Rote Rosen, schwarzer Schirm

Kulturelle Ausnahme und Weltpolizeistaat, Staatsgoogle und Soap-Verschiebung: Obama in Berlin. Außerdem: Orakel aus Griechenland, Chomsky in Bonn.

Tout Berlin ist aus dem Häuschen: Barack Obama weilt mit Familie in der Stadt. Bei der medialen Vermittlung des Besuchs zeigen die Medien, was sie können. Insbesondere entfaltet natürlich das öffentlich-rechtliche System seine Qualitäten.

Eine aktuelle Übersicht hat der Tagesspiegel kuratiert: So hätten "die Programmmacher der ARD" sich nicht lumpen lassen und ihre Telenovela "Rote Rosen" um fünf Minuten vorverlegt, "um pünktlich zum Brandenburger Tor schalten zu können" und die angekündigt historische Rede des Präsidenten zu übertragen.

Wir schalten kurz zum Internetauftritt der derzeit gut anderthalbtausendfolgigen Telenovela, tatsächlich: "Achtung: Aufgrund der Übertragung des Besuchs von US-Präsident Obama in Berlin beginnt 'Rote Rosen' diesmal ausnahmsweise schon um 14:05 Uhr. Dann lässt Merle ihre Halbschwester Rieke eiskalt abblitzen und will mit ihr nichts zu tun haben", heißt es dort.

Die morgendliche "Rote Rosen"-Wiederholung hat indes zur gewohnten Zeit um 9.05 Uhr begonnen, auch der "Sturm der Liebe" läuft im sog. Ersten plangemäß, denn vormittags wuppt das ZDF "Welcome Mr. President - Obama im Schloss Bellevue". So adelig, dass eine Doppelübertragung legitim wäre, ist Obama bekanntlich nicht.

Und "um 19 Uhr 15 ... zum Festbankett ins Schloss Charlottenburg", geht es nur mit Phoenix, dessen Zuschauer sich außer auf die Tischreden u.a. auch auf Peer Steinbrück freuen können. Für die Abendprogramme der Hauptprogramme sind bisher keine Programmänderungen vorgesehen. Dass noch ein "Brennpunkt" eingeschoben werden könnte, hält Tagesspiegel-Haudegen Kurt Sagatz aber für möglich. Das hängt womöglich von der Historizität der Rede ab.

[+++] Am Rande der Übertragungsfeierlichkeiten werden Obama und einheimische Politiker gewiss auch aktuelle Themen der Poltik bereden. Wie nicht nur die Scharfschützen von den verplombten Dächern pfeifen, könnte das eine oder andere mit Medien im weiteren Sinne zu tun haben.

Zum Einen hat Medienredakteur Michael Hanfeld für die erste Seite des FAZ-Feuilletons den schönen Aufruf "Lasst die Kultur leben" verfasst. Anlässlich des zur Verhandlung anstehenden europäisch-amerikanischen Freihandelsabkommens, das längst erledigten Vorausberechnungen zufolge Milliarden von Jobs, Euros und Dollars generieren soll, fordert er die kulturelle Ausnahme auch für deutsche Sonderrechte der Kultur, "die Buchpreisbindung, die Filmförderung, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk".

Dass der Rundfunkbeitrag für Hanfeld wiederum eine Art Ausnahme von der Ausnahme darstellt, überrascht nicht:

"Der seit Januar geltende Rundfunkbeitrag ist rechtlich fragwürdig. Ihn zu kippen, dafür braucht es kein Freihandelsabkommen. Ansonsten können mit der 'kulturellen Ausnahme' alle leben außer Google und Amazon. Sie bewahrt die Kultur in Europa und - das ist der Witz - auch in Amerika vor dem Ausverkauf. Dabei sollte es bleiben",

lauten die abschließenden Sätze des Aufrufs.

[+++] Zum Anderen erregt die amerikanische Globalüberwachungsinitiative namens Prism weiterhin diverse Teilöffentlichkeiten. Die deutsche Digitale Gesellschaft tut auf Youtube ihre Freude kund, mit ihrem Protest bereits in die ZDF-"heute"-Nachrichten gekommen zu sein. Wer ebenfalls im FAZ-Feuilleton unter ebenfalls kraftvoller, sofort unterschreibbarer Überschrift ("Wacht auf, es geht um die Menschenwürde") es der Allianz aus Geheimdienst und kalifornischen Konzern kräftig gibt, ist der FDP-Veteran Gerhart Baum.

Nicht nur schreibt er, dass "wir... auf dem Wege zu einem Weltpolizeistaat, der sich über Recht und Gesetz hinwegsetzt", seien und dass "der private Sektor... nicht minder bedrohlich" sei, weil "er sich noch schlechter kontrollieren lässt". Sein Aufruf gipfelt in der Passage:

"Europa, ein Projekt der Aufklärung, muss bei diesem Freiheitsthema eine Führungsrolle übernehmen. Bisher wird viel zu wenig diskutiert, dass der Schutz der Freiheit im Internet und vor dem Internet ein Völkerrechtsthema ist."

Ausdrücklich genervt zeigt sich Baum übrigens von einem jungen Parteifreund ("Bei einem Besuch des Wirtschaftsministers kürzlich im Silicon Valley durfte nicht der Eindruck entstehen, wir gingen einer wunderbaren, ungetrübten digitalen Zukunft entgegen")...

Ansonsten wird nun in diversen Onlinemedien das mehr oder weniger in Echtzeit geführte Online-Interview Edward Snowdens mit der Welt (guardian.co.uk) auf deutsch nachbereitet, etwa im österreichischen Standard. Dorothea Hahn tat es für taz.de in der pfiffigen Form einer Zusammenschau mit einem frischen Fernsehinterview des schon erwähnten Barack Obama ("Die beiden Männer im Zentrum des US-amerikanischen Schnüffelskandals kommunizierten am Montag über die elektronischen Medien miteinander").

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Instruktiv ist in diesem Kontext außerdem die von Patrick Beuth für zeit.de verfasste Übersicht über Internet-Überwachungs-Aktivitäten deutscher Geheimdienste, die sicher darunter leiden, dass deutsche Konzerne online kaum eine Rolle spielen, aber mit viel Budget stattfinden. Außerdem ist es das lustig illustrierte Gedankenspiel des vor allem technologisch interessierten Portals t3n.de über "ein deutsches Staatsgoogle oder ein Deutschbook", das manche wenig internetaffinen Politiker reflexhaft gegen die nun schon mehrfache genannten Konzern fordern. "Schnittstellen sind die Zukunft des Webs - und nicht Facebook oder Google", lautet Luca Caracciolos Fazit.

[+++] Was sicher gegen solche zentralistische Tendenzen hilft, wie sich auch Caracciolo stören, ist ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk, sofern er nicht zuviele "Rote Rosen" sendet. Wie wichtig ist, dass öffentlich-rechtlich nicht gleich staatlich bedeutet, wie fließend aber die Grenzen in der Praxis sind, versteht sich. In der Praxis wird es schnell kompliziert, so auch in Griechenland. Dort hat das höchste Gericht zwar gerade den Weiterbetrieb (Altpapier) des staatlichen Senders ERT nach seiner abrupten Abschaltung (Altpapier) angeordnet. Doch ist sein Spruch wohl eher sphingisch oder orakelhaft zu verstehen:

"Das Schicksal des griechischen Staatsrundfunks ERT bleibt bis auf weiteres unbestimmt", berichtet Panagis Galiatsatos in der FAZ. Reporter liefen am lauen Montagabend zwar "wie aufgeschreckte Hühner" vor ihre Kameras, "doch die Bildschirme bleiben schwarz. Und das Chaos in Athen geht in die nächste Runde", ergänzt Ferry Batzoglou (Berliner Zeitung). Eva Völpel schreibt in der TAZ von einem "Pyrrhussieg" für die ERT-Beschäftigten. Auch Galiatsatos in der FAZ berichtet von bereits "deutlich abgenommenem" Interesse an ihrem Streik und sich breit machender Resignation.

"Confusion reigns...", heißt es am Morgen bei enetenglish.gr.
 



Altpapierkorb

+++ Noch ein großer Amerikaner war gerade in Deutschland: Noam Chomsky, "84-jähriger MIT-Professor und linksintellektuelle Ikone" (Tagesspiegel), gastierte in der ehemaligen Hauptstadt Bonn bei der Deutsche Welle-Veranstaltung mit dem klangvollen Titel "The Future of Growth – Economic Values and the Media". Zwei Zeitungen berichten darüber, außer dem Berliner Blatt noch die FAZ (S. 31). "Nicht mehr ganz sicher auf den Beinen, die Stimme leise, aber die Schärfe seiner Kritik an der US-Politik hat kein bisschen gelitten", so beschreibt der Tsp. Chomsky und zitiert einen Satz von ihm: "I would like the press to tell the truth about important things": "Das war so etwas wie der Satz des Kongresses". "Und schwupps, schon flogen Sätze wie diese um die Welt. Vielleicht hilft es, sie aus den Angeln zu heben", schreibt Matthias Hannemann in der FAZ unter Bezug auf denselben Satz bei Twitter, ohne aber vom "mit viel Brimborium ... organisierten Aufeinandertreffen von Journalisten, Menschenrechtlern und Entwicklungshelfern" begeistert zu sein.  Insgesamt ausführlicher als Chomsky werden jeweils einheimische Koryphäen wie Guido Westerwelle (im Tsp.) und Lutz Marmor (in der FAZ) zitiert. +++

+++ Mit dem Onkel von der Zeit (siehe Altpapier) befasst sich Kriegsreporterin Silke Burmester nur eher kurz am Ende ihre mittwöchlichen TAZ-Kolumne. Dafür lobt sie im zweiten Absatz ausführlicher die "Leichtigkeit, mit der er", Friedrich Küppersbusch, "das Florett 'Zunge' führt". Dass das sexuell konnotiert ist oder sein könnte, liegt am ersten Absatz, in dem sich überdies ein Anzeigen-Idee für Printmedien mit zuviel Platz verbirgt. +++

+++ Immer sicher auf den Beinen, wegen Schärfe seiner Kritik freilich weniger gefürchtet: Guido Knopp. Im Spiegelsaal von "Clärchen’s Ballhaus" in Berlin-Mitte, dem Originalschauplatz seiner künftigen Geschichts-Talkshow auf Phoenix, stellten er und die Phoenix-Chefs (traditionell sind's zwei, einer vom ZDF, einer von der ARD) dieselbe vor. Es berichten schwungvoll angetan der Tagesspiegel, etwas karger die TAZ. +++ Die FAZ interviewt Knopp ("Ist das Ihr einziges Projekt?" - "Nein, ich habe einen Vertrag mit der AVE, der TV-Tochter der Verlagsgruppe Holtzbrinck. Wir entwickeln Dokumentationen, Dokudramen und Fernsehfilme." - "Was bearbeiten Sie da?" - "Es sind Themen aus der Zeitgeschichte, aber nicht nur. Ich habe zuletzt auch frühere Jahrhunderte bearbeitet, gerade das Mittelalter. Ich sage immer scherzhaft: Die Probleme, die Otto I. im zehnten Jahrhundert mit den Herzögen seiner Stämme hatte, die hat Merkel heute mit den Ministerpräsidenten der Länder".) +++

+++ "Nach der ersten Medienwelle, deren Höhepunkt in Deutschland die Offshore-Verstrickung des verstorbenen Playboys Gunter Sachs war, setzte Ernüchterung ein": Bei Carta dreht Wolfgang Michal seinen Metaartikel zum besonders in Deutschland schnell verpufften "Offshoreleaks"-Scoop weiter. +++

+++ Wie Journalisten "auch aus der Küche lernen können", oder zumindest von Carolin Emckes Großmutter lernen sollten, exemplifizierte dieselbe vor "200 Gästen während der Speisenfolge an varietégemäß beleuchteten Tischen" im Rahmen einer Laudatio auf den neuen Herbert-Riehl-Heyse-Preisträger Hans Holzhaider (Süddeutsche). Leider verschweigt Claudia Fromme die Speisenfolge selbst. +++

+++ Außerdem beleuchtet die SZ-Medienseite 27 das öffentlich-rechtliche Fernsehen: Einerseits schaute sie zu, wie Iris Berben für einen künftigen ZDF-Mehrteiler Cosima Wagner spielt ("über fünf Jahrzehnte hinweg, also auch unter dem Einsatz von einer Menge Make-up und Perücken"). +++ Andererseits ließ sich Autor Matthias Kohlmaier vom "erwartungsgemäß braungebrannten" Kai Pflaume höchstselbst auf dem Laptop dessen heute startende ARD-Kurzreihe "Zeig mir deine Welt" vorführen, in der Pflaume "junge Menschen mit Downsyndrom" vorstellt. Sie "erreicht etwas, was TV-Produktionen selten gelingt: die Realität abzubilden und trotzdem zu unterhalten", so Kohlmaiers Fazit. +++

+++ Von übler "Eskalation des Hasses" berichtet Jürg Altwegg knapp auf der FAZ-Medienseite: "Es gab einen Aufruf zur Vergewaltigung der bekannten Journalistin Rokhaya Diallo. Sie arbeitet für RTL und Canal+. Und sie gehört zu den Mitbegründern eines Medienpreises, der jedes Jahr an den Urheber des übelsten rassistischen Spruchs verliehen wird". +++

+++ Die SZ vermeldet eine 3,6 Mio. Dollar-Schadensersatz-Klage des US-Fotograf Kai Eiselein gegen buzzfeed.com. Worum es genau geht, steht frei online beim Guardian. +++

+++ "Wissen wir denn, was das Reh denkt, wenn es vor den Scheinwerfern des Schwertransporters, der es gleich überfahren wird, auf der Straße wie angewurzelt stehen bleibt? Vielleicht denkt es ja, was es leider nicht auf Facebook posten kann: gefällt mir", lauten die abschließenden Sätze des großen Dietmar-Dath-Aufmachers im FAZ-Feuilleton, der auf Dath'sche Weise um "das vierte Zeitalter des bewegten Bildes" (nach Stumm- und Tonfilm sowie Fernsehen "jetzt das Web") kreist. +++

+++ Von einer Verwirrung unter Alan-Bangs-Fans wegen des zwischenzeitlichen Anscheins, Bangs' Sendung "Night Flight" könnte bei DRadio Wissen abrupt abgesetzt worden sein, kündet "das mit Abstand größte Archiv zum Thema Alan Bangs-Playlists", nämlich das "Alan Bangs Archiv" (cologneshark.com). +++

+++ Mal deprimiert es, mal begeistert es, das deutsche Öffentlich-Rechtliche, sagte dann noch, enorm dialektisch, Norbert Lammert gestern (via Funkkorrespondenz bei Twitter). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.