Ein Hauch von Hollywood

Die schleichende Umwertung der Snowden-Enthüllungen. Die gelungene Mischung der Universalmedien (und ihr ewiges Relativieren). Georg Mascolos Comeback. Alles über Thomas Roth. Und "beachtlicher Durchhaltewillen" gegen den WDR.

Vielleicht spült Edward Snowden auch gerade jetzt wieder dieses oder jenes Fastfood mit Pepsi herunter. Sobald sich neue Anzeichen regen, wo oder wohin er gerade unterwegs sein könnte, werden jedenfalls Heerscharen von Reportern hinterher und vorweg reisen.

In den vor allem gestern grassierenden Berichten wurde seine Flucht beim Anmoderieren gern als "filmreif" apostrophiert. Gerade diese Filmreife scheint Berichterstatter in Universalmedien zu verleiten, selber in die Schuhe von Filmzuschauern zu schlüpfen, das amerikanische Wording zu übernehmen (so dass ab und zu schon mal ein "Verräter" herausrutscht) und es richtig und wichtig zu finden, dass dieser zum Happy-end erwischt wird. Schließlich sind die meisten Filme dieser Genres amerikanische, und meist sind die amerikanischen Agenten (nicht: Spione) dann doch die Guten. Von den britischen ganz zu schweigen.

Snowden wird nun von der ARD bis zur FAZ vorgehalten, dass er sich mit "fleckigem Heiligenschein" "in schlechte Gesellschaft" begäbe, falls er wirklich nach Ecuador flüchten wollen sollte. Beinahe so, als könnte er auch unter den 118 auf der Reporter-ohne Grenzen-Rangliste der Pressefreiheit besser platzierten Staaten frei auswählen.

Und beinahe so, als wäre es ungehörig, in deutschen Medien ausländische Dienste zu kritisieren, wenn sich mit Recht ja auch der BND kritisieren lässt, und ausländische Konzerne, solange die Konzerne, für die man selbst tätig ist, nicht Gesetze gegen deren Geschäftsmodelle erstreiten möchten (und es ansonsten die Deutsche Telekom gibt), äußert sich Kritik nur in merkwürdigen Konstellationen. Zum Beispiel warnt ausgerechnet Bernd Riexinger von der Linken ausgerechnet im Handelsblatt "nicht zuletzt auch" vor "potenzieller Wirtschaftsspionage unter Freunden". Zum Beispiel schreibt FAZ-Blogger Don Alphonso unter der Überschrift "E-Uporn statt Youporn" nicht nur von "Vasallenstaaten", sondern auch in gewohnter Verschlungenheit Besorgnis äußert, dass bei diesem "umgekehrten Wikileaks" ("wo ...nur an diejenigen geleakt wird, die etwas damit anfangen können") auch die Sexualpraktiken von Abgeordneten abgespeichert werden könnten.

Oder sie kommt auch gar nicht in deutschen Medien vor, die Kritik. Dass zum Beispiel das bislang im "Prism"-Kontext kaum genannnte Amazon als Anbieter von "Cloud-Services" zu den bestens von amerikanischen Geheimdiensten profitierenden und engstens mit ihnen kooperierenden US-Unternehmen gehört, berichtet zunächst der vielleicht aus "Futurezone"-Zusammenhängen geläufige Erich Moechel in seinem österreichischen ORF-Blog.

"Der Whistleblower Edward Snowden hat vor kurzem gesagt, das Schlimmste, was er befürchte, sei, dass seine Enthüllungen einfach verpuffen, und dass alles immer so weiter geht. Genau das ist das Problem. Es gibt keine vierte Gewalt. Es gibt nur Medien."

Mit dieser starken Abblende endet Wolfgang Michals Artikel bei Carta, der eigentlich gar nicht konkret um die Snowden-Causa kreist, sondern einen Überblick über besonders aufregende Medien-Aufreger der jüngeren Vergangenheit und über das gibt, was sich durch ihre mediale Aufbereitung geändert hat. Geändert habe sich trotz aller "Scoops" so gut wie nichts, und das liege daran, dass die Medien alle Inhalte nur im Rahmen "gelungenener Mischungen" bringen, durch die alles wieder relativiert werde.

Diese lesenswerte Analyse wird, wie unten drunter auch angemerkt ist, durch eine ähnlich lesenswerte Analyse Frank Luebberdings bei wiesaussieht.de relativiert. Es habe sich nach vielen medial vermittelten Aufregern doch etwas zum Besseren entwickelt, und die Medien

"liefern mit ihrer Berichterstattung den Rohstoff für die Herstellung dessen, was wir Öffentlichkeit nennen. Damit sind aber nicht die Medien selber gemeint, sondern der Staatsbürger",

argumentiert Luebberding. Vom Relativieren kommt eben niemand weg, der Überblicke zu geben versucht. Zumindest liefert diese kluge Debatte weitere Indizien dafür, dass das Bemühen um Darstellung der komplexen Verhältnisse in kaum oder nichtkommerziellen Blogs öfter besser funktioniert als in kommerziell angelegten Portalen.

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[+++] Jetzt aber endlich in die tagesaktuelle Presse! Einst zählte eine (fast)  komplette erste Feuilletonseite mit zum Höchsten, was Autoren erreichen konnten. Heute begeht dort (S. 25) ein renommierter Journalist sein Comeback: Georg Mascolo ist wieder da. Der im April dieses Jahres entlassene Spiegel-Chefredakteur war bekanntlich ein alter Hase des investigativen Journalismus und ist es nun gewiss erst recht. "Mit den Abhörpraktiken der Geheimdienste beschäftigt er sich seit 1990", heißt es unter der Autorenzeile. Mascolo greift in die "Prism"-Debatte auf Seiten der USA-Kritiker ein und erinnert an einen Aufreger, der medial sozusagen floppte, weil er zum falschesten Zeitpunkt herauskam:

"Am 5. September 2001 legte ein Sonderausschuss des Europäischen Parlaments seinen Untersuchungsbericht vor. Ein Jahr lang waren die Abgeordneten Hinweisen nachgegangen, dass ein weltumspannendes Abhörnetz existierte. Der Abschlussbericht ließ dann keinen Zweifel daran: 'Echelon' ... funktioniere wie ein gigantischer Staubsauger, der Telefonate, Mails und Kommunikation aller Art abfange. Dieses Programm spioniere die Welt aus, betrieben von einer Allianz aus Amerika, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. ... 'Wir können es beweisen, mit einer Indizienkette, die so stark ist, dass sie vor einem Schwurgericht standhalten könnte'",

habe der damalige Parlaments-Vizepräsident gesagt. Doch dann folgte der 11. September, und Geheimdienstkritik war obsolet. Nun aber sei es Zeit für einen neuen europäischen Untersuchungsausschuss in derselben Sache, plädiert Mascolo, und bereitet eine Menge Argumente dafür auf. Z.B.:

"Die NSA lässt die größten Computer der Welt entwickeln, in Oak Ridge, Tennessee, wo Amerika die Atombombe baute. Die Speicher für erfasste Google-Suchen, Facebook-Einträge und E-Mails sind so groß wie Flugzeughangars, gerechnet wird in Yottabytes, eine 1 mit 24 Nullen, 1000000000000000000000000. Die NSA arbeitet daran, dass möglichst viel der weltweiten Kommunikation über amerikanische Server und über amerikanisches Territorium verläuft. Die Dominanz der amerikanischen Internet-Industrie macht das Land zum Postamt der Welt und den Zugriff auf die Daten besonders einfach..."

Dass BND-Kritik eine Nebenrolle im Artikel spielt, versteht sich. Dass im Vorspann ("Wenn die Menschen erfahren, seit wann und in welchem Maße sie ausspioniert werden, würden ihnen die Augen aufgehen. Die Politik muss etwas tun") auch der Satz steht, mit dem im deutschen Sprachraum jedwede Debatte, egal wie interessant sie war oder sein könnte, traditionell abgeschlossen wird, sodass zu etwas Anderem übergeleitet werden kann, ist gewiss nicht Mascolos Schuld. Den abtörnenden Satz "Die Politik muss etwas tun" hat vermutlich der tagesaktuell fürs Gelingen der Mischung des Feuilletons zuständige FAZ-Redakteur drübergeschrieben.

[+++] Zur gelungenen Mischung des Altpapiers gehörte natürlich auch Neues aus den Anstalten. Bei der ARD-Intendantensitzung in Mainz, das ja nicht nur der Sitz des ZDF, sondern auch ein Sitz des SWR ist, wurde wieder das gewohnte Feuerwerk an Pressemitteilungen generiert. Wir empfehlen: "Das Erste: Kultur im Sommerloch" - pardon: "statt" heißt es natürlich! Also "statt" statt "im".

Die sich auf den Fernsehalltag der relativ meisten Zuschauer am meisten auswirkende Meldung betrifft Thomas Roth, der nun offiziell zum Nachfolger des frisch gebackenen WDR-Intendanten Tommy Buhrow berufen wurde. Dazu gibt es ein Füllhorn an Medienmedien-Meldungen (z.B.: Tsp., FAZ). Die BLZ hat gar Roth frisch interviewt (so wie Caren Miosga in den gestrigen "Tagesthemen" auch; hier ab Min. 0.25).

Den Vogel ab schießt unter den Zeitungen jedoch die TAZ. Vorn im Blatt bietet sie sowohl eine historische Einordnung der "Tagesthemen" durch Jürn Kruse als auch eine stilistische Einordnung Roths als Journalist ("so versiert wie old school") und Autofahrer (BMW-Cabrio) durch David Denk wie auch noch ein spätfeuilletonistisch ausgefeiltes, bloß grammatikalisch noch unreif ("Merke: Ein Bart kann sich nur stehen lassen, wem einer wächst") in Druck gegebenes Stückchen über Roths Gesichtsbehaarung von Arno Frank.

Was tatsächliche Inhalte betrifft, schießt den Vogel eher das Internet ab, bzw. der Ex-TAZler und jetzige NDRler Steffen Grimberg in seinem Zapp-Blog. Da nennt er Roth den "verdienten alten Römer der ARD", schöpft für Roths Engagement in Bezug auf den NDR-Kollegen Ingo Zamperoni den alten Begriff "Austragstüberl" neu und raunt gar noch von "mächtig[er] Bewegung" beim "geplanten Jugendkanal" von ARD und ZDF, die Grimbergs Chef, NDR-Intendant Lutz Marmor, angeblich bloß "mit Rücksicht auf das ZDF noch nicht" näher benennen konnte.

 


Altpapierkorb

+++ "In Tagen, in denen sich Pressefeinde wie der ecuadorianische Präsident Rafael Correa als Freunde der Meinungsfreiheit aufspielen, gilt es jemanden zu loben, der sich tatsächlich große Verdienste um die Informationsfreiheit - in diesem Land - erworben hat":  Weil auch der Text in der FAZ steht, bezieht sich "dieses" nicht auf Ecuador, sondern auf Deutschland. Wen Michael Hanfeld lobt: Marvin Oppong. Der freie Journalist hat mit "beachtlichem Durchhaltewillen" (FAZ) seit 2006 unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz gegen den WDR gestritten und "Aufklärung darüber verlangt, ob der Sender geschäftliche Beziehungen zu Firmen unterhält, die in Verbindung zu Mitgliedern des WDR-Rundfunkrats stehen". Nun hat er vorm Bundesverwaltungsgericht gewonnen. Mehr dazu, auch, dass der WDR trotz des Urteils "weiter auf Zeit" spiele, steht in Oppongs Blog (dessen Adresse die FAZ leicht falsch wiedergibt: oppong.wordpress.com lautet sie, die Kennung .eu funktioniert nicht). +++ Siehe auch evangelisch.de. +++

+++ Bei dem unter dem Namen "Offshoreleaks" vielleicht noch ein wenig geläufigen Aufreger, einem von denen, auf die Michal sich bezieht, muss die Süddeutsche eine Wende im Fall des prominentesten deutschsprachigen Betroffenen, "im Fall Gunter Sachs", vermelden. +++

+++ Auf der Medienseite berichtet die SZ knapp von einem kritischen Text über einen österreichischen Konzern, der bei der mehrheitlich Gruner+Jahr-besessenen Verlagsgruppe news aus dem Netz schnell wieder verschwunden ist. Freilich verschwindet aus dem Netz kaum etwas, von dem jemand möchte, dass es verschwindet. Hier bei kobuk.at befindet sich "eine gerettete Textversion". +++

+++ Ausführlicher berichtet auf der SZ-Medienseite Johannes Willms über Frédéric Beigbeders Versuch, das "Männermagazin" Lui wiederzubeleben (zum "psychologisch kalkulierten Preis" von nur 2,90 Euro). +++ Und es geht um Khin Mg Lay, der "ein halbes Jahrhundert ... auf den Moment warten" musste, "wieder eine Zeitung herausbringen zu dürfen". Jetzt, mit 80 Jahren, ist es so weit, und zwar in Myanmar. +++

+++ Heute stellt ProSiebenSat.1 seine neuen Programmideen in Hamburg vor. ProSiebenSat.1 und neue Programmideen? Ja, doch, beharrt Pro Sieben-Geschäftsführer Wolfgang Link im großen FAZ-Interview mit Peer Schader: "In der vergangenen Woche haben wir mit 'Got To Dance' erfolgreich eine neue Show gestartet. Und ich kann Sie beruhigen, die Ideen gehen uns nicht aus. Es kommt viel Neues in diesem Jahr. Bei den 'Reality Queens' waren wir im Übrigen ziemlich schnell - weil wir früh die Rechte für das Format eingekauft haben. Die Frage ist: Wer kopiert hier wen? Zudem versichere ich Ihnen: 'Catch the Millionaire' ist eine eigene Entwicklung. Außerdem arbeiten wir für 'Fashion Hero' mit dem Weltstar Claudia Schiffer zusammen...". Die absolute Top-Innovation, "die erste eigene Pro-Sieben-Sitcom, ganz klassisch nach amerikanischen Vorbild und - zum ersten Mal in Deutschland - mit Publikum bei der Aufzeichnung", stellte die FAZ frei online. +++

+++ Die TAZ-Kriegsreporterin hat scheinbar nichts gegen Thomas Roth. Dafür ist mal wieder Jan Spielhagen dran bei ihr. +++ Außerdem ließ sich Wilfried Urbe für die TAZ u.a. von Vertretern der Bertelsmannschen Fernsehfirma UFA ein paar Sätze über fernsehartige Inhalte im Internet sagen. +++

+++ Schließlich mutet die freudige Spannung auf einen neuen deutschen "Zeitungskrieg" bei newsroom.de angesichts der hiesigen HuffPo noch nicht ungeheuer fundiert an. Ist so ein Zeitungskrieg online nicht sowieso immer? +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.