Aus dem Kellerloch

Yesssss! Ist Netzpolitik nun "endgültig relevant"? Ein neuer Ausschuss (nicht Unterausschuss!), neue Beauftragte für Datenschutz und Medien und anderes. Außerdem: entführte und ermordete Journalisten. 1000e zerrissene Dummy-Ausgaben. Ein Leserbrief von der ARD.

Die Reporter ohne Grenzen haben schon mal das noch nicht ganz beendete Jahr bilanziert. Ihrer hier als PDF verfügbaren Jahresbilanz 2013 (nicht zu verwechseln mit der Rangliste der Pressefreiheit, die immer Ende Januar veröffentlicht wird) merkt man an, dass die Reporter ohne Grenzen halt Journalisten sind. Dass sie also die Mechanismen der gegenwärtigen Nachrichtenvermittlung vorab mitbedenken und ahnen, dass weniger Tote als im Vorjahr eher keine oder eine kleinere Meldung ergeben.

Es wurden 2013 "zwar weniger" Journalisten getötet als 2012, heißt es, sogar 20 Prozent weniger (S. 4), "aber immer noch mehr als in den Jahren davor", also denen bis inklusive 2011. Bloß 2012 war im globalen Maßstab eben ein besonders übles Jahr für Journalisten. Außerdem gibt es auch eine starke Steigerung zu vermelden.

"Die Zahl der Entführungen hat sich in diesem Jahr auf 87 mehr als verdoppelt", schreiben die Reporter (S. 11), was sich für Agenturmeldungs-Vorspänne ja auch ganz gut eignet. Einen Fall davon, den die ROG auf ihrer englischsprachigen Webseite gerade ebenfalls vermelden mussten, die Entführung der syrischen Menschenrechtsaktivistin und Autorin Razan Zeitouneh ausgerechnet am Internationalen Tag der Menschenrechte (an dem sie zuvor noch ein Youtube-Video aufgenommen hatte), schildert heute der Kairoer Korrespondent Markus Bickel auf der FAZ-Medienseite. Und der deutschsprachige ROG-Bericht über die fatale Lage des Journalismus im Bürgerkriegs-Gebiet Syrien ist auch gerade erst erschienen.

Da die Reporter halt wissen, dass Superlative und Rankings aus dem online verbreiteten Journalismus nicht wegzudenken sind, ist in ihrer Jahresbilanz überdies eine Liste der "fünf größten Gefängnisse für Journalisten" enthalten (S. 8-10). Syrien gehört natürlich dazu, so wie seine Nachbarstaaten Iran und Türkei. Ja, die teilweise europäische Türkei, in der zurzeit "insgesamt ... rund 60 Medienschaffende in Gefängnissen" säßen, wird gar an dritter Stelle genannt. Wobei, vielleicht ist die Liste der Journalisten-Gefängnisse auch nicht als absteigende Reihenfolge zu lesen, wie ein Blick auf den zweitgenannten afrikanischen Staat Eritrea mit zurzeit "mindestens 28" inhaftierten Journalisten zeigt:

"Von den elf Journalisten, die 2001 bei der Abschaffung der freien Presse verhaftet wurden, sind inzwischen sieben an den Folgen ihrer Misshandlungen gestorben oder haben sich das Leben genommen. Die übrigen vier haben auch nach zwölf Jahren noch keinen Richter zu Gesicht bekommen. Die Haftbedingungen sind unmenschlich: Einzelhaft in unterirdischen Zellen, stundenlanger Arrest in Metallkisten in der prallen Sonne, Essens- und Wasserentzug und überfüllte Gefängnisse."

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Superlative, Rankings und Meldungen, die ein "immer mehr" enthalten, sind eben nur Vermittlungs-Kniffe für die informationsüberfluteten Mediendemokratien des sog. Westens, um Informationen über andere Aspekte der globalen Realtität, zu der z.B. auch eine "nie dagewesenen Welle der Gewalt gegen Journalisten" in Indien gehört (das nun zu den "fünf gefährlichsten Ländern für Journalisten" zählt), rüberzubringen.

[+++] Vergleichsweise putzig wirken die journalistischen Sorgen im Inland. Eine besonders skurriles, bloß für Oliver Gehrs' Magazin Dummy vermutlich sehr ärgerliches Pressefreiheits-Kuriosum, schildert heute die Medienseite der Süddeutschen:

"Es waren etwa zehn Studenten, die an diesem Dienstag mehrere Tausend Ausgaben des Berliner Gesellschaftsmagazins Dummy zerrissen und mehrere Tausend männliche Geschlechtsteile übermalten. Aus dem aktuellen Heft mussten die Seiten 93 und 95 entfernt und auf Seite 83 ein Penis geschwärzt werden."

Wie die genannten Körperteile andeuten, ging es um vermeintlichen Jugendschutz. Zugeschlagen hat eine selten öffentlich auffällig werdende Institution, die Freiwillige Selbstkontrolle im Pressevertrieb. SZ-Redakteurin Katharina Riehl hat deren Internetseite, "die aussieht, als sei sie seit den 80er Jahren nicht mehr angefasst worden" und daher wirklich sehenswert ist (bekanntlich ist auf solch uralten Webseiten auch das Nachtragen eines fehlenden Kommas ein unzumutbar aufwändiger Akt...), aufgerufen und bei der dort genannten Anwaltskanzlei angerufen. Aber niemanden erreicht. Zwar sagte ihr der Geschäftsführer des Bundesverbandes Presse-Grosso, Kai-Christian Albrecht, dann ein paar Takte. Doch bleibt die Frage "Warum aber dürfen ein paar süddeutsche Anwälte entscheiden, welche Titel an deutschen Bahnhofskiosken verkauft werden?" noch offen.

Warum das für die deutsche Pressefreiheit vergleichsweise wenig ins Gewicht fällt, zeigt das Foto zur Onlinefassung des SZ-Artikels, sofern man es groß klickt (was aber nur volljährige Nutzer tun sollte), und schreibt Riehl auch: Im Internet sind "die zensierten Seiten zum Runterladen" aus dem Dummy-Heft zum Thema "Schmerz" auch ungeschwärzt zu haben.

[+++] Damit sind wir beim Zusammenwachsen der Medien und deren daher rührendem rasanten Wandel. Unter solchen Aspekten wird schon seit Tagen das Personal der neuen Bundesregierung, auf die wir ja seit fast einem Vierteljahr (vom Wahlkampf ganz zu schweigen) gewartet haben, begutachtet.

Mit einem kräftigen "Yesssss!" twitterte gestern Dorothee Bär ‏alias @DoroBaer, der die ausgeruhte TAZ-Zusammenfassung der Personallage heute "eine gewisse habituelle und kulturelle Nähe" zu und vermutlich "besänftigende" Wirkung auf "Netzaktivisten" zuschreibt, die Neuigkeit in die Welt, dass das Parlament nun sogar einen Internetausschuss bekommen soll. Um korrekt zu bleiben: Das Internet bekommt im Bundestag erstmals einen ganzen Hauptausschuss für Internet und digitale Agenda.

"Viele Jahre war das Thema im Unterausschuss Neue Medien dem Medien- und Kulturausschuss zugeordnet. Die letzten drei Jahre wurde das Thema zudem in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft diskutiert. Mit dem Schritt verlässt Netzpolitik endgültig das Kellerloch und gewinnt die notwendige und angemessene politische Relevanz",

freut sich netzpolitik.org in Gestalt Markus Beckedahls.

Ob die neue Regierung tatsächlich eine stringente Netzpolitik machen wird, alos "Digitalpolitik aus einem Guss" (Marin Majica auf zeit.de), oder viele Netzpolitiken mit demzufolge geringerer Stringenz oder überhaupt keine, wird weiter gerätselt - außer in der TAZ auch im Tagesspiegel, der die Vereidigungs-Reihenfolge (Infrastrukturminister Alexander Dobrindt musste unter anderem dem neuen Justizminister Heiko Maas "den Vortritt lassen" ...) wichtig nimmt.

Ein launiges Glösschen des FAZ-Feuilletons aus Jürgen Kaubes Feder liegt auch noch vor. "Fünfzehn Lufthoheiten/ Wer macht denn nun was im neuen Kabinett?" heißt es und gelangt zu dieser Folgerung:

"Der Tweet von Frau Zypries macht da erst den Anfang. Es steht eine Koalition aller gegen alle in Aussicht. Vor allem aber bewirkt Streit um Zuständigkeiten - wer geht auf die Weltklimakonferenz, wer definiert, wovor der Verbraucher im Netz geschützt werden muss, wer kümmert sich ums Urheberrecht? -, dass die Konfliktthemen nach oben steigen. Denn das ist generell der Sinn von Hierarchie: Entscheidungsblockaden nachgeordneter Instanzen aufzuheben."

Insofern würden die Konfliktthemen an der Spitze der Hierarchie entschieden werden, bei Angela Merkel, oder natürlich unentschieden bleiben. Der gemeinte Tweet von Brigitte Zypries, die bekanntlich in Siggi Pops Superministerium Staatssekretärin wird, war einer, der Dobrindts Ministerium Zuständigkeiten ab-twitterte (und einen faz.net-Link verbreitete). Immerhin hat Merkel, andererseits, mit Peter Altmaier als neuem "Chef des Bundeskanzleramts und Bundesminister für besondere Aufgaben" einen bei sich, der mindestens auf Augenhöhe mittwittern könnte...

Noch nicht frisch im Amt, aber designiert: die neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz.

"Andrea Voßhoff hat es als neue Bundesbeauftragte für den Datenschutz doppelt schwer: Sie folgt auf einen profilierten Kopf und hat im Bundestag gleich dreimal für Datenschutzeinschränkungen gestimmt",

leitet Fridtjof Küchemann bei faz.net sein Porträt der Nachfolgerin des verdienten Peter Schaar ein und verlinkt dann auf "das Empörungsfutter", das abgeordnetenwatch.de bereit stellt: Die CDU-Politikerin hat 2007 bis 2009 dreimal für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt, die bzw. deren Ablehnung eines der heißeren Eisen der Netzpolitik der nächsten Zeit werden könnte. Demzufolge wurde schon allerhand Kritik an ihr getwittert und anders geäußert.

Stefan Krempl hat für heise.de bei der SPD nachgefragt, wie es denn zu dieser Personalie gekommen ist, und eine vielleicht für die ganze Politik der nächsten Regierung aufschlussreiche Erklärung erhalten:

"Die CDU habe laut Verabredung der großen Koalition das Vorschlagsrecht für den Posten erhalten, erklärte der Datenschutzexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Gerold Reichenbach, am Dienstag gegenüber heise online. ... ...  Dies habe am gesamten 'Personaltableau' gelegen, auf das sich Schwarz-Rot verständigt habe. So dürfe die SPD nun etwa im Gegenzug den Wehrbeauftragten nominieren."

"Die Website von Andrea Voßhoff ist - 'sorry!' – derzeit nicht erreichbar. Die neue Datenschutzbeauftragte wird sich ihren guten Ruf erst noch erarbeiten müssen",

schließt das faz.net-Textchen mit Link auf vosshoff.de.

Wo die Webseite nicht nur in frischer Optik steht, sondern auch bereits korrekt mit neuem Titel beschriftet ist: bei Prof. Monika Grütters, der neuen Staatsministerin für Kultur und Medien. Sie ist Nachfolgerin Bernd Neumanns (und lächelt auch bereits von der entsprechenden bundesregierung.de-Subseite). Wobei "Medien" in diesem Kontext bekanntlich eher dekorativ zu verstehen ist, schließlich geht es auf dem Posten eher um Dinge wie die Subventionierung von möglichst vielen deutschen Kinofilmen.
 


Altpapierkorb

+++ Neues zum Rundfunkbeitrag - heute auf der FAZ-Doppelseite 30/ 31. Rechts auf der Medienseite eine kleine, ganz kleine Meldung (dass der sächsische Ministerpräsident noch mal wieder für eine Senkung plädierte, siehe auch TAZ, und dass der Verwaltungsrat des Hessischen Rundfunks die Überschüsse lieber auf einem Sperrkonto anlegen wollen würde, siehe ausführlicher kress.de). Und links in der Lesebriefspalte ein gelassen formulierter Leserbrief der NDR- und ARD-Sprecherin Anna Engelke unter der Überschrift "Die Rundfunkreform halten wir für notwendig". Mit Bezug auf Michael Hanfelds S. 1-Leitartikel vom 5. Dezember (siehe auch Altpapier) schreibt sie: "An einigen Stellen irrt der Autor. So schreibt er, ARD und ZDF hätten bei der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs, kurz KEF, zur Finanzierung eines Jugendkanals einen 'neuen Finanzbedarf' angemeldet. Das ist falsch. Auch eine andere Behauptung trifft nicht zu: Sind Menschen aus sozialen Gründen vom Rundfunkbeitrag befreit, dann ist nicht, wie Herr Hanfeld vermutet, das Sozialamt verpflichtet, 'deren Rundfunkbeitrag zu übernehmen'. Den übernimmt niemand. Es ist mit jeder Befreiung schlicht eine Zahlerin, ein Zahler weniger. Außerdem stellt der Autor zu dem neuen Rundfunkbeitrag fest: 'Zahlen müssen alle, jeder wird als Zahler doppelt erfasst - im Haushalt und im Betrieb.' Das ist ebenfalls nicht richtig. ... ... Es mag kleinlich klingen, diese Einzelheiten aufzuzählen. Aber der Autor nutzt diese Details zur Stützung seiner Behauptung, die Reform der Rundfunkfinanzierung, die alle sechzehn Länderparlamente verabschiedet haben, sei 'mit etlichen Fehlern behaftet'." +++

+++ Wie sich die Bild-Zeitung zur neuen APO hochstilisierte, bewegt natürlich den einen Stefan (bei Twitter: "eine der peinlichsten und lächerlichsten @BILD-Titelseiten ever", mehr im Bildblog) nur graduell anders als den anderen Stefan (Winterbauer bei meedia.de: "Letztlich ist die APO-Behauptung der Bild nichts weiter als Show-Journalismus"). +++ Während Axel Springer, der Konzern, außer sozusagen Rudi Dutschke auch Willy Brandt eingemeindet und in eine Reihe mit Ronald Reagan ... legt (denn um In-den-Boden-einlassen scheint es zu gehen). +++ "Es ist das Glück von Käpt'n Diekbart, dass die 68er zu sehr an das Gute in der Welt geglaubt haben,als dass sie sich den Begriff 'Apo' hätten schützen lassen" (Kriegsreporterin in der TAZ, die sich ja nicht mal die Jack-Wolfskin-Tatze hatte schützen lassen...)

+++ Die deutsche Wired-Zeitschrift hat den Business Punk-Initiator Nikolaus Röttger als neuen Chefredakteur geholt und soll "zehn Mal im Jahr als Printausgabe" erscheinen, allerdings erst "ab Oktober" (??; kress.de). +++

+++ Die SZ-Medienseite (die heute, womöglich warnstreikshalber, am Ende des Feuilletons überrascht: S. 15) porträtiert außerdem den österreichischen "Tatort"-Kommissars-Schauspieler Harald Krassnitzer, der "mit seiner Frau, der Schauspielerin Ann-Kathrin Kramer, und ihrem Sohn" in einem "Fachwerkhaus in Wuppertal" lebt. +++ "Es gibt Filme, die sind nur mit Weihnachten oder den 50er Jahren zu erklären. Darin siegt das Gute gegen alle Widerstände", schreibt Claudia Tieschky auf der SZ-Medienseite über den heutigen ARD-Fernsehfilm "Was machen Frauen morgens um halb vier?" +++ "Bekanntlich ist die Argerich scheuer als ein Reh": schöner Satz aus der FAZ-Besprechung der Arte-Dokumentation "Bloody Daughter" (22.10 Uhr heute). +++ Der Musikkritiker Joachim Kaiser "kann der langen Reihe von Auszeichnungen eine weitere gewichtige hinzufügen", meldet ebenfalls die FAZ vorn im Feuilleton und meint die "Journalist des Jahres" / Lebenswerk-Auszeichnung des medium-magazins. Kaiser wird heute 85 und vielerorts gewürdigt, auch v.a. in der SZ. +++

+++ RTL und die mögliche Doch-nicht-Ausstieg aus dem digitalen Antennenfernsehen DVB-T: Einen Überblick über die Entwicklung gibt der Tagesspiegel. Der gestrige FAZ-Artikel (im Altpapier als "RTL-Freude über Passagen aus dem Koalitionsvortrag" erwähnt) steht inzwischen frei online. +++

+++ "Mehr als die Hälfte der Italiener ab sechs Jahren hat laut Statistik 2012 kein einziges Buch gelesen", und daran soll eine Schriftsteller-Castingshow im Fernsehen etwas ändern, berichtet die Berliner Zeitung. Allerdings habe das Format von Rai und Freemantle Media (also Bertelsmann) einschaltquotenmäßig schwach begonnen und dann noch nachgelassen. +++

+++ Und der Tagesspiegel sieht in seiner einschaltquoten-, aber auch auftrittsanzahlmäßig operierenden Talkshowbilanz "den Tag" schon kommen, "an dem die Zuschauer Claudia Roth und Rainer Brüderle vermissen werden. Nicht unbedingt als aktive Regierungspolitiker, wohl aber als 'Grünen-Sirene' und 'FDP-Anmacher'". "Talkshowkönige mit den meisten Einladungen" seien Jürgen Trittin und Twitterkönig Peter Altmaier (wobei Gregor Gysi in den letzten Wochen stark aufgeholt haben dürfte), Quoten-"'Strahlemann' ist und bleibt Günther Jauch. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.