Frauen, die Geschichte machen. Ein Autoren-Blog, das fünf wurde. Siggi Pop spricht mit "dem Netz" fast wie mit Marietta Slomka, bloß ganz so wirkungsmächtig wie sie ist es vielleicht noch nicht.
"Und die große, weite Welt ist manchmal näher als man denkt."
Mit diesem raffinierten Zeilchen gelingt es dem Texterteam des traditionsreichen Magazins Brigitte, in den online durchklickbaren Rückblick "13 Frauen, die uns 2013 beeindruckt haben" (bzw., wie die Unterzeile präzisiert: "mit ihrem Mut, ihrem Talent oder ihren Visionen begeistert haben"), zwischen die Künstlerin Isa Genzken und die "Girls"-Macherin Lena Dunham auch die Vorstandsvorsitzende Julia Jäkel hineinzuschmuggeln. Also die Chefin des Verlags, in dem die Brigitte erscheint, die im laufenden Jahr tatsächlich für gelinde Furore (Altpapier) gesorgt hat.
Das könnte durchaus, wenn man den Satz davor mit bedenkt, auch hintersinnig gemeint sein. "Taktik des Anschleimens, Speichelleckens und der Distanzlosigkeit", schreibt die TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester aber, der das Fundstück zu verdanken ist - freilich ebenfalls mit dem Hintersinn, in Anwendung derselben Taktik im ersten Absatz ihrer heutigen Reportage ihren Auftraggeber, die TAZ-Medienredaktion, u.v.a. dafür gelobt zu haben, "jeden Tag die Burner aus dem medialen Fegefeuer herauszulösen und sie einem Millionenpublikum zugänglich zu machen!" Formulierungen, die zu bleiben verdienen!
[+++] Unter den Burnern dieses Mittwochs prominent erwähnt werden muss Carta, der (oder das) im Auftritt so angenehm zurückhaltende und dennoch oder sogar deshalb nachhaltige Autorenblog für digitale Öffentlichkeit, Politik und Ökonomie, der/ das dennoch gerade bereits ein halbes Jahrzehnt im medialen Fegefeuer verbracht hat. Herzlichen Glückwunsch.
Wie es sich für einen Debatten-Ort gehört, wurde das Jubiläum mit einer Debatte begangen. "Wie engagiert darf, wie neutral muss Journalismus sein?", zwischen Emile Zola und Edward Snowden, lautete das Thema. Im Prinzip lässt sich die Aufzeichnung wohl hier anschauen; allerdings setzte der Stream bei mir wiederholt aus, als die alte Hajo-Friedrichs-Frage (des Sich-nicht-gemein-Machens) noch nicht beantwortet war und der anfangs abwesende Burner-Stargast Cherno Jobatey auf dem Podium noch nicht aufgetaucht war ...
Jedenfalls: Sehen Sie hier noch einmal den Carta-Gründer Robin Meyer-Lucht und lesen Sie ebd. weiter unten aktuelle Carta-Würdigungen, z.B. von Dirk von Gehlen ("... Für die kommenden fünf Jahre wünsche ich mir etwas mehr Autoren-Netzwerk als Autoren-Plattform, weiterhin Ausdauer, Geduld und Unabhängigkeit und vielleicht etwas mehr Humor") und Wolfgang Blau, der gleich die im deutschen Sprachraum in den letzten Jahren zum Erliegen gekommene Debatte, "welche Rolle öffentlich-rechtliche Medien im Netz spielen sollten", wieder anstößt (" ... Mir fällt kein anderes Medium ein, das für diesen Diskurs so geeignet wäre wie Carta. Carta hat in dieser Frage keine Verlags-Interessen zu beschützen, zugleich aber die Glaubwürdigkeit und den internationalen Horizont, um sowohl das ungenutzte Potenzial des öffentlich-rechtlichen Online-Journalismus, als auch dessen absurde Organisationsform zu diskutieren").
[+++] Ansonsten laufen die Debatten weiter, die gestern an dieser Stelle Thema waren, z.B. die um den internationalen Schriftsteller-Aufruf gegen Überwachung, der inzwischen auch online unterschreibbar ist (change.org).
Wie gestern am "regnerisch-trüben Dienstagmorgen in der Bundespressekonferenz" sieben Schriftsteller und Schriftstellerinnen sowie als Moderator Jakob Augstein den Aufruf vorgestellt haben, beschreibt Gerrit Bartels im Tagesspiegel. Etwas indigniert, dass die Autoren schon wieder die FAZ als deutsches Podium gewählt haben, scheint das Feuilleton der Süddeutschen zu sein. Unter der hübschen Überschrift "Wird es beben, wenn wir zittern?" informiert Lothar Müller, dass "keine Zeitung in den Vereinigten Staaten ... den Aufruf publiziert" hat, denn "dort gilt dergleichen als politische Werbung, die zu bezahlen ist wie eine Anzeige", und erstaunt mit der Ansicht, es sei ein "Misserfolg" des vorhergegangenen Offenen Briefs der Initiatorin Juli Zeh an Angela Merkel (change.org) gewesen, dass er unbeantwortet blieb. Wäre ein Antwortschreiben eines Merkel-Referenten ein Erfolg gewesen? Später im langen Feuilleton-Aufmacher geht's Müller um Possesivpronomen: "Unsere Mobiltelefone, unsere E-Mails, unsere sozialen Netzwerke", schreiben die Schriftsteller, obwohl z.B. Facebook gar nicht ihnen gehört, sondern eher Mark Zuckerberg. Nun ja.
Vielleicht der beste Kommentar zum Aufruf - der knappe von Robert Misik in der TAZ:
"Das Spektakuläre ist nicht der Text und auch nicht, dass ihn Elfriede Jelinek, Ilija Trojanow oder Juli Zeh unterschrieben haben. Sondern dass es ein Text von Autoren unterschiedlicher Gesellschaften ist; von Autoren, die in verschiedenen Öffentlichkeiten agieren, die unterschiedlich auf die Überwachungsenthüllungen reagierten. Was in Deutschland Skandal genannt wird, halten Amerikaner und Briten für kaum eine Nachricht wert."
Aufschlussreich sind in ähnlicher Hinsicht zwei Subdebatten, die auf multiplen Wegen durch die Netze gingen und gehen.
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Zum Einen die um Sigmar Gabriel, der auf fast schon merkelhafte Art dazu neigt, die Mehrheit von dem, was Mehrheiten gut finden, auch gut zu finden, und den Schriftsteller-Appell emphatisch unterstützte, obwohl er in der künftigen Bundesregierung auch die Vorratsdatenspeicherung einführen möchte. Wie "das Netz" auf Gabriels auf Facebook geschriebene Äußerung reagierte, war zeitweise Topthema vieler bunter Onlineressorts (z.B. SPON, sueddeutsche.de). "Falls sich Sigmar Gabriel noch fragt, wie Politikverdrossenheit entsteht: Heute hat er sich selbst die Antwort gegeben", kommentierte Patrick Beuth bei zeit.de ähnlich zornig, wie zuvor Ressortkollege Kai Biermann Gabriel im gleichen VDS-Kontext sogar vorgeworfen hatte, "ermordete Kinder" zu instrumentalisieren, "um schlechte Politik besser aussehen zu lassen".
Was man Gabriel lassen muss: Er oder sein Team antworten auf solche Vorwürfe ungefähr dort, wo sie gemacht werden, also wiederum bei Facebook ("Wer die NSA-Praxis mit der Vorratsdatenspeicherung im oben beschriebenen Sinne gleichsetzt, verniedlicht das, was Geheimdienste gegenwärtig treiben") bzw., was die Frage, ob norwegische Vorratsdatenspeicherung im Kampf gegen den Osloer Amokäufer vor zweieinhalb Jahren geholfen hatte, gerade auf abgeordnetenwatch.de. Sein leicht abenteuerliches oder zumindest arg hypothetisches Argument dort:
"Durch die bereits und auch weiterhin bestehende Möglichkeit der kurzen Vorratsdatenspeicherung bei den norwegischen Providern ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die zum Tatzeitpunkt (22. Juli 2011) gespeicherten Daten von und über Anders Breivik den ErmittlerInnen wertvolle Hinweise etwa auf dessen Kommunikation in den Wochen vor seinen Anschlägen geliefert haben",
würde aber wahrscheinlich überzeugender klingen, wenn es nicht geschrieben wäre, sondern Gabriel es leibhaftig performen würde so wie "heute-journal"-Interview gegen Marietta Slomka, das in anderen Nischen des medialen Fegefeuers zuletzt Aufmerksamkeit erregt hatte.
So wie sich auf Gabriels Facebook-Seite mit entsprechendem Zeitbudget lange nach unten scrollen lässt, wo noch eine Menge teilweise interessanter Kommentar-Kommentare auf sämtlichen Niveaus warten, so lässt sich das auch auf Michael Seemanns Facebook-Seite tun. Das ist die andere aufschlussreiche Subdebatte des Schriftsteller-Appells, die sich im Anschluss an ein Schriftsteller-kritisches, aber eher harmloses Kavallerie-Witzchen entspann und wegen eines Sascha-Lobo-Kommentars an 17. Position darunter ("warum die deutschsprachige 'Netzgemeinde' so exzeptionell wirkungslos ist. Unter anderem, weil sie damit beschäftigt ist, die eigene Position am allergeilsten von allen zu finden") in den Aufmerksamkeit nach oben schoss.
Und zwar u.a. auf dem Umweg über einen Tweet Frank Schirrmachers, den dann Martin Giesler, eigentlich Online-Nachrichtenredakteur beim ZDF, in seinem privaten Blog martingiesler.de ("remixing journalism" lautet dessen Motto) remixte und in weitere Kanäle einspeiste, sodass er etwa auf Twitter, aber auch als Update im Eintrag der stets lesenswerten Carta-Rubrik "Netzlese" zum Schriftsteller-Appell auftauchen konnte ... und irgendwann vermutlich viele derer, die er interessieren könnte, auch erreicht hat.
Warum die deutschsprachige "Netzgemeinde" nicht so wirkungsmächtig ist, wie sie sich einschätzt, könnte auch damit zu tun haben, dass sich ihre Debatten, selbst zu NSA-Themen, gerne in den schwer auffindbaren und verlinkbaren Kommentarspalten des NSA-Kollaborateurs Facebook abspielen, der auf seinen Servern bekanntlich alles womöglich ewig speichert, aber gerne auch mal unzugänglich macht, wenn es irgendeinem Algorithmus passt, statt einfach in Blogs. Selbst der der enorm engagierten Galionsfigur Sascha Lobo ruht seit Mitte Juni.
Auf der anderen Seite: Umso besser, wenn es Remixer, Kuratoren und unabhängige Instanzen wie eben auch Carta gibt, die den Überblick zu wahren und zugänglich zu machen versuchen.
+++ Wie sich gestern andeutete, entzündet die neue Springer-Frage, also was der nun wieder etwas medialere Konzern mit seiner jüngsten Neuerwerbung N24 und/ oder all den Spiegel-Veteranen im Schilde führt, die Fantasie der Medienmedien. Jedes berichtet nach seiner Facon. +++ Die Fernseh-Freunde von dwdl.de haben bei N24 angerufen und die Leute dort nach ihrer Stimmung gefragt. +++ Die Aggregatoren von meedia.de aggregieren die ausgreifenden Ansichten von anderswo auch mit einigen eigenen Worten, wobei der "Brain-Drain" von Spiegel zu Springer (Hanfeld in der FAZ gestern) es Stefan Winterbauer besonders angetan hat. Ein hübscher Original-Gedanke aber: "Die Print-Redaktion" des Spiegel "ist vermutlich das letzte verbliebene Haifischbecken der Branche, in dem die Haie tatsächlich noch bei Appetit sind." +++ Steffen Grimberg als älterer Fahrensmann der Medienbeobachtung mahnt Stefan Aust aufzupassen, dass er bei der Welt nicht endet wie der einst auch als "Herausgeber" angeheuerte vormalige ZDF-Intendant Dieter Stolte, der dort "ziemlich bald in der Versenkung" verschwand. "Stolte ärgert sich dem Vernehmen nach noch heute" (Zapp-Blog). +++ Thommy Knüwer wirft den guten, wenngleich etwas überformulierten Gedanken "Springer ist eine in weiten Teilen geschickt agierende Holding für Digitalgeschäfte. Im Bereich des digitalen Journalismus bleibt der Konzern aber erzeugen die Berlin-Hamburger suchmaschinenoptimierte Massenware" in die Debatten. +++ Und für den Tagesspiegel hat Joachim Huber ein launig-süffiges Stückchen über Spiegel-Veteranen geschrieben: "Aust, Blauhemd, aufgekrempelte Ärmel, Stahl im Blick, hat mit 'Spiegel-TV' Privatfernsehgeschichte geschrieben", "Matussek hält als bekennender Katholik dem Zölibat die Stange, Mascolo recherchiert jede Geschichte rund und wund" usw., und bald träfen sich sie, die "schon in der 'Spiegel'-Kantine saßen und Intrigen schmiedeten", wieder in der "Berliner Fremde, herrlich". Fehlt bloß einer in Hubers Aufzählung ... +++
+++... und der steht nebenan auf der Tsp.-Medienseite. Nikolaus von Festenberg, der alte Kaleu der Spiegel-Fernsehkritik, schreibt jetzt ja gelegentlich für das Berliner Blatt. Was er heute dort über den heutigen ARD-Fernsehfilm schreibt, ist wirklich großes Fernsehkritik-Kino: "Wer begreifen will, wie tief eine Schauspielerin im heutigen Fernsehen fallen kann, muss nur Jördis Triebel im 'Jerusalem-Syndrom' sehen." +++ Mehr Stimmen zum selben Film: Katharina Riehl von der SZ hat den Fehler begangen, den Regisseur anzurufen ("Dror Zahavi hat schon viele Fernsehfilme gedreht, doch erst in den vergangenen Jahren hat man ihn als Verarbeiter von Themen mit Israelbezug entdeckt. Er verfilmte das Olympia-Attentat auf israelische Athleten in München 72 und führte Regie bei 'Mein Leben - Marcel Reich-Ranicki'. Ruft man ihn an dieser Tage, dann erzählt er, wie er und Berben auf die Idee zu dem Film gekommen seien. Sie wollten gerne in Israel drehen, sagt er, 'aber keinen Film über den Holocaust machen und keinen über den israelisch-palästinensischen Konflikt. Was als Thema blieb, ist die Mystik.' ...") und kommt nach dem offenbar angenehmen Telefonat nicht umhin, den Film als "unterhaltsam" zu beschreiben, obwohl er ihr offenkundig gar nicht gefiel. +++ "Der Schauplatz ist aufregend, die Story nicht uninteressant, die Besetzung gut, das Wetter schön - bloß ein spannender Film wird aus alldem nicht, noch nicht einmal ein halbwegs unterhaltsames Filmchen", würde Irene Bazinger (FAZ) dagegen sagen. +++ "Natürlich hat der Film dank der Bildgestaltung (Carl-F. Koschnick) sowie Verfolgungsjagden, moderaten Schockmomenten, entsprechend bedrohlichen Toneffekten und dem zugespitzten Finale auch die für das Genre obligaten Elemente zu bieten; dennoch ist 'Das Jerusalem-Syndrom' vor allem ein emotionaler Thriller" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan). +++ "Da klingen die Absichtserklärungen zu dieser SWR-Produktion spannender, als der Film - trotz guter Besetzung - am Ende ist" (Rainer Tittelbach). +++
+++ "So wie einst die von Sudel-Ede, dem DDR-Moderator Karl-Eduard von Schnitzler", so moduliere auch die Stimme von Dmitri Kisseljow "zwischen echter Empörung und Ironie", zum Beispiel ganz aktuell, wenn er Schwulenwitze über Guido Westerwelle und die Klitschkos reißt. Das berichtet Christian Esch in der Berliner Zeitung über den neuen Chef der neu geformten russischen Staatsmedien-Agentur "Russland heute"/ "Rossija Sewodnja". Die Neubildung dieser "Propaganda-Megamaschine" kam selbst "für die meisten russischen Medienvertreter ... unerwartet", weiß Klaus-Helge Donath (TAZ). +++
+++ Auf der heutigen FAZ-Medienseite geht's um den zweiten jüngeren Appell gegen Überwachung, den von vielen, aber nicht allen amerikanischen Konzern. Warum z.B. Amazon nicht dabei ist, erklärt Stefan Schulz so: "Jeff Bezos’ Unternehmen taucht weder in den bisher veröffentlichten Snowden-Dokumenten auf, noch äußert es sich zur Überwachung des Internets. Interessant ist das, weil Amazon zu einem wichtigen Datendienstleister aufgestiegen ist und Analysten damit rechnen, dass Amazon inzwischen mit Daten mehr Geld verdient als mit dem Warenversand." +++ Und um Product Placement im deutschen Privatfernsehen: Peer Schader war beim Product-Placement-Kongress in Stuttgart, wo "die angeblich gelungensten Integrationen des Jahres ausgezeichnet" werden. +++
+++ Auf der SZ-Medienseite geht's um den Londoner Prozess gegen die Verantwortlichen der ehemaligen Murdoch-Zeitung News of the World und um den mit rund 72.000 Wörtern "wohl umfassendsten Live-Kommentar aus einem Gerichtssaal, den es jemals gab". Der stammt von Peter Jukes und ist bei @peterjukes auf Twitter zu haben. +++
+++ Und Stefan Niggemeiers Besprechung von "Frauen, die Geschichte machen" und anderem ZDF-History-Quatsch steht nun frei online bei faz.net. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.