Die Woche hat nur sieben Tage

Fleischhauer disst Precht, und ein renommierter Regisseur legt sich mit dem NDR an, weil der ihn gepiesackt hat. Dass das SZ-Magazin Steinbrück als Effe aufs Cover bringt, zieht recht viele Einschätzungen nach sich. Außerdem: Ergänzen sich Tierfotos und Kriegsberichterstattung gut? Was hat es mit Putins Artikel für die New York Times auf sich? Sollte Hans Magnus Enzensberger eine eigene Fernsehsendung bekommen? Brauchen wir ein „Internet-Völkerrecht“?

Wenn man nach einem Satz sucht, der die Methode des Spiegel-Redakteurs und Spiegel-Online-Kolumnisten Jan Fleischhauer, ja vielleicht sogar sein Geschäftsmodell, ganz gut beschreibt, wäre man mit diesem bestimmt nicht schlecht bedient:

„Die Türen, die dieser Journalist eintritt, stehen immer schon sperrangelweit offen, deshalb knallt er sie in seinen Texten auch besonders laut zu.“

Die Formulierung - die auch auf viele seiner Gesinnungsgenossen zutrifft (etwa seinen Spiegel-Kollegen Matthias Matussek, um nur einen der bekannteren zu kennen), die sich beim Eintreten der sehr offenen Türen als Minderheit inszenieren - hat einen kleinen Haken: Es ist eine Fälschung, eine klitzekleine allerdings. Im Original steht nicht das Wörtchen „Journalist“, sondern „Philosoph“. Der Satz stammt von Fleischhauer selbst, und gemünzt ist der Satz auf Richard David Precht:

„Statt Haltungen zu entwickeln und entsprechende politische Strategien zu generieren, reagiert Richard David Precht auf kurzfristige Aufregungsthemen, die von den Massenmedien gespeist werden“,

steht zum Beispiel in Fleischhauers aktueller Kolumne, und dieser Satz stammt wiederum eigentlich aus einer Wortspende Prechts für die Zeit. Allerdings steht da, wo Fleischhauer den Namen des freien ZDF-Mitarbeiters eingesetzt hat, im Original „Parteien“. „Precht ist Demokratieverachtung für die besseren Stände“, fasst Fleischhauer dessen Haltung zusammen. Als ob der „Richard Clayderman der Politologie“ (JF über RDP) vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsste.

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[+++] Eigentlich ist es ja nicht sonderlich erquicklich, wenn ein Provokateursdarsteller einem Denkerdarsteller einen überbrät. Es ist aber wesentlich erquicklicher als die Aufregung, die das SZ-Magazin ausgelöst hat, indem es ein Foto aufs Cover nahm, das den SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zeigt, wie er den sogenannten Stinkefinger performt. Es war die Antwort auf eine Frage in der SZ-Magazin-Rubrik „Sagen Sie jetzt nichts“, für die die Regel gilt, dass die Antwort nur wortlos, nämlich gestisch und mimisch ausfallen darf. „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi - um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?", lautete die Frage. 

süddeutsche.de hat diesen und diesen Artikel zum Thema (und in quasi eigener Sache) im Angebot. faz.net weiß, dass das Cover bereits „am Rande einer SPD-Kundgebung“ mit Steinbrück in München Thema war:

„Auf die Frage, ob er gewusst habe, dass das Magazin dieses Foto auf den Titel nehmen wolle, sagte Steinbrück: ‚Nein.‘“

Wenn es nach Rolf Kleine gegangen wäre, dem früheren Springer-Kameraden, der jetzt für den SPD-Mann im Einsatz ist (siehe Altpapier), wäre das Bild aber überhaupt nicht erschienen, wie wir dem Vorspann im SZ-Magazin entnehmen:

„Dieses Foto mit dem Stinkefinger, das würde er gern streichen, sagt Kleine beim Betrachten der Fotos nach dem Interview. Aber Steinbrück - bekannt für seine gradlinige Art, für seine Ecken und Kanten - lässt sich nicht dreinreden: ‚Nein, das ist okay so.‘“

Wer weiß, was passiert wäre, wenn Kleine sich im Zuge dieses Autorisierungsprozesses im weiteren Sinne durchgesetzt hätte: Hätte die Redaktion dann die Frage gedruckt und das Bild weggelassen? Und das Ganze dann im taz-Rösler-Stil aufgezogen?

„Soll das cool sein?“,

lautet die Frage, die die Geste für gleich drei coole Autoren von Focus Online aufwirft. Dass sie als irgendwie cool interpretiert wird, ist nicht völlig auszuschließen. Vielleicht fühlt sich jemand an Johnny Cash erinnert. Bei einer Wahlumfrage Stinkefinger-Beurteilungs-Umfrage von Spiegel Online entscheiden sich immerhin 46,45 Prozent für die Variante „Mutig - wenigstens traut er sich etwas im Wahlkampf“. Also die relative Mehrheit, denn es gibt 18,04 Prozent Unentschlossene (Stand: 8.36 Uhr). Was Steinbrücks Geste mit „Mut“ zu tun haben soll, ist aber noch mal eine andere Frage.

Für den Tagesspiegel ist Lorenz Maroldt, der Chefredakteur, im Einsatz. Ist es „nur eine ironische Geste in einem ironischen Format“? fragt er. Jedenfalls mache sie „aus dem Kandidat ein Rätsel“ und ihn „womöglich als Kanzler unmöglich“.

Dass fast 20 Jahre, nachdem sich Stefan Effenberg mit einem Stinkefinger von der WM in den USA verabschiedete, noch Menschen unter 80 diese Geste kommentierenswert finden, hätte man bis zum späten Donnerstagnachmittag, als das SZ-Magazincover zu kursieren begann, wohl auch nicht gedacht. 

[+++] Weniger überraschend wirken dagegen stets die systemimmanenten Verrücktheiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Über eine davon berichtet Jürn Kruse heute in der taz anlässlich der Ausstrahlung von Christian Görlitzs Krimikomödie „Ein Job“:

„Görlitz hat ‚Ein Job‘ (...) 2008 als Regisseur verwirklicht. Im Frühherbst desselben Jahres lief er auf den Hamburger Filmtagen [gemeint ist: Filmfest Hamburg - Anm. AP]. Oscar-Preisträgerin Vanessa Redgrave, die eine Nebenrolle spielt, war auch da. Dann lag der Film fünf Jahre im Keller des Norddeutschen Rundfunks (NDR). Erst jetzt wird er im Ersten gezeigt - um 23.30 Uhr in der Nacht von Freitag auf Samstag. ‚Versendet‘ nennt man das. ‚Dem Film wird übel mitgespielt‘, klagt Görlitz.

Der NDR kommt auch zu Wort in dem Text, eine Sprecherin hat eine durchaus brillant zu nennende Antwort geschickt:

„Das hieße, dass alle fiktionalen Sendungen, die nicht um 20.15 Uhr beginnen, missachtet würden. Den 20.15-Uhr-Sendeplatz gibt es nur siebenmal in der Woche, daran kann auch Das Erste nichts ändern",

Für Küchenpsychologen ist der Fall, wie die meisten Streitfälle aus dem öffentlich-rechtlichen Milieu, ebenfalls nicht uninteressant. Der ein Jahrfünft alte Film entstand noch unter der Ägide der nunmehr verfemten Strippenzieherin Doris Heinze, als deren Fan Görlitz sich im Artikel outet. Der unschöne Sendetermin von „Ein Job" sei zurückzuführen auf die „unbeholfene Strategie eines Nachlassverwalters“, sagt der Regisseur. So etwas sagt seinesgleichen normalerweise nicht, aber Grimme-Preisträger Görlitz kann sich solche Formulierungen womöglich deshalb erlauben, weil er bereits 69 Jahre alt ist. 

Was Görlitz auch sagt:

„Wieso kann ein öffentlich-rechtlicher Sender es sich leisten, weit über eine Million Euro zu einer Nachtzeit zu versenden?"

Die Frage passt gerade heute nicht schlecht, weil die ARD „eine Preisliste für Filme und Serien“ (Tagesspiegel) veröffentlicht hat. Eine „Überraschung“ ist für Joachim Huber, dass die „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Filme mit knapp 1,4 Millionen Euro nicht die teuersten sind. „Eventfilme“, aber auch die seichten bzw. ultraseichten Produktionen für den 20.15-Uhr-Sendeplatz am Donnerstag und Freitag dürfen mehr kosten. Nikolaus von Festenberg findet das wahrscheinlich nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass er ebenfalls im Tagesspiegel heute ein Plädoyer für „seichtes“ und schnulziges Fernsehen hält. Am Ende gerät der Text noch zu einer Attacke gegen

„engstirnige und ungeduldige Internetter mit verschlossenen Herzen und der Unfähigkeit, sich eine Geschichte erzählen zu lassen“,

die nach von Festenbergs Ansicht allzu oft „darüber bestimmen, was gutes Fernsehen ist und was nicht“.

+++ Einige dieser „Internetter mit verschlossenen Herzen“ werden, sofern sie sich gegenüber gedruckten Zeitungen nicht grundsätzlich hartherzig verhalten, auf den Schwerpunkt „100 Tage Spähaffäre“ stürzen, den die SZ heute auf einer Doppelseite im Politikteil ausgebreitet hat. Der Haupttext stammt von Heribert Prantl:

„Manchmal scheint es, seien alle bürgerrechtlichen Besorgnisse aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden, als hätten sie sich nur bei denen partiell erhalten, die dann ‚Netzgemeinde' genannt werden (...) Es reicht nicht, wenn nationale Gerichte die ‚Integrität informationstechnischer Systeme' als Grundrecht postulieren. Daraus wird Nostalgie, wenn eine solche Forderung nicht von einem globalen Zeitgeist getragen und dann Kern eines neuen Internet-Völkerrechts wird (...) Es bedarf einer digitalen Bürgerrechtsbewegung, die sich mit neuen Formen des zivilen Ungehorsams gegen die globale Observation wehrt (...) Noch ist die Empörung über die digitale Inquisition zu schwach.“

Um dieses Thema ging es gestern auch bei Reinhold Beckmann, der unter anderem Hans Magnus Enzensberger zu Gast hatte. Volker Weidermann in der faz.net-Frühkritik:

„Beckmann macht es Freude, den weisen Mann mit weißem Haar, der wie zum Beweis seines analogen Lebens immer mit seinem Füller fuchtelt, Stichworte zu liefern. Aber Enzensberger überrascht sich ja immer am liebsten selbst. Will Beckmann von ihm Apokalyptisches hören, nennt sich Enzensberger einen großen Optimisten. Das sei doch alles Größenwahn, was er hier sehe, von den Unternehmen, den Geheimdiensten und von der organisierten Kriminalität. Und Größenwahn, das wisse jeder, der sich für Geschichte interessiere, führe irgendwann zum Untergang. Des Größenwahnsinnigen. Nicht von uns (...) Hans Magnus Enzensberger flüchtet sich an diesem Abend immer wieder gern in eine bübisch-spöttische Altersironie. Aber in Wahrheit haben wir einen Mann gesehen, der (...) zu ahnen scheint, dass, bevor der Größenwahn die Datensammler stürzen lassen wird, etwas anderes stürzen wird: unsere Freiheitsrechte, unsere Verfassung und die Demokratie, so wie wir sie bisher kannten. Aber bevor das alles so weit kommt, sollte Hans Magnus Enzensberger eine eigene Fernsehsendung bekommen.“


ALTPAPIERKORB

+++ „Das erste Interview“ mit Sebastian Matthes, dem ersten Chefredakteur der am 10. Oktober startenden deutschen Huffington Post, hatte am Donnerstag horizont.net zu bieten. In seinem Blog Ungedruckt äußert sich Matthes auch („Ich bin mir sicher, dass wir eine faszinierende Geschichte fortschreiben werden“).

+++ Die Glosse auf der Feuilleton-Aufmacherseite der FAZ ist dem Gastbeitrag Wladimir Putins gewidmet, den dieser für die New York Times zum Thema Syrien verfasst hat. Pro Publica informiert uns über Ketchum, die PR-Agentur der russischen Regierung, die den Artikel vermittelt hat.

+++ Wer gern Romane aus dem Boulevardzeitungsmilieu ist, fährt möglicherweise nicht schlecht mit James Meeks Roman „Liebe und andere Parasiten“, empfohlen von Burkhard Müller im SZ-Feuilleton: „Niemand weiß so gut, wie der mächtige Zeitungsmann Val, dass man Rache am besten kalt genießt.“ Dieser Rachsüchtiges hat was mit seinem Bruder Richie vor: „Ein Jahr, teilt ihm Val lächelnd mit, habe er Zeit, ihm, Val, seine Schwester Bec, eine gefeierte Biologin [und Vals Ex-Frau - Anm. AP], mit einer Sensations-Story ans Messer zu liefern.“ Sonst erscheine eine ziemlich üble Story über ihn, Richie.

+++ Ein „Desaster“ in jeder Hinsicht sei die ZDF-Nachmittagstalkshow „Inka!“, findet Jörg Michael Seewald (FAZ-Medienseite). Zum Beispiel quotentechnisch („Die Zahlen nach den ersten Tagen wurden selbst intern als ‚unterirdisch‘ empfunden“). Und auch inhaltlich: „Warum, das konnte man am Dienstag sehen, als Inka Bause das siebenundsiebzigjährige Paparazzi-Zwillingspärchen Margret und Christel Tenbuß begrüßte. Der Unterhaltungswert der beiden ist limitiert (...) und wurde nur durch die Ahnungslosigkeit der Moderatorin übertroffen. Bause kommentierte ein Bild aus dem Tenbuß-Fundus: ‚Ah, Burt Lancaster.‘ Es war Richard Burton.“ Senta Krasser (Funkkorrespondenz) hat Ähnliches beobachtet. „Aus (ihrer) Begeisterung schöpft (Bause) Komplimente wie das an Moritz Bleibtreu: ‚Du siehst sehr eloquent aus als Inder.‘ Der Schauspieler lächelte professionell, aber gequält zurück und überlegte wohl auch, wie das geht: ‚eloquent aussehen‘. Der Austausch solcher Höflichkeiten, wie es sie bei ‚Inka!‘ zuhauf gibt, ist in seiner Belanglosigkeit und zuweilen Dämlichkeit nicht fruchtbar, sondern einfach furchtbar.“

+++ Ebenfalls in der FK: Der gute alte Dietrich Schwarzkopf hat Christian Klenks Dissertation „Zustand und Zukunft katholischer Medien. Prämissen, Probleme, Prognosen“ rezensiert. Unter anderem geht es um die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), „die, zum Teil indirekt, zu 92 Prozent den Diözesen gehört“. Sie „soll (...) weiterhin aus Kirchensteuermitteln subventioniert werden. Sie ist deutlich schlechter ausgestattet als ihr protestantischer Konkurrent, der Evangelische Pressedienst (epd). Nach Angaben ihrer Vertriebsleitung bedient die KNA 63 Zeitungsverlage, 25 Rundfunksender und alle Bistumsblätter; die Agentur reicht also mit ihrem Wirken weit in die nicht-katholische Öffentlichkeit hinein (...) Die für die Untersuchung befragten Experten empfehlen der Agentur, sich auf Dienstleistungen für säkulare Medien zu konzentrieren und ‚unabhängig bzw. auch kritisch‘ zu berichten.“

+++ Aus dem Hamburger Abendblatt erfahren wir, dass Gruner + Jahrs Vorstandsvorsitzende Julia Jäkel vor einem „CDU-Wirtschaftsrat“ „einen 40-minütigen Vortrag“ gehalten hat, „der sich abgesehen von den eingesparten Anglizismen eng an ihrer Rede bei der Betriebsversammlung orientierte“. Nun findet man, wie sich anhand eines Textes von Dirk von Gehlen nachvollziehen lässt, in der Transformations-PR des Hauses (siehe Altpapier) sprachlich aber weitaus Schlimmeres als Anglizismen.

+++ Aus anderen Gründen Schwierigkeiten mit der Sprache hat die Oberhessische Presse, die mit der Headline „Westerwelle bietet Gasvernichtung an“ fragwürdige Kurzzeit-Berühmtheit erlangte (extra3-Blog).

+++ Der eben erwähnte Dirk von Gehlen hat den Aufmacher für die SZ-Medienseite geschrieben. Es gebt um die neuerdings mittlerweile profitable Plattform Buzzfeed und deren Zampano Jonah Peretti: ‚Es gibt Journalisten, die mir sagen, dafür haben sie keine Journalistenschule besucht, um sich mit Tierbildern zu befassen', erzählt er und sagt: ‚Das ist aber heute Journalismus.' Es gibt auch bekannte Journalisten, die Perettis Meinung teilen. Lisa Tozzi hatte 13 Jahre in wichtiger Position für die New York Times gearbeitet, bevor sie im Frühjahr zu Buzzfeed wechselte. Miriam Elder war Moskau-Korrespondentin beim Guardian, sie arbeitet jetzt daran, ein Netz an Auslandkorrespondenten für Buzzfeed aufzubauen (...) Die Außenpolitik-Expertin Miriam Elder legte die Grundlagen des Syrien-Konflikts in dieser Woche in 55 Bildern dar - und bewies damit: Diese Form der 'Listicles' genannten Artikellisten kann man nicht nur für lustige Katzenbilder nutzen, sie können auch im Politikjournalismus Verwendung finden."

+++ „Is the internet killing gossip?“ Diese auf den ersten Blick überraschende Frage stellt New Statesman.

+++ Und einen zusätzlichen Verbreitungsweg hat das Vierteljahresblatt Jewish Voice From Germany gefunden: Eine deutsche Version liegt am Sonnabend erstmals Springers Welt bei (Medienmilch).

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.