Die fünfte Gewalt

Neues von der NSA und der ARD (bald auf Ihren Bildschirmen: "ARD alpha"!). Frische Bizarrerien aus USA und Great Britain. Tommy Buhrows Lieblings-Hunderasse. Außerdem: ein Altpapier-Autor mal richtig wütend.

Gewohnt zuverlässig sorgen die allgemeine digitale Überwachung und der öffentlich-rechtliche Rundfunk für Unerthaltung. Die NSA hat offenbar auch den Papst und seine Wahlberechtigten abgehört, europäische Geheimdienste haben offenbar mehr mit ihr kollaboriert als viele Medien aus den Ländern dieser Geheimdienste trotz allem noch geglaubt hatten, und wer bislang glaubte, auf Googles Datenspeicher hätte die NSA doch keinen rundum vollumfänglichen Zugriff, sollte wohl auch diese Ansicht revidieren. (Dazu hat welt.de sich den Spaß gestattet, das Foto der NSA-Folien-Zeichnung, mit dem die Washington Post ihren Originalbericht illustrierte, zu übernehmen und mit dem Copyright-Hinweis "NSA" zu versehen).

Während das tägliche Feuilleton der FAZ zum Überwachungs-Thema an diesem Donnerstag womöglich nur etwas für Feuilletonleser klassischen Zuschnitts, also mit unbegrenztem Medien-Zeitbudget, ist ("... Diese Technik des Beim-Wort-Nehmens, die auch Teenager im Streit mit ihren Eltern so gut einsetzen können, ist das Einzige, was uns gegenüber Amerika bleibt.  ... .... Man muss tatsächlich den amerikanischen Botschafter vor das Schöneberger Rathaus schleppen und ihn fragen: Warum wurde hier jeden Tag um 12 Uhr die Freiheitsglocke geläutet, die ihr uns geschenkt habt?", schreibt Thomas Stamm-Kuhlmann unter der Überschrift "Das ist Totalitarismus"), gilt die Lese-Empfehlung einem großen TAZ-Interview.

Dorothea Hahn sprach mit Ray McGovern, einem ehemaligen CIA-Agenten, der u.a. die Organisation "Veteran Intelligence Professionals for Sanity" (deren Namen die TAZ mit "Ehemalige Geheimdienstmitarbeiter für klaren Verstand" übersetzt) gegründet und kürzlich in Moskau Edward Snowden den Sam-Adams-Prize mit überreicht hat (whistleblower.org). Mc Govern haut in dem Interview eine Menge potenzieller Narrative heraus, von denen einige vielleicht/ hoffentlich etwas übertrieben klingen ("Was wir von Europa brauchen, ist, dass es sich jetzt für das revanchiert, was unsere Großväter in Europa getan haben, um den Faschismus zu vertreiben"), von denen eines aber gleich zwei sehr eingängige Bilder enthält:

"Wir brauchen die fünfte Gewalt - das Internet -, damit die Leute ernsthaft über die Gefahr der schlüsselfertigen Tyrannei nachdenken, vor der Edward Snowden warnt."

"Was meinen Sie damit?"

"Wenn man alle Informationen über jeden hat, dann muss man nur den Schlüssel umdrehen - und bekommt ein repressives Regime, wie andere Länder es schon hatten. Deutschland in den 30er Jahren zum Beispiel."

Auch was McGovern über die zeit- sowie medienhistorische Dimension ("Als Bush und Vizepräsident Cheney Anfang 2001 an die Macht kamen, ist Cheney zur NSA gegangen. ... Cheney wollte Hintertürzugänge zu allen Telefonaten im Land. Wir wissen, dass die Telefongesellschaften Verizon und ATT schon vor dem 11. September kooperiert haben, um solche Hintertürzugänge zu schaffen") und über die Bundeskanzlerin sagt ("Bei Angela Merkel sehe ich dasselbe wie bei der Chefin des Geheimdienstkomitees im US-Senat: Scheinheiligkeit..."), klingt überzeugend.

Von einem noch direkteren Snowden-Kontakt, dem Star-Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald, liegt ebenfalls ein deutschsprachiges Interview vor, bei zeit.de. Nachdem Greenwald erst mal angemessen seine Coolness demonstriert hat ("Es ist ja nicht überraschend, dass ich ein Stück meines Privatlebens verliere, wenn ich einen Berg von Geheimdokumenten des mächtigsten Geheimdienstes des mächtigsten Staates dieser Erde veröffentliche"), hat er viele Aussagen parat, die durch schönes Pathos oder ihren Pragmatismus erfreuen.

"Der Überwachungsstaat ergreift nun die Macht im Netz. Er will dieses Werkzeug der Freiheit in sein Gegenteil verkehren, in ein Werkzeug der Überwachung und Kontrolle. Wir stehen an einem Scheideweg",

sagt er z.B. In der Tat kann ja jede Gewalt, darunter auch die vierte und die fünfte, so oder so verwendet werden. Und auf die  Hajo-Friedrich-Preis-verdächtige Auskunft Interviewers Florian Klenk, "Wir Journalisten haben gelernt, Distanz zu halten. Uns mit keiner Sache gemein zu machen", entgegnet Greenwald:

"Das geht nicht. Menschen sind nicht distanziert. Alle Journalisten sind Aktivisten. Sie vertreten doch alle Interessen und Einschätzungen. Für mich besteht die entscheidende Frage nicht darin, ob ein Journalist eine Meinung vertritt oder nicht, sondern ob er diese Meinung seinen Lesern ehrlich mitteilt oder vor ihnen versteckt...."

In seinem Nicht-Guardian-Blog ggsidedocs.blogspot.de weist Greenwald aktuell darauf hin, dass von all den "dozens and dozens of articles" über die Snowden-Dokumente, an denen er international beteiligt war, "not a single one ... bears even a trivial correction", und auf die "bizarre mentality as follows: 'Oh, NSA says a story about them is wrong? Well, that settles that! Thankfully, they never lie, obfuscate, mislead, misdirect, or misinform!'", die vor allem der "American political and media culture" eigen sei.

[+++] Das Stichwort bizarr führt natürlich nach Großbritannien, in dessen politischer und medialer Kultur es keine kleine Rolle spielt (Altpapier).

Der gestern hier erwähnte Versuch britischer Verlage, die "Royal Charter zur Selbstregulierung der Presse" durch eine einstweilige Verfügung des Obersten Gerichts zu verhindern, ist gescheitert., meldet die FAZ knapp. Ausführlicher und frei online informiert in der Berliner Zeitung Barbara Klimke: "Die strikteste Presseregulierung in der neueren Geschichte der Inselmonarchie" ist damit auf dem Weg. Außerdem stellt Klimke deren ursächlichen Zusammenhang mit den Skandalen der gar nicht mehr existierenden Murdoch-Boulevardzeitung News of the world her, die nun in einem "Mammut-Prozess" aufgearbeitet werden sollen:

"Londoner Polizisten haben einem Zeitungskiosk nahe dem Strafgericht Old Bailey einen Besuch abgestattet. Dem verblüfften Inhaber wurde geraten, ein Satire-Magazin aus der Auslage zu nehmen, weil das Blatt womöglich Einfluss auf die Geschworenen nehmen könnte. Es handelt sich um das Heftchen Private Eye, auf dessen aktuellem Titel ein Bild der ehemaligen Murdoch-Managerin Rebekah Brooks prangt, die wegen der im Presseabhöraffäre vor Gericht steht. Der Vorfall ist bizarr... ...."

Um die Bizarrerie zu komplettieren: Just jene Satirezeitschrift ist wiederum der Star in der heutigen Michael Hanfeld-Glosse der FAZ. Hanfeld, der eine anderen Coolness-Schule als Glenn Greenwald entstammt, lobt Private Eye für "eine der coolsten Titelseiten des Sommers" (in der Onlineversion der Glosse ist sie sogar zu sehen). Sein eigentliches Anliegen dabei aber, ebenfalls noch mal auf die Merkwürdigkeit der Wendungen hinzuweisen:

"Von ausgesuchter Perfidie ist der Verweis auf die nun vor Gericht erörterten Abhörpraktiken, deren sich Journalisten der 'News of the World' bedient haben. Deren Straftaten sollen herhalten, der Presse mit einem neuen Regulierungsgesetz die Daumenschrauben anzulegen."

Übrigens sagt McGovern im oben erwähnten TAZ-Interview über Großbritannien, "die Westeuropäer" sollten es beim gemeinsamen Vorgehen"außen vor lassen, weil die Briten komplett Komplizen sind". Übrigens hinkt die TAZ-Medienseite in Sachen GB ein wenig hinterher, hat dafür aber zum heutigen Reformations-/ Halloween-Tag ein cooles Vampire-Allerlei im Blatt, das auch Spiegel Onlines Panoramaressort zieren würde.

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[+++] Jetzt aber zu unseren Öffentlich-Rechtlichen. Die Süddeutsche macht auf ihrer Medienseite mit dem nächste Woche bevorstehenden Prozess auf, in dem das oberste deutsche Gericht die Politikferne des ZDF neu beurteilen wird. In der Randspalte steckt eine echte breaking news aus der vielkanaligen Senderfamilie der ARD: BR alpha, "das Senderlein mit einem Marktanteil in Bayern von 0,4 Prozent und einem Jahresbudget von alles in allem 18 Millionen Euro", das nicht zu den zahlreichen Gemeinschaftsaufgaben der öffentlich-rechtlichen Anstalten zählt, sondern vom Bayerischen Rundfunk ganz alleine betrieben wird, soll einen neuen Namen bekommen - "ARD alpha".

Das berichtet Claudia Tieschky und glaubt, damit ahme der BR den Trick nach, den der NDR mit der Umbenennung eines der offizielleren ARD-Digitalsender, des "ziemlich gesichtslosen ARD Infokanals", in Tagesschau24 angewendet habe. Durch den schöneren Namen würden die Sender, deren konkrete Inhalte kaum jemand kennt (nur dass bei Tagesschau24 aktuellen "Tagesschauen" abends selten bis gar nicht laufen, weiß, wer mal vorbeizappte), sozusagen aufgewertet.

Sonstiges aus den Anstalten: Der Chef der größten, der immer noch etwas "frisch gebackene" WDR-Intendant Tommy Buhrow trat gestern mal wieder vor die Kameras, im Rahmen einer großen Publikumsshow seines Dritten Programms. Sie war offenbar vielfältig - Buhrow gab sein "liebste Hunderasse (Königspudel)" preis, ließ sich aber auch "etwa acht Minuten" lang vom schon erwähnten Michael Hanfeld befragen (der Buhrow "nicht sonderlich scharf" attackiert habe), berichtet handelsblatt.com und zeigt sich insgesamt ganz angetan: "Das 90-minütige Format soll es von nun an öfter geben. Und in weiten Teilen funktioniert es gut."

Der MDR indes setzt auf die allgrößte Stärke der ARD-Anstalten und schickt am kommenden Sonntag mal wieder ein neues "Tatort"-Kommissarsgespann auf Sendung:

"In einer temporeichen Verfolgungsjagd kann das Erfurter Ermittlerduo Kriminalhauptkommissar Henry Funck und Kriminaloberkommissar Maik Schaffert den mutmaßlich mehrfachen Frauenmörder Roman Darschner festnehmen. Eine Frau scheint dem Mörder jedoch noch vor seiner Ergreifung zum Opfer gefallen zu sein: Die schöne Studentin Anna Siebert, 24, wurde erschlagen an der Gera aufgefunden",

macht die offizielle Inhaltsangabe fast schon etwas gespannt. Altpapier-Autor Matthias Dell, der bei freitag.de auch regelmäßig die ARD-Sonntagskrimis bespricht, war von dem unter der Regie des "Tatort"-Veteranen Thomas/ Tom Bohn Krimi weniger angetan:

"Wer Bohns Tatort-Folgen kennt... weiß, was ihn am Sonntagabend erwarten wird: lausige Dialoge, grundlos schlecht gelaunte Figuren, pseudocoole Sprüche, schlechtes Timing, ein grobschlächtiger Wirklichkeitsentwurf und ein paar technische Mätzchen zur Überbrückung des Nichts, das die Geschichte ist..."

Darüber und über die ungewöhnliche Entstehung dieses Krimis ("offene Angebotseinholung im Internet..., an der sich die deutsche Produzentenlandschaft mit über 100 Ideen beteiligte", schrieb die ARD), die offenbar zu einem weniger ungewöhnlichen Ergebnis geführt hat, stellte er der MDR-Redakteurin Meike Götz "Fragen... , die ich kritisch oder auch nur journalistisch nennen würde, der MDR nennt sie 'tendenziös'". Weshalb der MDR das Interview nicht autorisierte, weshalb Dell nun im Freitag einen, wie man im Internet sagen würde, relativen rant geschrieben hat:

"Der MDR gehört dem Wir dieses Landes, er wird finanziert aus den Gebühren der Bürger, und er ist, vor allem, als Medienanstalt eminenter Teil der Öffentlichkeit. In einer demokratisch organisierten Öffentlichkeit ist Kritik, so unangenehm sie im konkreten Fall sein mag, von Bedeutung; man verständigt sich im freien Streit der Argumente. Aber das sind Gedanken, wie sie nur in den Zoos der Sonntagsreden vorkommen. In der freien Wildbahn der täglichen Praxis einer MDR-Redaktion spielen solche Überlegungen offenbar keine Rolle..."


Altpapierkorb

+++ Im erwähnten SZ-Medienseiten-Aufmacher zum großen ZDF-Prozess nächste Woche vorm Verfassungsgericht fungiert das frisch gebackene Mitglied Reinhard Klimmt als Aufhänger: "Reinhard Klimmt? Genau, der ehemalige Ministerpräsident, der vor anderthalb Jahrzehnten zehn Monate lang das Saarland regierte. Schwer zu sagen, was genau er mit Kunst und Kultur zu tun hat." Für die Politikferne, um die es Karlsruhe gehen soll, spricht die Person des ehemaligen Bundesverkehrsministers jedenfalls nicht. Im "Programmausschuss 'Chefredaktion'" sei "die Stimmung derzeit nicht mehr so politisch aufgeladen sei wie unter dem vormaligen Ausschussvorsitzenden Reinhard Göhner (CDU)", obwohl der aktuelle Vorsitzende Franz Josef Jung der gleichen Partei angehört, aber "die geradezu groteske Konstellation besteht nach wie vor: Direkte Vertreter der Staatsmacht beurteilen, ob das ZDF sich in den Politmagazinen oder bei der Wahlberichterstattung vergriffen habe", schreibt Wolfgang Janisch. +++ Lustige Idee dazu von Felix Werdermann wiederum im Freitag: "ARD und ZDF müssen unabhängig sein von Legislative und Exekutive. Deswegen sollten die Aufsichtsgremien direkt von der Bevölkerung gewählt werden". +++

+++ Jan Böhmermann ist wegen seiner neuen Show bei ZDF-Neo auf Interviewtournee und war gerade bei der TAZ: "Sie haben sich mal als 'Arschloch' bezeichnet." - "Ja, als 'Arschloch mit Herz'". - "Da stand aber nur 'Arschloch'." - "Haben die Scheißjournalisten bestimmt wieder rausgestrichen." - "Das war aber ernst gemeint, oder?" - "Ich sag lieber 'Arschloch mit Herz'. Denn ... ... ..." +++Ebenfalls derzeit auf grooßer Interviewtournee: Ranga Yogeshwar. Fans und vor allem auch Nicht-so-Fans sollten zu ueberschaubarerelevanz.wordpress.com klicken. +++

+++ WDR-News: Tommy Buhrows Vorgängerin, die sehr überraschend zurückgetretene Intendantin Monika Piel, hat dem Stern ein Interview zu den Gründen ihres Rücktritts gegeben, das dieser online nur anteasert, dwdl.de aber äußerst ausführlich gratis zusammenfasst. +++ Kurt Sagatz vom Tagesspiegel hat den neuen Ruhrpott-Reiseführer "Mit Schimanski durchs Revier" durchgeblättert. +++

+++ NRW-News: Im Revier sichert die Funke/ Ex-WAZ-Gruppe immer noch unermüdlich Medienvielfalt (Pressemitteilung/ PDF), wobei von der neuesten "Transaktion"/ Kabale, dem Verkauf der Zombiezeitungen im Dortmunder Raum, "Beschäftigungsverhältnisse ... nicht betroffen" seien - "was sich für die Anfang des Jahres entlassenen Mitarbeiter aber wohl eher wie Hohn lesen dürfte" (dwdl.de). +++ Siehe auch pottblog.de, meedia.de. +++ "Keine Überraschung. Allenfalls, dass es so schnell geht, mag erstaunen", notiert Andreas Rossmann auf der FAZ-Medienseite: "Um mit der 'Berliner Morgenpost' und dem 'Hamburger Abendblatt', die sie vom Axel Springer Verlag kauft..., endlich etwas Großstadtluft schnuppern zu können, lässt die Funke-Mediengruppe das Ruhrgebiet noch tiefer in die Provinz sinken". +++

+++ Weitere Berichte von der Langer-Atem-Preisverleihung am Dienstag in Berlin (TAZ, Tsp., BLZ ausführlicher und mit Links u.a. zum Twitter-Account der Haupt-Preisträgerin Simone Wendler). Deren Ausspruch von den "Brot- und Buttertugenden unseres Berufs" (schon gestern in ihrer  Zeitung zitiert) könnte man sich auch merken wollen. +++

+++ Mit "Alles besser als Innen" kommentierte dann noch Vera Bunse bei Twitter die Anregung einer relativ frisch gebackenen CDU-Medienpolitikerin, der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktionschefin Julia Kloeckner, im Zuge der Posten- und Ressortsverteilung "den Staatsminister für Kultur und Medien im Kanzleramt mit neuen Kompetenzen im Hinblick auf die Netz- und Internetpolitik aufzuwerten". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.