Alexander Dobrindts Masterplan, das "Projekt Gegenaufklärung", Lah-di-dah, die Ironie der britischen Medienregulierung. Internetadressen sind wie Telefonnummern. Helmut Markworts Erfolgsgeheimnis.
Während am Brennpunkt München, im "Biergarten des bayerischen Spezialitätenrestaurants 'Franz Josef'", gerade die mutmaßlich ultimative Antwort auf die die Weltöffentlichkeit weiterhin beschäftigenden Spionageskandale formuliert wurde, und zwar vom Shootingstar der künftigen Bundesregierung (Alexander Dobrindt zu Springers Welt: "Die Digitalisierung der Welt darf nicht zu einer digitalen Weltherrschaft führen, die sich die Vereinigten Staaten von Amerika und China teilen. Die Europäer müssen sich in die Lage versetzen, mit einem digitalen Mega-Cluster die Zukunftstechniken zu beherrschen. Das erinnert an die 70er-Jahre und Franz Josef Strauß...") - wobei diese Biergartenszene zumindest in der Onlineversion leider nicht "aus der Hand von Neo Rauch" gezeichnet worden ist - ...währenddessen also schauen viele Medienbeobachter nach London.
Denn während hierzulande nun "auch die staatsbürgerlichsten Konservativen" (TAZ-Titelseitenappell fürs "Projekt Gegenaufklärung") einen für sie ganz neuen "politischen Handlungsraum" erkennen, handeln Konservative anderswo anders. Die "Maßstäbe..., die in Großbritannien von Regierungsseite an den Spielraum der Pressefreiheit angelegt werden" (sueddeutsche.de), die smarten Drohungen des britischen Premierministers David Cameron gegen britische Zeitungen bzw. halt den Guardian sind Thema deutscher Medienmedien.
Der Tagesspiegel macht erstens auf der Medienseite den Originalbegriff für die in agenturmäßigen Übersetzungen (z.B. bei dw.de) von Cameron als Gefährdung der nationalen Sicherheit kritisierte "Larifari-Haltung" des Guardian gegenüber Geheimdienst-Geheimnissen publik; "Lah-di-dah, airy-fairy view" lautet er (tatsächlich, vgl. Guardian). Zweitens erläutert der Tsp. auf der Meinungsseite den historischen Hintergrund des britischen Regierungsmittels Defence-Notice/ D-Verfügung:
"Seit 1912 werden diese 'Hinweise' einem freiwilligen Gremium aus Vertretern der Presse und dem Verteidigungsministerium ausgehändigt, wenn gewisse Dinge lieber nicht berichtet werden sollen. Statt Zensur ein Gentlemen’s Agreement",
schreibt Matthias Thibaut. Die D-Notice gehört also zur medialen Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, die dieser Tage ja gerne in großen Bögen erzählt wird (während das aktuell häufig kritisierte "Five Eyes"-Konstrukt, die amerikanisch-britische Spionagepartnerschaft, aus dem Zweiten stammt, wie Dominic Johnson in einem großen TAZ-Artikel erläutert). In der Gegenwart aber funktioniert das 101-jährige Agreement nicht mehr unbedingt, wie wiederum Thibaut erwähnt, weshalb Cameron im Understatement auch stärkere Drohungen mitschwingen lässt. Den weiteren tagesaktuellen britischen Hintergrund führt auf deutsch am relativ ausführlichsten Gina Thomas in der FAZ (inzwischen frei online) aus:
"Das hier mitschwingende 'noch', das Cameron durchblicken lässt, nährt die Bedenken all derer, die sich gegen die 'Royal Charter zur Selbstregulierung der Presse' wehren. In dem Entwurf, der heute abgesegnet werden soll, sehen die Zeitungen eine Gefährdung der Pressefreiheit. ... In einem letzten Versuch, das Inkrafttreten der Royal Charter zu verhindern, gehen Zeitungsverbände zweigleisig vor."
Details zum tagesaktuellen "last ditch attempt" der britischen Presse stehen natürlich im Guardian, der ebd. unten auch über das andere Gleis, Selbstregulierungspläne einer neuen "Independent Press Standards Organisation (Ipso)", informiert. Sozusagen die Ironie dabei: All diese Pläne sind Resultate der Aufarbeitung der Skandale um die Murdoch-besessene Boulevardpresse, in deren Zuge alle, vor allem im anglophilen Deutschland noch ziemlich entgegengsetzter Meinung über Großbritanniens vorbildliche Medienregulierung und seine weniger vorbildliche Presse waren (vgl nur z.B. dieses Altpapier von 2011).
Während nun alle, die im voran düsenden Medienwandel Beispiele für nicht nur mutigen, sondern auch noch wirkungsvollen Journalismus suchen, der auf Papier erscheinen kann, aber nicht muss, mit dem Guardian ja großartige Beispiele an die Hand bekommen.
"5. Großbritannien in der EU ignorieren",
rät übrigens in seinem wochenaktuellen Zehn-Punkte-Programm Sascha Lobo (SPON), der sich vielleicht mal im Hofbräuhaus am Alexanderplatz mit Alexander Dobrindt zusammensetzen sollte.
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[+++] Damit zurück in die heterogene Metropole München, wo an gleich zwei weiteren, auf der Medienseite der ortsansässigen Süddeutschen Zeitung einfühlsam beschriebenen Brennpunkten Schlaglichter auf die Medienzukunft geworfen wurden. Erstens "im Untergeschoss des Sofitels, in einem nüchternen Konferenzraum, am Münchner Hauptbahnhof". Dort hat Johannes Boie Fadi Chehadé getroffen, einen "Amerikaner mit libanesischem Hintergrund und klassischer Stanford-Silicon-Valley-Karriere", der außerdem eine der ganz großen Nummern in diesem zum Glück ziemlich dezentral organisierten Internet ist. Chehadé ist Chef der Icann.
Einerseits vermarktet er gerade, auch wenn die Icann ein Non-Profit-Unternehmen ist, die neuen Top-Level-Domains. Wer möchte, kann seine Internet-Adresse bald auf ".berlin" statt ".de" enden lassen. Andererseits deutete er Boie an, die Icann "in eine echte globale Organisation ... verwandeln" zu wollen, "vielleicht mit Sitz in einem neutralen Land wie der Schweiz" statt wie derzeit noch im kalifornischen Marina del Rey - damit nicht alle immer öfter an eine einseitige digitale Weltherrschaft denken.
Dritterseits aber, das räsoniert Boie, während er das Treffen im nüchternen Konferenzraum beschreibt: Wer braucht noch Top-Level-Domains?
"Internetadressen sind bereits heute unwichtiger als vor vier, fünf Jahren. Die Nutzer kennen längst ganz andere Möglichkeiten, um an Inhalte zu kommen. Viele googlen eine Webseite, statt die Adresse einzugeben, bei modernen Browsern wie Firefox oder Chrome spielt es kaum noch eine Rolle, ob eine Adresse korrekt eingegeben wird, die Seite wird so oder so korrekt geladen. ... ... . Ein Nutzer, der einmal Facebook oder Twitter aufruft, kann von diesen Seiten stundenlang auf die unterschiedlichsten Internetangebote gelangen, ohne auch nur eine einzige Internetadresse eingegeben zu haben. So erinnert das System der Adressen ein wenig an Telefonnummern."
[+++] Meanwhile ein paar Straßenzüge weiter, "in der Komödie im Bayerischen Hof in München", da "reckt" Winston Churchill "sein Kinn nach vorne". Mia san wieder also im englischen bzw. anglophilen Milieu:
"Neben ihm steht der Erzbischof von Canterbury. Er mustert den Bauchträger in gestreifter Anzughose und Gehrock neben ihm mit größtmöglicher Geringschätzung. 'Lesen Sie Zeitungen?', fragt der Geistliche. Churchill blickt kühl in die Runde und sagt: 'Nur die vulgären.' Gelächter im Publikum, Abgang Churchill."
Mit diesem sehr szenischen Einstieg beginnt der Artikel oben drüber auf der SZ-Medienseite, auf der er deshalb steht, weil den Churchill Helmut Markwort gibt. "46 Mal auf der Bühne, sieben Wochen lang jeden Abend, am Wochenende ist Schluss. Es gibt Menschen, hört man in der Pause einer Sonntagsaufführung, die das Stück nur seinetwegen besuchen", weiß Claudia Fromme.
Wie zumindest Darmstädter wissen, ist der Focus-Gründer Markwort nicht nur seit jeher Schauspieler, sondern hat auch ein neues Papierjournalismus-Projekt mit gestartet: das Darmstädter Tagblatt, das online unter der nicht sofort vollkommen eingängigen Adresse zeitung-fuer-darmstadt.de zu finden ist und physisch einmal wöchentlich in Darmstadt gratis verteilt wird, wie auch nicht auf Anhieb einleuchtet:
"Den Widerspruch im Titel sieht Markwort nicht zwingend. Er liebäugelt damit, das Blatt häufiger erscheinen zu lassen. 'Zweimal, dreimal die Woche - warum nicht?' Und Stadtteilausgaben. Darüber müsse man doch auch nachdenken. 'Global, lokal, sublokal' ruft Markwort, und es klingt ein wenig wie: Fakten, Fakten, Fakten."
Etwas unklar, ob Markwort permanent im Bühnenmodus ist und daher immer ruft, oder ob Fromme beim Schreiben einfach im Theaterkritikmodus steckte. Auch wenn es eigentlich eher um München und seinen Boulevard in einem ursprünglicheren Sinne geht: Von Markworts Nischen-Konzept, auch wenn das Blatt inhaltlich so lari-fari zu sein scheint, äußert sie sich wiederholt ("Den Lückenschluss hat er perfektioniert. Sonst würde es den Focus nicht geben."/ "Vielleicht ist es genau das. Focus statt Spiegel. Komödie statt Drama. Anzeigenblatt statt Zeitung.") überzeugt.
+++ Je schneller der Medienwandel voran düst, desto sinnvoller klingt der Name des Journalistenpreises "Der lange Atem". Am Dienstag wurde er an die Lausitzer Rundschau-Redakteurin Simone Wendler für "ihre zwei Jahre dauernde Recherche über die rechtsradikale Szene in der Lausitz" vergeben (Berliner Zeitung, Lausitzer Rundschau, DJV, der den Preis vergibt, EPD). +++
+++ "... Drittens: besser nicht die Presse beschimpfen. Denn das ermuntert Journalisten erst recht, nachzulegen. Politiker repräsentieren die Macht, die Medien die Machtkontrolle. Wenn Politiker diese notwendige Rollenverteilung durchbrechen und den Medien die Schuld an ihrem Ungemach geben - dann ist ihr Ende meist nah. Wer keine höhnischen Zeitungskommentare über sich lesen will, wird besser nicht OberbürgermeisterIn", kommentiert Stefan Reinecke (TAZ) die Susanne Gaschke-Sache (Altpapier gestern), so, als seien die Presse, Medien, Zeitungen noch, was sie waren. +++
+++ Eine erste Grundlage zur Berechnung des Umfangs von Snippets? "Bis zu 25 Wörtern" am Stück dürfen Buchverlage zu Blurb-Zwecken aus Rezensionen der FAZ zitieren (Carta). Doch das "bedeutet noch lange nicht, dass andere Zeitungsverlage das genauso sehen müssen". +++
+++ Innenminister Hans-Peter Friedrich hatte gestern "das Pech, im Morgenmagazin ...einer fast schon angemessen kritischen Journalistin gegenüberzustehen", lobt netzpolitik.org Dunja Hayali.+++
+++ "Oft denken JournalistInnen in ihren Geschichten zu national, während die Welt immer globaler wird", daher haben drei Journalistinnen das soziale Journalisten-Netzwerk hostwriter.info, "das sowohl Gastgeber im Ausland als auch Kontakte für und mit Journalisten vermitteln soll", gegründet. Die TAZ stellt es vor. +++
+++ Interessante Analyse von von menschlichen Journalisten verfassten Besprechungen der von Algorithmen bzw. Robotern verfassten Basketball-Berichte der amerikanischen Webseite statsheet.com bei vocer.org: "'Es ist nicht so, dass die Algorithmen von Statsheet so toll schreiben können', meint Forbes-Journalist Jeff Bercovici, 'aber in unserer Ära der nutzergenerierten Inhalte lese ich im Internet oftmals noch schlechtere Texte.'..." "Überraschenderweise kommt nur in zwei von den 68 analysierten Artikeln zum Ausdruck, dass Roboter-Journalismus kein wirklicher Journalismus sei." +++
+++ "Wer sich vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen, wenn es seinen Bildungsauftrag einmal recht ernst nimmt, beeinflussen lässt, dem kann der eventuell noch vorhandene Kinderwunsch schnell vergehen. Doch sind es kaum die Kinder selbst, von denen in solchen Filmen die Probleme ausgehen. Es sind die Eltern..." (Einleitung von Heike Hupertz' FAZ-Kritik zum heutigen ARD-Film "Komasaufen", den sie ambivalent sieht: "Bernd Böhlich (Buch) und Bodo Fürneisen (Regie), die in 'Mein Mann, der Trinker' schon eindrucksvoll gezeigt haben, wie ein Mann zum Alkoholiker wird, gebührt der Verdienst, ... abermals einen Spielfilm zum Thema vorzulegen, der in Schulen und Jugendeinrichtungen als Diskussionsgrundlage wichtige Dienste leisten kann. So etwas nennt man nachhaltiges Fernsehen. Besonders der junge Hauptdarsteller ... ... Aber die Erwachsenenrollen!...") +++ "Trotz einiger mal rührender, mal schockierender Ereignisse am Rande inszeniert Fürneisen das Drama fast nüchtern" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan). +++ Was sagt Tittelbach? Nichts, Volker Bergmeister schreibt bei tittelbach.tv. +++ Die SZ empfiehlt einen japanischen Zeichentrickfilm Hayao Miyazakis auf Arte, der "das ganze männliche Prinzip" zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten "gefangen zwischen Faschismus, Waffen, Flugzeugen, Schmieröl, Schraubenschlüsseln und Machogehabe" zeigt, und zwar in einem Schwein. +++
+++ "Die aktuelle amerikanische Fernsehsaison ist von Gegensätzen geprägt", schildert Nina Rehfeld mit vielen Beispielen auf der FAZ-Medienseite. +++ Die aus dem Inland meldet, dass der WDR seine sozusagen verbraucherjournalistische Reihe "Markencheck" zwar "auf den Prüfstand" stellt, eine Programmbeschwerde der gecheckten Supermarkt-Marke Rewe aber abgelehnt hat. +++ Was den Fernsehverbraucher aufwühlt: "Offen ist, ob ARD ZDF alle 64 Spiele" der nächsten Fußball-WM "übertragen". Falls nicht, werden einige Spiele hierzulande wohl gar nicht übertragen werden (Tagesspiegel). +++
+++ "Progressive Netzpolitik wird nicht mit den christlichen Kirchen verbunden; parteipolitisch, weil die Parteien, die das Christentum im Namen vereinnahmt haben, traditionell auf der gegnerischen Seite zu finden sind, gesellschaftlich, weil Netzpolitik in der Tat bisher nur sehr am Rande in den politischen Beiträgen religiöser Organisationen Thema war": Klar, dass das ein Katholik geschrieben haben muss: Felix Neumann, Mitglied des Zentralkomitees der Katholiken, der mit dem netzpolitisches Grundsatzpapier dieses ZdK und "auch mit den Reaktionen" darauf "sehr zufrieden" ist (Carta). +++
+++ "... taz2 ist ein Ruckmedium, getrieben vom kalten Instinkt seiner MacherInnen. taz2 gibt zu viel Geld aus. taz ist der Sack Reis des Medienbetriebs, der jeden Tag umfällt, um erhobenen Hauptes wieder aufzustehen" (die TAZ-Kriegsreporterin in einer schön ambivalenten Laudatio; unklar, ob im letzten Satz des Zitats Säzzer eine "2" gelöscht haben...) +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.