Ein zerstörtes Macbook, Wodka-Martini. Jede Menge Kinobilder im Kopf. Was im Keller des Guardian und auf dem Londoner Flughafen abging, bewegt besonders die deutschen Medien. Ist der Guardian noch der Wächter?
Es ist schon wieder großes Kino, das sich dem interessierten globalen Publikum bietet, einem anspruchsvollen Publikum, das häufig großes Kino guckt (falls nicht gerade Champions League läuft oder es sich lieber "Breaking Bad" oder so etwas anschaut, also Werke einer dem Kino gegenüber fortgeschrittenen Unterhaltungskunst...). Selbst die bekanntlich abgebrühte Bundesregierung ist "erschüttert", wie zumindest einer ihrer weniger prominenten Angehörigen, der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning, der Berliner Zeitung sagte.
Worum es geht ist folgende Kombination: einerseits die vorübergehende Festnahme David Mirandas während der Durchreise auf britischem Boden. Miranda ist der Lebensgefährte oder Partner des amerikanischen Guardian-Journalisten Glenn Greenwald; "Ehemann" schreiben nur der österreichische Standard und netzpolitik.org. Das emotionale Foto der Agentur Reuters aber, wie Greenwald "seinen sichtlich erschöpften Lebenspartner auf dem Flughafen in Rio de Janeiro am Morgen in den Arm" nimmt, enthält auch der bild.de-Bericht "Der Snowden-Strudel". Mirandas Verhaftung ist "eine Zäsur in der Pressegeschichte", kommentiert David Denk in der TAZ.
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Und andererseits "das archaisch anmutende Metall-Opferfest" (Jochen Buchsteiner, FAZ, S.3 und faz.net) beim "Londoner Enthüllungsblatt The Guardian" (Handelsblatt), wo "ganze Notebooks im Schredder verschwanden" (welt.de), anschließend "zerschmetterte Festplatten im Redaktionskeller" (sueddeutsche.de) lagen und dann die "Überreste eines Macbook Pro" zusammengefegt (heise.de) werden mussten. "Diese unglaubliche Wendung im NSA-Datenskandal" (Ralf Sotscheck, TAZ, S. 4) wird in den deutschen Medien ausführlich ausgeleuchtet. Die gute Kenntnis der Details dieser Szenen wie aus "einem mittelmäßigen Hollywood-Film" (Johannes Boie, SZ-S. 4), wie "aus Spionagethrillern" (Michael Konken, DJV), wie aus einem "waschechten Politthriller" (ZDF-"heute journal"; Video) rührt natürlich nicht daher, dass im Guardian-Redaktionskeller Auslandskorrespondenten anwesend waren, sondern hierher.
Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger hat sie am späten Montagabend in einem ausführlichen Kommentar über "the danger that all reporters now face" beschrieben. Online hat der Kommentar, der auch die womöglich nicht uneingeschränkt ironische Prophezeiung "Soon we will be back to pen and paper" enthält, schon über 3.000 Kommentare. Gedruckt ist er ebenfalls erschienen (und Papierzeitungs-Fans müssen sich hier bei sueddeutsche.de anschauen, wie liebevoll die schon genannte Agentur Reuters für ihr zweidreiviertelminütiges Nachrichtenvideo den gedruckten Guardian abgefilmt hat). Was im Keller des Zeitungshauses mit zwei Mitarbeitern des Geheimdienstes GCHQ abging, beschreibt Rusbridger als "one of the more bizarre moments in the Guardian's long history". Diese Sentenz wir meist mit "einer der bizarrsten Augenblicke" übersetzt. Vielleicht lässt sich aus dem Unterschied zwischen dem englischen Komparativ und dem deutschen Superlativ auch etwas ableiten, britischer Hang zum Understatement, deutscher Hang zum Superlativ, vielleicht nicht. Jedenfalls kann niemand den deutschen Medien vorwerfen, Metaebenen jenseits des Tellerrands nicht im Blick zu haben.
Weder, dass die Geheimdienst-Performance im Guardian schon vor Wochen stattgefunden hat und mit bemerkenswerter Verzögerung nun "relativ versteckt am Ende" des Rusbdridger-Kommentars (Sotscheck in der TAZ nochmals) bekanntgegeben wird, noch, dass dass die Reaktionen der Briten auf beide News bemerkenswert nüchtern ausfallen, wird nicht thematisiert.
Vielmehr werden in der schönsten Breite ungefähr sämtliche Aspekte betrachtet. Die Süddeutsche berichtet in gedruckter Form auf ihrer Themenseite 2, wo. u.a. Christian Zaschke und Frederik Obermaier den Umstand, dass "die übrige Presse" Englands "fast unisono mit dem publizistischen Äquivalent eines Schulterzuckens" reagiert, mit Unbeliebtheit des Guardian und Neid erklären. Zwei Seiten später im Meinungsseiten-Kommentar macht Boie dann Rusbridgers Blatt Vorwürfe, dass er sich auf die Festplattenzerstörungsaktion einließ anstatt den ihm angedrohten Prozess in Kauf zu nehmen:
"Die von Rusbridger gebilligte Aktion ist ein schwerer Schlag gegen die Pressefreiheit. Sie wird dem Ansehen des Guardian schaden, vielleicht dem der ganzen Branche. Nicht jede Redaktion kann es sich leisten, geheime Papiere außer Landes zu lagern und Reporter weltweit zu beschäftigen. Die Pressefreiheit muss dort verteidigt werden, wo sie bedroht ist."
"Der Wächter kapituliert", lautet die Überschrift. "Guardian" heißt auf deutsch ja "Wächter". Die FAZ kommentiert sehr ähnlich auf ihrer Seite 1:
"Das soll eine aufklärerische Zeitung sein, die sich von Regierungsmitarbeitern vor die Wahl stellen lässt: 'Gebt das Material heraus, oder zerstört es'? Und die dann tatsächlich Festplatten unter Aufsicht zertrümmern lässt - aus Angst vor einem Rechtsstreit? Diesen Streit hätte man doch ganz gelassen in aller Öffentlichkeit austragen können",
schreibt Reinhard Müller, um dann noch die allernaheliegendsten Metaphern ("Entweder herrschen in der Heimat von James Bond kubanische Verhältnisse, oder es ist zu viel Wodka-Martini im Spiel") zu verwenden.
Anschließend geht aber auch die FAZ allein in die schönste Breite. Auf Seite 3 steht der schon erwähnte lesenswerte Buchsteiner-Bericht, der Geschichte und Nimbus des Guardian um Ausgewogenheit bemüht ("Mit Geschick, aber auch mit Fleiß und Courage, inszeniert sich der 'Guardian' seit einiger Zeit als medialer David, der gegen die Goliaths dieser Welt zu Felde zieht...") beleuchtet. Vorn im Feuilleton bringt Gina Thomas eine Umschau durch die kalt gelassene britische Presse (und die Überschrift "Skandal mit Bart" gilt nicht etwa der retardierten Bekanntgabe der GCHQ-Aktion, sondern einem echten Bart, der Englands Presse weniger kalt ließ). Und hinten auf der Medienseite wird Jacob Applebaum, der amerikanische Aktivist und Experte interviewt, der sich einem ebenfalls aktuellen faz.net-Bericht zufolge gerade in der BBC mit einer Abgeordneten der Konservativen "eine heftige Debatte" geliefert hat. Im FAZ-Interview also macht Applebaum, was er auch schon öfters machte, und lobt Deutschland in solch höhen Tönen, die manche Bewohner fast schon wieder bizarr finden mögen:
"Deutschland ist eines der wenigen Länder, das mit dem Anspruch auf Wahrheit und Versöhnung einen Weg aufzeigen kann. Es ist meine Hoffnung, wie auch die Hoffnung von Millionen von Menschen, dass Deutschland an dieser Stelle auch Großbritannien und Amerika hilft, offenbar verlorengegangene moralische Autorität wiederzufinden."
Und die deutschen Medien, sie berichten und berichten. Die öffentlich-rechtlichen, schon entstehungsgemäß Großbritannien besonders verpflichtet, hatten wir noch kaum. "Der Schutz der Pressefreiheit ist in Großbritannien tatsächlich besonders schwach ausgeprägt", erklärt, nur zum Beispiel, ARD-Korrespondentin Barbara Wesel im tagesschau.de-Interview. Auf ganz anderen Metaebenen, nur zum Beispiel, der wöchentliche Sascha Lobo in seiner SPON-Kolumne. Hegt er noch irgendwie die Hoffnung, die "Guardian-Affäre" könne die "schmerzhaft langsame" Ausbreitung des "politischen Empfindens zur digitalen Sphäre" in Deutschland beschleunigen? (Oder hat bloß ein SPON-Redakteur diese Hoffnung obendrüber geschrieben?
"... .... WTF!? Das erschüttert doch die Grundfesten der Arbeit als Journalist! Wie kann das sein, dass die Journalisten in England nicht alle auf den Barrikaden sind?!" (blog.fefe.de)
Vielleicht hilft das viele Berichten gar nichts. Vielleicht auch doch. Was wirklich großes Kino auszeichnet, ist ja auch, dass man im Verlauf den Ausgang nicht kennt.
Altpapierkorb
+++ Ein neuer Entwurf zum irischen Informationsfreiheitsgesetz ist erschienen, der nach Einschätzung von netzpolitik.org einen "Rückschritt um 20 Jahre" darstellt. Solche irischen Gesetze sind bekanntlich insofern europaweit relevant, weil viele mit angloamerikanischen Geheimdiensten kooperierenden Konzerne ihren Europasitz in Irland haben und sich daher nur an dortiges Recht halten müssen. +++
+++ Zurück nach GB: "Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnt vor BlackBerry, weil britische Dienste Zugriff auf das 'gesamte Nachrichtenaufkommen' haben", meldete ebenfalls netzpolitik.org (und lieferte sich anschließend eine nicht ganz unbizarre Auseinandersetzung mit dem genannten Bundesamt, das weitere Auskünfte nicht erteilen wollte, um nicht noch die internationalen Beziehungen zu gefährden. Oder so. +++
+++ "Im digitalen Wahlkampf müssen die Kandidaten selbst ihre eigenen Namen teuer ersteigern, wollen sie verhindern, dass er der Gegenseite in die Hände fällt. Google hält dabei nicht nur die Hand auf, sondern bestimmt auch über alle weiteren Regeln": Da beleuchtet Stefan Schulz für die FAZ-Medienseite Googles Beitrag zum Wahlfieber, wie es schon lange in den USA läuft und unter google.de/wahlen gerade hierzulande anläuft ("Die Nutzer sollen 'mitreden', 'nichts verpassen', 'den Überblick behalten' und sich durch das Angebot von 'Politik auf Google+ und Youtube' klicken"). +++
+++ Eigentlich eine bunte Meldung, die vor dem Hintergrund sonstig laufender Debatten freilich Brisanz gewinnt: "Als Maßnahme zum Schutz der Umwelt hat Ecuadors Präsident Rafael Correa eine Volksabstimmung über die Abschaffung aller gedruckten Zeitungen ins Gespräch gebracht" (Tsp., BLZ). Nationaler Hintergrund: Correa tritt im Allgemeinen weder als Anhänger der Medienfreiheit noch des Umweltschutzes auf. +++ Meanwhile in Mosambik: Eine deutsche TV-Daily fördert, "um den Titel 'erste klimaneutrale TV-Daily weltweit' tragen zu können", u.a. ein dortiges Waldschutzprojekt, "damit zumindest nach der Schädigungs- und Ausgleichsbilanz klimaneutral in Deutschland gedreht werden kann" (welt.de). +++
+++ Auf der SZ-Medienseite erkennen Marina Brafa und Claudia Tieschky eine Art "neuen Dienstleistungsjournalismus" bzw. "neuen Markt des Autorenjournalismus". Einerseits Konzerne wie Springer und DuMont, andererseits der von Sebastian Haak, Andreas Göbel und anderen einst bei der verschwundenen Agentur DAPD beschäftigten Journalisten gegründete "Freie Medien Dienst" bieten Zeitungen ihre Artikel an. +++ Auf der FAZ-Medienseite formuliert Jürg Altwegg den Verdacht, Andrea Bleicher, die Chefredakteurin der schweizerischen Boulevardzeitung Blick, der (also Bleicher!) "man außer dem fehlenden Draht nach Berlin kaum etwas vorwerfen kann", werde auf Wunsch des "in Berlin wohnenden Frank A. Meyer, grauer Eminenz des Verlags und Vertrauter des Verlegers Michael Ringier", abgelöst. +++
+++ Zum Fernsehen: In der SZ porträtiert Katharina Riehl Inka Bause, die neue tägliche Talkerin des ZDF, die freilich dennoch weiter für RTL Bauern verkuppeln wird: "Der bäuerliche Exhibitionismus böte natürlich unendliche Startrampen für ein bisschen anmoderierten Witz. Inka Bause aber verzieht keine Miene. Ironie ist nicht ihr Geschäft." +++ "Eine wunderbar gelungene filmische Auseinandersetzung damit, was es bedeutet, nicht offen zu sein, nicht authentisch zu leben, der Wahrhaftigkeit die Lebenslüge vorzuziehen": Thilo Wydra kommt bei Loben des heutigen ARD-Films "Gestern waren wir Fremde" (20.15 Uhr) für den Tagesspiegel derart ins grundsätzliche Philosophieren, dass Tilmann P. Gangloff hier nebenan und der heute geradezu etwas zurückhaltende Rainer Tittelbach beim Filmloben nicht mitkommen. Finden alle den Film gut? Nein (TAZ). +++
+++ "Eine herausragende Serie ..., die extrem polarisieren wird": "Noch nie ist in einer deutschen Serienstunde so oft 'verfickt' oder 'fucking Scheiße' gesagt worden. Noch nie hat eine deutsche Serie mit so knalliger, übertriebener Farbgebung gearbeitet. Noch nie sind so wenige Sekunden zwischen dem derbsten Slapstick-Moment (z.B. künstliche Kuh-Besamung) und der traurigsten Drama-Wendung (z.B. verheerende Krebsdiagnose) vergangen...": Torsten Zarges bei dwdl.de über "Doc meets Dorf", das die Fernsehfirma namens UFA Fiction, formerly known als Teamworx, für RTL herstellte und morgen auf Sendung geht. +++
+++ Der prominente süddeutsche Autovermieter, dem zumindest in puncto Geschmacklosigkeit keiner etwas vormacht und der gerade wegen der Haushaltsabgabe mal selbst zur Klage schritt (Altpapier) - musse er überhaupt mehr Gebühren als früher zahlen? Nein, meint seine Heimat-Rundfunkanstalt, die Bayerische (siehe auch kress.de). +++ Nach Sixt "will sich nun auch Oliver Berben Gustl Mollaths bemächtigen und den Fall des Psychiatriepatienten verfilmen. Da Oliver keinen Film ohne seine Mutter macht, frage ich mich, welche Rolle die ewig 60-Jährige, die ihr Gesicht nur mit Wasser so faltenfrei hält, aber die Arme zu wässern vergisst, wohl einnehmen wird? ... Egal, sie wird einen Preis dafür bekommen! Ist ja Bayern!" (TAZ-Kriesgreporterin). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.