Das LSR als antike Trägodie

Neuer Zeitungs-Paukenschlag (mit Amazon-Milliardär)! Frische Thesengebirge im allgemeinen Zeitungsdrama. Kaffee, Kadetts, Uhren als Vergleich. Was dem Geschäftsmodell Zeitung definitiv schadet. Welchen Schaden das Leistungsschutzrecht anrichtet. Thomas Roths "Tagesthemen"-Premiere. Eine öffentlich-rechtliche Frechheit.

Der spektakulärste Beitrag zur gerade spektakulär gestarteten Zeitungszukunftsdebatte der Spiegel-Medien steht gar nicht auf deren inzwischen eingerichteter Themenseite "2020 - Die Zeitungsdebatte", sondern am Dienstagmorgen bei Spiegel Online ganz oben. Er gilt einem US-amerikanischen Mediendeal von ungefähr der Paukenschlag-haftigkeit des deutschen Springer/ Funke-Deals, der allerdings  - altes Problem der gedruckten Presse - zu spät rein kam, um heute schon in tagesaktuellen deutschen Tageszeitungen enthalten zu sein: Die Washington Post, eine der bekanntesten amerikanischen Tageszeitungen, wird an Jeff Bezos verkauft, der als Gründer des vor allem mit Büchern und Buchlizenzen online handelnden Amazon-Konzerns zum Milliardär geworden ist [ACHTUNG: Das Foto zeigt, wie sich schon an der Frisur erkennen lässt, nicht Jeff Bezos, sondern Thomas Roth (links), um den es weiter unten geht].

"Internet kauft Papier", lautet die Überschrift bei SPON. Was darunter dann dort über Tränen steht, die nach der Bekanntgabe im "riesigen neonbeschienenen Newsroom" der Post geflossen seien, liest sich zunächst wie eine jener typischen Print-Spiegel-Reportagen etwa aus Horst Seehofers Eisenbahnkeller. Doch hat sich Artikelautor Jan Friedmann, steht ganz unten, tatsächlich gerade in diesem Newsroom aufgehalten, da er "derzeit als Gastjournalist" dort arbeite. Ein Händchen für das Thema hat der Spiegel zumindest. Gute Idee von Friedmann überdies, dass er zur ersten Einordnung wiederum zurück nach Deutschland verweist, in eine der stärker kriselnden Tageszeitungen:

"Wie die den Angestellten ebenfalls angekündigten Veränderungen aussehen könnten, lässt sich ausgerechnet aus einem Interview mit einer krisengeschüttelten deutschen Tageszeitung erahnen. Die Branche befinde sich in einer schwierigen Übergangsphase, sagte Bezos 2012 der 'Berliner Zeitung'. Diese Phase habe er freilich persönlich schon abgeschlossen, er lese Zeitungen nur noch digital."

Hier der Link dorthin; unterstützen Sie die BLZ (der eine Onlinereaktions-Innovation mit dem "schönen Namen" "Schwarze Null" bevorsteht, wie aus der Springer/ Funke-Grauzone gerade Kai-Hinrich Renner berichtete...) mit einem Klick.

Außer SPON hat am frühen Morgen auch faz.net bereits einen "Was für ein Paukenschlag..."-Korrespondentenbericht im Angebot (Roland Lindner: "... Allgemein scheinen es in jüngster Zeit vor allem reiche Einzelpersonen zu sein, die noch Interesse an Zeitungen haben").

[+++] Falls Sie eben oben auf "2020 - Die Zeitungsdebatte" geklickt haben: Der bislang einzige dort enthaltene weitere #tag2020-Beitrag ist ein weiterer des Debatten-Initiators Cordt Schnibben. Es handelt sich um eine den Erfordernissen des SPON-Internets (Thesen müssen durchnummeriert sein!) angepasste Version seines Artikels im aktuellen Print-Spiegel. Im einzelnen liefert Schnibben vier "Hauptursachen des Zeitungsdramas" und "elf Vorschläge für bessere Zeitungen" bzw. "elf Vorschläge für lebensverlängernde Maßnahmen". Bevor nun jemand aus Respekt vorm zu bewältigenden Wortgebirge lieber gleich woandershin klickt: Die letztgenannten Punkte sind identisch, es sind also insgesamt bloß elf Vorschläge. Und umstürzend neu ist für mit dem Thema vertraute Zeitgenossen natürlich keiner davon.

"Zeitungsdrama"  trifft es gut, wie der österreichische Standard das Spiegel-Konzept erklärt. Eine Dramaturgie gehört schließlich zum Spiegel-Konzept, d.h. online werden regelmäßig neue Artikel dazukommen, von Jeff Jarvis, Daniel Bröckerhoff, Christian Jakubetz und, wer weiß, vielleicht auch Überraschungsgästen. "Zur Zukunft der Tageszeitung ist eigentlich alles gesagt. Nur noch nicht von allen" rutschte Wolfgang Michal beim (im Print-Spiegel respektvoll genannten) Portal Carta heraus, bevor er doch auch Lob für die Initiative fand:

"Das Gute an der Spiegel-Kampagne für eine Erneuerung der Tageszeitung ist ja nicht, dass das Thema noch einmal durchgenudelt wird, das Gute ist die Form, in der das geschieht: unter erstmaliger Beteiligung der Spiegel-Leserschaft und – wichtiger noch! – mit einem konkreten Ergebnis am Ende."

Ob es Schnibben und seinem Team gelingt, die in diesen Streams und Feeds und jenen Wort- und Thesengebirgen schon mehr oder weniger oft so oder so formulierten Ansichten in der großen Spiegel/ SPON-Öffentlichkeit sinnvoll zusammenzuführen, ist das Spannende. Daran wird sich entscheiden, ob das ambitionierte Vorhaben gelingt.

Einstweilen fällt auf, dass auch Onlineautoren gern auf Metaphern von prantl-hafter Eingängigkeit zurückgreifen (Christian Jakubetz zu #tag2020: "Würde man heute einen Opel Kadett bauen, wäre die Frage ja auch nicht die, ob... ..."; Dirk von Gehlen: "Die Geschichte handelt von einigen Uhrmachern, die dazu befragt werden, welche Haltung sie zu diesen modernen digitalen Zeitanzeigern haben..."). Vielleicht ticken viele doch ähnlich, in was für Formen ihre Texte erscheinen...

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[+++] "Würde ein Konzern mit Kaffee handeln, wäre ein Sparmodell nach dieser Machart wahrscheinlich ganz in Ordnung...": Der instruktivste Beitag zur deutschen Zeitungszukunftsdebatte steht ohne Spiegel-# in der Süddeutschen (S. 31): "An diesem Dienstag bekommt die Berliner Morgenpost Besuch von ihrer eigenen Zukunft", leitet Claudia Tieschky ihren Bericht über den Auftritt des Ex-WAZ-, nun also Funke-Geschäftsführers Christian Nienhaus im 19. Stock des Berliner Springer-Hochhauses ein. Aus dem Bericht entwickelt sich dann ein fulminantes Plädoyer gegen das im Springer/ Funke-Komplex wohl geplante, in seinen Ausmaßen noch ungewisse Modell, Zeitungen und Onlineauftritte formal getrennter Konzerne mit denselben Inhalten zu bestücken:

"Natürlich kann man auch grundsätzlich darüber diskutieren, ob das unendliche Internet nicht ohnehin die Vorstellung absurd macht, die Vielfalt der Meinungen könnte in Gefahr sein. Aber ob Zeitungen in Zukunft weiter journalistische Wettbewerber bleiben, Rivalen in der Deutung ihrer Zeit und um die Lesergunst, ist eine andere Sache",

schließt Tieschky. "Das schadet dem Geschäftsmodell Zeitung", steht in der Überschrift. Und mit Recht hält sie den Springer/Funke-Plan für bloß ein Symptom unter mehreren und nennt die fortbestehende Kooperation zwischen der BLZ und der inzwischen ja von der FAZ besessenenen Frankfurter Rundschau als ein weiteres.

[+++] Der unter Dramaturgieaspekten dramatischste Beitrag zur Metadebatte steht bei horizont.net und gilt dem dem Leistungssschutzrecht, das dummerweise inzwischen gilt. Was Justus Haucap, inzwischen nicht mehr Vorsitzender der Monopolkommission, aber weiterhin Mitglied, dazu im Interview sagt, beginnt bereits (erwartungsgemäß) skeptisch, steigert sich jedoch mit jeder weiteren Antwort in noch apokalyptischere Wucht:

"Alle Befürchtungen, die es im Vorfeld gab, scheinen sich zu bewahrheiten. Es trifft genau die Falschen... Ich bin mir auch relativ sicher, dass wir bald die ersten Abmahnungswellen erleben werden...",

beginnt seine antwort auf die dritte Frage. Die auf die vierte lautet:

"Man kann eigentlich überhaupt nichts Gutes an dem Gesetz finden. Es trifft die Falschen und es hilft auch den Falschen. Es fördert die Rechtsunsicherheit und öffnet dubiosen Abmahnern ein neues Geschäftsfeld. Es ist sicher eines der schlechtesten Gesetze, das die Bundesregierung verabschiedet hat."

In Haucaps fünfter Antwort heißt es:

"... Die Situation für die Verlage könnte sogar noch schlimmer werden. Google könnte ja auch irgendwann sagen, wir verlangen jetzt Geld dafür, dass ihr gelistet werdet. Wir bekommen jetzt für jeden Klick, den wir Euch liefern, einen Anteil."

Als wäre das LSR eine altgriechische Trägodie (Haucap in Antwort acht: "Es ist gescheitert, aber leider nicht wirkungslos")! Bloß in seiner letzten, der neunten Antwort hält Haucap einen Funken Hoffnung bereit: Die nächste Bundesregierung könnte das Gesetz wieder aufheben, eine schwarz-gelbe übrigens genau so wie eine rot-grüne. Denn den Politikern, die wirklich Gestaltungsspielraum haben, war der Inhalt dieses Gesetzes ja immer gleichgültig.

[+++] Am Ende sollten Autoren immer einen Funken Hoffnung parat halten, schon damit die Leser wiederkehren... Daher jetzt noch rasch zu Thomas Roth (Foto viiiiel weiter oben): Gestern debütierte er in den "Tagesthemen" und hinterließ in aller Kürze bei Onlinerezensenten einen guten Eindruck:

Er "startet mit einer Lektion in Demut" und verzichtete auf "großes Anchorman-Gehabe, das ja in Deutschland immer populärer wird" (Jan Wiele, faz.net). "Er wirkt nicht so, als wolle er die neue Bühne für irgendwelche Eitelkeiten nutzen" (Anne Burgmer, ksta.de die aber auch die schwache Überleitung zurück zum Fußballspiel kritisiert, das den Rahmen für die "Tagesthemen" bildete). "Roth lächelt sein Publikum zum Einstieg an, doch zoomt er sein Lächeln herunter, als es an die Themen des Tages geht" (Joachim Huber, tagesspiegel.de), freilich: "eigene Akzente ließen die sieben Minuten noch nicht erkennen."

"Die Sendung gerade war kurz, zu kurz für meinen Geschmack", merkte auch Thomas Hinrichs im Namen der ARD-aktuell-Chefredaktion im Tagesschau-Blog an (gestern schon um 22.02 Uhr), bevor er sich erwartungsgemäß über die besonders hohe Zahl von Zuschauern in der Fußballpause freut.

Selbst wenn man konzediert, dass eine Fußball-Halbzeitpause halt 15 Minuten dauert und solange ausgestrahlte Nachrichtensendung nicht länger dauern kann: Von solch einer Sendung auch noch Zeit abzuknapsen, damit im unmittelbaren Anschluss einer der ohnehin tumben ARD-Programmtrailer für die Wiederholung eines Degetokrimis mit Fritz Wepper am nächsten Fernsehabend werben kann, ist (wie ich gestern twitterte) eine öffentlich-rechtliche Frechheit.


Altpapierkorb

+++ Was sagen unsere Medienpolitiker? Wenn man sie fragt, immer gern etwas. Zur Springer/ Funke-Frage, also der Medienkonzentration, äußern sich bei newsroom.de: Tabea Rößner von den Grünen, der immer besonders gern gefragte Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) sowie Kathrin Senger-Schäfer von der Linken. Zur dankbareren Frage der Intendanten-Nebeneinnahmen, die der aktuelle Spiegel aufwarf, äußern sich bei focus.de ebenfalls Müller-Sönksen und Rößner. Irgendwie stieß turi2.de auch noch auf Martin Dörmann von der SPD ("mehr Transparenz"!). Dazu liegen auch weitere Journalisteneinschätzung en vor: von Hans-Peter Siebenhaar in seiner handelsblatt.com-Kolumne ("Stoppt die Doppelverdiener bei ARD und ZDF") und von David Denk in der TAZ ("Zeigt her euer Taschengeld"). +++

+++ Falls Sie sich fragen, was für ein Thema Thomas Roth auf dem Foto oben anmoderiert: den arg kurzen Beitrag zur gestern viel diskutierten Nachricht über die Idee der Grünen, in Kantinen einen vegetarischen Tag einzuführen. Dass die DPA diese Nachricht "aus alten Fleischabfällen der 'Bild'-Zeitung" geschöpft hat, meinte mit gewohnter Verve Stefan Niggemeier in seinem Blog. +++ Dessen am Montag im Altpapier erwähnter FAS-Artikel über die Funke-Gruppe als "Bad Bank" für Springer inzwischen auch frei online steht. +++

+++ Die SZ-Medienseite berichtet vom weiterhin in Syrien gefangenen Reporter Armin Wertz: "Das Auswärtige Amt arbeitet wohl mit Hochdruck daran, Wertz aus dem Gefängnis und aus dem umkämpften Land heraus zu bekommen", äußert sich aber überhaupt nicht. +++

+++ "Kante, Klartext, Kandidat", um 20.15 Uhr im ZDF, wird in der TAZ als "ein gelungenes Stück Fernsehen" gelobt: "Die beiden Autoren, Claus Richter, Redaktionsleiter bei 'Frontal 21', und Thomas Fuhrmann, Chef beim ZDF-'Morgenmagazin', verweigern sich dem Impuls, einen Gescheiterten vorzuführen." +++ Die NDR-Doku "Das Folterschiff" (21.15 Uhr) besprechen Katharina Laszlo in der FAZ und René Martens in der SZ ("Was fehlt, ist zumindest ein kurzer Blick auf die Hintergründe der Piraterie: die desaströse Lage in Somalia, das seit 1991 keine Zentralregierung mehr hat") +++ Unter anderem nach Kenia führt die Arte-Reportage (21.45 Uhr) über vermeintlich fairen Handel, die der Tagesspiegel empfiehlt. +++

+++ Aus den Noch-Nur-Springer-Newsrooms kommt ein Artikel zur Landser-Frage: Peter Praschl meint, von einem Verbot würde die Welt nicht schlechter, "wenn auch mit Sicherheit nicht besser". [Achtung, da wir hier im Altpapier Zeitungstitel ja ohne Anführungszeichen schreiben: Mit der Welt ist die Erde gemeint und nicht die gleichnamige Tageszeitung...] +++

+++ In der FAZ bespricht außerdem Gina Thomas akribisch "eine amüsante kleine Deutschland-Reihe von drei Dokumentationen auf dem zweiten Kanal der BBC", die nun mit der Sendung "Make me a German" endet. +++ Und in einer der Glossen am Rande derselben Medienseite kritisiert Stefan Schulz die Kleingeistigkeit des deutschen Medienrechts, weil es Video-Podcastern die von Youtube gegebene und sonst überall nutzbare Möglichkeit des Livestreamings ("Jeder, der mindestens hundert Abonnenten auf seinem Youtube-Kanal vereinigt, darf sie seit dem Wochenende per Livestream beschallen...") untersagt. +++

+++ Wer mit Zeitungsinhalten arbeitet dennoch und "frisches Geld" in "insgesamt sechsstelliger" Höhe bekommt: die Macher der alten, einst ja auch gedruckt abonnierbaren, inzwischen auf iPads verfügbaren Mix-Tageszeitung niiu (kress.de) +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.