Lernen von den Enten

Hört, hört: Mathias Döpfner sagt, er halte nichts von „Kampagnenjournalismus“. Sascha Lobo findet, Günter Grass sei „ein evidenzaverser Ichling“. Diverse Ichlinge schreiben über das Ende von „Breaking Bad“. Außerdem: Ist Halbbildung das halbe Journalistenleben?

Am Montag ging in der Industrie- und Handelskammer Berlin ein „Frühstückstalk“ über die Bühne, und normalerweise interessieren uns solche Veranstaltungen ja eher weniger, aber gefrühstückt und getalkt hat dort nun Mathias Döpfner, der lange Mann der Axel Springer AG, und gefordert hat er dort auch etwas:

„Wir brauchen ein Ministerium, das sich mit der Kreativindustrie befasst“.

So zitiert ihn der Tagesspiegel. Da auch auf der To-Do-Liste der nächsten Merkel-Regierung Forderungen aus dem Hause Springer nicht allzu schlecht platziert sein dürften (siehe Leistungsrecht), kann man davon ausgehen, dass hierüber in den nächsten Tagen noch viel geredet wird. Ein Internet-und-mehr-Ministerium stellt sich Döpfner wohl vor, auch wenn der Berichterstattung noch nicht allzu viel Konkretes zu entnehmen ist. Die Idee eines Internet-Ministeriums hat neulich beispielsweise auch der Spiegel-Online-Redakteur Ole Reißmann skizziert hat (siehe Funkkorrespondenz bzw. Altpapier), aber er dürfte weitgehend etwas anderes im Sinn haben als der Springer-Vorstandsvorsitzende. Ein indirekt wiedergegebenes Zitat aus der Berliner Morgenpost, also einer Zeitung aus Döpfners Laden, hilft ein bisschen weiter:

„Nach britischem Vorbild wünsche er sich, dass eine neue Regierung stärker die Fachkompetenz etwa für Internet, Digitalisierung und Urheberrecht wahrnimmt.“

Das könnte wiederum heißen, dass Döpfner den Zuschnitt dieses britischen Ministeriums janz jut findet.

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Mindestens ebenso interessant wie die Forderung nach einem neuen Ministerium, ist, was Sonja Álvarez für den Tagesspiegel auch noch notiert hat:

„Auch wenn Döpfner sich am Montag als Politikberater versuchte, bestand er darauf, dass die Springer-Zeitungen unparteiisch seien: ‚Wo immer Zeitungen versuchen, mit einer Intention Einfluss zu nehmen, sind sie auf dem Holzweg. Der Journalist wird dann zum Propagandist.“

Falls Sie jetzt noch nicht noch von Stuhl gestürzt sind, halten Sie sich fest, es wird noch drolliger (und man fragt sich, was die da so frühstücken in der IHK):

Kampagnenjournalismus sei ihm fremd“,

soll Döpfner nämlich auch noch mitgeteilt haben, und im Vorspann des Tagesspiegel-Artikels ist dieser Aspekt zusammengefasst mit den Worten:

„Journalisten rät er von Versuchen politischer Einflussnahme (...) ab.“

An dieser Stelle die an nicht unerfolgreichen Einflussnahmeversuchen reiche Geschichte der Springer-Zeitungen zusammenzufassen, ist vielleicht etwas müßig, also lösen wir es mal anders: Wenn Döpfner so etwas sagt, ist das ungefähr so, als rate der Vorstandsvorsitzende von VW oder Daimler seinen Mitarbeitern, keine Autos zu bauen, und tue er kund, Kraftfahrzeuge seien ihm fremd. Stefan Winterbauer greift diesen Aspekt zwar nicht auf, hat aber bei meedia.de etwas anderes an den Wortmeldungen Döpfners auszusetzen.

[+++] Wenn man Günter Grass fragte, was er von einem Irgendwas-mit-Internet-Ministerium hält, würde er wahrscheinlich sagen, das sei doch Scheißdreck, man möge die Steuergelder doch bitteschön anders ausgeben. Fürs FAZ-Feuilleton vergleicht Sascha Lobo nun Grass‘ kürzliche Ausführungen zum Internet bzw. „Facebook und all dem Scheißdreck“ mit substanzielleren Betrachtungen von Botho Strauß:

„Von diesem ‚Scheißdreck‘ hat Grass, nur unwesentlich abgerundet, null Kommanichts je selbst erfahren, betrachtet, analysiert. Es komplettiert sich das Bild eines Mannes, dessen hartes Urteil sich allein aus seinem weichen Bauchgefühl speist.“

Kürzer gesagt: Grass sei „ein evidenzaverser Ichling“. Aus dem Umstand, dass Strauß auf diesem Themenfeld wesentlich mehr zu bieten hat als sein noch älterer Schriftstellerkollege, schließt Lobo:

„Jede denkende, jede fühlende Person wäre lieber rechts mit Botho Strauß als links mit Günter Grass.“

Der Satz funktioniert aber schon deshalb nicht so recht, weil Günter Grass noch weniger „links“ ist als, sagen wir mal: der Spiegel.

„Vom Genre der Besserhalbwisserei“ lautet im übrigen die Headline, und dieses Genre ist im Meinungsmultiplikationsbetrieb ja nicht gerade klein. Was uns zu Harald Martenstein führt, der nicht so alt ist wie Grass, aber ähnlich verkalkt. Wir kommen da jetzt drauf, weil sich die Naturwissenschaftlerin Barbara Kirchner im Literatur-Spezial der Oktober-Ausgabe von konkret durch Martensteins brettergymnasiale Äußerungen zum Thema Gender zu folgendem Rundumschlag inspirieren lässt:

„Natur- und geisteswissenschaftliche Halbbildung (...) ist die neue Vulgärreligion für Meinungsdeppen der Informationsgesellschaft.“

So gesehen, ist Halbbildung das halbe Journalisten- bzw. Großschriftstsellerleben.

[+++] Eines der instruktivsten längeren Stücke, die der Medienjournalismus gerade zu bieten hat, steht im neuen New Yorker: Es geht um die globale Strategie des Guardian, die Geschichte des Blattes und die finanziellen Perspektiven. In weiten Teilen ist es aber auch ein Homestory-Elemente nicht aussparendes Porträt des Chefredakteurs Alan Rusbridger, und besonders hübsch ist ein Satz, den der Autor Ken Auletta dem Journalismusprofessor und Ex-Guardian-Mann David Leigh entlockt hat:

He’s like a duck: he appears to glide along the water, but the legs are paddling furiously.”

Leigh muss es wissen, denn Rusbridgers Schwager ist er auch noch. Vorausgesetzt, man hält das, was Rusbdriger tut und in den letzten Jahren getan hat, für erfolgreich, lässt sich aus Leighs Einschätzung ein Rat für Chefredakteure ableiten: Einfach mal die Enten beobachten, dann wird es schon hinhauen mit der Bewältigung des Medienstrukturwandels.

Im New-Yorker-Text kommen konkret auch die Enthüllungen in Sachen Prism vor - was wir aber oben nicht erwähnt haben, um an dieser Stelle überleiten können zu einer anderen Geheimdienst-Causa, nämlich zur aktuellen Verfassungsschutz-Affäre niedersächsischer Machart (siehe diverse Altpapier seit diesem). Bei Vocer äußert sich Kai Budler, einer der von der geheimdienstlichen Überwachung betroffenen Journalisten. Unter anderem ist die Rede on „sechs Einträgen“, die die Behörde ihm mitgeteilt habe und

„die (...) überwiegend meine berufliche Tätigkeit betreffen. Unter anderem hat der Geheimdienst die ‚Erkenntnis‘, dass ich ‚Mitarbeiter des Göttinger Radiosender Stadtradio‘ bin, außerdem soll ich an einer Demonstration nach dem Reaktorunfall in Fukushima teilgenommen haben. Falsch, denn ich habe über die Demonstration für das Lokalradio berichtet - ähnlich verhält es sich mit zwei weiteren Einträgen zu Demonstrationen in Göttingen. Auch einige Seiten aus der Akte, die mein Anwalt erhalten hat, geben Rätsel auf: darin enthalten sind Aufrufe zu Demonstrationen in Halle und Leipzig, die ich gar nicht besucht habe, sowie Flugblätter von Greenpeace und der Aufruf zu einem feministischen Stadtrundgang in Göttingen.“

So wichtig es ist, die Rechtsstaatsfeindlichkeit der Verfassungsschutzaktionen (insbesondere die Aushebelung des Informantenschutzes) immer wieder zu betonen - ein Aspekt in der bisherigen Berichterstattung scheint mir unterrepräsentiert zu sein: Wenn finstere Gesellen aus dem Staatsapparat die Arbeit eines Journalisten als Bedrohung auffassen oder sich davon sonstwie unangenehm tangiert fühlen, und wenn sie deshalb meinen, diesen Journalisten überwachen zu müssen - dann kann der Kollege oder die Kollegin ein bisschen stolz darauf sein, zumindest das eine oder andere richtig gemacht zu haben

[+++] Die Gefahr, dass „irgendeine Pfeife“ das Ende von „Breaking Bad“ ausplaudert, kam bereits gestern im Altpapier zur Sprache. Gefährlich in dieser Hinsicht sind heute nicht nur irgendwelche Pfeifen, sondern u.v.a. auch quasi Top-Pfeifen wie Joachim Huber (Tagesspiegel) und Nina Rehfeld (FAZ). 

„Wer den Schluss selbst sehen will, sollte diesen Text nicht lesen“,

steht in der FAZ zumindest im Vorspann der Online-Fassung. In der Printfassung des Textes fehlt der Satz, und diese Version hat dann auch noch den Nachteil, dass man selbst dann, wenn man den Text nicht lesen will, weiß, wie es ausgeht (siehe @niggi). Im Tagesspiegel steht die Spoiler-Warnung schon in der Headline („Achtung! Achtung! Achtung! Hier wird das Ende von ‚Breaking Bad‘ verraten“). „Überall lauern die Spoiler, die die Cliffhanger, Wendungen oder gar das Ende verraten“ hatte Iris Alanyali - sie zählt zu den Zeitgenossen, „die nicht sämtliche Folgen schon im Internet gesehen haben, notfalls mit geliehener Kreditkarte“ oder „anonymisierender Web-Adresse“ - bereits am Wochenende in der Welt beklagt.

Zu diskutieren wäre aber noch, ob man einen Text über eine Serienfolge nicht auch schreiben kann, ohne den Ausgang zu verraten. Viele, viele Rezensenten haben in der auch nicht mehr so ganz kurzen Geschichte der Literatur- und Filmkritik bewiesen, dass es möglich ist, gerade dann, wenn es auf die Spannung ankommt, das Entscheidende nicht zu erwähnen. Dafür scheint es vielen Serienrezensenten aber an der nötigen Distanz zum Gegenstand zu fehlen. Ich! Ich! Ich! weiß, wie es ausgeht - das würden einem vieler dieser Texte auch dann entgegen schreien, wenn die Spoiler-Warnungen fehlten. Es geht diesen „Ichlingen“ (Lobo) nur darum, das eigene Fantum auszuleben (womit nicht gesagt sein soll, dass das immer schlecht ist). 

Bedenkenlos lesen kann man im übrigen einen von The New Inquiry aus aktuellem Anlass republizierten Essay zu „Breaking Bad“ aus dem Jahr 2012. Es geht um „the show’s racial politics“  bzw. - um es mit @phwampfler zu sagen - darum, dass die Serie
„die Phantasien wohlhabender weißer Menschen bedient“.


ALTPAPIERKORB

- Der Aufmacher der SZ-Medienseite beschäftigt sich damit, wie es dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Griechenland gerade geht: „Vor ein paar Monaten schaltete die Regierung den öffentlichen Rundfunk Griechenlands ab. Ein wenig wird heute wieder gesendet - doch niemand weiß, wie es weitergehen soll.“ Elliniki Dimosia Tileorasi heißt das Nachfolgeprogramm. „Aus dem Staats-TV ist eine Art Piratensender im Internet geworden“, man habe es zu tun mit „einer Neugründung, wie man sie sonst nur aus Zeiten nach Kriegen oder Revolutionen kennt“, schreibt Christiane Schlötzer.

„Frank A. Meyer steht am Herd in seiner Berliner Küche, an der Tür klingelt es: Peer Steinbrück und Gerhard Schröder kommen zum Nachtessen.“ So stimmt uns Focus - nicht das Montagsmagazin aus München, sondern eine Sendung des Schweizer Senders SRF 3 - auf ein Interview mit einem Mann ein, der hansdampfend in sehr vielen Schweizer Mediengassen unterwegs ist.

+++ Die NZZ zeigt und kommentiert eine Weltkarte der weltweit meistbesuchten Websites.

+++ Zeit-Redakteur Bernd Ulrich komprimiert in einem Tweet die beiden aktuellen Spiegel-Medienressortgeschichten (eine über Ines Pohl, siehe Altpapier vom Montag, und eine über die Vergangenheit von Ulrichs Laden).

+++ Ein möglicherweise auch auf deutsche Verhältnisse zu übertragender Text darüber, wie die BBC auf das sich verändernde TV-Nutzungsverhalten von Kindern reagieren sollte, steht im Guardian: „(A) myth worth exploding is that kids only watch kids' TV programmes and channels. That has never been the case. Kids have always watched mainstream entertainment, films and sport, usually with adults present in the same room. What's changed is that kids are seeking out, at an increasingly young age, dramas with adult characters and plotlines on mainstream channels (...) The BBC must accept that kids increasingly choose by programme rather than channel brand, and should build deeper relationships with these important new entrants. When they become adults, today's children may watch entirely from a menu of programmes delivered by the internet to multiple connected devices, without a main TV in the home.“

+++ „Welche hintersinnigen und poetischen Glanzstücke entstehen, wenn man Autoren vertraut und sie – ohne jede Rücksicht auf die schöne neue Digitalwelt – mit der Kamera das Alltagsleben einfangen lässt, beweisen die herausragenden Beiträge aus ‚Hier und Heute‘ (WDR) und ‚7 Tage‘ (NDR)“ - Oliver Jungen (FAZ-Medienseite) lobt diese beiden, von ihren Sendern versteckten Dokureihen, die Ende der vergangener Woche auf dem Kölner Symposium „Reclaim Television“ präsentiert wurden (siehe auch die gestern ganz unten im Altpapierkorb verlinkten Tagungsberichte)

+++ Für unsere Leser in Hamburg und Umgebung: Beim Filmfest Hamburg ist heute die Dokumentation „Innere Blutungen“ zu sehen, eine filmische Umsetzung von „true stories“, die auf Artikeln beruhen, die zwischen 1965 und 1975 in der österreichischen Regionalpresse erschienen sind.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.