Neue emotionale Achterbahnfahrten beim Spiegel: der Stern des Stellvertretenden, die Kuh auf dem Eis, strotzendes Selbstbewusstsein, unbeschreibliche Niedergeschlagenheit. Schließlich: neue Rücktrittsforderungen! Außerdem: der "Jacobi der Jetztzeit".
Es geht wieder weiter beim Spiegel, dem knapp mehrheitlich von seinen Mitarbeitern (aber, wie alle Hintergrundberichte zur Mitarbeiter KG berichten, nicht allen, sondern nur denen des Print-Magazins) besessenen Verlag. Freuen Sie sich auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle mit weiterhin völlig offenem Ausgang.
Zunächst die basalen Fakten: Der gestern zwischen dem bis einschließlich Samstag noch immer designierten Spiegel-Chefredakteur, Wolfgang Büchner, einerseits und andererseits a) den Ressortleitern des Magazins sowie b) der Mitarbeiter KG ausgehandelte Kompromiss setzte auf die Schiene, die hier im Altpapier Matthias Dell beinahe als "Reichsjägermeisteruniform-Stern" bezeichnet hätte. Also auf eine Rang- oder Titel-Schiene. Wir zitieren aus der schlichten DPA-Meldung (BLZ): Büchner will die strittige, von der Bild-Zeitung abgeworbene Persönlichkeit Nikolaus Blome nun
"nicht mehr wie von ihm geplant zum stellvertretenden Chefredakteur machen. Stattdessen soll der bisherige 'Bild'-Journalist lediglich Mitglied der Chefredaktion des 'Spiegels' werden".
Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros in Berlin solle Blome sowohl der Funktion als auch dem Titel nach weiterhin werden. Nur den Stern des Stellvertretenden soll ihm vom Revers gerissen werden, sodass ihn (aber halt nur den Stern) sich die Mitarbeiter als Trophäe an die Wand hängen könnten, z.B. in der Kantine.
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Schon zu diesem aus Jägermeister-Perspektive durchaus salomonischen "Kniff" (FAZ) bildeten sich anschließend eine Menge Meinungen: Die FAZ gestattet sich in ihrer Meldung noch kurz darauf hinzuweisen, dass, während "sich in der 'Spiegel'-Redaktion eine breite Front gegen den neuen Chefredakteur Büchner aufgebaut" habe, "diejenigen, die Blome als Berlin-Chef schätzen würden oder Büchners skizzierte Vorliebe fürs Digitale teilen, ... sich noch nicht zu Wort gemeldet" hätten. +++ In der Süddeutschen (S. 33) würde Johannes Boie nicht die Metapher Stern verwenden, sondern sagen: "Jetzt bekommt er", Blome, "noch kleinere Schulterklappen, als ihm ohnehin schon zugesagt waren" (und gestattet sich noch darauf hinzuweisen, dass bei Spiegel Online jemand, Roland Nelles, schon "Mitglied der Chefredaktion und auch Büroleiter in Berlin" ist und also auch "die Frage ..., wie Nelles und Blome künftig zueinander stehen werden", Spannungspotenzial böte). +++ "It’s the semantics, stupid!", scherzt Steffen Grimberg im NDR-Zapp-Blog und gestattet sich dann noch darauf hinzuweisen, dass sowieso ein "Sturm" bevorstehen könnte, "gegen den sich die Causa Blome als laues Lüftchen erweist". +++
Jedenfalls, "die Zerreißprobe beim 'Spiegel' scheint beendet", zumindest dem Tagesspiegel, der sich dann noch auf weitere "andere Probleme des Nachrichtenmagazins" hinzuweisen gestattet, von denen die Entwicklung der verkaufeten Auflage wiederum nur eines ist. +++ "Der Kompromiss bietet allen Beteiligten die theoretische Möglichkeit, ohne Gesichtsverlust den vor den Augen der Öffentlichkeit ausgetragenen Richtungsstreit hinter verschlossenen Türen weiterzuführen" (zeit.de). +++ "Abzuwarten bleibt, ob der Kompromiss in der aufgeheizten Stimmung ... auf Gegenliebe stößt" (meedia.de). +++ Kurzum, "noch am späten Mittwochnachmittag sah es so aus, als sei die Kuh vom Eis..." (Neue Osnabrücker Zeitung). +++
Wie jetzt die Neue Osnabrücker Zeitung in den Reigen der überregionalen Medien geriet, die normalerweise hier im Altpapier zitiert werden? Schon in der aus allerlei Material zusammengemixten Tagesspiegel-Meldung war u.v.a. auch davon die Rede, dass Franziska Augstein die neue Entwicklung als "Skandal" betrachte, und zwar "in einer Erklärung an dpa". Und beim Suchen nach mehr Original-Wortlaut dieser Erklärung mit einer beliebten Suchmaschine [ich empfehle auch startpage.com] landete die NOZ weit oben. Also, in Franziska Augsteins Einschätzung heiße es dann noch:
"Die Entscheidung der 'Spiegel'-Gesellschafter, an dem Springer-Mann Nikolaus Blome festzuhalten, ist eine Katastrophe. [...] Anlässlich dieses Skandals erlaube ich mir, auf meinen Vater Rudolf Augstein zu verweisen: Er hätte diese Personalie niemals durchgehen lassen".
Ob "Katastrophe" nicht noch ein deutlich stärkeres Wort ist als "Skandal" - eine Nuance in den Augen der Leser. Vielleicht auch gar nicht entscheidend, da ja Franziska Augstein unter den Augstein-Erben ungefähr das zu sein scheint, was die Erben unter den Spiegelverlags-Eigentümern sind, also nicht gerade die entscheidende Instanz. Doch, wie die hintersinnige Osnabrücker Formulierung andeutete: Es schien ja gestern nachmittag nur so, als sei die Kuh vom Eis. Und jetzt schnallen Sie sich an! Jetzt nimmt die Sache Fahrt auf.
"Am Mittwoch um 14.17 Uhr war die Welt noch in Ordnung. Zumindest schien es so..."
"Es ist kaum zu beschreiben, wie niedergeschlagen die Stimmung war, als sich die Kommanditisten am Mittwoch um 15.15 Uhr in der Kantine des Spiegel-Neubaus zur Informationsveranstaltung trafen..."
Dabei, kurze Rückblende:
"Die Redaktion strotzte seit Montag vor Selbstbewusstsein. Nie zuvor waren die Ressortleiter derart geeint..."
Diese Ausschnitte entstammen den tagesaktuellen Meistererzählungen von der Spiegel-Sache, die einmal wieder Ulrike Simon (Berliner Zeitung) und Kai-Hinrich Renner (Welt/ Hamburger Abendblatt) geschrieben haben. Wie alle Meistererzählungen der Gegenwart arbeiten sie mit komplex verschachtelten Zeitebenen. Grundsätzlich ist es so, dass um 14.17 Uhr der eingangs skizzierte Titular-Kompromiss vermeldet wurde und daraufhin viele Medien ihre Berichte aktualisierten oder für die heutigen Druckausgaben fertigstellten. Zur Basis dieses Kompromisses gehörte, dass "die fünfköpfige Geschäftsführung der Mitarbeiter KG ... diesem Vorschlag einstimmig zugestimmt" habe.
Dann aber, um die schon erwähnte Uhrzeit 15.15 Uhr, trafen sich die stillen Gesellschafter der Mitarbeiter KG, also ungefähr alle Redakteure des gedruckten Spiegels, in der schon erwähnten Kantine zu einer Informationsveranstaltung. Dass "still" ein gesellschaftsrechtlicher Fachbegriff ist und mit der gleichnamigen Charaktereigenschaft nichts zu tun haben muss, versteht sich und zeigt sich hier gleich noch. Und in dieser Sitzung ging es hoch her.
In Simons Text, der ein wenig darunter leidet, dass die Stillen-Sitzung beim Redaktionsschluss der BLZ noch lief, wird deutlich, dass die Gesellschafter über das "Gebaren der KG", also der fünfköpfigen Mitarbeiter KG-Geschäftsführung, in Zorn geraten waren. Womöglich hatte diese Geschäftsführung bereit "vor Monaten" (Renner) eigeninitiativ Kompromisse mit Büchner ausgehandelt und dabei Blome akzeptiert.
Renner, dessen Text später online ging, kann aus volleren Äußerungen der Stillen schöpfen. Z.B. "Nun brenne das Haus lichterloh, sagte ein Redakteur" - im Zeitabschnitt zwischen 14.17 und 15.15 Uhr. Z.B. über die 15.15 Uhr-Sitzung: "Dort wiederholten sich die Rücktrittsforderungen, die aus Kreisen der Redaktion kamen. Nur ein, zwei Verlagsmitarbeiter hätten etwas zur Verteidigung der KG-Geschäftsführung vorgebracht, erzählen Teilnehmer." Die übrigen äußerten sich wütend.
Dann geht es noch um einen auch fleißigen Lesern der neuesten Spiegel-Dramen bislang völlig unbekannten, allerdings auch bereits längst gescheiterten "Paketlösungs"-Plan, "den als links geltenden Journalisten Harald Schumann gewissermaßen als Antidot zu Blome zurückzuholen, der einst im Streit mit Ex-'Spiegel'-Chef Stefan Aust das Haus verlassen hatte". Doch Schumann, der derzeit beim Tagesspiegel arbeitet, "bestreitet zwar, ein entsprechendes Angebot erhalten zu haben". Und/ oder er wollte sich das nicht antun.
Damit stracks zur Klimax: Gunther Latsch, der der stellvertretende (!) Sprecher der KG-Geschäftsführung,
"begründete die Entscheidung der KG-Geschäftsführung" - Zustimmung zu Blome - "damit, dass er und seine Mitstreiter an 'ein tiefes schwarzes Loch' geführt worden seien. Die Aussicht, dass der 'Spiegel' von jetzt auf gleich ohne Chefredakteur und ohne Geschäftsführer dastehen könnte, habe sie erschreckt."
Und wenn man an einem tiefen Loch steht, sollte man besser zurück als nach vorn treten, versteht sich. Der aus der Gesellschafterversammlung geforderte Rücktritt der Mitarbeiter KG-Geschäftsführung, der hier en passant zur Sprache kam (hier im Altpapier sind wir ja eher an Strukturen als an Personalien interessiert), bildet natürlich eigentlich die tagesaktuelle Klimax. Der Vollständigkeit halber: Zumindest "Latsch, aber auch der Sprecher der KG-Geschäftsführung, Rainer Hass [eigentlich: Thomas Hass, AP], sollen sich, heißt es in Redaktionskreisen, mit dem Gedanken tragen, ihre Ämter niederzulegen", weiß Renner...
Das Tückische an Renners finalem Satz "Bis beim 'Spiegel' aber wieder alles in Ordnung ist, wird wohl noch einige Zeit vergehen", erschließt sich aber, auch wenn man beim Nachvollziehen all der Wendungen ja doch ein wenig ermüdet... Und Grund, auch morgen wieder etwas gespannt zu sein, besteht.
+++ Altpapier-Autor René Martens hat übrigens für die heutige TAZ über die Sache geschrieben. Nicht nur, weil die TAZ bekanntlich besonders früh Redaktionsschluss hat, betrachtet er sie mit etwas mehr Abstand als die eben zitierten Kollegen, erinnert z.B. daran, dass der Spiegel und Blomes Bild-Zeitung sich schon anno 2010 beim gemeinsamen Auszüge-Vorabdruck aus Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" in ein Boot setzten, und gibt Lutz Hachmeisters Einschätzung von Blome als potenziellem (also falls er wirklich zum Spiegel geht) "Jacobi der Jetztzeit" wieder. Jacobi, Claus, war derjenige, der in den "Gummistiefeln des Jahrhundert-Journalisten" gesteckt hat. +++
+++ Auf "Snowden-Unterlagen, die von der Süddeutschen Zeitung und dem NDR eingesehen werden konnten", basiert die Haupt-Titelstory der Süddeutschen. Es geht um den britischen Geheimdienst. "Die geheimen Papiere legen sogar die Vermutung nahe, dass das GCHQ in Europa aggressiver hantiert als der übermächtige amerikanische Geheimdienst". +++
+++ Die "Syrian Electronic Army" hackte in Erwartung des weithin erwarteten Angriffs auf Syrien u.a. den Interneauftritt der New York Times (siehe u.a. TAZ). +++ Wer sich bemerkenswert darüber freut ("Seit dem Kalten Krieg hat es eine so virtuose Propaganda der Feinde des Westens nicht mehr gegeben"): Patrick Bahners, der New York-Korrespondent der FAZ. Die Syrer hätten sich "das perfekte Ziel und den richtigen Zeitpunkt ausgesucht", da sich die NYT der US-Regierung willig zur Verfügung stelle ("Das Hin und Her eines vermeintlichen Schlingerkurses kann die wirksamste Kriegsvorbereitung sein, da hinterher gesagt werden kann, das Für und Wider sei erschöpfend erörtert worden"). Bahners kritisiert insbesondere Ex-Chefredakteur Bill Keller. +++
+++ Aufmacher der SZ-Medienseite: ein Treffen Claudia Frommes mit Margit J. Mayer, Chefredakteurin der neuen, bei Burda verlegten deutschen Harper's Bazaar-Ausgabe, und mit ihrem treuherzig blickenden Mops Arthur. Auch ins Heft selbst hat Fromme geschaut ("Hält man die erste Ausgabe von Harper"s Bazaar nun in Händen, die am Samstag erscheint, pflügt man sich bis zum Editorial durch 27 Seiten Anzeigen, insgesamt sind es mehr als 40 Prozent aller Seiten. Mirko Borsche als Art Director hat dem Heft eine luftige Opulenz verpasst, die, verglichen mit dem amerikanischen Original, sehr modern wirkt..."). +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite bespricht Thomas Thiel mit gedämpftem Lob ("Dass in diesem Leerlauf die Momente von Freiheit liegen, ist der Kniff von Lemkes Regiekonzept, aber auch kein Automatismus, der einfach nur angeworfen werden muss. Mal geht es auf, mal weniger...") zwei Klaus-Lemke-Spielfilme, die das ZDF am Freitag nachts zeigt. +++ Und Tobias Rüther interviewt William Fichtner, Hauptdarsteller der euro-amerikanischen Sat.1-Krimiserie "Crossing Lines". Nach dem "peinlichen Anschluss- oder Schnittfehler" in der Pilotfolge, den vor einer Woche Michael Hanfeld monierte ("Die verkrüppelte Hand des einstigen FBI-Ermittlers Carl Hickman (William Fichtner) war bis dahin die rechte, dann ist es plötzlich die linke, dann wieder die rechte...", siehe Altpapierkorb), fragt er aber nicht. +++
+++ Anders als anno 2009 dürfte das bevorstehende TV-Duell auch im Radio, im Deutschlandradio übertragen werden (Tagesspiegel). +++
+++ Und dann dreht die Wochenzeitung Die Zeit noch die Zeitungszukunftsdebatte weiter. Im Dossier verfolgt Kilian Trotier die Geschichte der Westfälischen Rundschau, nachdem sie alle Redakteure entlassen hat, und einige dieser Redakteure... +++
+++ Und dann ist noch Tommy Middelhoffs neuer Medienkonzern überraschend aufgetaucht. Dass er trotz medial geschürter Erwartungen noch nicht aufgetaucht war, steht im noch aktuellen Spiegel, und wurde von Bülend Ürük (newsroom.de) gegen den Spiegel verwandt. Ob der nun vom manager magazin (aus dem Spiegel-Verlag) entdeckte Eintrag im Handelsregister der British Virgin Islands allerdings für Middelhoff spricht, wäre eine weitere Frage. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.