Mathias Döpfner zurück auf der großen Bühne der Medienwelt. Meinungsmacht, Bewegtbildkompetenz und wer der Verlierer sein könnte: die Einschätzungen zum Aust/ Welt/ N24-Geschäft.
Hopsala, da waren dem Spiegel beim jüngsten exklusiven Vermelden einer News vom Transfermarkt für Journalisten, die in der Nische durchaus vergleichsweise heiß erschien, die brisanteren Dreiviertel durchgerutscht.
Stefan Aust, noch wesentlich bekannter als vormaliger Spiegel-Chefredakteur als als dies, das und jenes bei N24, dem Nachrichtensender bzw. "Nachrichtensender" (bzw. dem "Internet für Menschen, die nicht lesen können", wie Philipp Walulis sagen würde), wird nicht bloß Herausgeber der unter dem Label Welt erscheinenden Medien des Springer-Konzerns. Sondern er bringt den von ihm zu gut einen Viertel besessenen Sender komplett in die AG bzw. die frisch gebackenene SE/ Societas Europaea ein.
So war die Spiegel-Meldung, die (weil zwar vielleicht der Spiegel nicht mehr ist, was er einmal war, aber zumindest die Spiegel-Vorabmeldungen geblieben sind, was sie lange schon waren: zum Wochenstart unentbehrliche Bausteine für alle aktuellen Medienressorts) schon weit herumgegangen ist (Altpapier), bloß der Appetizer zur am Montag vormittag völlig exklusiv als "dicke Überraschung" (dwdl.de) verkündeten Springer-Meldung. Auch erstaunlich: Trotz der keineswegs kleinen Schar an auf gut vermeldbare News versessenen Medien-Wühlmäusen ist es Springer wie schon im Juli in der großen Funke-Sache (Altpapier) gelungen, eine spektakuläre Investition bzw. dicke Desinvestition im Medienbereich solange unter allen Deckeln zu halten, bis der Konzern sie selber vermelden konnte.
Dabei bringt allein die Stichworte-Kombination Springer und Fernsehen in Veteranen der Medienbeobachtung eine Menge Saiten zum Klingen. Die lange Vorgeschichte dieses Aspekts, aber auch der Zusammenhang mit der Print-Abstoßungs-Aktion aus dem Sommer werden heute vielfältig analysiert.
"Jetzt wird ein Schuh daraus" schreibt Ulrike Simon in der Berliner Zeitung, "und die Mosaikstücke fügen sich zu einem Ganzen", fügt Michael Hanfeld (faz.net) hinzu. Der Schuh besteht sozusagen in einem Stückchen Selbstverwirklichung des Springer-Chefs Mathias Döpfner:
"Ihm war in jüngster Zeit anzumerken, wie sehr er sich ärgerte über das Image des Vorstandschefs eines börsennotierten M-Dax-Konzerns, der sich mal hier an einem publizistikfernen Start-Up beteiligt, mal dort ein publizistikfernes Unternehmen kauft. Schuld daran ist der 920 Millionen Euro teure Verkauf, unter anderem so identitätsstiftender Titel wie Hamburger Abendblatt und Hörzu. Viel mehr als Welt und Bild sind nun nicht geblieben, denn gegründet hat Springer in Döpfners Amtszeit bisher keine einzige neue Medienmarke."
Nun aber zeige sich Döpfner "als Stratege, der sich nicht einfach von einem Großteil der Geschäfte trennt, sondern im nächsten Schritt etwas Neues an deren Stelle setzt", formuliert es Hanfeld unter der Musikwissenschaftler freuenden Online-Überschrift "Döpfners Dreiklang". Er habe "eine einmalige Chance genutzt, seinen Ruf als Verleger wieder aufzupolieren", setzt das Wirtschaftsressort der FAZ (S. 18) noch einen drauf.
"Und am Ende des Tages ist die Investition, die nicht die Welt gekostet haben dürfte, auch ein Investment ins Marketing. Botschaft: Springer hat eine konsequente Digitalstrategie, auch für Inhalte", formuliert Christian Meier (meedia.de) im Börsianerjargon.
"Solch eine Bewegtbildkompetenz wie Springer hat kein anderer Zeitungsverlag hierzulande", pflichtet sogar die TAZ aus der Dutschke-Straße bei, um direkt anschließend bloß einzuwenden: "Ob durch den Zukauf des Kriegsgeräte- und Explosionsdokumentationssenders N24 allerdings wirklich 'die redaktionelle Qualität der Titel' gestärkt wird, wie Döpfner es postulierte, ist dabei fraglich." Freilich, wie auch an dieser Stelle häufig anklingt, dient Qualität gelegentlich bloß als Worthülse.
Die größte Oper zum Thema hat Hanfeld geschrieben, denn außer der gestern schon ins Internet gerückten steht heute auf der gedruckten Medienseite der FAZ eine noch weiter ausgreifende. Hier weht nun wirklich der Mantel der Geschichte auf der Bühne:
"Das hätte einem vor Jahren mal jemand erzählen sollen: Stefan Aust geht zu Springer. Und Georg Mascolo gleich mit. Der ehemalige 'Spiegel'-Chefredakteur, der zum Fall der Mauer den legendären Satz sprach: 'Meine sehr geehrten Damen und Herren, das war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg zu Ende ging.' So verkündete Stefan Aust am 9. November 1989 die Nachricht des Jahrhunderts - bei RTL. ARD und ZDF kümmerten sich gerade um irgendetwas anderes. Und am Grenzübergang Bornholmer Straße in Berlin stand der Reporter Georg Mascolo mit seinem Team von 'Spiegel TV', um der Welt den Epochenwechsel zu zeigen. 'Geh dahin, wo die Menschen sind', hatte ihm sein damaliger Chef Aust geraten (F.A.Z. vom 6. November 2009). Jetzt gehen so manche Menschen, die den Journalismus beim 'Spiegel' geprägt haben, wieder nach Berlin, allerdings zu Springer."
Kein Wunder, dass die FAZ dann auch ein paar frische O-Töne von Aust himself zitieren kann ("... Text, Bilder und Filme ergänzen einander und wachsen zusammen. Ich freue mich jedenfalls sehr, bei dieser Expedition in die mediale Zukunft an maßgeblicher Stelle dabei sein zu können" usw.). Hanfeld fährt im Anschluss an dieses Zitat unmittelbar fort: "Das sieht nach einer Win-win-Situation aus, die aber einen Verlierer hat. Das ist der 'Spiegel'", der nämlich unter dem "Brain-Drain" zu Springer leide. Da geht's um die Personalien, die schon im Umfeld des Aust-Wechsels aufgezählt wurden.
Zumindest dass der Spiegel den Steigbügelhalter zur Ouvertüre der jüngsten Springer-Oper gab und online dann agenturmäßig nachlegen musste, dürfte ihn ärgern.
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Zurück zu den härteren Fakten: Am relativ ausführlichsten den historischen Fernseh-Aspekt der Sache beleuchtet die Süddeutsche aus München bei Unterföhring, wo jene große Sendergruppe sitzt, die Springer gelegentlich auch sehr gerne gekauft hätte: "Seit der Abfuhr für den großen Deal ist stets darüber spekuliert worden, Springer könnte irgendwann zumindest einen Teil der Pro-Sieben-Sender übernehmen. Auf gewisse Weise ist jetzt genau das passiert."
Allerdings könnte die dort und auch im Tagesspiegel vermeldete vorzeitige Vertragsverlägerung bis zum Beginn der 20er Jahre (also bis zum 31.12.2019) zwischen ProSiebenSat.1 und N24 für die Nachrichtenzulieferung "brisant" sein, weil damit künftig Springer die Nachrichten wesentlich größerer Fernsehsender verantwortet. Also könnte die alte Platte der zu großen, freilich in der Digitalära schwer zu berechnenden Meinungsmacht, derentwegen das Bundeskartellamt und die Medienkonzentrationswächter der KEK den P7S1-Kauf einst verboten hatten, auch wieder aktuell werden. Ob bei den langlaufenden gerichtlichen Nachverhandlungen dieses Verbots gerade Springer oder die Gegenseite zuletzt Recht bekommen hatte, weiß irgendwie niemand genau.
"Es wird somit durchaus spannend, wie die KEK ... die Übernahme diesmal beurteilen wird", freut sich dwdl.de im schon verlinkten Artikel. "Kartellprobleme dürfte es jetzt auch nicht mehr gehen: Springer ist auf dem Zeitungsmarkt durch den Verkauf der Regionalzeitungen und Zeitschriften an die Funke-Gruppe geschrumpft und ist auf dem Fernsehmarkt noch keine Größe", wendet Hanfeld bei faz.net ein, an dessen Ende er sich ebenfalls grundsätzlich freut ("Die journalistische Szene gerät jedenfalls in Bewegung").
Der Springer-Deal, zu dem nun auch eine frische Kaufpreis-Mumaßung (das Handelsblatt leitete von üblichen Springer-Geplogenheiten "höchstens 120 Mio. Euro" ab, siehe kress.de) entzündet die Fantasie der Medienbeobachter. Und wenn tatsächlich Konkurrenz zwischen Ex-Spiegel-Leuten bei Springer und irgendeiner Gegenseite, vielleicht ja beim alten Spiegel, das Geschäft belebte, wäre es für den Journalismus vermutlich ganz gut.
+++ Ein globaler Dreiklang, was Medienmacht betrifft, prägt ansonsten die Medienressorts. 1.) USA: "US-Netzriesen starten Kampagne für etwas weniger Überwachung", fasst netzpolitik.org die reformgovernmentsurveillance.com-Initiative zusammen, die vielerorts kommentiert wird. +++ "Dass die großen Internetkonzerne sich nun für weniger Überwachung aussprechen, heißt also nicht, dass sie weniger Überwachung wollen. Sie haben nur Angst davor, Nutzer zu verlieren", meint Svenja Bergt in der TAZ. "Die plötzliche Wut im Silicon Valley dient dem Geschäftsinteresse - und ist legitim" (sueddeutsche.de). +++ "Spannend ist aber auch, wer auf der Liste der Unterzeichner fehlt: Telekommunikationskonzerne wie At&T oder Verizon beispielsweise. Dabei gehören sie nach den bisherigen Berichten, die auf den Dokumenten von Edward Snowden basieren, zu den Hauptpunkten, an denen die NSA Daten abzweigt. Auch Amazon fehlt, obwohl der Versandkonzern große Cloud-Dienste anbietet. Nur würde das Unternehmen gern auch die Cloud-Systeme für die CIA aufbauen, und da will man es sich möglicherweise nicht mit einem potenziellen Auftraggeber verscherzen. Auch Apple ist nur bei der Hälfte der Kampagne dabei", analysiert Christian Tretbar im Tagesspiegel. +++ Dazu passt die differenzierte Auseinandersetzung Evgeny Morozov und der These vom Netz als "cleverstem Instrument des entfesselten Kapitalismus", die Wolfgang Michal bei Carta anstellt. +++
+++ Wobei reformgovernmentsurveillance.com nicht der einzige aktuelle Appell ist. "Writers Against Mass Surveillance" heißt der andere, den das FAZ-Feuilleton heute groß fährt. +++ Und mit zwei der Initiatoren, Juli Zeh und Ilija Trojanow, bespricht (Zeh: "Wir wollten den Aufruf und die Unterschriften ja an einem einzigen Tag veröffentlichen, deswegen mussten wir das im Verborgenen vorbereiten. Es war gar nicht möglich, auf flächendeckende Netzwerke zuzugreifen - die Gefahr eines Lecks war einfach zu groß"). Auch aufschlussreich: "Nur einer hat gesagt, dass er Überwachung wirklich gut findet", sagt sie. "Der kam aus Russland, wo es unter den Intellektuellen ja auch eine staatstragende Tradition gibt", ergänzt Trojanow. +++
+++ Damit 2. nach Russland, wo Medienpolitik noch mit Erlassen gemacht wird. Wladimir Putin hat "mit einem Erlass die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti und den staatlichen Radiosender Golos Rossii geschlossen und an deren Stelle die Internationale Nachrichtenagentur Rossija Segodnja (Russland heute) ins Leben gerufen" (FAZ, tagesschau.de). +++ Ja, der Erlass diente sogar u.a. der "Liquidierung von RIA Novosti", wird keineswegs in polemischer Absicht gemeldet, sondern von de.ria.ru, also dem deutschsprachigen Auftritt der Agentur: "Die internationale Nachrichtenagentur Rossija Segodnja, die auf der Basis von RIA Novosti entsteht, ist laut dem Chef der neuen Struktur, Dmitri Kisseljow, berufen, 'eine gerechte Einstellung zu Russland in der Welt wiederherzustellen'." +++ Kisseljow ist "wegen seiner offen antiwestlichen Agitation" umstritten (sueddeutsche.de, TAZ knapp mit einem Beispiel für Homophobie). +++
+++ 3.) China droht "nicht bloß einzelnen Journalisten, sondern der Belegschaft zweier Medienunternehmen, der 'New York Times' und der Nachrichtenagentur Bloomberg, mit Ausweisung", und zwar offenkundig, weil "sie vergangenes Jahr über den Reichtum der Familien des damaligen Ministerpräsidenten Wen Jiabao und des heutigen Staatspräsidenten Xi Jinping recherchiert hatten" (FAZ, knapp auch in der TAZ). +++
+++ Frische Beiträge zum Gabriel/ Slomka-Diskurs, in dem sich gestern ja wieder Horst Seehofer als Speerspitze ins Spiel brachte. Erstens hat Detlef Esslinger dazu den Leitartikel der SZ-Meinungsseite verfasst: "Viele von ihnen", den Journalisten, "sind im Austeilen stets Weltmeister, im Einstecken aber bestenfalls Bezirksliga", schreibt er, und: "In dieser Hinsicht sind Journalisten wie Griechen: Untereinander sagen sie sich heftig die Meinung, auf Medienkongressen und auf den Medienseiten der Zeitungen. Aber wehe, ein Außenstehender, ein Politiker gar, kommt zum selben Befund. Das mögen sie so wenig hören, wie Griechen sich öffentlich von Deutschen belehren lassen wollen." Außer wie Griechen seien Journalisten aber auch wie Dachdecker und Steuerberater. Denn: "In jedem Berufsstand gibt es eine Normalverteilung an Charakteren. Der Unterschied ist nur: Bei Dachdeckern und Steuerberatern wirkt sich der Charakter selten auf die Qualität ihrer Arbeit aus. Die Ziegel werden trotzdem solide verlegt, die Steuererklärung wird trotzdem akkurat erstellt. Wer aber öffentlich redet und schreibt, bei dem fließt immer auch sein Charakter direkt ins Produkt ein... " Vielleicht müsste man ein Bayer sein, um diesen Beitrag sehr hilfreich zu finden. Natürlich nur, falls Journalisten nicht sowieso auch grundsätzlich wie Bayern sein sollten ... +++ Zweitens merkt Dietrich Leder bei funkkorrespondenz.kim-info.de an, "dass Marietta Slomka gelegentlich, obschon ungleich seltener als im Fall von Sozialdemokraten, auch Christdemokraten in einem Ton einvernimmt, der an eine zielstrebige Polizeikommissarin beim Verhör erinnert", und zwar um zu betonen, dass beim aktuell ursprünglichen Gabriel/ Slomka-Aufreger "niemand ... ein Opfer" ist und solche Interviews "ein Spiel, nicht mehr und nicht weniger", seien. +++
+++ Heute im Fernsehen: ein "hübsch unpolitischer" Film zum 100. Geburtstag Willy Brandts um 20.15 Uhr auf Arte (Ambros Waibel, TAZ). +++ "Helmut Schmidt wird nicht nur nicht interviewt - von ihm ist auffallend wenig die Rede", fügt Thomas Gehringer (Tagesspiegel) hinzu. +++ Ja, man müsste die beiden zusammendenken und verfilmen, würde Michael Jürgs auf der SZ-Medienseite sagen: "Die beiden Politiker Brandt und Schmidt in einer einzigen Dokumentation als politische Parallelbiografie zuversenden, wäre einzigartig gewesen, weil selbst tausendmal Erzähltes dadurch eine neue Form gewonnen hätte". Tatsächlich bespricht Jürgs im bekannten süffigen Kennerstil sowohl die Brandt- als auch eine in Kürze separat anstehende Schmidt-Doku ("Im Gespräch mit seinem außer Reinhold Beckmann und Sandra Maischberger liebsten Wegelagerer, dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo, sagt er in dieser Dokumentation bisher Unerhörtes. Beispielsweise über seinen Vater, der abweisend war und kühl und mit seinen beiden Söhnen nie schmuste; dass er Dörfer in Brand geschossen habe, wobei auch Frauen und Kinder umgekommen sind..."). +++
+++ Wie Sie z.B. hier im Altpapier gelesen haben könnten: Am Samstag vor einem Jahr war die jüngste und jüngst verschwundene deutsche Tageszeitung von den Kiosken verschwunden. Nun liegt die finale Bilanz der letzten FTD-Ausgabe vor: "Ein Jahr nach der Einstellung der Financial Times Deutschland steht fest, dass der Verkauf der letzten Ausgabe der Wirtschaftszeitung 6826,40 Euro für die Arbeit von Reporter ohne Grenzen (ROG) eingebracht hat." Und: "In den Tagen vor der Einstellung erlöste die Redaktion mit einer Benefiz-Auktion von Kuriositäten und Devotionalien aus ihrem Arbeitsalltag 41.640,56 Euro zugunsten von ROG. Der Vorstand des Verlags Gruner + Jahr, in dem die FTD erschien, verdoppelte den Betrag. Zusätzlich kündigte er an, für jedes über den Webshop verkaufte Exemplar der FTD-Letztausgabe 1,40 Euro zu spenden. Für die Sonderausgabe erhielt die Redaktion im Nachhinein den Henri-Nannen-Preis – und spendete das Preisgeld ebenfalls an ROG. Damit summierten sie die Spenden von Redaktion und Verlag auf knapp 95.000 Euro." (reporter-ohne-grenzen.de)
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.