Heute auf der Agenda: Ein „Manifest“ gegen staatliche Versuche, Journalismus als Terrorismus zu verkaufen, ein Skandalurteil gegen eine Radioredakteurin in der Türkei, 273 „Thesen“ zur Zukunft des Journalismus, die nächste vermeintlich „süchtig“ machende Fernsehserie, ein beinahe eröffneter „Elefantenfriedhof“ in Mainz und klagefreudige Sportfotografen in den USA.
Die britische Journalistin und Wikileaks-Mitarbeiterin Sarah Harrison wurde vor rund einer Woche, als zahlreiche Berichte zum von Journalisten begleiteten Besuchs Christian Ströbeles bei Edward Snowden in Moskau erschienen (siehe Altpapier von vergangenem Freitag sowie, aktuell, eine Fotointerpretation im Freitag) manchmal zumindest am Rande erwähnt. Schließlich saß Harrison mit am Tisch, was nahe lag, war sie doch für Snowden „Behüterin, Freundin, Beschützerin und dauernde Begleitung zugleich“, wie laut SZ (Seite Drei) Jesselyn Radack sagt, „eine US-Anwältin, die selbst als Whistleblowerin Geschichte geschrieben hat und Snowden und Harrison in Moskau besucht hat“.
Obwohl Harrison „auf praktisch allen öffentlich verfügbaren aktuellen Fotos des NSA-Whistleblowers zu sehen ist“ (Spiegel Online), wurde sie bisher nur im Hintergrund wahrgenommen. Das ändert sich jetzt, denn während „Snowden in Russland bleiben muss“ (Welt Kompakt) bzw. „nicht nach Deutschland kommen kann“ (taz/epd), weil die hiesige Regierung ihn nicht für einen politisch Verfolgten hält, hat sich Harrison unmittelbar nach Ströbeles Treffen mit Snowden in Berlin niedergelassen und anlässlich dessen auch eine Erklärung bzw. „ein Manifest für Transparenz und gegen staatliche Überwachung“ (süddeutsche.de) verfasst.
Spiegel Online geht unter anderem darauf ein, dass Harrison zu den maßgeblichen Kräften bei Wikileaks gehört. So habe sie mitgewirkt an „den Vorbereitungen für die Veröffentlichungen der Kriegstagebücher aus Afghanistan und Irak (...), an denen auch der Spiegel beteiligt war“. Dabei
„lernte Harrison (Julian) Assange kennen - und übernahm schnell immer mehr Aufgaben für ihn und WikiLeaks. Sie begleitete ihn im juristischen Kampf gegen die Auslieferungsbegehren Schwedens, bereitete WikiLeaks-Veröffentlichungen vor und verhandelte mit internationalen Medienpartnern der Organisation.“
John Goetz, der „Snowdens Beraterin“ (SZ-Titelseiten-Anreißer) im Zuge des Ströbele-Besuchs in Moskau und jetzt wieder in Berlin getroffen hat, und Bastian Obermayer fragen im bereits zitierten Seite-Drei-Text:
„Wer also ist Sarah Harrison, die Retterin von Edward Snowden, die junge Frau, die jetzt in Berlin leben wird? Sie ist zunächst: Eine 31-jährige, kluge, gebildete Engländerin aus der Grafschaft Kent, südöstlich von London. Eine Frau, die bei Wikileaks offenbar rund um die Uhr arbeitet, Mails verschickt oder chattet. Wann sie schläft? ‚Wenn Zeit ist‘, sagt sie und zuckt mit den Achseln (...) In Moskau war Sarah Harrison die Einzige, die Snowden aus der Zeit davor kannte. Sie war auch die Einzige, der er von Anfang an vertrauen konnte.“
Online hat die SZ Harrisons oben erwähntes „Manifest“ - in dem sie im Übrigen Julian Assange „meinen Chefredakteur“ (im Original: „my editor) nennt - im Wortlaut sowie in deutscher Übersetzung publiziert. „Warum sie den Whistleblower jetzt zurücklässt und sie ausgerechnet in Deutschland Zuflucht sucht“, gehe aus der Erklärung „nur indirekt hervor“, meint Spiegel Online. Harrison schreibt:
„Es klingt abstrus, Journalismus als Terrorismus zu bezeichnen, dessen Ziel es ist, über nationale Sicherheit zu berichten, für eine ehrliche Regierung zu sorgen oder die simpelsten Bürgerrechte durchzusetzen. Aber die britische Regierung hat sich entschieden, dieses Gesetz so zu interpretieren. Fast jeder Bericht, der über das umfangreiche Spähprogramm der NSA oder des britischen Geheimdiensts GCHQ veröffentlicht wurde, fällt in die Kategorie von ‚Terrorismus‘, wie ihn die britische Regierung interpretiert. Deshalb haben mir unsere Anwälte gesagt, dass es für mich nicht sicher ist, in meine Heimat Großbritannien zurückzukehren. Es ist die Aufgabe der Presse, sich der Macht entgegenzustellen. Und trotzdem werden wir verfolgt, wenn wir unsere Arbeit machen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass uns diese aggressiven und illegalen Taktiken (durch willkürliche Interpretation von Gesetzen, übereifrige Anschuldigungen und unverhältnismäßige Gefängnisstrafen) zum Schweigen bringen.“
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Über Sätze à la „Wenn Whistleblower nach vorne treten, dann müssen wir für sie kämpfen, damit andere ermutigt werden, es ihnen gleich zu tun“ läuft der Text der mutigen Harrison dann auf eine optimisch-pathetische Schlussbotschaft hinaus:
„Mut ist ansteckend.“
[+++] Sehr verbreitet sind die Gleichsetzung von unliebsamem Journalismus und Terrorismus bzw. die „willkürliche Interpretation von Gesetzen, übereifrige Anschuldigungen und unverhältnismäßige Gefängnisstrafen“ bekanntlich in der Türkei. Die FAZ (Seite 31) geht heute auf einen „absurden Prozess“ ein, der am Montag damit endete, dass unter anderem die Hörfunkjournalistin Füsün Erdogan zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt wurde:
„Füsun Erdogan war, direkt oder indirekt in ihrer Position als Leiterin eines Radiosenders, an drei Verfahren des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg beteiligt, die zu Urteilssprüchen gegen die Türkei geführt haben. Das alles schmeckte der türkischen Regierung offenbar nicht.“
Karen Krüger, die Autorin des Textes, erwähnt in diesem Zusammenhang auch, dass die Türkei „in die EU will“, und man könnte vielleicht noch ergänzen, dass das Land, in dem „sich zurzeit etwa siebzig Journalisten in Haft befinden“ (Krüger) auch gern zu den Austragungsorten der Fußball-EM 2020 gehören würde.
„Noch immer regiert in der Türkei ein Geist, der Demokratie als Diktat der Mehrheit über die Minderheit versteht und deshalb Presse- und Meinungsfreiheit nicht anerkennen will (...) Füsun Erdogan wird also nicht die letzte Medienvertreterin sein, der mit hanebüchenen Argumenten der Prozess gemacht wird“,
schreibt Krüger weiter. Frei online steht zu dem Thema etwas beim Neuen Deutschland; dort sind auch die anderen zu lebenslanger Haft verurteilten Journalisten erwähnt.
[+++] Stark vertreten auf den Medienseiten heute: Jane Campion macht den David Lynch. Es geht um Campions sechsteilige Miniserie „Top of the Lake“, die heute bei arte startet. Die Euphorie ist groß. Bei Michael Hanfeld (FAZ) etwa:
„Nicht von ungefähr erinnert ‚Top of the Lake‘ an den Kunstserienklassiker „Twin Peaks“ von David Lynch. Hier wie dort werden wir in ein Labyrinth geführt, voller Abgründe, wobei die Volten, mit denen Jane Campion aufwartet, nicht ganz so unwahrscheinlich sind wie diejenigen bei Lynch.“
Markus Ehrenberg (Tagesspiegel), der findet, die Serie mache „süchtig“ (By the way: Das hat man nun wirklich schon sehr, sehr oft in Betrachtungen über Serien lesen müssen), nennt als Orientierungshilfen neben „Twin Peaks“ noch „The Big Lebowski“ und „Breaking Bad“, und Katharina Riehl (SZ, Seite 31) hat auch noch eine parat:
„Die Landschaft, durch die einst Peter Jackson seinen Hobbit den vermaledeiten Ring tragen ließ, ist derb, und die Menschen passen gut hinein. Matt Mitchum, der Vater von Tui (einer der Protagonistinnen - Anm. AP), ist ein roher Typ mit einer Drogenküche im Keller. Die Szene gleich zu Beginn, in der er auf einem Landstück namens Paradies einer Gruppe von Frauen begegnet, die sich auf der Flucht vor dem Leben und den Männern eine Containerstadt ins Gras gebaut haben, um ihre Blessuren zu begutachten, die hätte man früher wohl als großes Kino bezeichnet. Jetzt ist es großes Fernsehen.“
[+++] Das große Thema der beiden letzten Tage, die Verfasssungsgerichtsverhandlung in Sachen ZDF-Staatsvertrag (siehe etwa Altpapier von Mittwoch), wirkt noch heute nach. Claudia Tieschky (SZ) hat mit dem früheren ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender gesprochen, ohne dessen Fall es die Klage nie gegeben hätte. Zur aktuellen Rechtssache hat sich Brender zwar nicht geäußert, dafür aber nette Anekdoten erzählt, zum Beispiel über ein Aufeinandertreffen mit einem der sog. Freundeskreise vor 13 Jahren, das Tieschky so zusammenfasst:
„Der damals 51-jährige Schnauzbartträger wurde vom roten Freundeskreis eingeladen und ging auch hin: ‚Ich erklärte, dass ich für alle Journalisten im ZDF verantwortlich sei und es deswegen für unziemlich und im Übrigen für eine Zumutung halte, in einem Freundeskreis zu sein.‘ Bei der Gelegenheit sah Brender auch, dass ZDF-Journalisten in diese Freundeskreise gingen. Er verkündete: ‚Wenn das nicht aufhört, eröffne ich einen Elefantenfriedhof, und ihr bekommt darin einen prominenten Platz. - Dann ging keiner mehr hin.‘“
Die wohl ausführlichste Nachbetrachtung der Verhandlung steht bei Carta, es handelt sich dabei um eine Zusammenfassung zweier Texte, die Max Steinbeis für den Verfassungsblog geschrieben hat:
„Niemand ist so naiv, zu glauben, dass Karlsruhe informellen Absprachen und Hinterzimmerzirkeln effektiv ein Ende bereiten kann oder auch nur will (...) Zuletzt ließ der Senat noch erkennen, dass ihm die Intransparenz, mit der die Gremien arbeiten, überhaupt nicht gefällt. (Der Richter Johannes) Masing wurde geradezu sarkastisch, als er schilderte, welche Hürden man überspringen muss, um auch nur die Sitzungsniederschriften des Fernsehrates einsehen zu können.“
Wer sich gelegentlich mal über den sächsischen Medienpolitiker Johannes Beermann gewundert hat (siehe auch Altpapier), sollte den Text lesen, denn dieser charmante Zeitgenosse wird dort auch gewürdigt. Steinbeis‘ Fazit lautet:
„Wie immer der Senat und nach ihm der Staatsvertrags-Gesetzgeber die Technizitäten der Gremienausgestaltung löst – im ZDF-Fernsehrat wird es künftig wohl deutlich weniger behaglich, dafür aber vielfältiger und transparenter zugehen als bisher. Ob es wirklich gelingt, dafür zu sorgen, dass nie wieder ein Roland Koch einen Nikolaus Brender verhindern kann, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt.“
[+++] Dass die „Thesen“ zur Zukunft des Journalismus hin und wieder wie unfreiwilliges Kabarett wirken, klang in dieser Kolumne schon hin und wieder dezent an. Sebastian Langer hatte offenbar einen nicht unähnlichen Eindruck, in einem Blogbeitrag, in dem er einen Überblick über die 273 im deutschsprachigen Raum kursierenden Thesen liefert (Zahlenangabe natürlich ohne Gewähr), schreibt er:
„Recht beliebt sind fünf, sieben und zehn Thesen, die acht ist aber gerade in jüngster Zeit ziemlich im Kommen. ‚Sechs Thesen zur Zukunft des Journalismus‘ wäre noch frei, das ist doch noch ganz übersichtlich. 13 und 16 wären noch unbesetzt, aber das artet dann schon in ein bisschen Denkarbeit aus.“
Wir hätten in diesem größeren Zusammenhang auch noch einen mittelfristigen Veranstaltungshinweis für unsere Leser in Köln und Umgebung.
+++ „Wo gibt es mehr Machos? Bei Bild, Spiegel oder der Zeit?“ Diese Frage, die wir schon mal geklärt wissen wollten, steht in einem Interview, das zunächst in dem außerhalb des Altpapier-Radars liegenden Fachblatt Pressesprecher erschienen ist und nun von newsroom.de republiziert wurde. Die Frage richtet sich an die Zeit-Fußballredakteurin Cathrin Gilbert, die früher bei der Bild-Zeitung und beim Spiegel war (was die Frage aufwirft, ob Nikolaus Blome in ein paar Jahren bei der Zeit landen wird, aber lassen wir das lieber ...). Gilbert jedenfalls beantwortet die Frage zwar nicht, aber das macht gar nichts: „Macho ist Ihre Wortwahl. Der Spiegel ist ein politisches Magazin und als solches sind viele Kollegen und sicher auch Kolleginnen mit einem ausgeprägten Sendungsbewusstsein gesegnet und auf ihre Art auch politisch. Beim Spiegel wird nicht immer mit offenem Visier gekämpft. Das macht es manchmal unberechenbar. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen. Meine Kollegen im Sportressort haben mir eine Zeit lang das Gefühl vermittelt, meine Stelle sei nur geschaffen worden, weil ich eine Frau bin (...) Ich dachte, ich müsse mich noch mehr beweisen als meine teilweise 30 Jahre älteren Kollegen. Irgendwann sprach ich meinen Ressortleiter darauf an und der sagte, das sei völliger Blödsinn.“
+++ Mehr aus der Was-mit-Sport-Kategorie: Sieben renommierte Sportfotografen gehen wegen Urheberrechtsverletzungen gegen die National Football League (NFL), die Bildagentur Getty und die Nachrichtenagentur AP vor. The Atlantic berichtet darüber. Einer der Kläger hat zum Beispiel nie Geld für ein Foto gesehen, das die NFL für ein gigantisches Banner verwendet hat. Heikel ist die Klage deshalb, weil die Fotografen abhängig davon sind, dass ihnen die NFL Akkreditierungen erteilt. Oder, um es mit dem Anwalt der Fotografen zu sagen: „These guys don’t (...) have a salary. They don’t have health insurance. They make their living doing this.”
+++ Drei Monate gibt es mittlerweile das Leistungsschutzrecht und „bislang war nicht klar, wer das Geld eintreiben soll“, aber zumindest was Springer angeht, ist es jetzt klar, denn der Konzern hat sich für die VG Media entschieden: „Wann die VG Media, die bisher Urheber- und Leistungsschutzrechte von 134 privaten Fernseh- und Hörfunksendeunternehmen aus verschiedenen europäischen Ländern vertritt, aktiv für die Springer AG tätig wird, steht noch nicht fest“, schreibt Insa Moog (wdr.de). Die taz berichtet darüber kurz (verknüpft mit einem Blick auf die aktuellen Quartalszahlen, die Springer gerade präsentierte)
+++ Darüber hinaus in der taz: ein Interview mit einem Reporter der Münchener Abendzeitung, der bereits seit einem Jahr Bescheid weiß über den gerade von Focus enthüllten „Kunstschatz“ in einer Wohnung in Schwabing.
+++ Ein weiteres taz-Thema heute: Das Münsteraner Straßenmagazin draußen! will in der dortigen Innenstadt neue Redaktionsräume beziehen, und deshalb kursiert in der Gegend nun ein möglicherweise strafrechtlich relevanter Flyer aus dem braunen Milieu.
+++ süddeutsche.de greift noch einmal den „Fall des Roma-Mädchens Maria“ auf bzw. die von „die vorurteilsgeschwängerte Berichterstattung über Roma in Griechenland und Irland“ (Altpapier neulich). Isabel Pfaff schreibt: „Die Berichterstattung über das Mädchen ist Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, eine eigene Pressekonferenz wert. Am Dienstag warf Rose den europäischen Medien vor, die Mutmaßungen der griechischen Polizei ungeprüft übernommen zu haben. Darin spiegelten sich die ‚rassistischen Grundmuster‘ gegenüber Sinti und Roma. Der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz pflichtete Rose bei (...) Die Vorurteile gegenüber Sinti und Roma würden in Deutschland derzeit ‚neu erblühen‘".
+++ 65, 67, 80: Das ist kein neuer Song der Sportfreunde Stiller, vielmehr geht aus dieser Aufzählung hervor, wie alt drei hochrangigste Berlin-Brandenburg Medienpolitik-Protagonisten 2014 sein werden. Es geht um - in dieser Reihenfolge - Susanne Grams (stellvertretende Direktorin der Landesmedienanstalt MABB), Hans Hege (Direktor dortselbst) sowie Jutta Limbach (Vorsitzende des Medienrats, also des MABB-Aufsichtsgremiums). Sie gehen im kommenden Jahr in den Ruhestand bzw. stehen - was für Limbach gilt - „für eine weitere fünfjährige Amtsperiode nicht zur Verfügung“. Das weiß die Funkkorrespondenz, die außerdem weiß, was das alles für Komplikationen mit sich bringt.
+++ Fernsehen am Sonntag: Eine neue Folge in der „Schimanski“-Reihe war für Thomas Gehringer ein Anlass, für den Tagesspiegel Götz George zu interviewen.
+++ Fernsehen gestern Abend bzw. in der vergangenen Nacht: Welt Online würdigt eine ARD-Dokumentation, die schildert, wie eine „Familie in den Ausnahmezustand gestürzt“ wird, wenn jemand „mit 42 Jahren an Alzheimer erkrankt“.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.