Stift im Mund

Neue Rundfunkgebühren-Milliarde aufgetaucht. Neues von Markus Lanz' Gästeliste. Und eines der gruseligsten Ereignisse des Jahres, die Befragung des Guardian-Chefs im britischen Parlament.

"Der größte Paukenschlag hallt im Hochsommer durch den Blätterwald."

Gern würde man nun, da das Jahr sich dem Ende zuneigt, es in der guten Stube am warmen Kamin anhand solch gemütlich dramatisierter Rückblicke Revue passieren lassen, wie die DPA sie bereits zur Verfügung stellt (newsroom.de). Doch Kenner vergangener Jahre wissen, dass die Echtzeit nimmermehr Pause macht und es mit den Paukenschlägen immer weiter geht.

Was an diesem Mittwoch aus dem Blätterwald hallt, betrifft insbesondere die Mattscheibe (die mit dem Blätterwald und noch viel mehr ja in diesem Internet zusammenwächst). "Jetzt halten wir uns fest", schiebt Michael Hanfeld anfangs in seinen FAZ-Bericht ein, in dem er mit "das wäre eine Hammernachricht" fortfährt. "Das ist eine Sensation", würden die auch nicht unabgebrühten SZ-Redakteurinnen Katharina Riehl und Claudia Tieschky sogar sagen: "Zum ersten Mal in der Geschichte des gebührenfinanzierten Rundfunks in Deutschland wird der Rundfunkbeitrag aller Wahrscheinlichkeit nach sinken."

Die fleißigen deutschen Berechnungsexperten, die zwar viertelstündlich frische Wahlumfragen, Verbraucherstimmungen und Steuerschätzungen vorzulegen in der Lage sind, haben das, was bei den seit Anfang des laufenden Jahres auf neuartige Weise erhobenen Rundfunkgebühren zusammenkommt, so sorgsam berechnet, dass erst am Ende dieses Jahres sehr mählich Ergebnisse bekannt werden.

Nun wurde publik, dass "die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten Kef dank des neuen Rundfunkbeitrags Mehreinnahmen für ARD, ZDF und Deutschlandradio von etwa einer Milliarde Euro erwarte" (FAZ). Diese Zahl bezieht sich zwar auf "eine Gebührenperiode", also vier Jahre. Allerdings lag letztes Mal, als Rundfunkgebühreneinnahme-Schätzungen nach außen drangen, vor zwei Wochen (Altpapier, Tagesspiegel), die Annahme für denselben Zeitraum noch bei nur "über 500 Millionen Euro".

Außerdem übermitteln jetzt umso verlässlichere Boten die Nachricht: ein Ministerpräsident von der CDU (der sächsische, Stanislaw Tillich, auf den sich die erste DPA-Meldung, die etwa der Tsp. bringt, und der FAZ-Bericht beziehen) und eine Ministerpräsidentin von der SPD, Malu Dreyer, auf die sich weitere Meldungen (welt.de) und der SZ-Bericht beziehen. Was die Süddeutsche "exklusiv" hat, wie sie gern drüber schreibt: mehr aus dem Chef der KEF, Heinz Fischer-Heidlberger, herausgeholt. Während er Hanfeld noch auf "Anfang nächster Woche" und "etwa Mitte Dezember" vertröstete, lässt er sich von den Redakteurinnen mit "Die KEF geht davon aus, dass es zu einer Absenkung des Beitrags von 17,98 Euro kommen kann" zitieren. Hammer. Und ein Grund, schon jetzt gespannt auf das zu sein, was morgen aus diesem Blätterwald schallen wird.

[+++] Rasch ein Blick auf den Slomka-/ Gabriel-Hammer, der seit dem Abend des vergangenen Donnerstags die Öffentlichkeit aufwühlt (Altpapier, Altpapier, Altpapier). Noch ausbaufähig ist die Aufmerksamkeit für einen Tweet, demzufolge Regierungssprecher Steffen Seibert in einem Café seine Ex-Kollegin vom ZDF, Marietta Slomka, "grenzwertig zickig" genannt haben könnte.

Ihren Zenit hingegen dank agenturmäßiger Verbreitung (SPON) erreicht hat die Aufmerksamkeit für den jüngsten hoch offiziellen Loop. Der bezieht sich auf den Donaukurier aus Ingolstadt, der Heimatstadt des bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. München-Korrespondent Til Huber leitet seinen Artikel mit gehörigem Tremolo ein:

"Wohlwollende Fragen vor einem Millionenpublikum. Ein Traumtermin für einen Politiker. Doch dazu kommt es nicht. Seehofer hat die Einladung abgelehnt. Dass Gäste mal absagen, sei 'nicht unüblich und gehört zum Tagesgeschäft', sagt ein ZDF-Sprecher. Weniger alltäglich sind aber die Hintergründe. Es geht um den weiter schwelenden Streit um das hitzige Interview im ZDF-'heute journal' von Moderatorin Marietta Slomka mit SPD-Chef Sigmar Gabriel. Aber es schwingt auch ein immer wieder aufflammenden Dauerkonflikt Seehofers mit dem Sender mit."

Falls Sie noch Kontext brauchen: Seehofer, der ja wegen dieses Interviews dem ZDF einen Brief zu schreiben zumindest angekündigt hatte, also Gabriel "bei" "sprang" (ebd.), woraufhin u.a. Jakob Augstein als SPON-Kolumnist Seehofer zur Seite sprang, woraufhin Seehofer Augstein "bei einer CSU-Weihnachtsfeier" zitierte (ebd.) ... ... Seehofer hätte also im "großen Jahresrückblick" des ZDF, "Menschen 2013" am kommenden Sonntag, neben u.v.a. Dieter Hallervorden und Heino auftreten sollen. Um ein "Geschmäckle" zu vermeiden, will er das nun nicht mehr.

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Das Bundesverfassungsgerichts-Urteil, demzufolge nicht mehr so viele amtierende Ministerpräsidenten in den Aufsichtsgremien öffentlich-rechtlicher Sender sitzen sollten, wodurch solche "Geschmäckles" nicht bloß dann, wenn es ausnahmsweise gut beratenenen Politikern tagesaktuell in den Kram passt, sondern einfach grundsätzlich vermieden würden, liegt ja noch gar nicht vor. Es dürfte erst zu den Hämmern von 2014 gehören. Falls Seehofer und seine Partei- und Koalitions-Freunde aber, solange sie über den traditionellen Einfluss verfügen, veranlassen könnten, dass Sendungen, in denen Markus Lanz Prominenten aller Art vor Millionenpublikum wohlwollende Fragen stellt, generell abgeschafft würden oder zumindest ihr irrsinniges Ausmaß zurückgefahren würde - die kritische Öffentlichkeit würde es ihnen danken.

[+++] Insgesamt heftigere Hämmer als der deutsche hat der internationale Blätterwald zu bieten, und kein Blatt hämmerte in diesem Jahr wie der Guardian. Das bescherte dessen Chefredakteur Alan Rusbridger gerade eine Menge dezidiert nicht wohlwollender Fragen vor dem unmittelbar kleinen Publikum des Innenausschusses des britischen Parlament, mittelbar aber vor "aller Welt" (SPON) und vor vielen Berichterstattern.

"Watching @arusbridger hauled before Parliament & interrogated on whether he loves Britain was one of the creepier events in quite some time",

twitterte Glenn Greenwald. SZ-Korrespondent Christian Zaschke steigt mit seinem Bericht szenisch-atmosphärisch ein:

"Alan Rusbridger nahm Platz, er breitete einige Bücher aus und steckte sich einen Stift quer zwischen die Zähne. Das sah durchaus lustig aus, zumal Rusbridger den Stift eine Minute lang im Mund behielt. Es wirkte, als habe er den Stift vergessen, während ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen war."

Rusbridger also war "die Ruhe selbst". Fotos vom Stift im Mund liegen scheinbar leider nicht vor. Aber am Anfang des Videos, das der Guardian selbst in seinem Onlinebericht eingebunden hat, hält er ihn noch in der Hand.

Das schöne und gute Pathos der unbeugsamen Presse kam jedenfalls wieder rüber bei der gruseligen Veranstaltung. Dazu, zum Pathos, trägt auch ein bei Zaschke erwähnter Offener Brief (PDF) des "amerikanischen Komitee für Pressefreiheit" bzw. des Reporters Committee for Freedom of the Press bei, das den Satz "To the rest of the world, it appears that press freedom itself is under attack in Britain today" erhält. Es trägt schon deshalb dazu beiträgt, weil die britische Öffentlichkeit jenseits des Guardian sich von der amerikanischen ja bewegen lässt. Was wiederum das deutsche Boulevardmedium SPON in seinem Bericht für Überschrift ("Lieben Sie dieses Land?") und Vorspann ("Was haben die Nazis mit Edward Snowden zu tun?") verwendet, kommt im Guardian nur am Rande vor.

"In one curious exchange, the committee chair, Keith Vaz, asked Rusbridger if he loved his country. 'I'm slightly surprised to be asked the question,' replied Rusbridger. 'But, yes, we are patriots and one of the things we are patriotic about is the nature of democracy, the nature of a free press and the fact that one can in this country discuss and report these things.'"

Der kuriose Schlenker in Weltkriegs- (bzw. Nazi-)Geschichte taucht gar nur in den Kommentaren auf. Wichtiger ist, was etwa der österreichische Standard noch mitnimmt: Rusbridger

"forderte die britische Regierung auf, die Gesetze für die die Reichweite dessen, was Geheimdienste dürfen, zu überarbeiten. 'Wir haben viele analoge Gesetze, die auf das digitale Zeitalter angewendet werden', erklärte er. Die letzten signifikanten Gesetzesänderungen habe es noch vor Google und Facebook gegeben."

Eingängig sind die harten Zahlen, die ebenfalls fielen. Von 58.000 Snowden-Dokumenten, die dem Guardian vorlägen, seien erst ein Prozent (SZ) bzw. erst 26 Stück (NDR-Zapp) veröffentlicht. Für regelmäßige weitere Paukenschläge scheint also gesorgt zu sein, sofern man das Themenfeld NSA/ Snowden wichtig findet.

Am Rande: Vielleicht könnte für Seehofer Christian Ströbele in Markus Lanz' "Menschen 2013"-Sendung nachrücken? Dort scheint es bisher nicht vorgesehen zu sein.


Altpapierkorb

+++ Um an den eingangs zitierten hochsommerlichen Paukenschlag anzuknüpfen: Teilweise, u.a., was die Zeitungen Morgenpost und Abendblatt aus Berlin bzw. Hamburg betrifft,  ist der Springer-WAZ-Deal jetzt kartellamtlich genehmigt. Siehe Welt (einstweilen weiterhin Springer), die DPA-Meldung bei der BLZ als betroffenem Mitbewerber. +++

+++ Ein Hammer von 2015: der Samstag als neuer Erscheinungs-Wochentag des Spiegel (siehe AP gestern). Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl kann im Tagesspiegel-Interview noch nicht vorhersagen, wie "eingefleischte 'Spiegel'-Leser" dann darauf reagieren werden, hat aber ein Argument dagegen: Samstags "gibt es die Konkurrenz zu den prallen Wochenendausgaben der Tageszeitungen, während am Montag die Zeitungen eher etwas dünner als sonst sind." +++

+++ Wo schützend hochgehaltene Presseausweise nichts nützen: in der Ukraine. Der Tagesspiegel berichtet. +++

+++ "Ende der Siebzigerjahre, als Ausstellungen sich langsam zu Volksfesten entwickelten und Joseph Beuys ein Star war", hatte Axel Hecht die Zeitschrift Art, "ein Kunstmagazin, das jeder versteht" entwickelt. Jetzt ist er gestorben (Süddeutsche). +++

+++ "Von dieser Open-Source-Symbiose kann jeder profitieren: Lehrer, die spezielles Unterrichtsmaterial brauchen; Partyveranstalter, die ihre Gäste lotsen müssen; Journalisten, die ihrem Publikum Ecken der Welt zeigen wollen, die sie selbst gerade erst entdeckt haben", lobt Stefan Schulz auf der FAZ-Medienseite den Dienst mapbox.com. +++

+++ Außerdem ebd. die Meldungen, dass Robert Rodriguez seinen Kinofilm "From Dusk Till Dawn" zur Fernsehserie machen möchte, und unter der Zeile "Die SPD ist schuld", die, dass der WDR-"Tatort" "Franziska", der schon Schlagzeilen machte, weil er aus Jugendschutzgründen von 20.15 auf 22.00 Uhr verschoben wurde, erneut verschoben wurde, vom 15. Dezember auf den 5. Januar. Grund: Am Dezembertermin muss Günther Jauch das Ergebnis der SPD-Mitgliederbefragung betalken.  +++

+++ Aus dem "Journalisten-Bullshit-Bingo" ob des Korruptionswahrnehmungsberichts von Transparency International hatte Michalis Panteloris durch seine Ankündigung selbst ein wenig die Spannung rausgenommen. SPON ließ sich natürlich dennoch nicht nehmen, dabei zu sein. Der passende Papierzeitungs-Kommentar ("Die Wahrnehmung der Korruption ist also nur begrenzt erhellend") steht in der TAZ. +++

+++ Auch in der TAZ: ein großer, pop- und fernsehhistorisch fundierter Nachruf Jan Feddersens auf Chris Howland, der "die Coolness nach Deutschland brachte", unter der allerdings seehr großen Überschrift "Der Erlöser". +++

+++ Michael Schmalenstroer meint, u.a. auf Carta, eine mögliche Leistungsschutzrechts-Ergänzung der nächsten Bundesregierung "auf Seite 134 des Koalitionsvertrages versteckt" gefunden zu haben. +++

+++ "Man braucht nicht gleich zu unterstellen, Facebook habe so etwas wie einen Bildungsauftrag angenommen oder werde mit Neuerungen wie diesen langsam erwachsen. Das Unternehmen trägt lediglich den Bedürfnissen seiner Nutzer Rechnung", kommentiert die FAZ-Medienseite, dass Facebook künftig weniger Katzen-Content, dafür mehr Nachrichten einlaufen lassen möchte. +++

+++ "Während die Vergabe der Sendezeiten für unabhängige Dritte bei Sat.1 zu einem Eklat, mehreren erfolgreichen Klagen und dem Wechsel der Medienanstalt führten, ging die Neuvergabe der Zeiten bei RTL vergleichsweise geräuschlos vonstatten". Dennoch führte auch sie zu einer Klage, mit der "Focus TV" als Kläger allerdings nun unterlag, da das Gericht die Annahme, die Alexander-Kluge-Firma dctp sei wie RTL dem Bertelsmann-Konzern zuzurechnen (weil der Spiegel-Verlag an dctp beteiligt ist, an dem Gruner+Jahr beteiligt ist, das mehrheitlich zu Bertelsmann gehört), nicht teilt (dwdl.de). +++

+++ "Dreimal war ich in der Vorjury und zweimal musste ich es erleben, dass die Hauptjury so Ich-mach-alles-richtig-bin-aber-leider-komplett-boring-Texte ausgezeichnet hat. Dieses Mal aber haben sie, zumindest in der Kategorie 'Essay' die schillerndste Perle zu greifen verstanden", macht die TAZ-Kriegsreporterin gespannt auf die allerjüngst vergebenen Journalistenpreise, die des Reporterforums. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.