Im Taumel

Schon wieder eine breaking Rundfunkgebühren-news! Außerdem: "cool, lars! machste vorsitz?!". Und Axel Springer ist ja doch noch im Print-Geschäft aktiv.

Gestern gab es für Michael Hanfeld, den Medienseiten-Chef der FAZ, im eigenen Blatt sozusagen eine kleine Ohrfeige. Seiner Medienseite gegenüber in der Leserbriefspalte stand ein Leserbrief der ARD-Sprecherin Anna Engelke, der einem der schäumendsten Hanfeld-Artikel der letzten Wochen, dem S. 1-Leitartikel vom 5. Dezember, in gelassenen Ton vorwarf: "An einigen Stellen irrt der Autor" (siehe Altpapierkorb).

Heute schlägt Hanfeld zurück. Bzw. schreibt von einer "Ohrfeige" für die Sender, ganz besonders für die ARD:

"Denn für sie" - die Sender - "ist der Beitragszuwachs eine Ohrfeige. Das ZDF war wenigstens so klug, zu den durch den neuen Rundfunkbeitrag erwarteten Mehreinnahmen zu schweigen - bis zu diesem Mittwoch waren die Zahlen noch nicht ganz abgesichert. Die ARD aber bog erst mit der Einlassung um die Ecke, da komme nicht viel mehr zusammen als bislang. Und schob dann nach, achtzig Millionen Euro mehr könnten es in diesem Jahr schon sein. Achtzig Millionen? Ein Witz. Rund 286 Millionen Euro mehr pro Jahr sind es und damit viel mehr, als die größten Kritiker des neuen Beitragssystems vorhersagten."

Der in diesem Sinne größte Kritiker ist vermutlich der heute online mit einem ähnlichen, aber nicht identischen Text vertretene Hanfeld selbst. Was die Anzahl derer betrifft, die aktuell tatsächlich leidenschaftlich über die Gebühren diskutieren, stand hier kürzlich die Vermutung, sie könnten sich "in zwei Reisebussen unterbringen" lassen. Jedenfalls, Anlass für den neuesten "Gebührentaumel" (Hanfeld im Print-Vorspann, exakt: "Der Rundfunkbeitrag für ARD, ZDF und Deutschlandradio soll sinken. Doch für wie lange? Und wieso um so wenig? Ein paar Fragen im Gebührentaumel bleiben") ist der tatsächlich noch nie da gewesene Vorgang, dass gestern mittag die Kommission namens KEF, die außer für ihren langen Namen nur noch für ihre Bedächtigkeit bekannt ist, vorpreschte. Per Pressemitteilung (Word-Dokument; zurzeit auch oben auf ihrer Presse-Webseite) bezifferte sie das Gesamt-Rundfunkgebührenaufkommen der Zeit von 2013 bis 2016 auf 30.814,0 Mio. Euro:

"Das sind 1.145,9 Mio. mehr als von den Anstalten im April 2013 angemeldet. Die Kommission empfiehlt die Hälfte der erwarteten Mehreinnahmen von 1.145,9 Mio. EUR für eine Senkung des Rundfunkbeitrags von 73 Cent auf 17,25 EUR / monatlich zu verwenden. Dabei ist berücksichtigt, dass die Absenkung erst ab 1. Januar 2015 vorgenommen werden kann und den Zeitraum von 2 Jahren (2015 und 2016) umfasst."

Zwei Jahre lang monatlich 0,73 Euro, das wären insgesamt 17, 52 Euro. Dafür kann man, dafür kann man ... z.B. ab 2015 einen Monat lang die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio verfolgen, denn dann dürfte die monatliche Rundfunkgebühr pro Haushalt ja auf 17,25 Euro gesunken sein. Bloß, die Entscheidung, ob man für die Programme von ARD, ZDF und Deutschlandradio bezahlen will oder nicht, steht natürlich niemandem mehr frei. Das ist einer der berechtigten grundsätzlichen Kritikpunkte an der aktuellen Gebühren-Lage. Um viel Geld geht's aus Endverbraucher-Sicht aber nicht.

"73 Cent, das ist nur etwa so viel wie ein halber Liter Benzin und lässt sich deshalb auch kaum als große Entlastung für die Bürger darstellen",

schreibt Claudia Tieschky auf der SZ-Meinungsseite und taumelt also nicht, obwohl sie nebenbei noch mal fallen lässt, dass "exzellentes Fernsehen ... nicht ständig über das Recht auf öffentliche Finanzierung streiten" müsste. Sie schreibt heute am meisten über die Sache, ist online mit einem Artikel vertreten und auf der Medienseite mit einem längeren Erklärstück ("Genau genommen war es ein Machtwort, als die KEF an diesem Mittwoch eine Zahl nannte, die nun nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist") sowie mit einem Interview mit dem KEF-Chef. Heinz Fischer-Heidlberger, dessen Name dem seiner Kommission in der Länge angemessen ist, erklärt, woher die Mehreinnahmen noch mal kommen ("Es ist eine deutliche Zunahme bei den zahlpflichtigen Wohnungen festzustellen") und sagt zur relativ spannendsten Frage, ob die mutmaßlich übernächstes Jahr kommende leichte Gebührensenkung dann schon 2017 wieder rückgängig gemacht werden könnte, dass er sie, wegen Preisentwicklungen, aber auch, weil die Bundesländer "sich ja auch mit dem Auftrag des Rundfunks neu befassen" wollen, "derzeit ... nicht seriös beantworten" könne.

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Als Freund des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist Fischer-Heidlberger natürlich Denken im Proporz gewohnt. Die relativ spektakulärste unter seinen insgesamt der KEF-Bedächtigkeit angemessen unspektakulären Aussagen ließ er gegenüber Hanfeld springen. Der zitiert ihn mit der Empfehlung, die 17,25 Euro "auch in den kommenden Jahren 'so weit wie möglich' stabil zu halten. 'Wir wollen einen Jojo-Effekt für die Beitragszahler vermeiden'".  

Weitere Zusammenfassungen inklusive der Gebührensenkungs-Begrüßungsformeln, die die obersten Repräsentanten von ARD (u.a. mit dem Einwand, dass bis Ende 2014 Beitragszahler "sich noch rückwirkend abmelden" könnten, "weil pro Wohnung nur noch ein Beitrag gezahlt werden muss", was die Mehreinnahmen wiederum noch mindern könnte ...) und ZDF gestern zeitnah verlautbaren ließen, gibt's etwa im Tagesspiegel, der Berliner Zeitung und bei dwdl.de. Die relativ steilste Verbandsvertreter-Äußerung zum Thema, die der Filmproduzenten-Lobby, erledigt Tieschky en passant:

"Die Allianz Deutsche Produzenten brachte am Mittwoch noch einen ganz eigenen Vorschlag vor: Ein Teil der Mehreinnahmen sollten einfach ins Fernsehprogramm investiert werden - also dort, wo Sender bei Sparzwang gerne kürzen, weil es leichter ist, als Strukturen zu verändern. Innovative Inhalte wie etwa spektakuläre Serien, so die Allianz, 'sind hierzulande schon lange nicht mehr zu machen'".

In der Tat könnte das reichste Fernsehen der Welt, um das es sich beim öffentlich-rechtlichen deutschen auch bei unpolemischer Betrachtung auch 2015 noch handeln dürfte, auch mit Bordmitteln eine Qualitätsoffensive starten. Z.B. wenn es etwas weniger Schmonzetten (vgl. Spezial-Altpapier von vor fast einem Jahr) oder auch etwas weniger Krimis (das wird Ende Dezember Thema hier) ausstoßen würde.

[+++] Wenn wir in der Lobby sind: Zum gestern hier gestreiften Thema des neuen Bundesregierungs-Personals und der teils euphorisch begrüßten Einrichtung eines eigenen Netzpolitik-Ausschusses hat Don Alphonso in seinem FAZ-Blog (und anderswo) einen umfassenden rant veröffentlicht (und elegant mit Screenshots versehen). Unbestreitbarer Kern: Die Einrichtung eines Ausschusses allein bedeutet noch nicht grundsätzlich bessere Politik, und "das Posten- und Einflussgeschacher hat schon begonnen". Ob so ein Ausschuss tatsächlich vor allem "Einflüsterungen", insbesondere des gut vernetzten Datenkraken Google dienen wird, darüber könnte wohl streiten, wer mit dem streitbaren Don Alphonso streiten wollen würde. Aber als Landkarte, die Persönlichkeiten wie Axel Wallrabenstein (dessen Twitteräußerung "cool, lars! machste vorsitz?!" besondere Würdigung erfährt), Lars Klingbeil, Stephan Keuchel, Philipp Otto und Institutionen sowie Firmen wie C-Netz und D64, die MSLGroup Germany GmbH, Collaboratory und irights.info verorten möchte, ist der Text lesenswert.

[+++] Wer auf dieser Lobby-Landkarte fehlt: der Player, der in der letzten Regierungsperiode zumindest beim Gesetzeanstoßen einen Sieg, wenn auch vielleicht einen schon wieder gleichgültigen oder einen Pyrrhus-Sieg, über die Google-Lobbyisten errungen hat - Axel Springer, der Konzern.

Der ist heute in den Medienressorts mit einem Unternehmenszweig vertreten, dessen Existenz man vor lauter Digitaleuphorie kaum mehr vermutete: Springer macht auch noch in Zeitungs- und Zeitschriften-Vertrieb. Und war für das gestern hier erwähnte deutsche Pressefreiheits-Kuriosum verantwortlich.

Der Boykott bzw. die Aufforderung zur Zensur gegen das Dummy-Magazin ging vom Axel Springer Vertrieb aus, tragen Ulrike Simon in der Berliner Zeitung sowie Anne Fromm in der TAZ die Info nach, die im Süddeutsche-Artikel fehlte:

"'Wir möchten Sie dringend darauf hinweisen, dass diese Ausgabe auf keinen Fall an den Handel ausgeliefert werden darf, da es Klärungsbedarf zu Inhalten des Heftes gibt', schrieb der Axel-Springer-Vertrieb in einer Mail, die der taz vorliegt."

Und auch wenn die TAZ Dummy-Herausgeber Oliver Gehrs, mit dem Edding zum notgedrungenen Penis-Zensieren in der Hand, "laut und aufgeregt" mit der Aussage "Was hier passiert, ist Zensur und kommt einem Betriebsverbot gleich" zitiert, weiß sie doch zu berichten, dass gerade der Zensur wegen die Dummy-Bestellungen und -Abozahlen "in die Höhe" "schnellen" würden. Außerdem, was Themen, die den Springer-Konzern und Penisse betreffen (und auch das In-die-Höhe-Schnellen), hat die TAZ ja das ideale Fotomotiv vor der Haustür.
 


Altpapierkorb

+++ "Umfangreiche Datensammlungen ersetzen heute das, was die Neuzeit vom Mittelalter unterscheidet: das Recht des Einzelnen auf ein faires Gerichtsverfahren" (Maik Söhler in einem Datenskandal-Rückblick aufs noch laufende Jahr, tazzwei). +++

+++ Wiederum (hoffentlich) ein Kuriosum: Getöse eines NPD-Funktionärs als Blindtext bei einem Spiegel Online-Experiment, das nicht so unöffentlich blieb wie es wohl verlaufen sollte. Die von Stefan-Niggemeier-Tweets aufgedeckte Sache versucht dwdl.de nachzuerzählen: Im Gespräch darüber "bedauerte 'Spiegel Online'-Chefredakteur Rüdiger Ditz am Nachmittag allerdings, dass der Test-Channel online gegangen sei. Zugleich betonte er, seine Mannschaft noch einmal aufgefordert zu haben, bei solchen Tests in Zukunft nur noch echte Blindtexte zu verwenden, die keinen aktuellen Bezug beinhalten." +++

+++ Der Tagesspiegel gibt kleine Überblicke sowohl über deutsche Video-on-demand-Portale als auch über öffentlich-rechtliche Mediatheken. Das ist der informativere Text: "Bei den 'Tatorten' kommt mittlerweile gut ein Zehntel der Zuschauerzahlen über das Internet", informiert  Marc Röhlig u.a. Die Amazon-Reportage "Ausgeliefert!" des HR habe "in der ARD-Mediathek ... die TV-Einschaltquoten abgehängt", und die Verbleibdauer von Sendungen in den Mediatheken zählt zu den Dingen, mit denen sich die Bundesländer neu befassen wollen. +++

+++ Eine ganze Seite im FAZ-Feuilleton trägt die Überschrift "Die braunen Wurzeln des 'Stern'": "Vor hundert Jahren wurde Henri Nannen geboren. Seit 1948 baute der Journalist den 'Stern' zur zeitweilig größten Illustrierten Europas auf, die er zum Mythos machte. Zu Anfang aber zeigte sie frappierende Ähnlichkeit mit einem bunten Medium gleichen Namens aus NS-Zeiten. Neue Quellen belegen aber auch den Einfluss von belasteten Presseleuten bei der Nachkriegswiederbelebung des Blattes - und beleuchten juristische Scharmützel um die Urheberschaft", lautet der Vorspann. Das heißt, da fasst Tim Tolsdorff sein Buch "Von der Stern-Schnuppe zum Fix-Stern. Zwei deutsche Illustrierte und ihre gemeinsame Geschichte vor und nach 1945" (Halem-Verlag) zusammen, das 2014 erscheinen soll. Eine Illustrierte der Nazizeit als Stern-Muster - hatte da nicht schon mal jemand drüber geschrieben? Jawohl, steht auch in Tolsdorffs online verfügbarem ersten Kapitel: "Mit den Ungereimtheiten bei der bislang verbreiteten Version der Stern- Gründung beschäftigte sich bislang lediglich ein populärwissenschaftlicher Beitrag des Journalisten Nils Minkmar" (und zwar im u.a. von Lutz Hachmeister herausgegebenen, insgesamt nicht irre populärwissenschaftlichen Buch "Die Herren Journalisten"). Minkmar zählt ja zu den Entscheidungsbefugten im FAZ-Feuilleton, insofern alles in Ordnung. +++

+++ Gegen die neue Datenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff, deren Wahl heute anstehen soll, legt Thomas Stadler harsch u.a. bei Carta nach ("Was qualifiziert also die designierte Bundesdatenschutzbeauftragte Voßhoff? Aus fachlicher Sicht kann die Antwort nur lauten: nichts"). +++

+++ Auf der SZ-Medienseite würdigt Dirk von Gehlen den "dritten Chefredakteur innerhalb von zwei Jahren" der deutschen Wired, den von Business Punk geholten Nikolaus Röttger: "Trotz des merkwürdigen Titels sahen manche in Business Punk unter Röttger bereits die zeitgemäßere deutsche Version von Wired." +++

+++ Und Diemut Roethers Würdigung des "talentierten Herrn Böhmermann" aus epd medien steht inzwischen frei online. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.