Immer mehr Metaebenen, immer weniger Medienseiten. Außerdem: Gummistiefel im Kopf, Lob für und Kritik an aktuellen Yahoo-Angeboten, der Frankfurter Tag des Online-Journalismus.
Ein Trend dieser wie jede andere Zeit auch faszinierenden Zeit: Immer mehr Metaebenen mäandern bzw. wabern (oder wie Ebenen sich sonst eben bewegen) durch die Mediensuppe.
Der Terminus "Mediensuppe" stammt aus dem Hintergrund von Karlheinz Stannies' Karikatur zu seinem Blogbeitrag über die neueste WAZ-Kabale, nämlich den Verkauf eines Teils des Zeitungszombies Westfälische Rundschau. Und dass bei so einem "immer mehr" wie im vorvorigen Satz selbst bereits Metaebenen mitschwingen, versteht sich längst. Jedenfalls das aktuellste Beispiel für wabernde Metaebenen: die Gummistiefel im Kopf jedes Journalisten, der über die Berichterstattung zur Flut zu schreiben hat. Schließlich hatte einer bekannten Legende zufolge der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder die damalige Bundestagswahl 2002 doch noch sensationell gewinnen können, weil Fernsehbilder und Fotos ihn in Gummistiefeln zeigten. Frisch aufgelegt wurde die Legende z.B. in der Frank-Plasberg-Show vom Montag im Einzelinterview mit dem Zeitzeugen Michael Spreng. Exemplarisches Beispiel dafür, wie in einem aktuellen Bericht unter Gummistiefel-Überschrift über die Gummistiefel, die die aktuelle Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Flutgebieten nicht trug, berichtet wird: dieser auf der Tagesspiegel-Titelseite.
Aber Horst Seehofer trug welche, erfährt man dann im Medienressort bei tagesspiegel.de. Dort hat Kurt Sagatz mit kontextsensitiven Wortspielen ("Jede TV-Sondersendung über das Geschehen in Passau oder Grimma erzielt Quoten-Hochstände") eine Menge Beobachtungen zum Fernseh-Widerschein der Flut zusammengetragen. Seine Kernthese: "Der Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Passau ist ein Fernsehmoment mit politischer Strahlkraft". Zu sehen war dieser Moment gestern live "bei den privaten Nachrichtenkanälen von n-tv und N24", wobei jedoch die Schuhe Merkels und ihrer Begleiter nicht zu sehen gewesen seien: "Zusatzinfos, Laufbänder, aber vor allem die Mikrofone der Fernsehteams geben den Blick auf das Schuhwerk nicht frei."
Wo derselbe Moment nicht live zu sehen gewesen war: bei ARD und ZDF.
"Das ZDF lässt am Dienstag in 'Volle Kanne' den Kanzlerinnen-Moment verstreichen, in der ARD stört kein Laufband den 'Sturm der Liebe'",
hat Sagatz beobachtet. Die zahlreichen sonst noch von ARD und ZDF betriebenen Fernsehprogramme hat er natürlich auch im Blick. Und darauf, dass der Fernsehmoment in Passau dann doch nicht ungeheuer einzigartig war, weil Merkel weitere Bundesländer besuchte, weist er ebenfalls hin ("... Auch in Greiz in Thüringen wartet schon eine Reporterin der ARD auf Angela Merkel."). Was Sagatz in einer faszinierenden Schwebe belässt: seine Meinung zu all den Beobachtungen.
War es ein Versagen des ZDF, aus seiner Sendung "Volle Kanne" nicht live nach Passau geschaltet zu haben? Oder war es eher gut so, schon weil Gerhard Schröder ja anno 2002 die Wahl wegen solcher Bilder gewonnen haben soll, also das sowieso oft als regierungsnah apostrophierte ZDF mit einer Liveschaltung der amtierenden Kanzlerin einen Vorteil verschafft hätte?
Das ist freilich kein Vorwurf an Kurt Sagatz. Grundsätzlich sind Meinungen ja in mindestens ausreichendem Ausmaß vorhanden, und wer unbedingt eine weitere sehen möchte, kann sie ja selber untendrunter schreiben. Die entsprechenden Klicks tragen dann auch zum eventuellen kommerziellen Funktionieren des Angebots bei.
[+++] "Wir müssen die Leser im digitalen Raum stärker fesseln" - diese Marschrichtung gab Vincent Peyrègne vom globalen Zeitungsverband WAN-IFRA gerade beim Kongress in Bangkok aus. Denn: "Zwar schauten viele Internetnutzer auf die Online-Angebote von Zeitungen, verbrächten dort aber wenig Zeit, sagte Peyrègne - im Schnitt 1,3 Minuten". Einen Bericht vom Kongress gibt's auf der Online-Medienseite des Hamburger Abendblattes. Selbstverständlich handelt es sich um einen Agentur-Bericht; einen Reporter nach Bangkok zu entsenden wäre nun wirklich wirtschaftlich unverantwortlich.
[+++] Überhaupt verschwinden aus immer mehr Zeitungen die Medienseiten. Beziehungsweise gibt es seit kurzem wieder eine Zeitung mehr, die eigenständig auch über Medien berichtet. Beide Lesarten sind möglich, schließlich sind seit Anfang des Monats die Inhalte der Frankfurter Rundschau nicht mehr mit denen der Berliner Zeitung identisch, sondern werden wieder von einer eigenen Redaktion erstellt. Allerdings zählt zu den ersten Schritten, mit denen das Ex-Traditionsblatt sich positionieren möchte, die ausdrückliche Abschaffung der zuvor recht regelmäßig vorhanden gewesenen Medienseite (meedia.de, Beweisfoto der nicht frei online verfügbaren Original-Ankündigung bei Twitter, von Svenja Siegert). Was man sonst noch aktuell über den Neustart der ehemaligen Traditionszeitung unter FAZ-Regie wissen wollen könnte, steht bei journalist.de.
Und läuft die von Chefredakteur Arnd Festerling versprochene Integration der Medienberichterstattung ins Feuilleton bereits? Bei fr-online.de im Kulturressort ganz oben steht am Mittwochmorgen immerhin eine Fernsehkritik eines, gerade hier auf evangelisch.de, guten Bekannten.
Für den eben angedeuteten Trend, dass aus immer mehr Zeitungen die Medienseiten verschwänden, würde das eine Beispiel der FR alleine nicht ausreichen, "mehr" müssen schließlich immer mindestens zwei sein. Daher: Zumindest bei Twitter kursierte, dass auch der Kölner Stadtanzeiger seine Medienseite aufgeben solle.
[+++] Zwei relativ konträre Meinungen zum Konzern Yahoo? Auch gerade zu haben. Einerseits lobt Sascha Lobo in seiner SPON-Kolumne das Netzwerk Tumblr, und zwar weil das dort eingerichtete "Tumble-Log #occupygezi ... mustergültig den fortgeschrittenen Funktionsumfang sozialer Medien in Krisensituationen" zeige. Lobos eigentliches Thema ist die "soziale Netzwehr" in der "türkischen Revolte", also bei den Protesten gegen Ministerpräsident Tayyip Erdogan.
Der auch schon traditionsreiche Internet-Konzern Yahoo hat dieses Tumblr kürzlich gekauft. Aktuelle und sehr berechtigte Kritik an Yahoo bezieht sich auf eine Passage in den AGB des E-Mail-Dienstes "Yahoo! Mail", die lautet:
"Yahoo! scannt und analysiert mittels automatischer Systeme alle eingehenden und ausgehenden Kommunikationsinhalte, die von Ihrem Account gesendet und empfangen werden (wie zum Beispiel Mail und Messenger Inhalte einschließlich Instant Messenger- und SMS-Nachrichten) ... insbesondere um Ihnen für Sie relevante Produktfunktionen und Inhalte zur Verfügung zu stellen".
"Yahoo schafft Fernmeldegeheimnis ab" (datenschutzbeauftragter-info.de) würden ältere Mitbürger dazu sagen. Auf den heutigeren Nenner "Yahoo liest jetzt E-Mails mit" bringt es Marin Majica in der Berliner Zeitung (nun aber nicht mehr in der Frankfurter Rundschau; wie es mit der faktisch derzeit noch vorhandenen Medienseite der BLZ weitergeht, ist ohnehin ungewiss...).
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[+++] Es gibt auf den gedruckten Medienseiten der deutsche Tageszeitungen natürlich weiterhin, gelegentlich, große und sinnvolle, übers Tagesgeschäft hinausreichende Artikel, die komplexe Themen erklären, eine klare Meinung haben und dennoch differenziert argumentieren. So ein Stück steht heute auf der SZ-Medienseite 31. Claudia Tieschky hat es über die Netzneutralität geschrieben, die sie mit einer Menge schlüssiger Metaphern erklärt. Dass die Deutsche Telekom bekanntlich ankündigte, bei ihren Kunden die Internet-Geschwindigkeit zu drosseln, wenn ein bestimmtes Datenvolumen überschritten wurde, aber eigene Angebote wie "Entertain" davon auszunehmen,
"das ist ungefähr so, als wenn ein Stuttgarter oder Wolfsburger Kraftfahrzeughersteller nebenher Autobahnen bauen und nur noch für die eigenen Modelle Asphaltdecke freigeben würde, für die anderen tut es auch Schotterpiste",
schreibt Tieschky. Eine in sich präzise Definition hat sie aber auch:
"Netzneutralität würde bedeuten, dass ein Infrastrukturanbieter eigenen Angeboten keinen technischen Vorteil verschaffen und Konkurrenten keinen Nachteil aufbürden darf."
Und sie malt aus, was es bedeuten könnte, wenn diese Netzneutralität nun an einer vielleicht harmlos erscheinenden Stelle ausgehöhlt wird:
"Die Politik muss also entscheiden, ob sie es zulässt und in Kauf nimmt, dass in der digitalen Netzwelt die Rundfunkanstalten samt gesellschaftlichem Auftrag im Extremfall zur netten Selbsterfahrungsgruppe werden - die nicht nur ihre wunderbaren Talkshows, sondern auch Nachrichten, politische Hintergründe und Kultur unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit produzieren."
Illustriert ist der Artikel mit einem Foto aus dem Bundestag, auf dem u.a. Kristina Schröder sehr intensiv auf ihr Smartphone schaut. Die passende Bildunterschrift dazu: "Im Wahlkampf 2013 ist es für jeden Poltiker Pflicht, online zu sein. Die Netzneutralität spielt aber keine Rolle".
Es passt aber auch zum Onlinejournalismus, dass bei sueddeutsche.de im Medienressort dieser Artikel derzeit nicht steht, jedoch gleich zweimal dieselbe Kristina Schröder genannt und zu sehen ist - jeweils in solchen Boulevard-Promi-Gaga-Textchen, die in den Online-Medienressorts die Hauptrolle spielen.
+++ Stefan Niggemeier hat in Köln die Arbeit an Friedrich Küppersbuschs gespannt oder gespannter erwarteten Fernsehsatire "Tagesschaum" aufgenommen. Wo man das erfuhr: in Frankfurt beim Frankfurter Tag des Online-Journalismus, wo Niggemeier aus Köln zugeschaltet referierte. Einen zusammenfassenden Bericht hat evangelisch.de, das Mitveranstalter war. Außerdem gibt's eine schöne Storify-Aufbereitung von Bjoern Thar, der sich z.B. die Aussage des ehemaligen Spiegel-Mitarbeiters Niggemeier "Die Zeiten sind vorbei, in denen die Menschen glauben, was im Spiegel steht, weil es im Spiegel steht" entnehmen lässt. +++
+++ "Wenn es um unnötige Gewalt gegen Demonstranten sowie um Ruppigkeit gegenüber Journalisten geht, war das der negative Höhepunkt meiner Karriere", sagte der u.a. für die Frankfurter Rundschau arbeitende Fotograf Sascha Rheker zur TAZ. Es geht um den Frankfurter Polizeieinsatz außer gegen Blockupy-Aktivisten auch gegen Berichterstatter am 1. Juni. +++
+++ "Das WAZ-Imperium bröckelt weiter. Schon seit die Funke-Mediengruppe zum 1. Februar 2013 die Redaktion der 'Westfälischen Rundschau' aufgegeben und die Lokalteile am Ostrand des Reviers von verschiedenen Mitbewerbern ... einkauft, ist der einst stolze Titel 'Zeitung des Ruhrgebiets' nicht mehr zu halten. In der geöffneten Flanke knickt nun ein kleinerer Pfeiler", schreibt Andreas Rossmann auf der FAZ-Medienseite zur eingangs erwähnten jüngsten WAZ-Kabale. +++
+++ Bonusmaterial zum ebenfalls oben erwähnten Deutsche Telekom-Angebot namens "Entertain": Dort ist nun auch Sky integriert, und zwar weil Sky weitere Fußballrechte besitzt, die die Telekom nicht mehr besitzt. Vom Kölner Pressefrühstück, auf dem die Kooperation erläutert wurde, berichtet dwdl.de. +++
+++ "Jetzt, im Lebensabend, gönnt er", Warren Buffett, der legendäre Investor, "sich das Hobby, Zeitungen zu sammeln, so wie andere Pfeifen, Kronkorken oder Glastierchen um sich scharen". Und "so sorgt er, dessen Investitionen genau beobachtet und gerne kopiert werden, für Optimismus in Amerikas Verlagshäusern. Seht her, wenn Buffett Geld lockermacht, muss die Branche doch eine Zukunft haben!", pfeift die berichtet Süddeutsche im Walde aus den USA. +++
+++ Auf der FAZ-Medienseite geht's u.a. um türkische Fernsehberichterstattung während der oben erwähnten Proteste gegen Erdogan: "Auf TRT, dem türkischen Staatsfernsehen, werden Bilder vom Pokalsieg von Bayern München gezeigt, auf Show TV gibt es eine Kochsendung, und bei A-TV geht es um mögliche Hintergründe des Mordes an einer Hausfrau in der Provinz", berichtet Karen Krüger. +++
+++ Zu den traditionell vielen Fernsehsendungs-Ankündigungen auf der FAZ-Medienseite gehört heute eine zur neuen Sendung "Mr. Dicks" des ARD-Digitalkanals Eins Festival. "Das schon auf den ersten Blick ersichtliche Problem dieses 'Autorenfernsehens vom Feinsten' ist allerdings, dass sich der Sender gar nicht traut, einen Autor vorzustellen, mit dessen Ansichten wir uns auseinandersetzen". Doch könne die Sendung "aber ästhetisch und in der Bildgebung punkten", meint Stefan Schulz: "'Mr. Dicks' ist also vor allem der Versuch einer Aufholjagd - das Fernsehen läuft dem Internet hinterher." +++
+++ Wie "gestandene Publizisten und Medien-Shaker", "die mit ihren Old-Boys-Netzwerken eine Brut wie Lars Xing gesäugt haben", etwa Uli Wickert und vielleicht auch Tom Boring jammerten, weil ihr Hamburger Lieblings-Italiener vom Xing-Gründer plattgemacht werden sollten, jedoch offenbar erfolgreich jammerten, ist eine der Geschichten der TAZ-Kriegsreporterin. +++
+++ Hopsala, Spiegel Online hat sich relauncht. Die obligate Opulenz, die bei jedem Relaunch jeder Webseite immer verstärkt wird, ist das Ziel. "Power-Teasing für das kostenpflichtige E-Paper" (kress.de) aber auch. Inhaltlich gibt es weiterhin bewährt bunte News wie "Adolf Hitlers Vater will seinen Sohn sehen", aber auch die aufschlussreiche und aufschlussreich aufgemachte vom Pianisten Krystian Zimerman, der ein Konzert unterbrach und u.a. "Die Vernichtung der Musik ist enorm durch YouTube" sagte. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.