Kaninchen reiten

Ist noch spannend, ob Tom Buhrow heute zum mächtigsten Menschen der ARD gewählt wird? Zumindest nicht mehr spannend: Was die ARD ab Ende 2014 anstelle der Talkshow "Beckmann" zeigen wird.  Außerdem: der Reiter "Einslike", ein Stückchen Transparenz bei Talkshowmoderatoren-Honoraren.

Etwas, das selbst hochrangige Mitarbeiter der in der ARD zusammengeschlossenen Anstalten oft und auch offen an der ARD kritisieren: Wegen der föderalistischen Prinzips, also all der zusammengeschlossenen Anstalten, die sich immer untereinander einig werden müssen, dauere es häufig furchtbar lange, bis in der ARD Entscheidungen gefallen sind. Man braucht kein hochrangiger Mitarbeiter der ARD zu sein, um zu ahnen: Da ist etwas dran.

Gestern aber hat die ARD mal eine Entscheidung verdammt schnell getroffen, genau genommen sogar zwei Entscheidungen: Sobald der am Wochenende bekannt gewordene, ziemlich freiwillige Abschied Reinhold Beckmanns von seiner gleichnamigen Talkshow (Altpapier vom Mo.) wirksam geworden sein wird, soll es im ARD-Programm

"künftig vier Talkshows geben. Darauf haben sich die Intendantinnen und Intendanten der ARD auf ihrer Sitzung in Berlin verständigt. Nach dem Auslaufen der Gesprächssendung 'Beckmann' sollen auf dem Sendeplatz am Donnerstagabend Satire- oder Comedy-Formate laufen."

Das heißt, alle, die die Fülle der Talkshows im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen deswegen kritisierten, weil sie vom milliardenschweren Rundfunksystem gerne auch etwas regelmäßig gezeigt bekämen, was sie derzeit nicht so gezeigt bekommen, z.B. Dokumentarfilme, die keine 30- oder maximal 45-Minuten-Dokus sind, oder ambitionierte fiktionale Serien (das schon sprichwörtliche "deutsche 'Homeland'"), können sich diese gelinde Hoffnung gleich wieder abschminken. Etwa anderthalb Jahre, bevor die Frage, was nach dem Ende der dann 15 Jahre lang bestanden haben werdenden Gesprächssendung "Beckmann" stattdessen donnerstags in der ARD laufen soll, wurde entschieden: Laufen soll dann ungefähr das, was freitags im ZDF läuft.

Das heißt außerdem, dass die Intendanten die selbst aus Rundfunkräten (also Kreisen, die dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen alles andere als kritisch gegenüberstehen) erhobene Forderung, die ARD solle zwei ihrer fünf Talkshows aufgeben, auf Jahre hinaus abgeschmettert haben.

Was meinen die Medienmedien dazu?

"Der schärfste Kritiker der bislang fünf Gesprächssendungen, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, wollte am Dienstag stille halten. Sicher ist, dass er seine Position und die des BR-Rundfunkrates, nach der nicht eine, sondern zwei Talkshows einem vielgestaltigeren Programm der unterschiedlichsten Formate weichen müssten, nicht aufgeben wird", hofft der Tagesspiegel. "Diese Forderung dürfte nun vom Tisch sein", glaubt dagegen kress.de. Michael Hanfeld von der FAZ, einer der schärfsten Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker, aber halt auch der Beckmann-Interviewer, "staunt" nur erstaunlich zahm (hat für die heutige Medienseite aber auch gleich drei Meinungsglossen untereinander geschrieben...). Die ARD gehe eben "ein gutes Stück 'back to the roots' ...  - immerhin war der Sendeplatz am späten Donnerstagabend im Ersten bis zur Ausweitung der Talkschiene schon einmal mit Formaten aus dem Satire- und Comedy-Bereich belegt", erinnern die abgeklärten Fernsehfans von dwdl.de sich.

[+++] Falls es gerecht zugeht in der Medienwelt, müsste diese absurd vorzeitige Festlegung aufs More-of-the-same-Prinzip dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen aber noch um die Ohren fliegen. Tagesaktuell werden Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von allerhand unterschiedlichen, auch wohlmeinenden Seiten kritisiert.

Zum Beispiel macht sich Stefan Niggemeier in seinem Blog über "den Reiter 'Einslike', der neuerdings neben 'Fernsehen' und 'Radio' die Inhalte in der ARD-Mediathek gliedert", lustig:

"Seit ges­tern kön­nen junge Leute end­lich die vie­len Inhalte fin­den, die die ARD unermüdlich für sie produziert. Seit gestern gibt es die Möglichkeit, sich mithilfe eines Filters gezielt Videos in der ARD-Mediathek anzeigen zu lassen, die von den jeweiligen Sendern als prinzipiell junge-Leute-tauglich eingestuft wurden."

Zugleich macht er sich über Ruth Hie­ronymi in ihrer ehemaligen Funktion als Gremienvorsitzendenkonferenzvorsitzende der ARD lustig, die hier im Altpapier in ihrer weiterhin aktuellen Funktion als WDR-Rundfunkratsvorsitzende gleich noch auftauchen wird.

[+++] Zum Beispiel rät Daniel Bröckerhoff, ein jüngerer und multimedialerer Journalist als Niggemeier, in seinem Blog davon ab, bei der cool bebilderten junge-Leute-Aktion des ZDF namens "Show up - Bring Deine Idee ins Fernsehen" mitzumachen, und zwar mit ausdrücklichem Hinweis auf die gefährdete "Legitimation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks".

Zum Beispiel hatte Springers Welt gestern einen großen Artikel über "öffentlich-rechtliche Selbstentlarvung". Das überrascht nun nicht, der Text leidet auch etwas darunter, dass Dirk Peitz unbedingt durchblicken lassen wollte, dass er gerade in Cannes war oder über das dortige Filmfestival informiert ist. Zwischenüberschriften wie "'Notruf Hafenkante' statt 'Homeland'" und Formulierungen wie "Die Talkshow ist ein formatgewordenes Symptom der Qualitätskrise von ARD und ZDF" sitzen dennoch.

[+++] Damit endlich, endlich zur spannendsten Medienmanager-Personalie des Tages wenn nicht des Jahres: Am heutigen Mittwoch wird der neue Intendant des WDR gewählt! Also der Chef der größten ARD-Anstalt, also zumindest theoretisch der mächtigste Mensch der ARD. Ist das Rennen noch spannend? Nö, twitterte gestern der prominente Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker Hans-Peter Siebenhaar, der Tom Buhrows Wahl schon in Düseldorf läuten gehört hat, aber (zum Glück) ja nicht in jedem Detailaspekt Recht hat.

Gewählt wird außerdem in Köln, und zwar unter bekanntlich drei Kandidaten. Dass Buhrow in der offiziellen Mitteilung vorn steht, hat er nur der alphabetischen Reihenfolge der Nachnamen zu verdanken. "Wir haben eine offene Wahl ohne Empfehlung", hat die eben schon erwähnte Ruth Hieronymi Hans Hoff von der Süddeutschen "immer wieder" gesagt. Hoff erläutert heute (S. 28) sowohl die auf sieben Stunden angesetzte Wahlprozedur ("Beim WDR wird Intendant, wer im ersten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen erhält", und wenn selbst im dritten Wahlgang keiner eine erhalten haben sollte, "entscheidet das Los"), als auch weitreichende Personalienhintergründe (etwa: Inzwischen würden viele Rundfunkräte gern doch Jörg Schönenborn wählen, der inzwischen aber gar nicht mehr auf der Kandidatenliste steht, jedoch noch jung genug sei, um vielleicht bei künftigen Intendantenwahlen gewählt zu werden...).

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Dem Tagesspiegel sagte Hieronymi, dass jeder Kandidat "Kinder im Smartphone-fähigen Alter" habe und so etwas bei so einem modernen Sender wie dem WDR auch eine Rolle spiele. Der Tagesspiegel hält aber ausdrücklich Buhrow für den Favoriten und teasert deshalb bereits den nächsten Personalien-Thriller an: Wer würde Buhrow in dem Falle bei den "Tagesthemen" nachfolgen?

"Der charmierende Nachrichtenankündiger" Buhrow sei halt "der Star unter den drei übrig gebliebenen Bewerbern", meint die TAZ und lässt gewisse Sympathien für "das Kaninchen" unter den Kandidaten, "das die vom Rundfunkrat eingesetzte Findungskommission aus dem Hut zauberte", erkennen:  Stefan Kürten, den derzeitigen Direktor der Europäischen Rundfunkunion. Die Sympathie rührt aber weniger von Leistungen Kürtens als daher, dass der dritte, im Sender-Managen erfahrenste Kandidat, der derzeitige Radio Bremen-Intendant Jan Metzger, gerade nicht durch Leistungen im Programm hervorgetreten ist:

"Einst brachte der Sender Rudi Carrell und Hape Kerkeling groß raus, heute stellt er das einzig innovative Format des Senders, die 'Tageswebschau', ein (noch bevor sie irgendjemand kennengelernt hat)."

Wer über diese "Tageswebschau", die in der jugendaffinen Originalschreibweise sogar "TagesWEBschau" hieß, nachträglich noch etwas mehr erfahren möchte, kann das übrigens im schon verlinkten Niggemeier-Artikel tun.

[+++] A propos Radio Bremen: Am Wochenende bzw. für die Wochenend-Ausgabe der Berliner Zeitung gelang Ulrike Simon ein echtes Kunststückchen in puncto Talkshowmoderatoren-Transparenz. Inspiriert vom großen Zeit-Interview der vergangenen Wochen mit den aktuell wichtigsten öffentlich-rechtlichen Senderchefs, fragte sie beim Interviewer, dem Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo (der aber auch nebenberuflich Moderator einer Radio Bremen-Talkshow ist) nach, ob nicht er selbst den Kollegen mit guten Beispiel vorangehen und sein Talkshowmoderatoren-Honorar offenlegen wolle.

Teilweise wollte er:

"Auf unsere Frage antwortet di Lorenzo, aus Rücksicht auf den Sender und Ko-Moderatorin Judith Rakers wolle er die Summe nicht nennen, könne aber verraten, 'dass sie sich im niedrigen vierstelligen Bereich bewegt'. Das sei 'sicherlich die niedrigste Summe aller Talkshow-Moderatoren', mit Blick auf das kleine Radio Bremen aber 'angemessen'."


Altpapierkorb

+++ Die gestern an dieser Stelle erwarteten Analysen zu Springers Bezahlstrategie für die Onlineangebote der Bild-Zeitung: in der BLZ ebenfalls von Simon (Springerchef Mathias "Döpfner macht damit bei aller Ratlosigkeit, die er mit seinen Verlegerkollegen teilt, deutlich, worum es geht: Um die Frage, wie Journalismus in einer zunehmend digitalen Welt zu finanzieren ist"), in der Süddeutschen von Claudia Fromme (S. 28: "... Die ganze Bühne ist ein federnder Schritt, ein buzz, Krawatte trägt nur Döpfner, manche Hemden sind gefährlich weit aufgeknöpft, die Mitte-Entsprechung des Valley-Hoody. Damen in bildroten Kurzkleidern bedienen Aufzüge mit iPads..."). Den von Daniel Bouhs bei kress.de protokollierten Wunsch des Springer-Vorstands Andreas Wiele an die PK-Gäste "Drücken Sie uns wenigstens heimlich die Daumen!" beherzigte am ehesten die TAZ ("Ausnahmsweise geht Bild mal mit gutem Beispiel voran. Mit Bild + startet die Springer-Boulevardzeitung vom 11. Juni an den bislang ambitioniertesten Versuch eines deutschen Zeitungshauses, ein digitales Bezahlmodell im Internet zu etablieren. Die Signalwirkung in die nach neuen Erlösquellen gierende Branche ist nicht zu unterschätzen - genau wie das Risiko des Scheiterns."). +++

+++ Noch 'ne Hammer-Personalie: Joachim Król haut beim "Tatort" in den Sack. Am intensivsten spürt der Tagesspiegel der überraschenden Entscheidung nach: "... Es bleiben Mutmaßungen. ... Entsprachen die Bücher nicht mehr seinen Erwartungen? ... Kunzendorfs Abschied dürfte Król schwer getroffen haben", denn wie entscheidend die Chemie war zwischen den Kommissars-Charakteren, die Nina Kunzendorf und Król im Frankfurter "Tatort" spielten, das hatte der Tsp. schon vor ein paar Wochen gespürt: In ihrer letzten gemeinsamen Folge "war zu spüren, dass der ohnehin labile, alkoholkranke Kommissar Steier nach dem Abschied von Kollegin Mey einen schweren Stand haben dürfte"... +++ Immerhin, die eigentlich als Kunzendorf-Nachfolgerin, mithin Król-Partnerin angeheuerte Margarita Broich wird nun nicht gleich wieder freigestellt: "Sie sei für das neue 'Tatort'-Team aber schon gesetzt, hieß es auf Anfrage beim HR", weiß Michael Hanfeld in der FAZ (und kommentiert nur: "Langsam wird die Dienstquittiererei seltsam..."). +++

+++ Seine, Hanfelds stärkste Meinungsäußerung auf der heutigen FAZ-Medienseite gilt dem Fußball und richtet sich gegen Steffen Simon, der am Montagabend des Bundesliga/ Zweitliga-Relegations-Spiel Kaiserslautern gegen Hoffenheim kommentierte: "Dass Simon vom Spiel keine Ahnung hat, weiß man ja (da gesellt er sich zu Béla Réthy im ZDF). Aber diese Herablassung, diese fortwährenden perfiden Bemerkungen zu Hoffenheim, dieses Runterreden, das Pathos, als die Fans der Lauterer zum Schluss 'You’ll never walk alone' anstimmten – unfassbar, eine einzige journalistische Blutgrätsche". +++

+++ Neben den drei Hanfeld'schen Meinungsstücken in der Randspalte zwei große Texte auf der FAZ-Medienseite. Einer dreht ein ziemlich kleines Rad ("Der Schauspieler Martin Brambach ist eine Wucht, die Sozialkomödie 'Neue Adresse Paradies' wuppt er wie nix", lobt Heike Hupertz den morgigen 20.15-Uhr-Film des ZDF). Der andere ein umso größeres: Michael Jürgs lobt u.v.a. am Beispiel der Zeitschrift Landlust, aber auch mit dem in der Nazizeit emigrierten Heimatdichter Oskar Maria Graf das Prinzip des Provinziellen. +++

+++ Wer beim oben erwähnten ZDF-Wettbewerb "Show up!" mitgemacht hat: die TAZ-Kriegsreporterin - freilich allein aus kolumnendramaturgischen Gründen. +++

+++ Thema der SZ-Medienseite: Wie eine Publikation des Umweltbundesamts die klimawandel-skeptischen Journalisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch disst (mehr frei online in der Welt). +++

+++ Thema der Tsp.-Medienseite: wie David Berger vom Chefredakteur einer katholischen Monatsschrift zu dem einer Schwulenzeitschrift wurde. +++

+++ "Die Zeiten, in denen 'the people formerly known as readers' geduldig darauf gewartet haben, dass wir unsere Zeitung fertig gedruckt oder unsere Sendung fertig produziert haben, sind also endgültig vorbei. Gefällt ihnen nicht, was wir bieten, gehen sie woanders hin. Kurz: Sie sitzen am längeren Hebel - ob uns das gefällt oder nicht...": Was die Schweizer Journalistin Alexandra Stark bei vocer.org über die Journalismuszukunft schreibt, klingt vom Sound her vertraut. Aber die Präsentation ihrer Thesen als PowerPoint-(Semi-)Persiflage mit Pfeilen und leicht einprägsamen "Learnings", die hat dennoch etwas. +++

+++ Und die Spannung eventueller Leser auf einen "Anonymous", der sich im Spätsommer per gedrucktem Buch insiderisch über die Piratenpartei äußern will, schürt meedia.de. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.