Das Event-Event von Kunduz

Das TV-Wahljahr 2013 hat begonnen, und in der Debatte um den Rundfunkbeitrag wird der Ton noch schärfer. Außerdem: Pflegt Heribert Prantl eine untersuchenswerte Bildsprache? Bringt die Degeto bald Männerfilme? Was sind die billigsten Tricks im Journalismus?

Oh, du wunderschöner NDR! Du sollst ewig Pflaume-Sender sein! Wir steigen hier ausnahmsweise mal mit etwas sehr Leichtem ein, nämlich der Adaption einer Volksweise. Wie lange Kai Pflaume („Klein gegen Groß“, „Dalli, Dalli“) beim Sender bleiben wird, weiß man noch nicht hundertprozentig, einen „langfristigen Exklusivvertrag" (WAZ) hat der NDR aber gerade abgeschlossen. „Das ist spitze“, sagt Lutz Rosenthal Marmor, der Mann, der beim NDR an der Spitze steht (siehe auch meedia.de).

[+++] Weitaus brisanter ist derzeit die Frage, wie lange der Pflaume-Sender noch ein Beckmann-Sender bleibt. Womit nicht der freie Mitarbeiter Reinhold Beckmann gemeint ist, der gestern aus der Winterpause zurückkehrte (und mit der Schmach leben muss, in dieser umfassenden Talkshow-Studie nicht vorzukommen), sondern die Nummer zwei im Laden, der direkt hinter dem Spitzenmann Marmor rangierende Programmdirektor Frank Beckmann. Der frühere Geschäftsführer des Kinderkanals gehört, ebenso wie der derzeit beurlaubte aktuelle jenes Senders (siehe Altpapier),

„zu den vier Beschuldigten in dem Ermittlungsverfahren, das die Staatsanwaltschaft Erfurt wegen des Vorwurfs der Untreue und der Beihilfe zur Untreue eröffnet hat.“

Recherchiert haben dies Mitarbeiter aus Beckmanns Hause, nämlich aus der Redaktion des Medienmagazins „Zapp“. Einen handelsüblichen Beitrag gibt es dazu noch nicht, nur einen als Pressemitteilung verfassten Text, aus dem das Zitat stammt. Die Berichterstattung anderer zu dem Thema (siehe etwa Tagesspiegel) geht nicht über das hinaus, was „Zapp“ selbst meldet. Ausnahme: Kai-Hinrich Renner (Hamburger Abendblatt), einer der ganz großen Experten in jenem Bereich, in dem sich die Themen Frank Beckmann und „Zapp“ kreuzen. Er weist darauf hin, dass

„der Fernsehdirektor in der aktuellen ‚Zapp‘-Ausgabe, die nicht mal 16 Stunden vor Veröffentlichung der Pressemitteilung lief, mit keinem Wort erwähnt (wurde). Nach Angaben eines NDR-Sprechers lag das daran, dass die Story zu dem Zeitpunkt noch nicht wasserdicht gewesen sei. Das wurde sie offenbar erst nach einem Anruf des NDR-Justiziars Werner Hahn bei der Erfurter Staatsanwaltschaft, die ihm bestätigte, dass gegen Beckmann ermittelt wird.

Zu Frank Beckmann fällt mir stets die Begebenheit von einer Pressekonferenz ein, bei der sich neben ihm unter anderem die „Panorama“- und „Zapp“-Moideratorin Anja Reschke auf dem Podium befand. Als er ihr ein Glas Wasser reichte, untermalte der das mit dem Spruch: „Ich wollte Ihnen schon immer mal das Wasser reichen.“ Er fand das witzig, sonst im Raum aber niemand. Viel mehr muss man über den Mann eigentlich auch nicht wissen.

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Freuen sich beim NDR nun alle darüber, dass die eigenen Leute in Sachen Beckmann etwas Exklusives recherchiert haben? Weiß man nicht. Ungeteilte Freude dürfte dagegen darüber herrschen, dass die vom NDR (und arte) co-produzierte, aber in Deutschland noch nicht ausgestrahlte Doku „Töte zuerst - Der israelische Geheimdienst" („The Gatekeepers") für den Oscar nominiert wurde (meedia.de, siehe auch Altpapier).

[+++] Ob das ebenfalls von NDR und arte produzierte Dokudrama „Entscheidung bei Kunduz“ preiswürdig sein wird, ist noch nicht zu ermessen. Ein paar Schnipsel bekam man am Mittwoch schon zu sehen bei einer Pressekonferenz, auf der ARD und Degeto einen Überblick über die Fernsehfilme des Jahres lieferten (siehe beispielweise Blickpunkt:Film). Im dort verteilten Presseheft ist „Entscheidung bei Kunduz“ neben fünf weiteren Produktionen als „Eventfilm“ aufgeführt, in der ein paar Seiten später folgenden Rubrik „Filmmittwoch im Ersten“ kommen vier davon, darunter „Entscheidung bei Kundus“, noch einmal vor. Für den Fall, dass es schon jemand vergessen hat, sind sie mit dem Stempel „Event“ versehen. Vielleicht könnte die ARD für solche Produktionen ja die Marke „Event-Event“ einführen, angelehnt an den „Filmfilm“ von Sat 1. Ob man einen Film über die „Kunduz-Affäre“ (Bild-Zeitung) bzw. den „folgenschwersten Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr seit dem zweiten Weltkrieg“ (NDR im Sommer 2012) überhaupt als „Event“ verkaufen sollte (sei es als einfachen oder doppelten), steht freilich auf einem anderem Blatt, aber darüber können die ARD-Strategen ja noch ein bisschen grübeln, denn gesendet wird erst im dritten Quartal.

[+++] Zwangsläufig ein Thema war bei der ARD-PK auch der neue Rundfunkbeitrag - zum Beispiel in der Rede der Fernsehfilmkoordinatorin Verena Kulenkampff, die anmerkte, dass man in der Diskussion darüber nicht immer nur über das Informationsangebot reden sollte: „Es wäre zu kurz gegriffen, öffentlich-rechtliches Programm allein an der politischen Berichterstattung und an der Anzahl der Dokus festzumachen“ beziehunsgweise „auf ein so enges Profil festlegen zu lassen, dass es sich auf einem Spartenkanal wie Phoenix abbilden ließe“. Der erste Teil des Zitats findet sich in der FAZ (Seite 39).

Die Debatte um den Rundfunkbeitrag (siehe, nur zum Beispiel, dieses Altpapier) scheint gerade noch einmal an Fahrt aufzunehmen: 

„Die von der Drogeriekette Rossmann eingebrachte Popularklage gegen den neuen Rundfunkbeitrag ist vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof angenommen worden“,

berichet Michael Hanfeld in der FAZ mit spürbarer Genugtuung. Und in der SZ ist der „Unmut über die neue Rundfunkgebühr“ das Hauptthema auf Seite 1 - bzw. in der Online-Ausgabe der Aufmacher des dortigen Medienteils:

„Aus Sicht des Bayerischen Rundfunks wird die Wirtschaft durch den neuen Rundfunkbeitrag ‚insgesamt weniger‘ belastet. BR-Intendant Ulrich Wilhelm will die Empörten befrieden und deutete Dialogbereitschaft an: Wenn es in einzelnen Branchen, wie zum Beispiel in Filialbetrieben, zu unverhältnismäßigen Belastungen komme, werde dies bei der vorgesehenen Überprüfung des Gesetzes 2014 ‚eingehend besprochen‘, sagte Wilhelm.

Claudia Tieschky, Mitverfasserin des Seite-1-Textes, kommentiert auf der Meinungsseite:

„Natürlich nervt die ständige Jammerei der deutschen Unternehmen und Verbände über vermeintliche Zumutungen, die ihnen allgemein aufgebürdet werden - beim Streit um die Rundfunkabgabe sind sie nicht weniger nervend. Dabei sind es die Privatleute, die 92 Prozent der Rundfunkfinanzierung stemmen, nicht die Rossmanns, Sixts und Edekas. Im Fall der neuen Abgabe für ARD, ZDF und Deutschlandradio hat die Macht der lobbystarken Dauerempörten aber etwas Gutes. Wenn sich die Unternehmen nun wehren und mit ihren Truppen aus Rechtsabteilungen und Gutachtern das Gesetz anfechten, dann ist das auch im Sinn des privaten Beitragszahlers.“

Weitere Beiträge zum Thema gewünscht? Siehe dwdl.de (mit „kühlen Fakten“) und kress.de (mit Anti-Bild-Zeitungs-Fakten vom SWR).

[+++] Um vor dem Einstieg in den Altpapierkorb noch einmal einen Bogen zum hier heute dominierenden NDR zu schlagen: Am Mittwoch und Donnerstag hat dessen Drittes Programm das TV-Wahljahr 2013 eingeläutet. Über das gestrige „TV-Duell“ zwischen David McAllister und Stephan Weil, den Spitzenkandidaten der CDU und der SPD für die niedersäschsische Landtagswahl, hat süddeutsche.de gebloggt. Laut Headline war es ein „lebhaftes Unentschieden“. Ist das so etwas Ähnliches wie ein 0:0 der besseren Sorte? Die Überschrift der faz.net-Frühkritik - „Gorleben und die Linke“ - macht eher neugierig. Ein in zumindest einer Hinsicht historisches Duell war es möglicherweise auch noch, wie wir der FAZ-Kritik entnehmen:

„Der Moderator Andreas Cichowicz, Chefredakteur des NDR, nannte es das anspruchsvollste Duell von den acht, die er bisher in Norddeutschland vor Wahlen moderiert habe: Dass aus Niedersachsen immer wieder herausragende Politiker kämen, sei offenkundig nicht Zufall.“

Wer gern etwas liest, was mit jenem herausragenden niedersächsischen Politiker zu tun hat, der öfter als jeder andere niedersächsische Politiker im Altpapier erwähnt wird und derzeit mal wieder jenseits des Politischen Aufmerksamkeit bekommt, liest möglicherweise auch gern dieses Interview.


ALTPAPIERKORB

+++ Mit einem En-Passant-Abgesang Heribert Prantls auf Blogs und dessen eigenwilliger Metaphorik - dieses Mal geht es um Sandwiches, sonst um Maulwürfe oder die Wasserpest; mir scheint sein Stil mal eine Grundsatzuntersuchung wert zu sein - beschäftigt sich Wolfgang Michal bei Carta.

+++ Wie können und sollen sich Blogs in Zukunft finanzieren? Bei netzpolitik.org gibt es dazu einen sehr langen Beitrag.

+++ Wie kommuniziert man am besten mit Lesern? Vielleicht so wie Tom Standage, der „Digital Editor“ bei The Economist, der bei Reddit allerlei Fragen zum Redaktionsalltag bei seinem Magazin beantwortet (via @kopfzeiler).

+++ Bekommen wir Nachrichten künftig auf Restaurantquittungen geliefert? Womöglich gibt es bessere Ideen zur Zukunft des Journalismus. (Future Journalism Project, via @MsMarquardt)

+++ „Der beste politische Blogger der USA“ ist laut SZ (Seite 12) der „Prognose-Popstar“ Nate Silver (siehe Altpapier). Dessen Buch „The Signal and the Noise: Why So Many Predictions Fail - but Some Don‘t“ würdigt Jan Füchtjohann.

+++ Ebenfalls in der SZ: ein anlässlich der oben schon erwähnten ARD-Veranstaltung entstandener Artikel über die seit Juli amtierende Degeto-Chefin Christine Strobl (Seite 29), die erzählt, warum Degeto-Filme künftig öfter mal aus der Perspektive von Männern erzählt werden sollen.

+++ Und bevor wir es vergessen, heute ist ja Degeto-Tag: Freunde des Bodensees und des Tütensuppengewerbes schlagen nach bei tittelbach.tv.

+++ In der Zeit (Seite 11) beklagt Bernhard Pörksen (einer jener Medienwissenschaftler, die nebenbei in hoher Frequenz Debattenbeiträge raushauen), dass „Deutschlands Intellektuelle“ zur Zeitungskrise „schweigen“. Also, mich bringt dieses Schweigen nicht gerade um den Schlaf.

+++ Im Streit darüber, ob der SPD-Medienpolitiker Marc Jan Eumann seinen Doktortitel zu Unrecht trägt (siehe Altpapier), poltert nun Eumanns Doktorvater Horst Pöttker gegen die in dieser Sache recherchierenden Journalisten (WAZ-Rechercheblog).

+++ Umstrittene Figuren anderer Parteien: „Der Wikipedia-Eintrag zu Christian Lindner, Fraktionschef der NRW-FDP, wurde im vergangenen Jahr 350-mal geändert, teilweise von einem Landtagsbüro aus.“ Die taz berichtet.

+++ Constantin Seibt hat sich im Deadline-Blog des Schweizer Tages-Anzeigers Gedanken über vier im Journalismus sehr verbreitete „billige Tricks“ gemacht. Dazu gehört die Methode, „Experten als Marionetten“ einzusetzen: „Am Simpelsten kann man einen gewollten Dreh in einen Artikel bringen, wenn man Experten anruft: Denn deren Positionen sind bekannt. Das macht es einfach, mit ihnen Marionetten zu spielen: Sie kommentieren, was man will. Der Experten-Dreh lässt sich bis zur Absurdität steigern. Etwa in einem früheren Artikel einer Sonntagszeitung mit dem Titel ‚Führt Bundesrätin Dreifuss ihr Departement wie eine Sekte?‘. Der Trick war hier, dass der einzige befragte Experte ein Sekten-Experte war. Und natürlich ausschliesslich über Sekten redete. Und auf jede Beobachtung des Journalisten über die Politikerin Dreifuss etwas über Sekten sagte.“

+++ Und sie hört und hört nicht auf: die Augstein-Debatte. Die Jungle World veröffentlich zwei Beiträge, einen im Blog, einen in der Zeitung. Ersterer hat die knackige Headline „Der Mensch lebt nicht vom Broder allein“, im anderen ist davon die Rede, dass der „antisemitische Okkultismus“ des Freitag-Herausgebers und Spiegel-Online-Kolumnisten „nicht mal fürs Astro-TV“ tauge. Die Jüdische Allgemeine publiziert gleich drei Texte, diesen, diesen und einen von Martin Krauß, der einen Überblick über die Debatte liefert, so dass auch Späteinsteiger jetzt noch ins Geschehen reinfinden können. Ähnliches gilt für einen längeren und stärker kommentierenden Artikel bei publikative.org, der unter daran daran erinnert, wie sich Augstein d.Ä. (also Rudi) einst zu Israel äußerte. Und im Freitag ist ein zumindest teilweise Augstein-kritischer Beitrag erschienen - was ja durchaus bemerkenswert ist, von wegen Binnenpluralismus und so.

+++ Nicht nur das bisherige G+J-Wirtschaftsblatt Impulse lebt unter neuen verlegerischen Umständen weiter (siehe Altpapier), sondern wohl auch der Schwestertitel Börse Online. Näheres im Tagesspiegel.

+++ Ein weiteres Wirtschaftsblatt, die Wirtschaftswoche, erzielt derweil sehr ausgiebig den „größten Wirtschaftskrimi der Internet-Szene“, nämlich die Geschichte von kino.to.

Neues Altpapier gibt es es wieder am Montag.