Bundespräsident Gauck überrascht mit einer klugen Medienzukunfts-Rede, das Magazin "journalist" mit einem weniger cleveren Schachzug. Facebook beziffert seine deutschen Nutzer. Und der WDR macht erste Andeutungen über die aktuellen Rundfunkgebühren-Einnahmen.
"Gauck: Glaubwürdige Zeitungen haben eine Zukunft", heißt die Meldung bei DPA und Tagesspiegel. "Gauck: Zeitungen brauchen Mut und neue Geschäftsmodelle", heißt die EPD-Meldung hier nebenan, wo die Kollegen ja nicht an eine gedruckte Zeitung angeschlossen und daher in der Zeitungszukunftsfrage unbefangener sind. Jedenfalls hat Bundespräsident Joachim Gauck auf dem Kongress des Zeitungsverlegerverbands BDZV im "Elbflorenz" (Hamburger Abendblatt) Dresden eine Rede gehalten und ist damit der Topstar der heutigen Medienmedien-Meldungen. Meldungen zu verbreiten gehört schließlich zum Markenkern von Verlegern.
"Bundespräsident Joachim Gauck prognostiziert den Zeitungen eine goldene Zukunft, wenn sie weiterhin in Qualitätsjournalismus investieren",
lautet die Bildunterschrift zum dritten Teil der 40-teiligen Fotostrecke "Moderne trifft Tradition beim Zeitungskongress 2013", die derzeit auf bdzv.de oben steht. "Joachim Gauck: Google kann nicht Geist und Gespür eines Reports ersetzen" lautet die darunter platzierte Meldung in eigener Sache über die "gut 30-minütigen Rede" des Staatsoberhaupts bzw. Stargasts, die die hier gerade eingerückte Formulierung geschickt variiert ("Bundespräsident prognostiziert Zeitungen mit hochwertigem Qualitätsjournalismus glorreiche Zukunft"). Bisschen staatstragend, was der Präsident so sagte, aber den Staat zu tragen ist ja auch der Markenkern eines Bundespräsidenten.
Der Berichterstatter der Süddeutschen, Cornelius Pollmer, bricht Gaucks Formulierungen auf das "Credo: Wird schon, irgendwie" herunter und leitet seinen knappen Bericht darüber mit einer "Kaninchenzüchterverein"-Metapher ein, die Gauck offenbar ebenfalls verwendete. In dem Zusammenhang zitiert auch Pollmer "Geist und Gespür", die Google nicht ersetzen könne. Das ist bei genauerer Betrachtung ja keine üble Formulierung, allmählich könnte man beginnen, sich tatsächlich für das zu interessieren, was Gauck genau gesagt hat. Wenn man im Artikel des Hamburger Abendblatts über die nicht ganz leicht erträgliche Launigkeit ("ein bisschen Branchenseelsorge vom Staatsoberhaupt kann nicht schaden") hinwegsieht, und darüber, dass Reporter Marc Reichwein erst mal einen Hajo-Schumacher-Scherz über iPads zitiert, bevor er auf die wichtigeren Dinge zu plaudern kommt, findet sich auch ein im Artikel dort ein richtig guter Satz des Bundespräsidenten versteckt:
"Hier schließt ein Hauptstadtbüro, dort wächst die Landlust."
Die FAZ handelt die Veranstaltung im Wirtschaftressort ab; online trägt ihr Text zurzeit die etwas seltsame Überschrift "Bundespräsident macht Mut: Verlage wollen Digitalgeschäft an sich reißen". Er zitiert erst mal aus anderen Reden, die in Dresden so gehalten wurden ("Medien müssen mehr Technologie wagen", brachte Springers Peter Würtenberger u.a. als Erfahrung aus dem Silicon Valley mit...) und dann den Bundespräsidenten mit "Mit 140 Zeichen kann man keine Grundsatzdebatte führen, aber auf Orte der Debatte verweisen." Das ist nicht umwerfend, aber auch nicht falsch - für Äußerungen hochrangiger Politiker über Twitter durchaus bemerkenswert.
"Am Ende war es der Bundespräsident Joachim Gauck, der die Aufgabe des Journalismus klarer auf den Punkt brachte, den Arbeitsalltag in Redaktionen besser erfasste, die Erwartungen der Leser und die Probleme der Verleger präziser umriss als all seine Vorredner beim diesjährigen Kongress des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger",
bringt es Ulrike Simon in der Berliner Zeitung auf den Punkt. Simon ist eine der Journalistinnen, die mitunter ziemlich kritisch über Mediendingen berichten, gut vernetzt sind und dennoch wirklich existieren (dieser Aspekt spielt weiter unten noch eine Rolle). In ihrem Text sind weitere Samples aus der Gauck-Rede enthalten, die anderswo nicht zitiert werden, wie:
"Qualitätsjournalismus definiere sich schließlich nicht über das Papier, sondern sei eine Methode, und die 'mit Fotos aufgehübschte Sammlung von PR- und Agenturmeldungen' noch lange keine gute Zeitung. Gauck wünschte den Verlegern daher Mut bei der Suche nach zusätzlichen Finanzierungsquellen, warnte jedoch zugleich vor den unübersehbaren Risiken bei der Transformation der Zeitungsverlage in multimedial aufgestellte Unternehmen mit ganz neuen Geschäftsmodellen."
Und endlich erscheint, was der Präsident sagte, wie eine richtig gute Rede zur Lage der gedruckten und der anderen Presse. Um den Service komplett zu machen, verlinkt die BLZ auch noch zum Originaltext auf bundespraesident.de. Dort stehen 17.350 Zeichen, die sich durchzulesen lohnt. Nur zum Beispiel:
"Wie stark das Internet die Verbreitung und den Stellenwert von Nachrichten noch beeinflussen wird, können selbst die klügsten Zukunftsforscher bisher nur bruchstückhaft erahnen. Das Ausmaß des Wandels ist für niemanden absehbar. Manches unterschätzen, aber anderes überschätzen wir wohl auch."
Hat ein hochrangiger deutscher Politiker bei einem offfiziellen Anlass schon mal so klug übers Internet geredet?
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[+++] Wie eigentlich immer, kommt eine Menge frisches Bonusmaterial herein, das die Zeitungszukunftsdebatte mit frischen Zahlen und anderen Vergleichen flankiert. Zum Beispiel können deutsche Facebook-Nutzer-Zahlen "die ungefilterte, oft emotional getriebene Massenkommunikation im Netz" (Gauck) illustrieren: "Nach neuen Angaben des Unternehmens nutzen 19 Millionen Menschen Facebook jeden Tag", und zwar in Deutschland, so das Netzwirtschaft-Blog der FAZ. Der dafür zuständige Manager F. Scott Woods demonstriert mit Exklusivaussagen à la "Auch mobil sind wir schon ein Massenmedium, das zum Beispiel Einschaltquoten von manchen Fußballspielen in der Champions League deutlich in den Schatten stellt", dass er deutschen Marketingjargon beherrscht).
Zum Beispiel bringt die BLZ einen lesenswerten Bericht darüber, wie in China Journalisten "ideologische Qualität" beigebracht wird, die mit hiesigen Qualitätsansprüchen wenig zu tun hat, und macht also darauf aufmerksam, dass der auch in hiesigen Journalismusdebatten oft strapazierte Begriff äußerst relativ ist. Zum Beispiel stellt Stephan Dörner bei Carta einen originellen Vergleich zwischen der Zeitungs- und der Computerindustrie an und fragt, ob der aus ersterer bekanntlich recht radikal ausgestiegene Springer-Konzern am Ende eher mit IBM oder mit Compaq vergleichbar sein wird. Heißt: "Die Sieger von heute sind nicht unbedingt die Sieger von morgen". Etwas speziell vielleicht...
[+++] Aber auf anderer Ebene sind auch Dörners Einstieg in seinen Text und der Einstieg in die Kommentare brisant. Der Einstieg bezieht sich auf den journalist, das monatliche Print-Magazin der Journalistengewerkschaft DJV, dessen September-Ausgabe mit einer großen Geschichte über den Springer-Konzern ("Der Tag X") aufmacht und auf diese online so gespannt macht:
"Planet Springer hat seinen Kurs verlassen und steuert einer neuen Galaxie entgegen. Über den Megadeal zwischen Springer und der Funke-Gruppe wird viel diskutiert. Doch die meisten Fragen sind noch unbeantwortet. journalist-Autor Max Rethow hat für die Titelgeschichte nach Antworten gesucht."
Mit einem Zitat dieses Max Rethow aus dieser Titelgeschichte steigt wiederum Dörner in seinen Text ein. Untendrunter weist daher ein vermutlich anonymer Kommentator auf einen aktuellen newsroom.de-Bericht hin, demzufolge es diesen Max Rethow überhaupt nicht gäbe: "Das Gewerkschaftsorgan 'Journalist' lügt seine Leser an", schäumt Bülend Ürük, den es bekanntlich gibt. Die Chefredaktion des DJV-Heftes habe auf seine Anfrage
"bestätigt, dass der Name 'Max Rethow' ein Tarnname ist. Dahinter verberge sich ein langjähriger Autor des 'Journalist', der sich in Sachen Springer/ Funke 'hervorragend' auskenne: 'Normalerweise schreibt der Autor unter seinem Klarnamen für den Journalist. In diesem Fall haben wir ein Pseudonym verwendet - um Autor und Informanten zu schützen.'"
Es schadet nicht, zu wissen, dass zwischen dem journalist-Verlag Rommerskirchen und dem newsroom.de-Herausgeber Oberauer ein langjähriges Konkurrenzverhältnis besteht (weil der eine sein Branchenheft über die noch ziemlich sicheren Gewerkschaftgebühren finanziert bekommt und der andere seines, das medium magazin, auf dem freien Markt finanzieren muss). Wenn aber stimmt, was Ürük noch berichtet ("... natürlich hat sich aber ein 'Max Rethow' bei Gesprächspartnern gemeldet, er hat recherchiert, er hat von einer GMX-Emailadresse geschrieben...") und wie die journalist-Verantwortlichen zu dieser Sache zitiert werden, wäre das ein Armutszeugnis fürs durchaus ganz renommierte Gewerkschafts-Heft.
Wie böse der Springer-Konzern auch immer ist - selbst Medienjournalisten, die über ihn brisante Texte schreiben (wohingegen der im journalist eher ein "Aufsatz" ist, "in dem kein Gedankengang behandelt wird, der nicht schon zuvor in dieser oder jener Form an anderer Stelle publiziert worden wäre", wie Ürük schreibt), braucht niemand vor ihm zu schützen. Und dass Journalisten auch schlechte Nachrichten und kritische Analysen unter ihrem Klarnamen exklusiv veröffentlichen und sich dennoch auf Medienkongressen tummeln können, beweist z.B. die oben erwähnte Ulrike Simon.
+++ "Erste Tendenz zu Einnahmen im Herbst": Unter dieser Überschrift nimmt das Generalsekretariat des Zentralkomitees Stellung zu Berichten "verschiedener Medien". Pardon, der WDR zu Köln weist damit "teilweise falsch oder missverständlich interpretierte" Berichte über die GEZ-Gebühren zurück, die bekanntlich ja nicht mehr GEZ-Gebühren heißen, sondern Rundfunkbeiträge, und deren Höhe seit der Umstellung des Gebührenmodells Anfang dieses Jahres noch nicht offiziell berechnet ist. Ungefährer Kern dieser Meldung: Sobald die offizielle Berechnung reif zur Bekanntgabe ist, werden die vorgesehenen Institutionen sich über die dann vorgesehenen Schritten äußern. Ihr Anlass: Ein Interview der Neuen Westfälischen aus Bielefeld mit WDR-Intendant Tommy Buhrow unter der Überschrift "Tom Buhrow: 'Mein Lächeln ist mein Markenkern'". Offenbar haben die WDR-Pressestellen die darin enthaltene Formulierung "Aber eines sage ich auch deutlich, sollte die Umstellung zu Mehreinnahmen für uns führen, dann werden wir diese nicht behalten. Ganz klar", nicht gründlich genug autorisiert. Hier eines der möglichen Missverständnisse. +++
+++ Zurück nach China: wie dort zurzeit prominente Blogger drangsaliert werden, schildert Felix Lee in der TAZ. +++
+++ "Der Werbemarkt für Luxusmode und Kosmetik ist so stabil, dass man mit den dicken Heften ohne Weiteres ein mittelgroßes Haustier erschlagen könnte" (Katharina Riehl auf der SZ-Medienseite über das 25-Jährige der deutschen Elle-Ausgabe und deren ganze Gattung). +++
+++ Außerdem geht's ebd. um den "Wahlkampf auf medialen Nebenkriegsschauplätzen", unter dem Peer Steinbrücks Auftritt am Montagabend im Pro Sieben-"Circus Halligalli" gestreift wird. Die SZ hat eine Grafik mit gleich vielen Nebenkriegsschauplatz-Aussagen von Steinbrück (u.a. sagte er zur Juni-Ausgabe "Apotheken-Umschau": "In Bad Godesberg, wo ich wohne, habe ich eine Apotheke, in der ich gut beraten werde") und Merkel ("Beide Mannschaften haben mich schon immer begeistert", sagte sie zur Bayern/ BVB-Frage) erstellt. +++
+++ Eine harte News aus dem Spiegel-Verlag, gestern bereits im Altpapierkorb aktualisiert, siehe auch evangelisch.de: Die Mitarbeiter KG-Geschäftsführung bleibt im Amt. +++ Wer auf Turbulenzen hoffte, kann dies aber weiterhin tun: "Zu einem Abwahlantrag, für den hundert Unterschriften notwendig sind und für dessen Erfolg eine Zweidrittelmehrheit vonnöten ist, kam es jedoch nicht. Stattdessen erging an alle fünf KG-Geschäftsführer der Appell, gemeinsam zurückzutreten und eine Neuwahl zu ermöglichen. Dem beugten sich die Geschäftsführer jedoch nicht", weiß Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite 31. +++
+++ Hauptthema dort unter der Überschrift "Legaler Tausch schließt Profit nicht aus": die neue Musik-Verwertungsgesellschaft C3S, die in Konkurrenz zur GEMA treten möchte, aber noch unte dem "Henne-Ei-Problem" leidet ("Für die Zulassung müssen wir zirka 3000 Mitglieder vorweisen können, deren Rechte wir aber erst aktiv vertreten dürfen, wenn die Absegnung vom DPMA vorliegt", sagt Mitgründer Wolfgang Senges; das DPMA ist das Deutsche Patent- und Markenamt). +++
+++ "Ist das der Endsieg der Briten?" Die TAZ-Kriegsreporterin über die Landser-Einstellung. Britisch ist bekanntlich nicht das Simon Wiesenthal Center, das sie forderte, sondern ist ein Radiounternehmen, dessen Kauf dem Bauer-Verlag wichtiger zu sein scheint. Klicken Sie außerdem dorthin, wenn Sie wissen wollen, welcher Starjournalist Silke Burmester eine Einstweilige Verfügung zustellen ließ. +++
+++ Der Tsp. empfiehlt "Beat Generation" auf Arte, und auf der Meinungsseite ebd. fordert Joachim Huber "die ganz coole Sau" als nächster Berliner "Tatort"-Besetzung. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.