nicht zuletzt um Kenzoki Milk Powder und andere Essenzen, die das Wellness-Feeling optimieren. Welche Bade-Elixiere der Führer präferierte, hat das Fachblatt offenbar nicht in Erfahrung gebracht. Und jetzt? Rechnen Sie doch bestimmt mit einem Witz, in dem ein pensionierter ZDF-Historiker vorkommt. Den sparen wir uns aber heute.
[+++] Statt dessen gibt es einen dringlichen Anlass, unernste Worte über eine aktuelle ZDF-Dokumentation zu verlieren, nämlich über den in der Reihe „Terra X“ zu sehenden Dreiteiler „Geheimbünde“. Altpapier-Autor Christian Bartels hat sich für epd medien (Seite 28/29) die von Spiegel TV produzierten Filme, die bei arte in nicht „völlig identischen“ Fassungen liefen, angeschaut. Seine Einschätzungen („erbärmliches Mystifizierungs-Niveau“, „eklatant misslungenes Stück öffentlich-rechtlichen Fernsehens“) fallen wenig freundlich aus, aber die Beschäftigung mit diesem Werk dürfte noch nicht beendet sein, denn Bartels ist aufgefallen, dass die arte-Version einen „günstigstenfalls krass missglückten Satz“ über das antisemitische Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ enthält. Er lautet:
„Unter der nationalsozialistischen Terrorherrschaft führen die Protokolle unabwendbar in den Holocaust.“
In der ZDF-Fassung, so Bartels, fehle diese Formulierung. Wessen Hör- bzw. Dachschaden die Ursache dafür ist, dass der Satz in der anderen Fassung vorkommt, wird möglicherweise Gegenstand weiterer Ermittlungen sein.
[+++] Ein instruktiver Beitrag über Vorgänge in einem anderem Winkel des Dokumentarfilmgewerbes findet sich sich in der aktuellen Ausgabe von epd medien ebenfalls. Fritz Wolf beschäftigt sich dort (Seite 5-7) mit einer Auseinandersetzung rund um die Anfang Dezember ausgestrahlte ARD-Dokumentation „Mercedes Benz Argentina“, in der es um die Verstrickung der Autobauer in Verbrechen der argentinischen Militärjunta geht. Nicht einverstanden mit dem Film ist die mit diesem Themenfeld befasste Journalistin Gaby Weber, die den Machern unter anderem vorwirft, diese hätten einen mehr als zehn Jahre alten Film von ihr „nachgedreht“ bzw. „plagiiert“. Was allerdings damit zu tun hat, dass Weber diese Begriffe exklusiv definiert. Wolf dazu:
„Wenn zwei Autoren sich in einem zeitlichen Abstand von zehn Jahren auf die gleiche Spur begeben, werden sie unvermeidlich auch auf die gleichen Leute treffen (...) Und man wird mit ihnen über das gleiche Thema reden. So etwas ist journalistisches Alltagsgeschäft (...) Niemand hat ein Recht darauf, ein gesellschaftlich relevantes Thema zu monopolisieren.“
Der Streit erklärt sich nicht zuletzt dadurch, dass sich Weber vor einigen Jahren in jene Regionen verabschiedet hat, in der die Zäune keine Latten haben. Das schreibt der höfliche Wolf natürlich nicht, weshalb - Disclosure: Reklame für mich selbst - auf einen 2011 in der Jüdischen Allgemeinen erschienenen Artikel verwiesen sei. Nicht verschwiegen sei allerdings auch, dass die Verschwörungstheoretikerin Weber viele Fans hat, zum Beispiel Herrn Fefe, der aktuell von der Titanic verarztet wird (Reagiert hat der Persiflierte auch schon).
[+++] Ein wichtiger Beitrag zur Lage des Journalismus steht in dieser Woche im Medientagebuch des Freitag (Seite 14). Es geht zwar explizit um einen Teilbereich des Journalismus, nämlich die Popkritik, aber einige Befunde Klaus Walters lassen sich auf die allgemeine Diskussion übertragen. Der Text des Hörfunk- und Printjournalisten steht in der Freitag-Fassung derzeit nicht frei online, dafür aber eine andere, die bei byte.fm zu finden ist. Der eigentliche Anlass des Textes ist nämlich, dass Walter seine dortige, nach diesem Song benannte Sendung „Was ist Musik“ von zwei Stunden auf eine verkürzt hat. Beziehungsweise: Verkürzen musste, weil es beim Internetsender kein Honorar gibt. Walter schreibt:
„Zu den Besonderheiten der digitalen Marktwirtschaft gehört der Umstand, dass immer mehr qualifizierte Popkulturarbeit im Internet stattfindet – für immer weniger Geld. Das gilt für schreibende Kritiker wie für Radiomacher (...) Mit dem Siegeszug des kommerziellen Privatradios, der übrigens mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenfällt, hat sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland von der Popkritik weitgehend verabschiedet.“
Die Folge dieser Entwicklung:
„Popkritik-Profis reamateurisieren sich zwangsfreiwillig und senden unter Praktikantenbedingungen bei einem Internetradio wie ByteFM.“
Der Begriff „Remateurisierung“ kommt aus dem Sport, aber taugt nicht schlecht für die Verwendung in aktuellen Debatten, denn zumindest die Teil-Reamateurisierung professioneller Journalisten ist ja kein kleines Phänomen.
[+++] Jenseits der Medienressorts und - rubriken ein großes Thema: Barack Obamas heute anstehende „Grundsatzrede zu Datenspionage und Bürgerrechten“. So formuliert es die SZ im Vorspann ihres wenig optimischen Artikels auf der Thema-des-Tages-Seite („Kaum jemand rechnet mehr mit einer echten Reform der Geheimdienste“)
Den FAZ-Feuilleton-Aufmacher (Seite 31) hat Shoshana Zuboff geschrieben, emeritierte Harvard-Business-School-Professorin und Autorin dieses „Standardwerks" (FAZ):
„Der unstillbare Datenhunger der NSA (...) zielte möglicherweise ursprünglich darauf, die Welt vor Terror zu schützen. Aber jetzt hat das Bild sich gewandelt. Jetzt ist die NSA nahe daran, selbst der Terror zu sein. Aus dieser Perspektive ist eine Informationszivilisation eine bedrohliche Aussicht, in der das Internet zum Ort eines neuen, digital gestützten, durch eine Verschmelzung privatwirtschaftlicher und staatlicher Interessen untermauerten Totalitarismus wird. Wir sind frei, aber nur wenn wir einwilligen, nackt zu sein und ständig im Licht zu stehen.“
Siehe dazu auch die Berichte über die SMS-Ausspähungsaktionen der NSA im Guardian und bei Zeit Online.
+++ Über den heute im Free TV an den Start gehenden Disney Channel (siehe Altpapier) schreibt Ekkehard Kern (Die Welt): „Irgendetwas zwischen dem selbst erklärten Wohlfühl-Sender Sat 1 und einem niedlichen Kinderprogramm möchte man sein, ohne nennenswerte Ecken und Kanten, dafür mit Spiderman und Phineas und Ferb (...) Immerhin, auch an deutschen Eigenproduktionen wie ‚Binny und der Geist‘ mit Johannes Hallervorden, Dieter Hallervordens Sohn, oder sogar Reality-Sendungen möchte sich der Sender versuchen.“
+++ Harald Keller (taz) widmet sich jenen Programmen, die der Disney Channel explizit auf Erwachsene ausgerichtet hat. Er vergleicht die Serien „New in Paradise“ und „Gilmore Girls“: „Wer von ‚New in Paradise‘ berichtet, darf von den "Gilmore Girls" nicht schweigen. Zumal die beiden Familienserien aktuell als Doppelprogramm präsentiert werden. ‚Gilmore Girls‘, das sind anspielungsreiche Hochgeschwindigkeitswortwechsel vor einem intellektuellen Horizont, der sich von Jane Austen über Metallica bis zur Verlegerfamilie Sulzberger (New York Times) spannte. Eine Episode ‚Gilmore Girls‘ umfasste 70 bis 80 Skriptseiten, wo anderen 45 reichten.“
+++ Ebenfalls in der taz: eine Würdigung der früheren Chefredakteurin Bascha Mika, die heute 60 wird. „Sie war nicht die erste Chefredakteurin der taz, aber doch die erste, die so lange blieb - von 1999 bis 2009 -, dass sie in die Gremien und die Hinterzimmer der Macht hineinkam“, schreibt Literaturredakteur Dirk Knipphals. „Eine Zeitgeschichte, die Ideen hätte, könnte auf den Ansatz kommen, einmal die Werdegänge von Bascha Mika und Angela Merkel miteinander zu vergleichen. Politisch hat Bascha Mika mit der ersten deutschen Kanzlerin natürlich nichts gemein. Aber in der Art und Weise, bis dahin eindeutig männlich kodierte Positionen innerhalb der jeweiligen Hierarchien einzunehmen, gehört Mikas Karriere vielleicht sogar zur Vorgeschichte von Merkels Kanzlerschaft.“
+++ Die SZ macht anlässlich der französischen Berichterstattung über Francois Hollandes Privatleben aufmerksam auf die eigentlichen Besonderheiten des dortigen Printmarktes, die sich aber langsam verflüchtigen: „Anders als die angelsächsische Welt hat sich Frankreich, das keine Tagespresse für Klatsch und Sensation kennt, in diesem Sektor bequem in der Plauderecke der Wochenmagazine eingerichtet. Paris Match oder France Dimanche stehen seit sechzig Jahren für ein Genre des Celebrity-Tratschs mit Samthandschuhen, bei dem die Sensation zwar heiß gegessen, dann aber langsam verdaut werden will (...) Ein Rest Raffinement, Stilgefühl, manchmal sogar Galanterie aus aristokratischen Zeiten ist in diesen Blättern zwischen Salon und Gosse hängengeblieben (...) Von dieser feineren Art des Sensationsjournalismus scheint Frankreich jedoch langsam abzurücken.“
+++ Die FAZ (Seite 39) berichtet Dramatisches aus Venezuela: „Zuerst fehlte es an Klopapier, jetzt wird auch das Zeitungspapier (...) knapp. Bald werde es ein ‚Land ohne Zeitungen‘ sein, befürchtet der Direktor des Blattes El Nacional Miguel Henrique Otero.“
+++ newsroom.de geht auf einen Handelsblatt-Artikel über „die geheimen Geschäfte des Peter Löw“ ein. Es handelt sich um den früheren Eigentümer der Nachrichtenagentur dapd, dem „eventuell“ ein „Bußgeld von bis zu einer Million Euro“ droht.
+++ Der WDR wird seinen Haushaltsplan 2014 „in Kürze in kompletter Form auf seiner Internet-Seite veröffentlichen“, weiß die Funkkorrespondenz, gegenüber der der Sender auf Nachfrage zumindest „die zentralen Kennziffern“ aber bereits herausgerückt hat. So erfahren wir, dass der Fernsehetat um 32,6 Millionen Euro auf 431,6 Millionen ansteigt - wegen der Berichterstattung über die Olympischen Winterspiele und die Fußball-WM. Insgesamt kalkuliert der WDR „für dieses Jahr in seinem Gesamtetat mit einem Defizit von 40 Mio Euro“.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.