Irre

Das globale Gegenstück zur deutschen Pofalla-Posse. Ein Problem gedruckter Werbung. Ob Journalisten sich gemein machen sollen oder nicht - sie sollten zumindest erkennen, wann sie gemeint sind. Außerdem: Achtung, twitternde Journalisten.

Sozusagen das internationale, nicht böse, sondern so oder so menschenverachtende Gegenstück zur niedlichen deutschen Pofalla-Postillon-Posse (siehe Altpapiere vom Freitag und Montag sowie weiter unten): die Meldung von der Hinrichtung durch hungrige Hunde in Nordkorea. Sie, die Meldung, ging schon seit Weihnachten vor allem in englischsprachigen Teilen der Welt herum. Sie, die Hinrichtung, hat stattgefunden, bloß die Hinrichtungsart ist ungewiss.

Schließlich weiß man über Nordkorea "nicht mal irgendetwas Ungenaues (nicht) und so ist nahezu nichts undenkbar, wenn es um die Niedertracht des dortigen Regimes geht", schreibt Lukas Heinser, der für das Bildblog in einer ausführlichen Recherche auch in englisch-, chinesisch- und koreanischsprachigen Quellen herausgefunden hat, dass der Ge- hzw. Missbrauch von Hunden aber unwahrscheinlich sei.

Ungefähr aktueller Zwischenstand der internationalen Recherchen, wie Heinser ihn weiter unten beschreibt:

"Ebenfalls am Samstag berichtete der amerikanische Blogger Trevor Powell, die Ursprungsquelle der Meldung sei der 'in China ansässige Online-Satiriker Pyongyang Choi Seongho (oder jemand, der sich als dieser ausgegeben hat)' gewesen, der auf dem chinesischen Microblogging-Dienst Tencent Weibo erstmals von einer Exekution durch 120 Hunde geschrieben habe. Laut Powell habe 'Wen Wei Po'" - ein in Hongkong ansässiges staatstragendes chinesisches Medium - "diesen Account auch als Quelle genannt. Wie die BBC inzwischen herausgefunden hat, ist die Nachricht nicht mal bei dem echten Satiriker Choi Seongho erschienen, sondern bei jemandem, der diesen nachzuahmen versucht. ..."

Es handelt sich also um eine rundum irre Geschichte. Bloß dass "irre", anders als sonst oft in der Umgangssprache, hier nicht den geringsten positiven Beiklang hat. Wie es in einem der slate.com-Berichte heißt, die dieses Irre früh identifizierten (und die im etwa bei newsroom.de zu findenden, im Bildblog auch erwähnten DPA-Korrespondentenbericht von Stephan Scheuer zitiert werden):

"The North Korean government doesn’t bother to correct anything written about it abroad, and it’s usually impossible for foreign outlets to independently verify whether, say, Kim Jong-un’s ex-girlfriend was executed for making a sex tape. So given the Internet’s insatiable appetite for weird North Korea stories, it becomes a bit of a free-for-all."

Dass im deutschsprachigen Internet der Appetit auf irre Nordkorea-Geschichten besonders unersättlich ist, wird niemand behaupten. Es ist egal, woher sie kommen. Der Appetit an sich aber existiert sicher auch hier.

####LINKS####

[+++] Damit zur Pofalla-Postillon-Posse, also der vergleichsweise sehr gelinden Verwirrung über die Provenienz der Meldung, dass der bislang hochrangige Politiker Ronald Pofalla einen noch neu zu schaffenden Top-Posten beim Staatskonzern Deutsche Bahn (zu dessen vielfältigen Aktivitäten übrigens auch weite Teile des Eisenbahnverkehrs in Deutschland zählen ...), übernehmen könnte. In die Verbreitung dieser Meldung war auch die Satire-Webseite der-postillon.com involviert. Was inzwischen u.a. passiert ist, ebenfalls bei newsroom.de:

Der Nachrichtenchef der Wetzlarer Zeitungsgruppe Lahn-Dill, Michael Klein, hat neben einem Foto von sich mit recht besorgtem Blick einen Kommentar publiziert, der Sätze enthält wie:

"Der Postillon hat somit die fehlende Medienkompetenz vieler Internet-Nutzer offengelegt, die man allerdings auch schon bislang in manchen Leser-Kommentaren auf Nachrichten-Seiten beobachten konnte."

Wer auf so etwas natürlich anspringt: Thommy Knüwer, der schon früh an der Pofalla-Postillon-Debatte beteiligt war. Nun hat er Kleins eher Breit- als Steilvorlage gerne angenommen (indiskretionehrensache.de):

"'Vieler Internetnutzer'. Ahal. Nur: Wenn das Internet das wichtigste Kommunikationsinstrument unserer Zeit ist, wenn sich dort die Mehrzahl der Deutschen tummelt, bedeutet das nicht auch: 'die fehlende Medienkompetenz der Bevölkerung' und im Umkehrschluss 'die fehlende Medienkompetenz der Zeitungsleser'? Noch dazu ist es nicht von Medienkompetenz durchsetzt, das Internet als AlleseinsindenSackunddraufhauen zu betrachten ..."

Sollten sich Politiker unterschiedlicher Parteien alsowomöglich mal zusammentun und eine Initiative zum Ausbau der Medienkompetenz starten? Im Ernst, Knüwer macht in seiner besonnenen Replik einige Punkte, etwa:

"Medienkompetenz bedeutet zu wissen, dass Quellen Journalisten nutzen um die Öffentlichkeit - und manchmal auch eine Sachlage - zu manipulieren",

weshalb Journalisten endlich auf "die Nennung ominöser Kreise" als ihrer Quellen verzichten sollten. Nur z.B..

[+++] Wenn wir beim Zustand des deutschen Journalismus sind: Was geht an der Schumi-Berichterstattungs-Front, einem anderen Topthema der letzten Tage?

Einerseits macht Silke Burmester in der TAZ auf ein Problem gedruckter Werbung aufmerksam, das sicher vielen entgangen ist. Wer blättert schon noch im Zeit-Magazin?

"... Auch gern eine Sperre hätte sicherlich Mercedes gehabt. Während die aktuellen Werbespots des Herstellers suggerieren, es gebe nichts, auf das ihre Autos nicht rechtzeitig reagieren können, muss er nun aushalten, dass man die Druckmaschinen nicht stoppen konnte und das Zeit-Magazin eine Anzeige mit einem sehr zufrieden schauenden Michael Schumacher trägt und der Aussage: 'Die besten Fahrer überlassen nichts dem Zufall. Die besten Autos erst recht nicht.' Da Mercedes ja nicht sagen will: 'Wäre Schumacher mal mit dem Mercedes die Piste runtergefahren', sondern sich die Dinge schlichtweg überschnitten haben, muss man festhalten: Ja, Mercedes, scheiße gelaufen."

Burmesters wie immer multithematische Medien-Kriegsreportage ist heute auch sonst sehr lesenswert, u.a., weil sie den "unglaublich dämlichen 'Tatort' mit Joachim Król" auseinandernimmt.

Zurück zu Michael Schumacher: Andererseits hat Stefan Niggemeier seinen Tweet "Journalisten melden, dass Corinna Schumacher die Journalisten zum Verlassen der Klinik aufgefordert hat, fühlen sich aber nicht gemeint" heute nacht dann noch zum Blogeintrag "Corinna Schumachers Bitte um Ruhe und die grenzenlose Ungemeintheit der Medien" ausgebaut. Debatten-Hopper aufgepasst: Diese "Ungemeintheit" bezieht sich nicht auf die fraglos noch nicht abgeschlossene Debatte, ob sich Journalisten denn gemein machen sollten. Sondern auf Phänomene wie dieses:

"Und nun kommt die Meldung, dass Frau Schumacher darum bittet, ihre Familie in Ruhe zu lassen. Wäre das nicht ein guter Moment zu sagen: Lass uns das nicht auch mit einer Klickstrecke mit Fotos von der nichtinruhegelassenen Familie bestücken, wenigstens diesen einen Artikel nicht?

Aber nein."

Das "Aber nein" hat Niggemeier mit dem Link zur kleinen, aber mit einer in der Tat beschämenden achtteiligen Klickstrecke versehenen Agenturmeldung bei Spiegel Online verlinkt.

Wer sich auch überhaupt nicht gemeint fühlt: der Pay-TV-Sender Sky (@taz_kruse: "Erst Bitte von Corinna #Schumacher verlesen und dann damit werben, dass man "morgen den ganzen Tag live vor Ort" sei. Stark, @SkySportNewsHD"). Wer sich immerhin gemeint fühlt, sogar stellvertretend für viele Journalisten: der DJV-Vorsitzende Michael Konken. Er ließ verlautbaren, "dass Neuigkeiten über Schumachers Gesundheitszustand den Medien durch die Ärzte in Grenoble und das Schumacher-Management umgehend übermittelt würden" und Berichterstatter also nicht am Originalschauplatz darauf warten müssten.

Sonst noch intereressant in der Sache: eine erste Yellow-Presseschau (topfvollgold.de), auch "wenn ein Großteil der wöchentlich erscheinenden Hefte" ja immer mittwochs "auf den Markt geworfen wird", "die große Flut an Schund- und Fantasiegeschichten" also erst noch kommen dürfte. Und falls in spezifischen Journalismusdebatten mal ein Beispiel für eine Meinung gesucht werden sollte, die man, selbst wenn man sie ehrlich hegen sollte, doch besser einfach mal für sich behalten hätte, dann könnte diese Neues Deutschland-Kolumne (über einen Sportler, "der mir schon immer am Arsch vorbeiging und offensichtlich sogar zu blöd zum Skifahren ist, mit dem ich aber mittlerweile schon fast gerne tauschen würde, weil er den Mist, der über ihn gesendet wird, garantiert nicht sehen kann") womöglich von Nutzen sein.

[+++] Da wir ebens schon in der gedruckten TAZ waren, zurück nach Asien: ebenfalls lesenswert dort auf der Medienseite der Bericht über Chen Guangbiao, den Multimillionär aus China, der in letzter Zeit einige der hinteren Plätze, die für aus hiesiger Sicht bloß leicht irre Geschichten vorgesehen sind, mit seinem Kaufangebot für die New York Times belegte. Das Blatt berichte seiner Meinung nach nämlich "negativ und verzerrt über China":

"Der selbst ernannte Philanthrop gibt sich nicht zum ersten Mal als feuriger Patriot. Als im vergangenen Jahr im Streit mit Japan um ein paar verlassene Inseln in zahlreichen Städten Chinas antijapanische Proteste ausbrachen und Demonstranten Autos japanischer Marken demolierten, spendete Chen den Betroffenen 800.000 Dollar. Damit sollten sie sich neue Autos chinesischer Marken kaufen. Diese Aktionen haben ihm im chinesischen Internet viele Fans beschert. Viele halten ihn jedoch auch für bekloppt",

schreibt Felix Lee.
 


Altpapierkorb

+++ Achtung, twitternde Journalisten: "Wenn ein Kritiker twittert, dürfen wir es benutzen und editieren, wie es uns beliebt", sagt jedenfalls Film-Produzent Scott Rudin, der einen einen seiner Filme lobenden Tweet des "Cheffilmkritikers" der gerade erwähnten New York Times, A. O. Scott, in einer ganzseitigen NYT-Anzeige abdrucken ließ, allerdings nicht unverändert. Diskutiert werde nun bloß, "ob nicht tatsächlich Nutzungsrechte von Twitter missachtet wurden", schreibt Stefan Schulz am Rande der FAZ-Medienseite 31. Die Story frei online auf englisch steht bei theverge.com. +++

+++ Ebd. ebenfalls am Rande wird über einen Aufreger in Frankreich berichtet: Das "einst renommierte Magazin 'Newsweek', das seit einem Jahr nur noch online erscheint ... stellte einen Text seiner in Paris lebenden Mitarbeiterin Janine di Giovanni ins Netz: 'The Fall of France'. Vier Dollar koste in Paris ein halber Liter Milch, berichtet die Autorin, die sich auf ihrer Internetseite als 'eine der anerkanntesten Journalistinnen Europas' bezeichnet (wir hatten nie von ihr gehört) ...", schreibt Jürg Altwegg, bezieht also Position pro Frankreich. Pointe jedoch: "'Newsweek' gehört inzwischen einem unbeschriebenen französischen Geschäftsmann ohne verlegerische Erfahrung. Der für dieses Jahr eine Rückkehr der Printausgabe angekündigt hat." Allerdings, "unbeschrieben", lässt sich das so auf deutsch benutzen? Oder wurde irgendwie algorithmisch übersetzt? +++

+++ "Sie haben hier gar keinen Fernseher?", fragt Claudia Tieschky am Ende des großen Interviews auf der SZ-Medienseite Paul Kirchhof, den ehemaligen Verfassungsrichter. "Das ist ein Irrtum. (Paul Kirchhof geht zum Bücherschrank, öffnet eine Schiebevorrichtung, dahinter kommt ein Bildschirm zum Vorschein.) Aber man mag dieses dunkle Auge ja nicht immer sehen." Vorher haben die beiden lange und gelehrt über den Wert des Rundfunks geredet. "Wir leben in Deutschland und in allen Demokratien von einer kühnen Unterstellung. Für fast jeden Beruf braucht man einen Qualifikationsnachweis. Wenn man ein Auto auf einer öffentlichen Straße führen möchte, muss man in der Fahrprüfung zeigen, dass man es kann. Das Staatsschiff aber lenken wir als Naturtalente ohne Führerschein. Das setzt voraus, dass ein Mensch - von dem wir unterstellen, dass er in seiner freiheitlichen Neugierde prinzipiell politisch interessiert ist - regelmäßig sachgerecht unterrichtet wird. Hier liegt eine Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Sender", erläutert Kirchhof z.B. die Grundversorgung. +++

+++ Ist Dieter Bohlen eigentlich jünger geworden? Das Tagesspiegel-Interview mit der allerneuesten DSDS-Jurorin ist weniger wegen der Dinge interessant, die Marianne Rosenberg so sagt, als wegen der Art, wie sie sagt, was sie nicht sagen möchte. Zum Beispiel zur Frage nach der "Armutseinwanderung"-Debatte: "Verständlicherweise bin ich da sehr sensibel, wenn ich merke, dass deutsche Politiker wieder mit fremdenfeindlichen Äußerungen auf Stimmenfang gehen. Aber genau so verständlich ist es hoffentlich auch, wenn ich dieses wichtige Thema hier nicht mit dem Thema Castingshow verbinden möchte." +++

+++ "Eitelkeit ist zwar ein politisches Phänomen, aber ein durch und durch affirmatives": Großer Ilija-Trojanow-Kommentar auf der TAZ-Meinungsseite über Reaktionen auf den Schriftsteller-Aufruf gegen die weltweite massenhafte Überwachung aus dem Dezember. +++ In derselben Sache schlägt Sascha Lobo Wolfgang Bosbach für "die Verleihung des Goldenen Pyrrhus-Arguments am Band" vor (SPON). +++

+++ "Joachim Gauck versucht ganz staatsmännisch die Kinderreporterin rhetorisch zu umgarnen. Jamie Oliver spielt mit Kochtöpfen Schlagzeug. Bastian Schweinsteiger schaut auf die Frage 'Bist du reich?' betreten, und Justin Bieber, der Dalai Lama, Sebastian Vettel und Steven Spielberg kommen gleichermaßen zu Wort. Es geht aber auch um Fragen wie 'Was ist Fundamentalismus?' oder 'Was ist die Bankenkrise?'. Wenn Prominente aus der Reserve gelockt und die Dinge zwar nicht immer abschließend geklärt, doch mit Gewinn beleuchtet werden, dann ist 'logo!' anderen Nachrichtensendungen häufig voraus". Heike Hupertz ganz aus dem Häuschen beim Loben der nun 25 Jahre alten Kindernachrichten-Sendung des ZDF auf der FAZ-Medienseite. +++

+++ Nicht so aus dem Häuschen: Lena Bopp beim Besprechen des ARD-Fernsehfilms "In gefährlicher Nähe": "Es gibt einen guten Moment in diesem Film, leider ist es der einzige, deswegen soll von ihm gleich zu Beginn die Rede sein...", steigt sie ein und beschreibt den Moment auch sehr schön (auch FAZ). +++ "Aber die Frage, ob sich die Anwältin mit einem Vergewaltiger oder mit dem Opfer einer Falschbeschuldigung eingelassen hat, bleibt bis zum Showdown offen" (Laura Hertreiter, SZ). +++ "... doch die Spannung lauert in erster Linie hinter den Bildern", "und das packende Finale ist dem Genre durchaus angemessen" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.