Vielerlei Stimmen zu ARD, ZDF und ihrem Geld. Lutz Marmor ungewohnt umgangssprachlich. Ein Medienpolitiker-Name, den man sich merken muss. Außerdem: die vielen Chefredakteure des Stern.
Der erwartete Sturm rund um die neu entdeckte Rundfunkgebühren-Milliarde (die aktuellen Berechnungen zufolge im aktuellen Vier-Jahres-Plan insgesamt zusätzlich zusammenkommen dürfte) ist schon mal losgebrochen. Auf vielen Start-, Titel- und Kommentarseiten stellen hemdsärmelige Leitartikel Forderungen auf, was nun zu tun sei.
Das geht natürlich nicht ohne Vereinfachungen ab (Joachim Huber vorn auf dem Tagesspiegel: "Die Sender haben das Milliarden-System bei der Politik bestellt, die Politik hat geliefert. Der ist der Erfolg jetzt peinlich ...", Claudia Tieschky, SZ-S. 4: "Haben die Gesetzesverfertiger in der Politik, die lange sagten, die Reform werde 'aufkommensneutral' sein, sich mal eben um eine Milliarde verschätzt?"). Das aktiviert natürlich ewig schon eingespielte Reflexe (Michael Hanfeld vorn auf der FAZ: "Das", eine Senkung der Rundfunkgebühren, "wäre eine noch nie dagewesene Schubumkehr in der deutschen Medienpolitik. Für ARD, ZDF und Deutschlandradio würde das nicht bedeuten, dass ihnen weniger Geld zur Verfügung stünde – bislang sind das 7,5 Milliarden Euro im Jahr. Die Rundfunkanstalten bekämen nur nicht, wie sie es gewohnt sind, mehr").
Wie fast immer enthalten all die Kommentare auch kluge Sätze, die den wahren Wert eines unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schätzen wissen. "Eine Milliarde mehr ist kein Luxusproblem. Eine Milliarde mehr ist der Zwang, über die Verwendung von einer Milliarde Euro nachzudenken. In diesem Sinne: Wir wollen unser Geld zurück", beschließt Huber seinen Tsp.-Artikel. Hanfeld blättert, was die bestmögliche Verwendung dieser Milliarde betrifft, einen wohlklingenden Forderungskatalog auf, als sei er die SPD (bzw. meldet einen Finanzbedarf an, als sei er ARD und ZDF zugleich):
"Kommunen sollten nicht ausgepresst und mit einem Vielfachen der vormaligen Gebühren belastet werden - für jede Kindertagesstätte und jede Friedhofsgärtnerei. Behinderte oder Demente sollten einen verminderten oder gar keinen Beitrag zahlen. Sozial Schwache sollte man befreien, anstatt das Sozialamt zu verpflichten, deren Rundfunkbeitrag zu übernehmen. Es ist ein Irrsinn, die gebeutelten Kommunen und Sozialbehörden auszunehmen, um den weltweit finanziell am besten gestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stützen."
Und Tieschky, deren Meinungsseiten-Kommentar "Siehe da!" arg darunter leidet, dass nur 36 Zeilen Platz waren (wobei die SZ wiederum Recht damit hat, dass es auch an diesem Donnerstag teurere Skandale und wichtigere Themen gibt), schildert auf der SZ-Medienseite im heute am ehesten Neuigkeiten enthaltenden Artikel zum Thema, dass die zuständigen Bundesländer an genau solche Nachbesserungen wohl auch denken:
"Eingeweihte sagten am Mittwoch, die Verbilligung werde wohl nicht unter 50 Cent liegen. Ob wirklich ein Euro erreicht wird, ist aber fraglich. Denn es gibt noch ein paar weitere Faktoren in der Rechnung: Das Gesetz muss, so haben es die Länder in einer Protokollnotiz zum Staatsvertrag vereinbart, 2015 überprüft werden, unter anderem auf 'Ausgewogenheit'. Dabei könnte es um Filialunternehmen gehen, die höher belastet werden. Ebenfalls stärker belastet werden viele ältere Bürger, die nur Radio hören, und denen die volle Abgabe, die sie neuerdings zahlen müssen, finanziell wirklich wehtut. Vom Bürokratieaufwand einer Abgabenbefreiung sind sie oft überfordert. Es geht um verdeckte Altersarmut. Offenbar gibt es im Länderkreis auch die Haltung, man müsse für die Nachbesserungen ein Polster vom Milliardenplus zurückbehalten."
Wer, was Öffentlich-Rechtlichen-Kritik angeht, einen Punkt trifft, auch wenn Markus Braucks Kommentar von kräftiger Polemik nur so sprüht ächzt - der Spiegel:
"Wochenlang spielte die ARD die Ahnunglose, so dass man fast den Eindruck bekam, die Sender wollten noch rasch ein paar Säcke mit Geld beiseite schaffen. Dabei arbeitet der Beitragsservice, wie die Nachfolgebehörde der bösen alten GEZ heißt, unter dem Dach der ARD. Dort war die Beitragsexplosion schon bekannt, als die Medienpolitiker des Landes noch ahnungslos waren. Doch von der ARD: kein Wort. Es wäre eine gute Chance gewesen für ARD und ZDF, sich einmal in wirklicher Transparenz zu üben. ... ... Doch ARD und ZDF blieben verschlossen und schwiegen. Die Chance für einen Auftritt haben sie verpasst. Die öffentliche Debatte findet ohne sie statt. Es wird schwer, da noch groß mitreden zu dürfen."
Das gewundene Wording der Sendervertreter, das die Fernsehfans von dwdl.de am besten dokumentieren, dürfte noch die eine oder andere Analyse nach sich ziehen. Sehen Sie hier einen Lutz Marmor zuzuordnenden Tweet. Lesen Sie ggf. einen tagesschau.de-Kommentar, den Sie sich aber auch, wenn Sie jetzt nicht mehr so viel lesen mögen, auch das ein Service Ihrer ARD, als Audiodatei downloaden können. Jedenfalls betont Marmor ungewohnt umgangssprachlich, dass die Gebühreneinnahmen der Jahre 2013 bis 2016 ja erst Ende 2016 endgültig feststünden:
"Auch da wird es keine absolute Sicherheit geben. Es sind ja Zukunftsprognosen, doppelt gemoppelt, also die Zukunft wird beurteilt, aber am Ende wird entscheidend sein, was real bei uns rein kommt. Und das bleibt immer ein kleines Stück unsicher."
Ob nicht der mit Abstand populärste Intendant der ARD, Tommy Buhrow vom WDR, in dessen Gebiet die Köln-Bocklemünder Ex-GEZ zumindest geografisch fällt, nicht die von Markus Brauck erwähnte Chance verpasst hat, wird vielleicht auch noch diskutiert werden. Andererseits, um das Positive zu sehen:
"Es ist das Verdienst der Haushaltsabgabe, dass nun endlich Beitragsgerechtigkeit herrscht."
+++ Mit dieser Äußerung zitiert eine Tagesspiegel-Äußerungenumschau zur Sache einen neuen Medienpolitiker, dessen Namen man sich vermutlich merken sollte, aber auch ganz gut merken (zumal der Namensträger zumindest visuell Bernhard-Hoecker-Charme ausstrahlt): Marco Wanderwitz ist "stellvertretender Vorsitzende der Arbeitsgruppe Kultur und Medien der CDU/CSU-Bundestagsfraktion" (Tsp.) bzw. auch "Obmann der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Kultur und Medien und im Unterausschuss Neue Medien" (wanderwitz.de).
Und was man ihm lassen muss: Im Vergleich mit der modular improvisierten Äußerung der neuen bayerischen Staatskanzleichefin, also künftig ebenfalls medienpolitisch befassten Christine Haderthauer ("Auf keinen Fall dürfen mögliche Mehreinnahmen als netter Bonus für die Rundfunkanstalten herhalten, und auch Besitzstandsdenken ist fehl am Platz"), ist Wanderwitz' Statement gar nicht übel. Es deckt sich übrigens auch mit der von Tieschky in ihrem SZ-Artikel am Rande formulierten Annahme, die Milliarde könnte daher kommen, dass bis 2012 "enorm viele Schwarz-Seher" keine GEZ-Gebühren gezahlt hatten.
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Blieben die Fragen, was unser virtuosester Medienjournalist sowie die im Allgemeinen Öffentlich-Rechtlichen-kritischste und die im Allgemeinen Öffentlich-Rechtlichen-freundlichste Zeitung zur Sache schreiben.
Stefan Winterbauer meint bei meedia.de völlig zurecht: "Die Leute wollen wissen, wofür ihr Beitrag ausgegeben wird und ob das auch OK ist. ARD und ZDF werden dem Folge leisten (müssen). Diese Entwicklung ist nur zu begrüßen." Diese Zeitung, die TAZ, schreibt nix, weil sie heute als Sonderausgabe "Kinder der sexuellen Revolution" erscheint und auf ihrer Medienseite weniger tagesaktuelle Artikel enthält. Jene, die Bild-Zeitung, greift unter dem Rubrum "dreiste Gebühren-Abzocke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" zwar in die niedrigsten Schubladen der Polemik ("Allein die Orchester der ARD beschäftigen fast doppelt so viele Mitarbeiter wie die gesamte Sendergruppe ProSiebenSat.1"), das aber nur online weit unten. Auf der Titelseite (meedia.de-Ansicht), die größtenteils der Online-Selbstvermarktung dient, kommt dieser Aufreger gar nicht vor.
Viel mehr zeigt sich das Blatt, indem es daneben mit dem Schlagzeilchen "Die schärfste Ferres aller Zeiten" auf die Krimischmonzette am Samstag ("Hafen der Düfte", siehe Foto oben) gespannt macht, geradezu ARD-freundlich.
+++ "Es war die größte Blattreform dieses Jahres": Grooße Ulrike-Simon-Story in der BLZ (gestern im Lauf des Tages online gerückt) über den Stern, seinen nicht mehr überall rundum beliebten Chefredakteur "Dr. W. Ichmann", wie intern inzwischen gescherzt werde, und über die traditionelle Gruner+Jahr-Kernkompetenz, Hierarchieebenen auszudifferenzieren: "Mit 13 Namen ist das größte Ressort inzwischen die Chefredaktion. Es folgen die Ressortleiter und die Chefs der neuen Textteams. Das Blatt wird von sogenannten Managing Editors gemacht, je einem für den vorderen, mittleren und hinteren Teil. 'Ich habe noch nie in meinem Leben unter so vielen Chefs gearbeitet', sagt ein Redakteur und klagt, wie lange in dieser Bürokratie Entscheidungen auf sich warten ließen." +++
+++ "Zum Start hatte Herausgeber Cherno Jobatey noch von Texten von Uni-Professoren und Ministerpräsidenten geschwärmt. Doch die arbeiten wohl noch an ihren Beiträgen." Und "'Celebrity-Blogger' wie Boris Becker, Uschi Glas oder Ursula von der Leyen" scheinen "nach einem Beitrag die Mitarbeit eingestellt" zu haben. Schön hämisch hat sich Tilman Baumgärtel für die TAZ die deutsche Huffington Post angeguckt. +++
+++ Frischer Nachhall zur Gabriel-/ Slomka-Diskussion der letzten Tage: "Frau Slomka hat redundante Fragen gestellt - in einem völlig unsystematischen Zusammenhang", sagt Was-mit-Medien-Professor Steffen Burkhardt im KSTA-Interview. +++ "Gabriels gerechter Zorn" ist die heutige "Außenansicht" unten auf S.2 der SZ überschrieben. "Und nicht nur der Moderatorin, sondern vielen Journalisten und Bürgern muss gesagt werden, dass Parteimitglieder mit gutem Recht in noch viel mehr Bereichen mitsprechen, als die SPD-Mitglieder es in diesen Tagen per Mitgliederentscheid tun", denn "sie nehmen es in Kauf, von Leuten öffentlich kritisiert zu werden, die auf der Zuschauertribüne des politischen Lebens sitzen", argumentiert Roland Kochs ehemaliger Sprecher Dirk Metz und klingt zumindest solange ganz überzeugend, bis er am Ende fordert: "Statt sich an diesem Nebenkriegsschauplatz zu verausgaben, hätte man Sigmar Gabriel spannende Fragen stellen können: Warum traut sich die SPD-Führung nicht, die Partei selbstbewusst in eine Koalition zu führen? Was passiert, wenn die Mitglieder wider Erwarten Nein zur großen Koalition sagen sollten?" so, als hätten zahllose Agenturen für Kommunikation, von denen Metz nun eine führt, nicht längst sämtlichen Politikern eingecoacht, wie sie auf solche Fragen am besten antworten sollen. +++
+++ Ein spezielles Problem der SPD, dass sie in ihrer Eigenschaft als Medienunternehmen andere Ansichten vertritt, als als Partei, beschreibt Marvin Schade bei meedia.de. +++
+++ "Am Ende sind wir alle, Journalisten, Medienmenschen und Öffentlichkeit mit immer winzigeren Winzigkeiten befasst gewesen und dabei selbst immer kleiner und kleinlicher geworden, schrecklich empörte, seltsam giftig wirkende Zwerge, die sich über andere empörte Zwerge empören": Ein anderer Was-mit-Medien-Professor, Bernhard Pörksen, hat für den Tagesspiegel den lesenswerten Versuch unternommen, die Christian-Wulff-Sache zusammenzufassen. +++
+++ "Sein Auftritt vor dem Ausschuss war ein Plädoyer für die Qualitätspresse, er war geprägt von Furchtlosigkeit und Verantwortungsbewusstsein": auch SZ, Meinungsseite wiederum. Christian Zaschke lobt den Auftritt des Guardian-Chefredakteurs Alan Rusbridger im britischen Parlament (Altpapier gestern). +++
+++ Unter der Überschrift "Wer verdient an Snowden?" fasst Stefan Schulz auf der FAZ-Medienseite die englischsprachige Debatte zwischen Mark Ames (pando.com) und dem Star-Investigator Glenn Greenwald zusammen: Greenwalds Antwort "setzt keinen Schlusspunkt unter diese Diskussion. 'Es ist noch nicht ersichtlich, wie viel NSA-Berichterstattung überhaupt übrig ist, wenn wir unser Unternehmen gegründet haben', schreibt Greenwald. So einfach wird sich die Verknüpfung der Enthüllungsgeschichte um die Snowden-Dokumente und die Entwicklung neuer journalistischer Geschäftsmodelle allerdings nicht abstreifen lassen. Glenn Greenwald ist der derzeit weltweit wichtigste investigative Journalist, gleichzeitig wurde er Medienunternehmer. Pierre Omidyar bot ihm ein Budget von einer Viertelmilliarde Dollar an. Greenwald musste nur ja sagen zu einer Entscheidung, die ihm unendlich leichter fiel als die, vor die sich Edward Snowden stellte." +++
+++ "Der Wechsel vom 'Spiegel' zu Springer scheint in jedem Fall leichter zu sein als umgekehrt" (turi2.de zu noch unbestätigten News über Georg Mascolo). +++ Die in gedruckter Form schon verschwundene Newsweek kommt zurück (DPA/ KSTA, SZ). +++
+++ Auch auf der FAZ-Medienseite eine Besprechung eines ARD-Fernsehfilms, die die Herzen der Intendanten wieder etwas höher schlagen lassen dürfte. Heut läuft schon wieder ein Bayernkrimi, "Dampfnudelblues. Ein Eberhoferkrimi". "Der Regisseur Ed Herzog und sein Drehbuchautor Christian Zübert warten bis in die Nebenrollen hinein mit klingenden Namen auf", lobt Hannes Hintermeier unter anderem. +++ Kurt Sagatz vom Tagesspiegel, bekanntlich glühender Fan des "Kultkommissars Kluftinger", den Herbert Knaup gibt (heut nicht dabei, aber am Samstag im schärfsten Ferres-Film aller Zeiten), scheint von diesem Bayernkrimi nicht gar so begeistert und füllt viele Zeilen mit der Aufzählung sonstiger Bayernkrimis und ihrer Darsteller. +++ "Eigenheiten, Marotten und Süchte halten die Menschen in der niederbayerischen Pampa am Leben" (tittelbach.tv). +++ Meanwhile bei RTL: eine neue, alte deutsche Lehrer-Sitcom (welt.de; T.P. Gangloff hier nebenan). +++ Etwas später im NDR-Fernsehen: Judith Rakers als Obdachlose (Hamburger Abendblatt). +++
+++ Und bei Arte: "Ein allseits angehimmelter Schriftsteller", der in einem "freigeistigen Nostalgierussland" herum turnt: Oliver Jungen (FAZ) kann anhand der Arte-Sendung "Dostjewski" nachvollziehen, "warum russische Produktionen im gegenwärtigen Fernsehserienboom keine Rolle spielen". +++ "Maria Isajewa wird dann noch sagen: 'Tut mir leid, dass ich keine deiner Romanheldinnen bin.' Dem Zuschauer tut das nicht weniger leid" (Jens Müller in der TAZ). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.