Das Bundesverfassungsgericht hat mit Freundeskreisen aus den ZDF-Gremien gesprochen. Der Springer/ Google-Deal ist ein "Politikum erster Güte". Um Familie Jauch ging's auch vor einem hohen Karlsruher Gericht.
Was ging gestern in Karlsruhe?
Es offenbar heiter zu. "So viel ist hier wohl länger nicht mehr gelacht worden", leitet Ulrich Clauß von Springers Welt (der, wenn's passt, selber gern mal lacht) seinen Bericht über den ersten Verhandlungstag des höchsten deutschen Gerichts zur Klage gegen den ZDF-Staatsvertrag ein. Freilich haben nicht alle im Saal mitgelacht:
"Die Verfechter der bestehenden Organisation der Aufsichtsgremien, die Spitzenpersonalauswahl, Finanzaufsicht und Programmkontrolle des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) besorgen, haben vor dem Bundesverfassungsgericht einen schweren Stand. Und mit ihnen im Grunde die Konstruktion des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland."
"Dass das Gericht zunächst die Frösche nach der Sumpfaustrocknung gefragt hatte" - auf dieses Sprachbild griff Wolfgang Janisch, der Karlsruher Gerichtsberichterstatter der Süddeutschen, zurück. Bei solch einer Befragung der meist männlichen Frösche (Janisch: "als Verteidiger des Fernsehrats traten vorwiegend Herren auf") scheint das meistverbreitete Zitat des gestrigen Gerichtstages generiert worden zu sein.
Es stammt vom sächsischen Staatsminister und Staatskanzlei-Chef Johannes Beermann, der die Frage der Verfassungsrichterin Gabriele Britz, warum es die beiden sog. Freundeskreise im ZDF-Gremienmilieu, den schwarzen und den roten, denn eigentlich gibt, mit
"Es hat sie immer schon gegeben"
antwortete. U.a. Spiegel Online nahm das gerne auf. Als "verboten naive Begründung" kritisiert Michael Reissenberger Beermanns Aussage ausgerechnet (wir kommen darauf zurück) im tagesschau.de-Kommentar.
Um fair zu bleiben: Beermanns Aussage ging noch weiter. Volständiger gibt DPA-Justizkorrespondent Jochen Neumeyer (z.B. bei newsroom.de zu haben) wieder:
"... 'Es hat sie immer schon gegeben', antwortete der sächsische Staatsministers Johannes Beermann. Es sei ja 'nicht verboten', wenn sich die Gremienmitglieder informell treffen wollten. 'Es wird in Freundeskreisen viel intensiver diskutiert.' Außerdem gebe es anschließend oft gemeinsame Abendveranstaltungen, freundeskreisübergreifend sozusagen. 'Spätestens um 23 Uhr weiß jeder, was im anderen Freundeskreis passiert ist.''
Da mag auch auf den Bänken der Frösche der Gerichtssaal ein wenig geschmunzelt worden sein.
Aus dem in der Medienmedien-Öffentlichkeit eher wenig beachteten Freundeskreise-Milieu, in dem sich auch viele nicht direkt der Politik, sondern den sog. gesellschaftlich relevanten Gruppen zuzurechnende Gremienmitglieder tummeln und in dem "offenbar die entscheidenden Dinge geregelt" werden", "bevor der eigentliche Fernsehrat tagt" (SPON), hat das Verfassungsgericht eine Menge pittoresker Details ans Licht gebracht.
Zum Beispiel habe Richter Johannes Masing gefragt, "inwiefern diverse Landtagsabgeordnete bestimmte gesellschaftliche Gruppen im Fernsehrat repräsentierten und ob der Besetzungsschlüssel überhaupt noch tauge. So soll der sächsische FDP-Landtagsabgeordnete Holger Zastrow, der beruflich eine Werbeagentur betreibt, deshalb die Künste vertreten", weiß Reinhard Müller im FAZ-Politikressort (S. 4).
"So zählt etwa ein Politiker, der zugleich Rechtsanwalt ist, als Vertreter freier Berufe, eine Politikerin, die Tierärztin war, als Vertreterin der gesellschaftlich relevanten Gruppe der Tierschützer, und der Chef einer Staatskanzlei wird zum Verbraucherschützer. Wessen Interessen sie auf diese Weise in den ZDF-Gremien vertreten - ob die der gesellschaftlich relevanten Gruppe oder die der eigenen Partei - darf hinterfragt werden",
fasst zum Beispiel Ulrike Simon (Berliner Zeitung) zusammen. Zwar brachten die Frösche aus den Freundeskreisen auch Beispiele von Courage zur Sprache:
"Hans-Günter Henneke vom Landkreistag nennt ein Beispiel: '2002 zettelte CSU-Generalsekretär Söder eine Diskussion um die angeblich wahlentscheidende ZDF-Hochwasser-Berichterstattung an. Da haben ich und andere im Jung-Kreis schnell deutlich gemacht, dass wir uns für so etwas nicht instrumentalisieren lassen'",
zitiert TAZ-Berichterstatter Christian Rath. Der "Jung-Kreis" ist der vom ehemaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung geleitete schwarze Freundeskreis, in dem einer wie Markus Söder eigentlich immerzu Heimspiele haben müsste. Relativ klar wurde aber, dass das Casting der Vertreter gesellschaftlicher Relevanz in den ZDF-Gremien nicht über alle Zweifel erhaben ist:
"Nachdrücklich wurde Masing, als er auf die sogenannte R-Gruppe zu sprechen kann, also die von den Ministerpräsidenten benannten Vertreter gesellschaftlich relevanter Themenkreise von Bildung und Wissenschaft über Kultur bis zum Verbraucherschutz. Fünf Namen aktueller und früherer Mitglieder zählte Masing auf, die Europa-Abgeordneten Angelika Niebler und Doris Pack sowie die Landtagsabgeordneten Holger Zastrow, Katrin Budde und Ralf Holzschuher: 'Können wir erfahren, für welche gesellschaftliche Gruppe sie stehen?' Und wüssten die gesellschaftlichen Gruppen überhaupt davon? Antwort: Jedes Bundesland benennt ein Mitglied. Und bei der Auswahl sei allenfalls 'eine gewisse Plausibilität' der Nähe zu diesen Gruppen maßgeblich, gestand Kurt Beck",
also der ZDF-Verwaltungsratsvorsitzende, wie wiederum die Süddeutsche berichtet.
"Von einem 'Duopol' sprach ein Richter, davon, dass sich 'zwei Parteien das ZDF untereinander aufteilen'. Ein anderer meinte, dass die Gremien möglicherweise die Vielfalt der Bundesländer spiegelten, gewiss aber nicht die der Gesellschaft im Deutschland des Jahres 2013" (Berliner Zeitung wiederum).
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Einschätzungen, wie es weitergehen wird: "Für verfassungsgemäß halten die Karlsruher Richter den ZDF-Staatsvertrag nicht", konstatiert BLZ-Autorin Simon schon mal. "Dass die bestehenden Verhältnisse bleiben, wie sie sind, darf man nicht erwarten", prophezeien Müller und Michael Hanfeld in ihrem gemeinsamen faz.net-Bericht. Für die gedruckte FAZ haben die beiden in ihren eigenen Milieus jeweils eigene Berichte verfasst, die derzeit nicht frei online stehen. "Der Staat darf den Rundfunk also organisieren, den Einfluss auf das Programm soll er aber den 'gesellschaftlich relevanten Gruppen überlassen'", so hat Müller in seinem Politikressort den BVG-Senatsvorsitzenden Ferdinand Kirchhof verstanden. "Wir dürfen gespannt sein, ob das Gericht diesen Einfluss wirklich zurückdrängt oder nur die 'Freundeskreise' neu sortiert", so schließt Hanfeld in seinem (in dem er allerlei von der ZDF-Intendantenwahl 2002 erzählt und Kurt Beck "die Untertreibung des Jahrhunderts" zuschreibt; Medienseite 31).
"Das Verfassungsgericht wird die Freundeskreise kaum verbieten. Die Richter werden eher den Staatseinfluss bei der Auswahl der gesellschaftlichen Vertreter reduzieren", prognostiziert TAZ-Mann Rath.
"Es sieht vielmehr alles danach aus, dass die Richter die Unabhängigkeit der ZDF-Gremien und des ZDF vom Staat, von den Parteien und der Politik stärken", plädieren die Eminenzen Markus Brauck und Dietmar Hipp von Spiegel Online, die allerdings sehr nonchalant innerhalb desselben Artikels von der Berichterstattung ins Kommentieren übergehen und dabei deutlich machen, dass die Spiegel-Medien nicht zu den engen Freunden des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems zählen.
Um den Titel des derzeit kräftigsten gekennzeichneten Kommentars wetteifern FAZ-Politiker Müller ("CDU SPD ZDF"), der ähnlich steil wie zirkulär zu erklären unternimmt, wo noch mal "der Hase im Pfeffer" liegt, und der schon erwähnte tagesschau.de-Kommentar "Im Schattenreich des ZDF", in dem SWR-Mann Reissenberger derart den "Politklüngel" schilt, der "geradezu zur Erbinformation des ZDF" gehöre, als sei so ein Erbe ihm aus den eigenen Anstalten völlig unbekannt und die ARD nicht bloß ein wesentlich verschachtelterer Komplex mit nach offiziellen Messungen etwas geringerer Staatsquote. Freilich, breitenwirksame Wucht erhielte so ein Kommentar, wenn Sigmund Gottlieb ihn in den "Tagesthemen" performen würde. Aber er steht einstweilen nur als Text in der Elektronischen Presse.
[+++] Auch zum anderen Topthema von gestern, dem frisch geschlossenen Deal zwischen Google und Springer (am Morgen gingen neue Erfolgs-Geschäftszahlen rum), liegen weitere Meinungen vor.
Fefes knappe Vermutung in seinem Blog, dass Springer bei dem langjährigen Leistungsschutzrecht-Bohei mit dem jetzigen Vertragspartner offensichtlich bloß "auf Kosten aller anderer Verlage" seine "Verhandlungsposition stärken" wollte, nennt Volker Schütz, Chefredakteur der Werber-Zeitung horizont, in einem größeren Bogen "ein Politikum erster Güte".
"Während Google Milliarden Euro, Facebook hunderte Millionen Euro allein in Deutschland mit Online- und Mobile-Werbung umsetzen, ist die Digital-Wertschöpfung der meisten Medienhäuser und ihre mit Werbung erzielten Umsätze vergleichsweise immer noch ziemlich bescheiden, nicht mehr im Lousy-Pennies-Stadium, aber noch Lichtjahre von Google & Co. entfernt",
so beschreibt Schütz die Lage. Und prognostiziert:
"So wie kein Mensch mehr ohne die Google-Suche auskommt, können auch Medienhäuser, weder im Content- noch im Werbeumfeld, auf Google verzichten - das ist das Signal, das Axel Springer aussendet."
In den Publikumsmedien gibt's, vom gestrigen FAZ-Artikel abgesehen, noch keine Kommentare dazu, auch in den meinungsstarken Spiegel-Medien nicht. Dort wird womöglich noch überlegt, ob sie jetzt auch ähnliche Googleverträge schließen sollten, um bei der Verteilung des Nicht-Google-Anteils am Werbekuchen nicht zurückzufallen.
Immerhin zeigt der Springer/ Google-Deal aber, warum das öffentlich-rechtliche Mediensystem wichtig bleiben dürfte.
Altpapierkorb
+++ Zurück nach Karlsruhe: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass "die minderjährige Tochter des Showmasters Günther Jauch Presseberichte dulden muss, in denen ihr Vorname genannt wird". Die DPA-Meldung steht bei der SZ frei online. Die FAZ leitet ihren etwas längeren Bericht mit dem Mark-Zuckerberg-Ausspruch "Das Zeitalter der Privatsphäre ist vorbei" ein und weiß am Ende: "Der Rechtsanwalt der Familie, Christian Schertz, will prüfen, ob er das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anruft". Zwischendurch macht die FAZ, Zuckerberg hon oder her, von ihrem Recht Gebrauch, sämtliche leiblichen und adoptierten Jauch-Töchter mit Namen und Alter zu nennen (aber ohne Fotos). +++ Das Magazin, das diesen juristischen Sieg errang, die Viel Spaß aus Hubert Burdas Medienimperium, gehört übrigens zu jenen Printprodukten, die kaum etwas von ihrem Content ins Internet stellen... +++
+++ Die "#VDS" aka "tafkav (the abuse formerly known as Vorratsdatenspeicherung)" oder auch noch anders, Sascha Lobo ist schließlich ein Wortspieler, die Vorratsdatenspeicherung ist jedenfalls "der erste Schritt Richtung Spähhölle, weil sie sich verdachtslos gegen Bürger wendet. Das ist die rote Linie". So Lobo in seiner SPON-Kolumme, die sich außerdem das Gedankenspiel gestattet, dass Angela Merkel erpressbar geworden sein könnte. +++ Nicht virtuell, sondern dank ihrer Radome gut fotografierbar: die Spähhölle rund um den Pariser Platz in Berlin-Mitte (netzpolitik.org). +++
+++ Ebd. eingebunden: der aktuelle Aufreger um "Siggi Pop" Gabriels Äußerungen in einer Hans-Ulrich-Jörges-moderierten stern.de bezüglich unterschiedlicher Lebenswelten. Dazu Jonas Westphal, "Sprecher Forum Netzpolitik Landesverband Berlin": "Sigmar Gabriel hat Recht: Tatsächlich gibt es unterschiedliche Lebensrealitäten. Dass die junge, internetaffine Generation keine Ahnung von 'einer verdammt harten' Lebensrealität hat, ist allerdings eine völlige Fehlannahme..." +++
+++ Frische Journalismuszukunftsthesen gibt's vom DJV, bei journalist.de auch mithilfe von Videos vorgestellt. Es sind nur acht, aber zwischen Thesenmenge und Thesenerfolg müssen ja keine direkten Zusammenhänge bestehen. "Lieber DJV, das kann nicht alles gewesen sein!", moniert allerdings Julian Heck bei lousypennies.de (mit lebhafter Diskussion untendrunter, in der es wiederum um Filterblasen und, auch wenn das Wort nicht fällt, Lebenswelten geht). +++
+++ Die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner lässt bei Carta Revue passieren, wie es zur oben erwähnte Klage in Karlsruhe kam. +++
+++ Wie die russische Polizei im Vorfeld der Olympischen Winterspiele "ein Fernsehteam aus Norwegen über drei Tage hinweg wiederholt ... festgenommen und befragt" hat, meldet die FAZ-Medienseite. +++ Auf der außerdem das taiwanesische Nachrichtenportal newtalk.tw vorgestellt wird. Der Macher Su Tzen-Ping habe "Demokratie und Pressefreiheit ... in Deutschland kennengelernt", als er in den 1970er an der Goethe-Universität in Frankfurt studierte. +++
+++ Eine Geschäftsidee für gedruckte Zeitungen: Hochzeitsseiten! So wie die der New York Times müssten sie sein, die auch an Elite-Unis promovierte Leserinnen wöchentlich verschlingen, und in die alle hinein wollen. Die Süddeutsche schildert hingerissen den Erfolg. +++ Und wer weiß, vielleicht entwickelt sich das frische Angebot des noch Springer-besessenen Hamburger Abendblatts ja in so eine Richtung. +++
+++ Die BLZ berichtet von einer Diskussion über "Pseudo-Dokumentationen und seichte Serien: Fernsehen im Erzählnotstand?" bzw. über ungefähr alles, was einem so zum gegenwärtigen Fernsehen einfallen könnte: "Doch die erwartete Kontroverse zum Thema Pseudo-Dokus und 'scripted reality' blieb aus - vor allem, weil es an Kontrahenten fehlte. Denn sowohl die ursprünglich angekündigten Vertreter von 'Berlin -Tag & Nacht' als auch die Autoren von 'Auf der Flucht' waren leider nicht erschienen. Das allgemeine Unbehagen des Publikums gegenüber dem Fernsehprogramm musste dafür Klaudia Wick aushalten", die das deutsche Fernsehen aber auch so zu loben versteht, wie sonst kaum jemand, der viel davon ansieht. +++
+++ Privatfernseh-Fiktion: In der FAZ erklärt Peer Schader, warum RTL mit seinen deutschen Serien so selten Erfolg hat: "Auf der einen Seite wird... massig Geld in eine internationale Koproduktion namens 'Transporter' gepumpt, eine mit Spezialeffekten überladene Kinoadaption mit haarsträubend simplen Geschichten, die insgesamt dreißig Millionen Euro gekostet haben soll und vom Publikum zu Recht ignoriert wurde. Auf der anderen Seite entstehen Sitcoms wie 'Sekretärinnen', die in ihrer Biederkeit womöglich ins Programm der neunziger Jahre gepasst hätten, für heutige Verhältnisse aber hoffnungslos altmodisch wirken und die nach der Produktion auch noch monatelang im Keller liegengelassen werden." +++ "'Das Risiko ist enorm bei diesem Film', sagte Produzent Nico Hofmann am Montagabend in Berlin", als er seinen Wulffs-Film auszugsweise vorstellte. "Doch davon will sich Nico Hofmann nicht einschüchtern lassen. 'Ich würde mich sehr wundern, wenn der Film verhinderbar wäre'", berichten Welt und Tagesspiegel. +++
+++ "Niesende Tiere sind erstens nicht wirklich neu und man sie im Web auch schon lustiger gesehen..." (meedia.des Stefan Winterbauer skeptisch über ein neues Portal, auf das meedia.de gespannt gemacht hatte). +++
+++ Vielleicht ist die Überschrift das beste an Silke Burmesters aktueller TAZ-Medienkriegsreportage: "Wir Journalisten sind wie die FDP", lautet sie. Wer wissen will, ob das bedeutet, dass wir schon abgewählt sind und womöglich nie mehr zurückkommen, oder es doch vielleicht bloß im Gegenteil irgendwie um Susanne Gaschke geht, muss hier klicken. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.