Alles und noch viel mehr über die glamouröse Emmy-Gala. Alles über die immer mehr immer größeren Probleme der Medien (und des Fernsehens). Wie sieht der Groko aus, und was ist von ihm medien- und netzpolitisch zu erwarten? Außerdem: Buzzfeeds Weltherrschaft.
"... Selbst bei Kleinigkeiten wird gerne angegeben. Wenn man bei einem läppischen Telefonat ein läppisches 08/15-Zitat bekommt, heißt es in der Berichterstattung nachher 'sagte xy gegenüber unserer supertollen Zeitung'. Man kann mittlerweile davon ausgehen, dass alles öffentlich Gesagte, bei dem nicht explizit damit geprahlt wird, dass es direkt gegenüber dem Medium gesagt wurde, aus einer Pressemitteilung oder von einem anderen Medium abgeschrieben wurde. Diese ganze Angeberei dient dazu, das Medium als 'Marke' zu positionieren, wie es so schön heißt. Es soll der Eindruck erweckt werden, dass der Leser/Zuschauer/Zuhörer hier etwas bekommt, was es woanders nicht gibt, etwas 'Exklusives' eben. Medienmanager meinen womöglich das, wenn sie von 'Qualität' reden. "... "... "
Wer sich hier nicht ohne einen attraktiven Hauch selbstkritischer Attitüde ("wir Angeber-Journalisten"), ja beinahe schon im coolen Kriegsreporterin-Stil aufregt, bis er den Artikel mit der eindringlichen Mahnung "Wenn die Leser das auch zunehmend so wahrnehmen, werden die Probleme der Medien noch größer, als sie ohnehin schon sind" beschließt, ist meedia.des Stefan Winterbauer. Sein Appell erschüttert. Ob die Erschütterung dem noch weiter gestiegenen Bewusstsein der Probleme der Medien gilt oder eher der Hektik, mit der sie bei meedia.de offenbar auch das ähm: aggregieren müssen, was sie locker noch einen Tag oder einen Monat reifen lassen könnten, weil es nun wirklich eher jahres- als tagesaktuell ist und an Substanz nur gewinnen könnte, hängt vermutlich von individuellen Faktoren ab wie etwa dem, ob man Stefan Winterbauer ist oder jemand anders. Jedenfalls: Mediendienste bzw. Medienmediendienste, die "die Exklusiv-Inhalte so fix abschreiben, dass jede Paywall überflüssig wird" (ders., ebd.) oder die alles, was einem überall begegnet, auch noch einmal in mehr oder weniger eigene Worten fassen, damit es bestimmt niemand verpasst, sind aus der Medienpublizistik längst auch nicht mehr wegzudenken.
Bevor wir zum Anlass - einem Stefan-Niggemeier-Blogeintrag, eher keinem der allerbrisantesten - bzw. dem Anlassanlass (hübsch visualisiert von der Print-TAZ: "Es ist ein Groko") kommen, verweilen wir noch ein wenig in dieser Sphäre, in der man ja ständig bestens entertaint wird. Derzeit z.B. mit "Nachrichten vom Tot des TV". Um nicht den Eindruck zu erwecken, meedia.de würde immerzu überall Teufel an die Wände sprühen - vollständig argumentiert Winterbauer, der sich zumindest in punkto Output auf Augenhöhe mit Michael Hanfeld bewegt, durchaus differenziert:
"Nachrichten vom Tot des TV dürften derzeit noch reichlich übertreiben sein. Die Zeichen, dass die TV-Branche mit der Digitalisierung künftig deutlich größere Schwierigkeiten als bisher bekommt mehren sich aber."
Außer vom Tod des Fernsehens erfährt man aber auch von zu Herzen gehenden Momenten aus dem blühenden Leben desselben Mediums. Die bunteste Gaga-Meldung der Stunde in den Medienressorts heißt "Emmy: Klitschko geht vor Schäferkordt in die Knie" (meedia.de) oder so ähnlich.
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Auch sog. Qualitätsmedien wie faz.net und sueddeutsche.de nutzen sie agenturmäßig, um das Internet weiter zu füllen, und selbst Hanfeld, um die rechte Spalte seiner FAZ-Medienseite unten zu komplettieren. Kern der Sache: In New York sind mal wieder die Fernsehpreise namens International Emmy Awards verliehen worden. U.a. bekam die frühere RTL- und jetzige RTL Group-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt einen "Directorate Award", den ihr der u.a. via RTL vermarktete Boxer überreichte. Noch begeisterter als die bekanntlich westfälisch-kühle Geschäftsfrau ("Von solch einer Ehre hätte ich nie zu träumen gewagt") war der sympathische deutsche Schauspieler Ken Duken aus dem deutschen Fernsehfilm "Das Wunder von Kärnten", der überall mit den Worten "Es war eine krasse Konkurrenz. Ich hätte nicht damit gerechnet" und "Ich krieg’s gerade noch gar nicht gegriffen" zitiert wird, ja sogar ein bild.de-Porträt verehrt kriegt ("Viele sagten über ihn, er sei der deutsche Brad Pitt – jetzt KENnt ihn die ganze Welt"), wobei eigentlich gar nicht er diesen Preis gewonnen hat, sondern bloß der Film, in dem er mitspielte ("...setzte sich gegen drei Produktionen aus Großbritannien, Japan und Uruguay durch") bzw. dessen Produzenten.
In der Fernsehfilmdarsteller-Kategorie war dagegen deutscherseits Heino Ferch nominiert, der aber leer ausging bzw. "keinen Emmy errang" (faz.net/ DPA). Sie merken schon: Zu den allerallerwichtigsten Fernsehpreisen zählen diese Emmys nicht. "Es ist eine wichtige Auszeichnung, auch wenn sie nicht so viel Glanz hat wie die 'Primetime Emmys', die jedes Jahr im September verliehen werden", heißt es in den Agenturmeldungen, sofern es kein Bearbeiter gelöscht hat.
Wo man alles, was man dennoch über diese Preise erfahren wollen könnte, erfährt, und noch viel viel mehr: beim relativ engagiertesten der Medienmediendienste, bei dwdl.de. Trug Schäferkordt trotz der Unträumbarkeit der Ehre ein angemessenes Abendkleid? Was entgegnete sie unmittelbar in New York City auf schwierige Fragen nach dem TV-Tod bzw. gewählter: "Welche Konsequenz kann das Free-TV am Ende der Verwertungskette ziehen?" Ließ sich denn auch eine Delegation des Bundeslandes NRW auf dem roten Teppich blicken? Und "ob jedoch Wladimir Klitschko über wiederholte Schwulen-Witze auf seine Kosten lachen konnte?"
Thomas Lückerath war selbst in New York und hat bei aller Begeisterung und trotz all der Abendgeraderobe auf den Klickstrecken, die zu Online-Geschäftsmodellen halt dazu gehören, immerhin auch einen nüchterneren Artikel rausgehauen, aus dem hervorgeht, was die amerikanischen Veranstalter von der Sause für feierlaunige Fernsehschaffende und Funktionärsdelegationen aus dem Rest halten:
"oder wie der Gastgeber des Abends, John Oliver, es sarkastisch formulierte: 'Der prestigträchtigste Fernsehpreis, der so wichtig ist, dass er nicht einmal im Fernsehen übertragen wird'"
[+++] Harter Bruch. Jetzt der Ernst der großen Politik. Deutschland bekommt eine neue Bundesregierung. Was ist so zu erwarten aus medien- und netzpolitischer Sicht?
"Der Bundestag der Maschinenstürmer hat wieder eine Königin - und darf dank @sigmargabriel den Überwachungsstaat ausrufen. #VDS",
steckte per Twitter der Sunnyboy Thomas Knüwer den einen Pol der Erwartung ab. Mit dem anderen überrascht die Süddeutsche auf ihrer Themenseite 2. "Nie war mehr Anfang als jetzt" ist der größte Artikel überschrieben. Im Vorspann heißt's, als sei statt Ende November gerade erster April:
"Die Zuversicht ist groß. Die Bahn soll pünktlicher und das Internet schneller werden. Die Schulden sollen sinken, die Chancen für Frauen steigen. Es gibt also viel zu tun."
Zwei der Punkte, die die SZ aus dem 171-seitigen mutmaßlichen Koalitionsvertrag, den längst jeder im Internet einsehen kann (obwohl viele Zeitungen und Webseiten sich gerieren, als könnten nur sie das - das ist Kern der eingangs gestreiften Aufregung), heißen: "Wlan für alle" ("...soll es nach Willen der Koalition künftig in deutschen Städten ein offenes Wlan-Netz geben. Mit dem Smartphone könnten sich Bürger dort einloggen") und "Schnelle Leitung" ("... Union und SPD wollen ... alle Regionen, die nicht mindestens eine Datengeschwindigkeit von zwei Mbit/s haben, schnellstmöglich erschließen. Bis zum Jahr 2018 soll es eine Grundversorgung mit 50 Mbit/s geben"). Dass die Eisenbahn und das Internet schon, seitdem es sie jeweils gibt, pünktlicher bzw. schneller werden sollten, wissen Nutzer der jeweiligen Infrastrukturen natürlich.
Der zeitgemäßeste Kommentar zum aktuellen Stand der Groko-Einschätzung steht heute vorn auf der TAZ. Zeitgemäß ist er, weil er (wie dann untendrunter steht) aus früheren Kommentaren zu einer früheren großen Koalition zusammengesamplet wurde. Dazu passt auch das oben erwähnte hübsche Titelmotiv.
Die wohl valideste Einschätzung der Netzpolitik der künftigen Koalition findet sich auf netzpolitik.org: "Es hätte auch Formulierungen geben können, die auf den ersten Blick grundrechtsfreundlicher geklungen hätten. ... Wobei das aus unserer Sicht auch kaum was daran geändert hätte, dass eine Vorratsdatenspeicherung eben eine Vorratsdatenspeicherung ist und alle unter Generalverdacht gestellt werden, ob drei oder sechs Monate."
[+++] Neues Material zum größten Medienthema des Jahres, der NSA-Affäre, hat das Auswertungs-Gespann aus Süddeutscher und NDR online gestellt. "Rund 150.000 Einträge aus den vergangenen 10 Jahren" enthält die neue Auftragsdatenbank auf dem Portal "Geheimer Krieg", das den Zusammenhängen amerikanischer Geheimdienstaktionen und deutscher Standorte gilt. Deutschlands wohl bekanntester Datenjournalist Lorenz Matzat hat mit seiner Firma alles Deutsche aus der offiziellen (und öffentlichen) US-amerikanischen Datenbank für US-Staatsaufträge herausgefiltert und erheblich zugänglicher gemacht, als es bisher war.
Wozu, erläutern auf der SZ-Medienseite zwei Artikel. "Möglicherweise können sachkundige Leser bei der Auswertung helfen", erklärt Hans Leyendecker im ersten sehr geduldig, nachdem er ein paar wenige Fehlinterpretationen des Edward Snowden-Materials, dieses "Bergs von Dokumenten", hat Revue passieren lassen. "In einigen der ausländischen Fälle hatte offenbar der Blogger Glenn Greenwald, der kein intimer NSA-Kenner ist, falsch gedeutet", und andererseits, hätten sich NSA und CIA "längst auf einen Zermürbungskrieg eingerichtet. Jeder journalistische Fehler bietet ihnen Gelegenheit für Relativierungen." Sozusagen dagegen setzt nun auch die SZ auf sog. Schwarmintelligenz.
Für den zweiten Artikel zum Thema stellte Claudia Tieschky dem SZ/ NDR-Auftragnehmer Fragen, darunter ein paar wirklich gute:
"Ist das Journalismus, was Sie machen?"
Matzat: "Da kann man länger drüber streiten, was Journalismus ist. Ich würde im weiteren Sinne sagen, doch, es ist Berichterstattung und deshalb für mich Journalismus. Und wir arbeiten oft für Medienunternehmen."
Und am Ende sagt Matzat, nachdem Tieschky eher sagte als fragte: "Wenn man über die Datenmengen spricht, die wir produzieren, geht das leicht in Richtung Kulturkritik. Viele Menschen sind skeptisch und besorgt, was mit ihren Daten passiert":
"Ich finde diese Haltung ehrlich gesagt oft bigott. Denn die meisten Leute könnten natürlich verhindern, Datenspuren zu hinterlassen. Niemand zwingt jemanden, eine Payback-Karte zu benutzen, Meilen zu sammeln oder bei Amazon einzukaufen."
+++ Der große, nicht unumstrittene Kulturkritiker Evgeny Morozov stellt heute in der FAZ (in Übersetzung seines slate.com-Beitrags) buzzfeed.com vor, eines der am stärksten wachsenden Portale : "... Im Grunde genommen werden die Storys von Buzzfeed geschrieben, um in sozialen Netzwerken Verbreitung zu finden, was erklärt, warum sie einer jüngsten Studie zufolge öfter auf Facebook geteilt werden als Artikel anderer Seiten... Eine typische Buzzfeed-Story geht so: zehn Zitate, dazu Fotos von Kanye West und Freddie Mercury, präsentiert als Quiz unter der Überschrift 'Wer hat’s gesagt - Kanye West oder Freddie Mercury?'" Und das bisherige Problem, das "Buzzfeeds angestrebter Weltherrschaft" bisher noch im Weg stand: "Viele Storys, obschon reich illustriert, sind noch immer zu textlastig, was für nichtenglischsprachige Konsumenten eine Barriere ist", sei dank eines Deals mit dem Übersetzungs-Start-up Duolingo gelöst. Wenn also "alles nach Plan verläuft, werden immer mehr Leute auf der ganzen Welt in ihrer Muttersprache lesen, was in der amerikanischen Popkultur gerade los ist." +++ Auch daher gut, dass es dwdl.de gibt, das auch Ken Duken & Co Gehör verschafft. +++ Wobei kontextsensitiv zu ergänzen wäre, dass der renommierte internationale Emmy in der Kategorie "Arts Programming" zur Häfte an die englische Produktion "Freddie Mercury: The Great Pretender" ging. +++
+++Immer mittwochs schreibt die Original-Kriegsreporterin in der TAZ. Heute ein fulminantes Plädoyer für die Medien: "Medien sind sehr schön und wichtig, und viele Menschen sind froh, dass es sie gibt. Ich zum Beispiel. Dank ihnen weiß ich, dass es eine Stadt gibt, die 'München' heißt. Dort werden im Gruner + Jahr-Verlag die Zeitschriften Neon und Nido gemacht, und die sind sehr prima. In Hamburg hingegen sitzen die sogenannten Verleger, und die verlegen alles kreuz und quer und wollen, dass die Münchner ihre Zeitschriften in Hamburg produzieren. Ist ja egal, ob MÜ, HH oder Bitterfeld, denken die. Dass Magazine eine innere Verortung haben, kommt ihnen nicht in den Sinn. Alles ist austauschbar..." +++
+++ Das frischeste G+J-Magazin, das "vor allem eines" wolle: "maximal unanstrengend sein", stellt heute die FAZ-Medienseite unter der Überschrift "Das Magazin 'Flow' schläfert Frauen sanft ein" vor. +++
+++ Dank Medienmediendiensten wie kress.de rumgegangen ist die Meldung aus dem Handelsblatt (das seine Inhalte nicht ins freie Internet stellt), dass der Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 AG "den Aufbau eines türkischsprachigen Senders in Deutschland" ventiliert. Und dazu wiederum hat Kurt Sagatz vom Tagesspiegel schon mit dem Bundesvorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, geplaudert. Kolat würde P7S1 gern behilflich sein und "Ratschläge geben, welche Themen die Türken in Deutschland besonders bewegen oder an welchen Stellen es erhöhten Informationsbedarf gibt". Fürs Informationsbedarfdecken sind die Sender des Konzerns ja bekannt. +++
+++ Fans von Kolumnen über Jan Fleischhauer könnten diese Kolumne (von Matthias Lohre, TAZ) lesen wollen. +++
+++ Am relativ ausführlichsten über das allerneueste Kommissarsdarsteller-Gespann informiert die SZ, die auch (da es um den "Franken-'Tatort'" geht) relativ nah dran ist. +++
+++ Der heutige ARD-Fernsehfilm ist mal kein Krimi. "Die ARD verfilmt eine melodramatische, sehr moderne Provinz-Liebe", "... und wie dabei eine groteske Begegnung im Swingerclub zum Wendepunkt wird, sollte man nicht verraten", macht Lothar Müller in der SZ auf den heutigen ARD-Fernsehfilm gespannt, den Sven Sakowitz in der TAZ "still, klug, aufmerksam" nennt. +++ "Das ist doch mal eine geglückte Romanverfilmung: Brigitte Maria Berteles 'Grenzgang' zeigt, wie hart das Leben in der Provinz ist. Und was die Liebe kann. Und was nicht", formuliert Sandra Kegel in der FAZ. +++ Klaudia Wick lässt in der BLZ ihren Vorspann in den Sehbefehl "Unbedingt einschalten!" münden. +++ Rainer Tittelbach gibt die volle Sternzahl, und den am gespanntesten machenden Vorspann hat Tilmann P. Gangloff hier nebenan geschrieben. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.