Tommy, der Intendant

Tom Buhrow ist zum Chef der größten ARD-Anstalt gewählt worden, kann nichts dafür, dass er keine Frau ist, und verbreitet gleich gute Laune. Moderiert Giovanni di Lorenzo künftig die "Tagesthemen"? Außerdem: Philipp Köster vs. Michael Hanfeld; Jakob Augstein pro Springer.

Nun ist also der Inhaber des frischesten Lächelns, das jemals ein Intendantenkandidat zu zeigen vermochte, auf den Chefsitz des Westdeutschen Rundfunks gewählt worden.

"Mit überragender Mehrheit", nämlich mit 41 von 47 Stimmen der bis auf einen allesamt anwesenden Rundfunkräte, wurde Tom Buhrow gestern nachmittag zum Intendanten gekürt. Solch ein Überragen ist auch nötig, weil sich vor dem bisherigen "Tagesthemen"-Moderator "ein Berg an Problemen und Herausforderungen auftürmen" wird. Wer am Ende wen sozusagen überragt, muss man abwarten. Beide Zitate entstammen der Berliner Zeitung, in der Anne Burgmer aus Köln berichtet. Die schreibt ja eigentlich für den Kölner Stadtanzeiger, der derzeit in puncto Buhrow nur mit einem Porträt von vor der Wahl unter besonderer Berücksichtigung kölscher Befindlichkeiten ("soll gerne Karneval feiern und ist auch schon mal mit den Bläck Fööss aufgetreten...") in sanft upgedateter Form online ist.

Allerdings, an Buhrow-Porträts herrscht überhaupt kein Mangel, obwohl am heutigen katholischen Feiertag so allerhand Papierzeitungen (sogar im keineswegs sehr katholischen Frankfurt am Main) aussetzen. Vor allem die gestern gegen 18.00 Uhr auch ins Netz gestreamte Pressekonferenz fand allerhand Echo.

Die beste Nachricht vorweg: "Sein Lächeln will er auch als Intendant des WDR nicht ablegen", protokolliert der Berliner Tagesspiegel, der in seinem Bericht die Komplexität der sich auftürmenden Probleme und erste Lösungsansätze Buhrows satzbaulich ("Zu den größten Herausforderungen für den WDR bezeichnete Buhrow den Medienwandel durch das Internet") widerspiegelt.

Doch überwogen bei der gestrigen Pressekonferenz im Kleinen Sendesaal des WDR noch keine schweren Problemlösungsdiskurse als vielmehr frisch-fröhliche Sätze, von denen der künftige Intendant eine Menge raushaute. Allen voran und breit zitiert: "Ich bring' die Liebe mit". Den Kontext wohl am exaktesten transkribiert hat Oliver Jungen (faz.net):

"Ganz zum Schluss der mit Spannung erwarteten Pressekonferenz ... zitierte Tom Buhrow, der designierte Intendant der größten und mächtigsten ARD-Anstalt, 'einen Popsong': 'Ich düse im Sauseschritt und bring die Liebe mit.' Kurze Pause, dann: 'Ja, ich bring die Liebe mit'. Gemeint war die Liebe zu Nordrhein-Westfalen und zum WDR, wo Buhrows Karriere mit einem Volontariat in den achtziger Jahren begonnen hat."

Unser Foto stammt übrigens aus einem Youtube-Video, das einen Auschnitte aus dem WDR-Fernsehen der frühen 1990er Jahre zeigt und gestern verschärft kursierte (via @jaeschko). Zurück in Jungens Pressekonferenz-Reportage:

"Das Liebesbekenntnis war nun so kurios - noch kurioser als 'Mein Credo ist: Macht Fehler!', weil er hier nachschob, 'bitte keine Angstkultur' -, dass es die versammelte Journalistenschar losprusten ließ, aber zugleich eine eigenartige Spannung durchbrach."

Zumindest verzaubert hat "der kleine Scherzkeks Buhrow" den im Publikum anwesenden Thomas Lückerath, der sich auf dwdl.de ganz begeistert zeigt von "Tom Buhrows erster Auftritt". Was es ihm besonders angetan hat: Tommys "Wortwahl, die weit entfernt ist vom legendären Intendanten-Sprech, den Markus Schächter beim ZDF über Jahre zur Perfektion entwickelt hat" (vgl. "Reden wie Markus Schächter"). Das umso mehr, als auf dem "übrigens gut gefüllten", doch weithin schweigenden Podium außer Buhrow und einem WDR-Sprecher nur noch die Rundfunkratsvorsitzende Ruth Hieronymi zu Wort kam (die bereits gestern im Altpapier auftauchte) und von Lückerath eines "furchtbar nichtssagenden Sprechs, den sich Buhrow hoffentlich nie angewöhnen wird", geziehen wird.

Aber auch ein abgebrühter, die Erscheinungen des gegenwärtigen Fernsehens weniger froh beobachtender Zeitgenosse wie Hans Hoff wurde ein wenig von Buhrow bezaubert. Zumindest merkt man seinem Bericht (sueddeutsche.de) an, wie Buhrows "Konvolut von Bekenntnissen gegen das Kennedys 'Ich bin ein Berliner' ein feuchter Kehricht ist", auch Hoff als Berichterstatter zu noch mehr Pointen anfeuerten als seine Artikel ohnehin zu enthalten pflegen. Sein Fazit ist kein ungeheuer Buhrow-kritisches: "Man hofft auf den Merkel-Effekt. Die wollte ja erst auch keiner, und dann haben alle gelernt, mit ihr zu leben."

So richig gegen Buhrow positioniert sich heute nur David Denk in der TAZ (er meint, die abstimmungsbefugten Räte "dürften eher als Fernsehzuschauer denn als Medienstrategen abgestimmt haben. Ausbaden müssen diese folgenreiche Farce nun rund 4.200 WDR-Angestellte und ihre freien KollegInnen"). Aber der ist ja auch ein Berliner und war bei der Veranstaltung, bei der es dann "nach einer guten halben Stunde ... mit Appetit ans Büffet" ging (faz.net), vermutlich gar nicht anwesend.

Sonst noch interessant: Hans-Peter Siebenhaar, der prominente Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker vom Düsseldorfer Handelsblatt, nutzt seine ausdrückliche Buhrow-Begrüßung ("Es ist eine gute Nachricht, dass wieder ein ausgewiesener Journalist an der Spitze des WDR steht", was die ebenfalls bei handelsblatt.com vorhandene Info "Auch Piel hatte Jahrzehnte als Journalistin gearbeitet, vor allem im Hörfunk" kontrapunktiert) außerdem sowohl für den guten Rat, "einige Führungskräfte auszutauschen und sich Wirtschafts- und Finanzexperten von außen zu holen, um die Anstalt endlich zu modernisieren", als auch für Kritik am "Betonkopf" von Buhrows Borgängerin Monika Piel.

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[+++] Was jetzt rasch geklärt werden müsste: wann genau Buhrow seinen neuen Posten antritt und wer ihn auf seinem aktuellen, dem des "Tagesthemen"-Moderators, nachfolgt.

Jeweils noch unklar. Der Amtsantritt "dürfte im Lauf des Juli sein, hieß es nach der Wahl beim WDR in Köln", hat die Funkkorrespondenz unter ihrem WDR-kritischen Artikel "Schönenborn-Identity/ ... Ein Sender auf verlorenem Kurs" aktualisiert.

In der Nachfolgefrage wirft die führende Fachtageszeitung für öffentlich-rechtliche Personalien, der Tagesspiegel, wie gestern so auch heute den Namen Thomas Roth in die Runde. "Ein möglicher Nachfolger ist die derzeitige Vertretung, Ingo Zamperoni", meint die TAZ.

Da ist also schon der erste Konfliktherd, über dem sich zeigen muss, "was das Amt aus dem Mann mit dem Lächeln macht" (Buhrow-Porträt im Tsp.): Roth kommt aus dem WDR, ist USA-Korrespondent wie Buhrow einst, hat jedoch graues Haar und wirkt nicht gerade jugendlich. Zamperoni, der jetzt schon die "Tagesthemen" moderiert, kommt indes vom NDR, gegenüber dem ein WDR-Chef nach alter Sitte Durchsetzungsvermögen demonstrieren muss... Und "Buhrow beschönigte nicht, dass er als Chef der mächtigsten ARD-Anstalt das Vorschlagsrecht für seinen Nachfolger bei den Tagesthemen habe und wahrnehmen wolle", berichtet faz.net.

Sozusagen Partizipation bietet die Bild-Zeitung, die ihren Bericht über den neuen Intendanten unter die Überschriften "Wer soll jetzt die 'Tagesthemen' moderieren?/ Stimmen Sie ab!"
stellt, aber, zugegeben, gute Vorschläge hat (auf Platz 4 ihrer nicht-alphabetischen Liste steht Giovanni di Lorenzo; auf 6 folgt Markus Lanz, der in dem Falle ja seine ZDF-Shows abgeben und ungemein weite Programmflächen für weniger schlimme Sendungen frei machen würde...). "Soviel kann man schon sagen: Die Lösung wird eine sehr gute sein", heißt es am Ende des überschäumenden Beitrags im offiziellen Tagesschau-Blog.

[+++] Womit wir bei den Glückwünschen wären, die uns hier aber nicht lange aufhalten sollen. Seit es sog. soz. Medien gibt, richten sich Glückwünsche ja sowieso weniger an offizielle Adressaten als an die, die sie halt beim Vorbeirauschen auf den Schirm bekommen.

Jedenfalls zeigte sich u.v.a. Konstantin Neven DuMont, sozusagen ein in einer frühen Findungsphase unterlegener Mitbewerber, auf Twitter sportlich ohne aber überzuschäumen. Und Tabea Rößner, die medienpolitisch interessierte Grünen-Politikerin, sieht Buhrow in netter Pressemitteilungs-Form nach, "dass er keine Frau ist".

[+++] Wie sind die "Tagesthemen" gestern mit der News umgegangen? Sehr knapp formulierte Zamperoni einen Glückwunsch, was freilich nicht am Wünschen lag, sondern daran, dass die ARD gerade aus dem Fußballspiele-Übertragen gar nicht mehr herauskommt. Auch gestern fanden die "Tagesthemen" gedrängt in der Halbzeitpause statt, und dass kurz danach noch gut eine Minute lang erfrischende Atmo gesendet wurde (eine Kamera schwenkte über den Spielort Boca Raton, auf der Tonspur spielte ein Straßenmusikant den Ententanz), vermutlich weil der in Amerika zuständige Reporter Matthias Opdenhövel dachte, die ARD-Redaktion in Deutschland würde noch ein paar stumpfsinnige Programmtrailer oder ein Mercedes-Gewinnspiel mehr einspielen, das konnte Zamperoni in Hamburg ja auch nicht ahnen.

Womit wir beim ARD-Fußballreeporter Steffen Simon sind. Die gestern im Altpapierkorb erwähnte, inzwischen frei online lesbare Anti-Simon-Glosse des meinungsstarken FAZ-Medienseitenchefs Michael Hanfeld schlug Wellen. So interviewte meedia.de den indignierten Simon ("Ich halte das für völlig unangemessen, weil der Kommentar die sachliche Ebene verlässt und menschenverachtende Züge hat"). Der sympathische Immer-noch-Bundesliga-Club aus der baden-württembergischen Ortschaft Hoffenheim verkündete, wegen der vermeintlich "einseitigen Berichterstattung" zu seinen Ungunsten nun einen Brief an den ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky sowie an Simon geschickt zu haben.

Und Philipp Köster vom kleinen Fußballmedien-Imperium Elf Freunde fragte via Twitter, ob Hanfeld "ein solcher, offenbar im Suff oder Affekt geschriebener Artikel eigentlich hinterher peinlich" ist...


Altpapierkorb

+++ Weitere Glückwünsche, weniger im Gratulations-Sinne als in dem, für ein bevorstehendes Vorhaben das definitiv benötigte Glück zu wünschen, gehen an den Springer-Verlag. Knapp zu spät fürs gestrige Altpapier wünschte es ausgerechnet der Freitag-Verleger und -Chefredakteur Jakob Augstein dem Konzern für dessen Bezahlpläne mit digitalen Bild-Zeitungs-Inhalte. "Springer will der Kostenlos-Kultur im Netz den Garaus machen", schreibt Augstein in der gewohnten Form zupackender Zuspitzung, derentwegen er beinahe Spiegel-Herausgeber geworden wäre (oder es doch nicht wurde): "Es gibt außer 'Landlust' und 'Zeit' keinen großen Print-Titel, der wächst oder auch nur einigermaßen seine Stellung hält. Das sagt viel über die beiden Titel aus", und "Die Verlage werden ihren Lesern den Unterschied zwischen Qualität und Quantität wieder beibringen müssen", sind nur zwei seiner starken Sätze. Er schrieb sie natürlich im Freitag (und nicht bei SPON). +++

+++ Wo die Paywall funktioniert, und zwar vorbildlich: beim Handelsblatt. Für dessen gestrige Ausgabe hat der bereits erwähnte Hans-Peter Siebenhaar Arianna Huffington, die Star-Online-Journalistin aus den USA, interviewt, die demnächst auch mit einem deutschen Angebot durchstarten möchte. Frei online zeugen Agenturmeldungen und Zusammenfassungen (etwa bei heise.de, kress.de) von ihren ebenfalls starken Sätzen à la "Ich bin mir sicher, dass es viele junge Deutsche gibt, die etwas zu sagen haben". Und davon, dass Huffington als Pionierin des (vielerseits) unbezahlten Internets und Döpfner/ Springer als einer des Bezahlinhalten schon jetzt als Gegenspieler gesehen werden können. +++ Gibt's einen deutschen HuffPo-Vertreter? Jawohl inzwischen: Thomas Schmidt, einen zuletzt bei Gruner+Jahr tätigen, dort nicht von digitalen Erfolgen ungeheuer verwöhnten Manager, weiß meedia.de. +++

+++ ARD-Kritik in puncto Springer-Berichterstattung mit Norbert Bolz als Experten übt Peter Ruhenstroth-Bauer bei Carta. +++

+++ Um internationale Medien-Berichterstattung verdient macht sich die TAZ. Erstens geht's dort heute um "Periodismo para Todos" ("Journalismus für alle"), einen investigativen "Fernsehknaller" in Argentinien, der "über korrupte Politiker" berichtet und sogar mit extra als Gegenprogramm verlegten Fußballspielen konkurrieren kann. +++ Zweitens geht's um die "schwerste Krise" in der Geschichte von Italiens größte Tageszeitung Corriere della Sera. +++

+++ Außerdem empfehlen die TAZ ausführlich und der KSTA knapper eine späte Arte-Dokumentation über Entmietung in Berlin-Mitte, "Betongold", zum Anschauen. Regisseurin Katrin Rothe bekam den Stoff frei Haus, weil es um das Haus geht, in dem sie selber wohnte. +++ Früher im Fernsehen: Heidi Klums Show (Tsp., Antje Hildebrandt bei welt.de) bei Pro Sieben; Martin Brambach, "der bekannteste Unbekannte", der "unauffällige Fernsehstar" in einer ZDF-Film-Hauptrolle (auch Tsp.). +++

+++ "Seit Wochen ist das OLG München Gegenstand einer erstaunlich undifferenzierten Berichterstattung und Ziel einer konzertierten, bis in den Unterhaltungsbereich reichenden Skandalisierung", schreibt der Berliner Richter Urban Sandherr auf der Meinungsseite des Tagesspiegel und zählt Beispiele zwischen dem ZDF und der TAZ auf. Die Journalisten verwechselten die Richter mit Politikern, meint er:  "Die dritte Gewalt beantwortet keine Fragen, sie spricht Recht. Was sie mitzuteilen hat, erklärt sie im Urteil. Und das steht erst am Ende eines mitunter langen oder jahrelangen Verfahrens." +++

+++ Johannes Boies Artikel über befremdlichen Umgang des Umweltbundesamts mit Journalisten von der gestrigen SZ-Medienseite steht inzwischen frei online. +++

+++ Über den befremdlichen Fall einer offiziell verhängten Abschiebung aus Berlin, weil ein kleiner Verlag nur acht statt 19 Arbeitsplätze schuf, berichtete die BLZ gestern im Lokalen. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.