Zombie-Klumpatsch

Die klügsten Vordenker sowie zwei Feinde des Journalismus, die nächsten Zeitungs-Schließungen, ein fun fact über die bekannten Münchener Medientage und ein Trinkspiel auf Pro Sieben.

Gibt es ein aktuelles Ranking der klügsten Vordenker im deutschen Journalismus zum Durchklicken?

Journalismus-Professor Stephan Weichert nennt als einen von ihnen den sueddeutsche.de-Chefredakteur Stefan Plöchinger, aus einem von dessen Essays er in seiner neuesten ins Internet gedruckten Rede (vocer.org) zitiert. Zugleich lässt Weichert durchblicken, dass auch Wolfgang Blau, aus dessen wohl jüngster Rede er ebenfalls zitiert (und dieses Internet wäre nicht dieses Internet, wenn eventuelle Interessenten sich dort nicht auch diese, die laut Carta "wie gewohnt, mit reichlich Denkanstößen" gespickt war, anhören und -sehen könnten), dazu gehört.

Jedenfalls, falls solch ein Ranking existierte, würde Sascha Lobo nicht allein aus Frisurvariationsgründen vorkommen müssen. Mit wöchentlich wachsender Vehemenz scheint Lobo die sonst in sämtlichen Vordenkerreden selbstverständliche These, "dass das Publikum wichtiger wird" (Weichert), zumindest zu relativieren. Aktuell erklärt er "das Desinteresse des Publikums" zu einem von insgesamt nur zwei Feinden des Journalismus.

In starken Worten schilt Lobo diese "Trägheit des Publikums":

"'Och, immer noch Snowden, gibt es kein anderes Thema?', das ist eine natürliche Reaktion des Medienpublikums, die man journalistisch aushalten und überwinden muss. Sie käme nach drei Monaten bei ausnahmslos jedem Thema, außer wenn der Mond explodiert (vielleicht) oder bei einer Rentenkürzung (sicher). Die Politik des Aussitzens funktioniert überhaupt nur, weil nach zwölf Wochen ohne spürbare Konsequenzen auch der größte Skandal als schal empfunden wird. Es folgen Desinteresse, Selbstberuhigung, Bundesliga-Start. Das ist der eingebaute Aufmerksamkeitsdarwinismus in den Köpfen..."

Und mit diesem langen Absatz sind noch längst nicht alle wichtigen Sätze zum Thema zitiert. In den Vordenker-Charts sollte Lobo ein paar Plätze gut machen. Andererseits performt er wie gesagt bei Spiegel Online, einem Portal also, das nicht gerade im Ruf steht, eventuelle Trägheit des digitalen Medienpublikums grundsätzlich zu bekämpfen. Deshalb steigt Lobo in seinen Appell auch nicht mit seinen moralisch-didaktischen Thesen ein, sondern aus eher aufmerksamkeitsdarwininistischen denn inhaltlichen Gründen mit einem bekannten Prominenten, der gerade einen neuen Kinofilm am Start hat. Lobo schildert erst mal die schon ältere Filmszene, in der Helge Schneider als Zeitungsbote frühmorgens "bei strömendem Regen" versucht, "klitschnasse Zeitungen in die Schlitze einer metallenen Briefkastenwand zu stopfen".

Hier, im Videoportal des NSA-Premium-Kollaborateurs Google, kann man die Szene ansehen und in den ersten Sekunden auch erkennen, was für Zeitungen es genau sind, deren Aggregatzustand im Verlauf derselben Szene dann als "nasser Klumpatsch" beschrieben wird. Es sind (wer weiß, dass Schneider seine Filme in seiner Heimatstadt Mülheim an der Ruhr zu drehen pflegt, wusste es sowieso), Exemplare der WAZ.

[+++] Damit zur unmittelbaren Tagesaktualität.

"Damit stellt die FUNKE MEDIENGRUPPE sicher, dass die Bevölkerung in Castrop-Rauxel sich auch zukünftig über das Geschehen vor ihrer Haustür, in der Region, in Deutschland und weltweit aus der 'Westdeutschen Allgemeinen Zeitung' und der 'Westfälischen Rundschau' informieren kann und die Titel- und damit Medienvielfalt vor Ort bestehen bleibt",

steht mit helgeschneiderhaftem Humor in einer frischen Pressemitteilung (PDF) der Funke-Mediengruppe, also The Group formerly known as WAZ (Altpapier). Das heißt: Das im Januar (siehe ebenfalls Altpapier) für die Westfälische Rundschau initiierte Rezept, eine Redaktion aufzulösen, die bislang von ihr erstellte Zeitung aber als kostenpflichtig abonnierbares Trägermedium für anderswo erstellte Inhalte sowie natürlich für Werbung bestehen zu lassen, greift um sich. Jetzt gibt es nicht mehr nur eine Zombiezeitung im Ruhrpott. Zugleich heißt es aber auch, dass die Bevölkerung in Castrop-Rauxel sozusagen noch froh sein kann, da die Bevölkerung in Dorsten künftig ganz auf die WAZ verzichten muss. Dort stellt die Zeitung ihr Erscheinen ein.

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Neu ist das Ganze freilich nicht mehr (Och, schon wieder 'ne Zombiezeitung). Einstweilen hält sich die Aufmerksamkeit in Onlinemedien- sowie regionalen Grenzen. "Nach einem kurzen Investitionsfeuerwerk durch den Kauf zahlreicher Springer-Titel, ist die Funke-Mediengruppe nun wieder bei ihren üblichen Streich- und Sparmeldungen angekommen", führt dwdl.de den Funke'schen Humor-Tonfall fort. Der KSTA hat die EPD-Pressemitteilung. Die Ruhrbarone haben ein passendes Foto, der Blog medienmoral-nrw.de ahnt "nichts Gutes ...für die 900 neuen Kolleginnen und Kollegen aus Berlin und Hamburg, die 2014 zum Konzern dazu stoßen sollen", also die Beschäftigten der zum Springer-Konzern gehörenden Zeitungen und -Zeitschriften, für deren Zukauf der Funke-Konzern ja noch auf kartellrechtliche Okay warten muss.

Außerdem muss Mehrheitseignerin Petra Grotkamp "enorme Bankkredite bedienen", was mit den Eigentumsverhältnissen in der ehemaligen WAZ-Gruppe zu tun hat, weiß Bülend Ürük und malt bei newsroom.de das apokalyptischste Zeitungszukunfts-Szenario an der Ruhr:

"Wetten, ob es den Konzern in fünf, in zehn Jahren noch geben wird, werden längst in Redaktion und Verlag abgeschlossen",

schreibt er, und vier Absätze später:

"Weitere Schließungen sind nicht nur nicht auszuschließen, sie werden im Unternehmen sogar erwartet. Einzig über den Zeitpunkt wird noch spekuliert."

[+++] Hätten Sie's gewusst? Der Zeitpunkt, an dem die neueren deutschen Diskussionen übers Zeitungssterben begann, liegt noch kein ganzes Jahr zurück. Vielmehr wurde letztes Jahr noch bei einem der wichtigsten unter den keineswegs wenigen deutschen Medienkongressen, bei den Medientagen München von einem der dort vertretenen damaligen Vordenker bekanntgegeben:

"Übrigens, aller Print-Skepsis zum Trotz: Die 'Financial Times Deutschland' soll auch die nächsten fünf Jahre fünfmal wöchentlich in gedruckter Form erscheinen. Auf diese Aussage ließ sich Thomas Henkel, Leiter Unternehmensentwicklung Gruner+Jahr, bei einem anderen Medientage-Panel festnageln."

Erst im November '12 kam das Ende der überregional verbreiteten FTD und nahm die Zeitungssterben-Diskussion Fahrt auf. Dieser Fun Fact aus einem im letzten Oktober erschienenen wuv.de-Bericht von den damaligen Medientagen machte nun via @frankzimmer die Runde und auf die heute wieder beginnenden Medientage gespannt. "Immerhin ist die Veranstaltung inzwischen wie ein guter, böser Witz: Die Pointe erschließt sich oft erst spät", subsumiert der Berater-Sunnyboy Thomas Knüwer in seinem Blog indiskretionehrensache.de (wo er zugleich eine "massive Personalabbaurunde bei der 'Süddeutschen Zeitung'" prophezeit).

Immerhin debütiert heute, in diesen Minuten, als Moderatorin der einleitenden Elefantenrunde, die TAZ-Chefredakteurin Ines Pohl (das entsprechende Pressemitteilungs-PDF, auf dem ihr Porträtfoto zwischen den jeweils lächelnden Horst Seehofer und Ulrich Wilhelm Haltung bewahrt, könnte man sich beinahe ausdrucken wollen, wenn man nicht an die Umwelt denken würde). Mehr dazu gewiss morgen an dieser Stelle.
 


Altpapierkorb

+++ Eine faszinierende kleine Reportage über @NikolausBlomes ersten Arbeitstag beim Hauptstadtbüro des Sturmgeschützes der Demokratie bietet der Tagesspiegel. +++ Noch größer und faszinierender, offenbar nur online ebd. zu haben: die Reportage aus dem Alltag des Privatfernsehens, von einem zum "Saufgelage" eskalierten "Trinkspiel" in der Pro Sieben-Show "Circus Halligalli" mit Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf sowie einem prominenten Gast: "'Ich bin schon so betrunken', flüsterte [Matthias] Schweighöfer zwischendurch leise in sein Mikrofon, kippte dann aber munter weiter ein Glas nach dem anderen. Nach wenigen Minuten hatten die Moderatoren und ihr Gast wohl jeweils mehr als zehn Gläser geleert. Während Heufer-Umlauf offensichtlich noch bemüht war, Fassung zu bewahren, kicherten Schweighöfer und Winterscheidt vor sich hin..." Auch wenn Pro Siebens Jugendschutzbeauftragter das für unbedenklich hält, wolle die Medienaufsicht Berlin-Brandenburg "sich die Ausgabe vom Montagabend noch einmal ansehen". +++

+++ Wie man das digitale Publikum fesselt, weiß Glenn Greenwald, der in seinem Blog von einer "once-in-a-career dream journalistic opportunity that no journalist could possibly decline" schreibt, ohne sie schon näher zu erläutern. Wer wissen will, für welchen Traumjob der Snowdon-Vertraute und Star-Enthüllungsjournalist seinen Guardian-Posten aufgibt, muss dran bleiben. +++ Auf in etwa demselben Themenfeld und unter der Überschrift "Wenn Obama ruft, spurt sie schon" bestreitet Patrick Bahners auf der FAZ-Medienseite, dass die New York Times-Chefredakteurin Jill Abramson die "Heldin der Pressefreiheit" sei, als die sie vom Guardian gefeiert werde. +++

+++ "Steinigt mich, ich schreibe für die Huffington Post!" Falls die deutsche HuffPo sich wirklich durchsetzen sollte, würde auch Karsten Lohmeyer von lousypennies.de in die Riege der führenden Vordenker aufgenommen werden müssen. Unabhängig davon sind Thesen wie "Wir Journalisten brauchen mehr Freude an den Experimenten. Mehr Staunen. Mehr große Augen. Mehr Offenheit und manchmal pure Naivität und Kreativität im Umgang mit dem Internet" für jede Journalismusstudiengangseröffnungs- oder -studiumsabschlussrede anschlussfähig. +++

+++ Die vielleicht klügste Erklärung zum zwar bereits geltenden, aber noch kaum angewandten Leistungsschutzrecht: "Bei einem Zitat, das als Beleg für eine Aussage in einen eigenständigen Text eingebettet ist, besteht kein Vergütungsanspruch. Bei einem Zitat, das aus einem Text nur herausgerissen wird (= Snippet), also in keinen eigenständigen Text eingebettet ist, besteht ein Vergütungsanspruch" (Carta). +++

+++ Sehr öffentlich-rechtlich heute die SZ-Medienseite: Ralf Wiegand kümmert sich um Johannes B. Kerners Comeback im ZDF morgen abend mit "Die große Zeitreise-Show". Daniel Bouhs, beschreibt, "wie die öffentlich-rechtlichen Sender mit heiklen Kommentaren auf den Internetportalen umgehen", und mit Shitstorms. +++

+++ Und um einen der meistbeprochenen Fernsehfilme des Jahres geht es, um "Alaska Johansson" (heute um 20.15 Uhr in der ARD) mit Alina Levshin. "Man fühlt sich eher wie in einer spätromantischen Gruselnovelle. Und weil sich mit der Auflösung des Rätsels um Alaska Johansson für alle Symbole so wunderbar einfach ein Schlüssel finden lässt, hat man hinterher dann auch ein Erfolgserlebnis wie im Deutschleistungskurs", schreibt in der SZ Katharina Riehl, eine der skeptischeren Stimmen. +++ Das "Ende ..., das alles auf den Kopf stellt", gefiel FAZ-Rezensentin Britta Beeger: "Plötzlich ist alles klar, und kaum ist die letzte Szene vorbei, will man den Film am liebsten noch einmal von vorne schauen". +++ "Natürlich muss man es mögen, sich konsequent zum Narren halten zu lassen, sonst macht der Film keinen Spaß", schreibt hier nebenan Tilmann P. Gangloff.  +++ "Sehr undeutsches Fernsehen", würde Jens Müller (TAZ) sagen. +++ "Großes, krankes, gewaltiges Fernsehen" (Christian Buß, SPON). +++ "Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte", und zwar zwischen den Ausrufen "Kunstkacke!" und "Deutscher Fernsehpreis!", meint Markus Ehrenberg (Tsp.). +++

+++ Außerdem in der FAZ: Lob fürs Völkerschlacht-Fernsehen des MDR; ein kleiner Nachruf auf Dieter Ertel (die von ihm "mit Roman Brodmann vorangetriebene 'Stuttgarter Schule' des Dokumentarfilms veränderte nicht nur Fernsehen und Film, sondern auch die Seh- und Denkweise der Deutschen mit naheliegenden, aber gern vernachlässigten Themen wie Bausünden beim Wiederaufbau, Massentourismus, Autokult..."); auf der Serien-Seite 29 ein gut gelaunter Daniel Haas-Bericht über seinen Besuch bei den serienjunkies.de ("Winzige Redaktion, große Leidenschaft..."). +++

+++ Das eigentlich sehr Hanfeld'sche Thema, dass offenbar "vier Chefs von drei Anstalten" der ARD nach Neu-Delhi flogen, um einem neuen Korrespondenten im Hörfunkstudio "einen Blumenstrauß [zu] überreichen", nämlich "der Hörfunkdirektor des WDR, Wolfgang Schmitz, der des NDR, Joachim Knuth, und Claudia Spiewak, die Chefredakteurin des NDR" sowie "Wolfgang Fandrich, stellvertretender Chefredakteur Fernsehen des MDR", greift die TAZ-Kriegsreporterin auf. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.