Das Teekesselchen "gemein"

Journalismus und Bürgerrechte-Aktivismus in Personalunion, geht das? Außerdem: bitte weniger Lebensgefahr-Liveticker, aber auch weniger "soziale Netz-Wärme"; 15 Jahre Vorratsdatenspeicherung; 30 Jahre Privatfernsehen.

Huch, eine der vergleichsweise intensiveren Journalismus-Debatten des letzten Jahres begann ganz an dessen Ende. Was Sie über die Diskussion, ob Journalisten bzw. der Journalismus "sich mit Aktivisten gemein" machen dürfen bzw. "engagiert" oder aber "neutral" sein sollten, lesen können wollten, hat Carta rund um einen Verweis auf sich selbst, auf seine inzwischen auch bei Youtube raufgeladene Jubiläums-Diskussion und seine Freude, "dass diese wichtige Debatte nun auch in den deutschen Mainstream-Medien angekommen ist", zusammengetragen.

Unmittelbarerer Anlass war aber der Kongress des Chaos Computer Clubs, der vom 27. bis zum 30. Dezember in Hamburg stattfand und auf dem internationationale Stargäste bzw. Star-Zugeschaltete wie Jacob Appelbaum und Glenn Greenwald weitere Lichtstrahlen in die pechfinstere Lage der Datenfreiheit warfen.

Welche "neuen tiefen Einblicke ins Schreckenskabinett der NSA" am Ende Appelbaum etwa gab, hat zum Beispiel Stefan Krempl für heise.de zusammengefasst. U.v.a. stelle der US-amerikanische Geheimdienst "eine 15-jährige Vorratsdatenspeicherung ..., die außer Verbindungs- und Standortinformationen auch Kommunikationsinhalte umfasse"; und sein "Sammelsurium der Cyberwaffen" sei "auf Telekommunikationskonzerne genauso ausgerichtet ... wie auf Endkunden". "Was noch an Restvertrauen in die Vertraulichkeit der elektronischen Kommunikation - nach deutscher Rechtsprechung ein Grundrecht der Menschen - übrig gewesen sein mag, muss spätestens jetzt hinterfragt werden", würde Patrick Beuth (zeit.de) sagen. Diese jüngsten Schock-Meldungen entsprechen natürlich grob denen, die auch im aktuellen Spiegel-Heft sowie bei Spiegel Online unter Überschriften wie "Der geheime Werkzeugkasten der NSA" stehen. Schließlich ist Appelbaum ja ein "seit Kurzem auch als Journalist tätiger Bürgerrechtler" (Krempl).

Ob so was geht, Journalismus und Bürgerrechte-Aktivismus in Personalunion, diese Frage also hat ebenfalls zeit.de bereits anlässlich des Eröffnungs-Vortrags desselben Kongresses, den per Videozuschaltung Greenwald hielt, aufgeworfen. Beuth und Kai Biermann kommentierten:

"Greenwald hat in seiner Rede eine Grenze überschritten, als er 'wir' sagte statt 'ihr'. Er hat sich mit den anwesenden Hackern gemein gemacht, mit den Aktivisten und Bürgerrechtlern. Er sieht sich als einer von ihnen."

Dieses Gemein-Machen bezieht sich, wie man inzwischen dazu schreiben muss, auf eine früher sehr bekannte Aussage des 1995 verstorbenen Journalisten Hajo Friedrichs: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache", lautet sie. Vertrackt ist der Teekesselchen-Charakter des Wortes "gemein": Steht es einfach so alleine da, wirkt oder klingt es immer etwas gemein, fies, also negativ. Wenn man ein "-sam" oder "-wohl" anhängt, entfaltet es umso positivere Wirkung.

Auch wenn Biermann/ Beuth ihren Kommentar natürlich ausgewogen formulieren und mit einer Handvoll Fragen ("Braucht es mehr Meinung, mehr Position? Braucht es Journalisten, die auch jenseits ihrer Artikel und Berichte für etwas eintreten? Oder sollen Medien eher versuchen, so neutral wie möglich zu sein und anderen den Aktivismus überlassen?") ostentativ als Diskussionsanstoß ausklingen lassen - etwas wohlfeil wirkt diese Journalismus-Debatte doch . Zumal sich auch noch zeit.de-Chefredakteur Jochen Wegner mit einem "Mein Journalismus ist in die Jahre gekommen"-Aufsatz eingeschaltet hat, bei dessen Durchlesen manch einem Die Zeit-Veteranen an seinem Hamburger Kamin ganz warm ums Herz geworden sein dürfte. Gleich dreimal kommt darin das Adjektiv "romantisch" vor ("Bewusstsein, dass so viel romantischer Positivismus belächelt werden muss", "Natürlich hat auch dieses romantisches Journalismus-Ideal längst Kratzer", "Die Demokratie lebt aber noch besser mit Journalisten, die weiter ihren romantischen Idealen nachhängen").

Jetzt müsste bloß noch der Romantiker Giovanni di Lorenzo den Pragmatiker Helmut Schmidt fragen, was er denn dazu sagt.

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[+++] Die Sache selbst, um die es geht und ihre einerseits fast unglaubliche, andererseits im Alltag auch kaum spürbaren Ausmaße, sie werden weiterhin in ausdrücklich als Kommentaren gekennzeichneten Artikeln von Star-Journalisten wie auch von Vielleicht-nicht-Journalisten kommentiert: "In diesem Jahr hat sich das Internet als Weltüberwachungsmaschine entpuppt, mit dem man nebenher Flüge buchen, ehemalige Klassenkameraden wegen ihrer unattraktiven Kinder verspotten und gebrauchte Kochtöpfe ersteigern kann" (Sascha Lobo, SPON). "Würde jede dieser Überwachungsaktivitäten einen Pfeifton produzieren, die Menschen wären schon wahnsinnig geworden" (Heribert Prantl, SZ., S. 4). Die Kritik richtet sich jeweils vor allem an die Bundeskanzlerin.

[+++] Sooo romantisch sind sie übrigens bei zeit.de nun auch wieder nicht. Zumindest erfährt das Portal auch, in weniger schönem Zusammenhang, Erwähnung im jüngsten "Lieber Journalismus, wir müssen reden"-Blogeintrag:

"Ich ärgere mich über ein solches Verhalten. Es ist scheinheilig, weil es dabei rein um Klickgeilheit geht. Würde Schumacher keinen interessieren, würde es keine Liveticker, Eilmeldungen und zig überarbeitete Artikel zu ein und demselben Thema geben. Selbiges gilt für etliche Bilder-Strecken, die mit Nicht-Informationen und Archiv-Bildern vollgestopft wurden. Es ist aber auch nicht sonderlich hilfreich beim Versuch, den Online-Journalismus endlich auf eigene Füße zu stellen. Ganz im Gegenteil: Ein so aufgeschrecktes Verhalten der Journalisten – und hier sind ausnahmsweise mal nicht nur die üblichen Boulevard-Verdächtigen, sondern auch 'Süddeutsche', 'ZEIT ONLINE' und 'Frankfurter Rundschau' gemeint – wirkt eher abstoßend und wenig seriös.",

bloggt Tobias Gillen. Es geht also um die Lebensgefahr-Liveticker und anderen vor allem online verbreiteten Journalismus rund um den ehemaligen Autorennfahrer Michael Schumacher. Die "Lieber Journalismus, wir müssen reden"-Attitüde ist nicht ganz neu und auch über sie ließe sich streiten; wahrscheinlich redet ja ständig jemand kritisch mit dem Journalismus, der in irgendeiner Gestalt auch ständig antwortet. Aber wenn Gillen am Ende seines umfang-, weil beispielreichen Artikels fordert:

"Lieber Journalismus, mach ruhig so weiter. Aber dann beklag dich bitte nicht ständig darüber, dir ginge es schlecht. Mit solch einem Verhalten von Boulevard-, Qualitäts-, Online-, Fernseh-, Privat- und öffentlich-rechtlichen Medien gleichermaßen ist das nämlich kein Wunder. Ein guter Vorsatz für 2014? Einfach mal durchatmen",

dann hat er einen Punkt.

Sowohl, dass es in der immer noch großen Medienvielfalt auch sinnvolle Haltungen zum Schumacher-Thema gibt, als auch, dass es dort im Internet bzw. in den sog. sozialen Medien, wo sich keine klassischen Medien äußern, keineswegs grundsätzlich besser zugeht, hat Marc Röhlig für den Onlineauftritt des Tagesspiegel aufgeschrieben:

"Passend zu den eiligen - und doch meist nichts-berichtenden - Presseartikeln ist in den sozialen Netzwerken eine Beileids-Kultur entstanden. Auf Twitter schicken tausende Genesungswünsche, die weniger Gedanken in Richtung Grenoble sind als vielmehr der eigenen Darstellung dienen. 'Happy New Year Schumacher', steht da, 'Ich hoffe, du schaffst es'. Andere fragen, ob er 'sein wichtigstes Rennen' wohl gewinnen wird. Aber Michael Schumachers Gesundheitszustand ist kein Rennen, das man betwittern, bebildern und bekunden kann. Das Michael Schumacher um sein Leben kämpft, ist ein höchst intimer Schicksalsschlag. Er verdient die Abwesenheit sozialer Netz-Wärme."


Altpapierkorb

+++ Was Zeilenumfang betrifft, größtes Medienseiten-Thema dieser Tage: 30 Jahre Privatfernsehen. Den besseren Artikeln gelingt es deutlich zu machen, was sich seit den 25-Jahre-Privatfernsehen-Artikeln verändert hat, auch wenn man es auf den Empfangsgeräten kaum sieht. Z.B. dem von Kurt Sagatz im Tagesspiegel: "Die neue Konkurrenz heißt Hulu und Netflix und befindet sich auf dem Sprung über den Atlantik. Amazon ist mit dem Video-on-demand-Dienst Lovefilm bereits in Deutschland aktiv und konkurriert hier mit dem Vivendi-Ableger Watchever. ... Die bevorzugte Waffe der Privatfunker im Kampf gegen die Konkurrenz aus dem Internet ist die Gründung immer neuer Spartenkanäle." +++ Michael Hanfeld dazu in der FAZ unter der Überschrift "Ich bin ein Sender – Holt mich hier raus!": "Es könnte so schön sein. Und aus Sicht der Analysten ist es das auch. Aus Sicht der Zuschauer aber ist es anders. Denn die Privatsender verdienen zwar Geld, ihr Programm aber ist inzwischen kümmerlich. ... Amerikanische Serien und Comedys rauf und runter, Chart-Shows bis zum Abwinken, Vorabendprogramm zum Abgewöhnen, Wiederholungen von Neujahr bis Silvester und ein paar Heroen mit Marathon-Lunge wie Stefan Raab, ohne den Pro Sieben sein Programm glatt einstellen könnte." +++ Die TAZ hat zum Thema einen EPD-Bericht, der wirkt, als sei er mittendrin (kaum, dass die Rede auf Margarete Schreinemakers kam) abgebrochen. +++ In der BLZ wusste Harry Nutt, wer noch mal das Wort "Unterschichtenfernsehen" geschöpft hatte ("Der Berliner Schriftsteller und Zeitdiagnostiker Michael Rutschky hatte als einer der ersten bemerkt, dass sich mit der Einführung des Privatfernsehens nicht die Darbietungen des Fernsehens revolutioniert hatten, sondern das Publikum gewissermaßen ausgetauscht worden war. Waren die 'Tagesschau', Werner Höfers 'Frühschoppen' mit sechs Journalisten aus fünf Ländern und selbst Robert Lembkes Ratesendung 'Was bin ich?' Unterweisungen der jungen Bundesrepublik in die demokratische Bürgergesellschaft, so regierte ab 1984, wie Rutschky es nannte, das Unterschichtenfernsehen"). +++

+++ Themen der SZ-Medienseite: Bastian Pastewka "hat ein seriöses, liebevoll-gründliches Hörspiel inszeniert", und zwar "Der Hund der Baskervilles", ein Nachruf auf den "großen Sportreporter Bruno Moravetz" (Nachrufe frei onlinez.B. hier und dort) und ein Porträt des Schauspielers bzw. "sehr ernsten Komikers" Kai Schumann, der "in der ZDF-Krimiserie 'Heldt' einen Polizisten ohne Waffe" spielt. Deshalb tauchte "Heldt" auch nur ein einziges Mal im Fernsehkrimimorde-Special des Altpapiers auf. +++

+++ So wie im Dezember die europäischen Reporter ohne Grenzen die ermordeten Journalisten des Jahres 2013 zählte, so tat das nun auch amerikanische Committee to Protect Journalists. Es kam auf "mindestens 70" (TAZ) bzw. "auf siebzig bis fünfundneunzig ermordete Journalisten", berichtet die FAZ (S. 27) und fährt fort: "Das IPI – es vertritt vor allem Verleger und leitende Redakteure – vermerkte sogar einhundertsiebzehn Tote." Das IPI ist das International Press Institute in Wien und online unter freemedia.at zu finden. Im Grunde geht's also wieder um die Frage, wer genau Journalist oder, in diesen viel schlimmeren Fällen: war. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite fragt Sebastian Dörfler wiederum vorm Hintergrund des NSA-Skandals "Was ist eigentlich aus der 'Anonymous'- Bewegung geworden?". Teil seiner Antwort: "'Anonymous' kommt nicht mehr rein in die mediale Aufmerksamkeitsspirale. Für langfristige Aufklärung fehlen dem Schwarm Ressourcen und Struktur. Und Geduld widerspricht dem Wesen der Maske. ..." +++

+++ "Es gibt in den Medien eine Tendenz, die wesentlich stabiler ist als das Wahlverhalten der Bürger, über das wir gerade sprachen. Durch die Digitalisierung und die daraus folgende Dominanz der elektronischen Medien gegenüber den Printmedien hat sich ein Vorrang von Schnelligkeit gegenüber Gründlichkeit auch in der politischen Berichterstattung entwickelt, von Schlagzeilen gegenüber Analysen, von Personalisierung gegenüber Sachthemen und eine grausame Dominanz der Unterhaltung gegenüber der Information." (Bundestagspräsident Norbert Lammert kürzlich im BLZ-Interview, in dem er dann auch die "heute-show" des ZDF als Beispiel für diese "grausame Dominanz" nannte). +++

+++ Jahresrückblicke sparen wir uns jetzt (auch wenn Jörg Thadeusz' Idee, ausgerechnet dem bekanntlich toten "Frank Sinatra von zu Hause erzählen [zu] wollen. Vom deutschen Showgeschäft. Also von den Medien, aber auch der Politik" danach schreit, für ZDF-Neo in Serie zu gehen). Aber eine Vorschau: "Dass Deutschland seinen Weg in Richtung Anti-Technologie-Standort konsequent weitergehen wird", dass "in der zweiten Jahreshälfte die nächsten heftigen Entlassungswellen" in der Zeitungsbranche kommen werden und es dabei "am stärksten" die Süddeutsche Zeitung "treffen dürfte", das u.a. prophezeit Thommy Knüwer für das gerade begonnene Jahr. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.