Uli Hoeneß am Telefon

Die Medienkrisenlandschaft gedeiht. Die Hoeneß-Investigationen verzeichnen ein Nord-Süd-Gefälle, aber bislang kaum konkrete Ergebnisse. Die öffentlich-rechtlichen Digitalsender wollen wilde Sparte spielen.

Auf den ersten Blick eine gute Nachricht: Die DuMont Redaktionsgemeinschaft bei der Berliner Zeitung, die gebildet wurde, als die BLZ mit der Frankfurter Rundschau zusammenging und deren Zukunft ungewiss war, seitdem die FR insolvent ging und zumindest als Titel von der FAZ gekauft wurde..., diese DuMont Redaktionsgemeinschaft also kann ihre "qualitativ hochwertigen Texte" auch künftig an die FR verkaufen. "Franz Sommerfeld, Mitglied des Vorstandes der Mediengruppe M. DuMont Schauberg, sieht darin eine Bestätigung der journalistischen Leistungsfähigkeit der Redaktionsgemeinschaft", meldet die kölsche Mediengruppe knapp.

Die TAZ z.B. meldet's auch knapp. Der Tagesspiegel tut's etwas ausführlicher und hat insofern noch Zeilen für das eigentlich Interesssante an der Meldung. Dass es nämlich trotz des schönen Erfolgs beim zuvor (siehe Altpapierkorb vom Montag) vermeldeten Stellenabbau bleibt. Der betrifft 34 von 131 Stellen, wie der Spiegel meldete, oder auch "insgesamt 46", wie heute im Tsp. steht. Die Betroffenen werden's schon bemerken, und ansonsten ist die Zahl so richtig wichtig schon deshalb nicht, weil die Relation ja darin besteht, dass ohnehin nur 28 von einst 450 FR-Arbeitsplätzen bestehen bleiben. Gut ist die aktuelle Nachricht also nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht: Ab Juni spielen weniger Redakteure mehr Geld ein als geplant, und die Vielfalts-Simulation geht auf gewohntem Niveau weiter.
[Und Achtung: Das Foto hier hat nichts mit diesem Absatz zu tun, sondern bezieht sich auf diesen weiter unten...]

[+++] Die tagesaktuell höchste Stellenabbau-Zahl kommt aus Bremen und wurde gestern vielfältig, zeitweise sogar prominent beim Online-Leitmedium Spiegel Online vermeldet: Bei den Tageszeitungen Weser-Kurier und Bremer Nachrichten, die im gleichen Verlag ziemlich identisch in Bremen erscheinen, "soll die Belegschaft ... um rund ein Drittel schrumpfen". Das betrifft circa 110 Arbeitsplätze, wobei die Journalisten sozusagen noch gut wegkommen, insofern dass sie derzeit noch "knapp 100" seien, aber nur "bis zu 20" von ihnen entlassen werden sollen. Das berichtet der DJV Bremen auf seiner rudimentären Webseite. Weiterberichtet haben es z.B. kress.de, horizont.net und meedia.de ("Sparhammer"), das dafür den Quellen-Credit bei Spiegel Online erhielt.

Falls Sie Details der bremischen Zeitungs-Vielfalts-Simulation interessieren: Die Wikipedia empfiehlt zur Angleichung der genannten lokalen Zeitungen den Artikel "Schleichender Tod". Erschienen war der 2010 in der Frankfurter Rundschau.

[+++] Wo in diesem Jahr noch mehr Medienmitarbeiter arbeitslos wurden: bei der inslventen Nachrichtenagentur DAPD. Das ist nun zwar schon

"fast zwei Wochen her. Mit dem Ende der dapd kam der Frühling. Draußen scheint die Sonne",

inzwischen, doch bringt die TAZ heute einen großen Erfahrungsbericht einer betroffenen Ex-Volontärin. Der Kern der Erfahrung wird eindrucksvoll deutlich in Zeilen wie:

"Ein paar Wochen zuvor hatte ich vor einer fassungslosen Schlecker-Mitarbeiterin gestanden. Es war jener Freitag im Juni, an dem das endgültige Aus für die insolvente Drogeriemarktkette verkündet wurde. Die Frau war geschockt, sie hatte es gerade erst erfahren. Aber sie wollte auch reden, erzählte von dem gefühlten halben Leben, das sie bei Schlecker verbracht hatte. Ich schrieb eifrig mit. Die Frau tat mir leid, aber letztendlich war sie nur eine gute Geschichte. Bis es dich selbst trifft..."

Unklar nur, warum Autorin Ulrike Lehmann "unter Pseudonym" schreibt. Der allerletzte Satz des Textes kann ja wohl kaum justiziabel sein. Ist hohe Motivation, wie sie einen aus dem Text anspringt, inzwischen ein Einstellungshindernis?

Jedenfalls, die Nachrichtenagentur DPA bietet zu diesem Text und den zuvor verlinkten kontextsensitves Komplementärmaterial. Ihre bunte Meldung "Studie: Kein Beruf ist so undankbar wie Zeitungsreporter" steht z.B. bei newsroom.de und beruft sich auf die US-amerikanische Webseite careercast.com. Dort "in einem Ranking" "landete der Zeitungsschreiber unter 200 Berufen auf dem allerletzten Platz - noch hinter Holzfäller (199), Soldaten ohne Offiziersrang (198), Schauspieler (197) und Bohrinselarbeiter (196)", heißt es. Ob Onlinejournalisten einen eigenen Rang ergattert haben, konnte ich jetzt nicht feststellen. Hier kann, wer sonst nichts vorhat, sich durch Careercasts "10 Most Stressful Jobs of 2013" durchklicken.

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[+++] Hier im Altpapier geht's flott weiter ans andere Ende des Journalismus, an die weiterhin mehr oder minder glamour-umflorte Spitze. Was geht bei Uli Hoeneß?

Die seit dem Wochenende laufende Causa ist zweifellos dankbarer Medienstoff. Schließlich begann das unbestrittene Getalke-Leitmedium ARD am Sonntag bereits mit dem Diskutieren, als selbst der Chefredakteur der Original-Newsquelle, des Focus, noch so gut wie gar nichts Nicht-Spekulatives zum Thema sagen konnte oder wollte. Was seitdem von Journalisten konkret herausgefunden worden ist, ist kaum mehr. Es erinnert an eine Parodie des angesehenen Journalismus-Genres Investigation. Der Eindruck entsteht zumindest beim Lesen der meedia.de-Zusammenfassung: Da ließen halt die üblichen Medien ihre "bekannt exzellenten, "ebenfalls bekannt guten Kontakte" bzw. "ihren guten Draht" zu den üblichen Verdächtigen spielen.

Dass sie sie spielen ließen, ohne sie (die Kontakte) gefährden zu wollen, schreibt ein bisschen bissiger Carta:

"Irgendwie scheint man beim Uli die mediale Unschuldsvermutung so nachhaltig zu betonen wie bei Christian Wulff die Vermutung allergrößter Schuld",

meint Wolfgang Michal und konstatiert "ein deutliches Nord-Süd-Gefälle bei der Betrachtung des Falles Uli Hoeneß".

In der Tat genauso geht's heute weiter. Die Süddeutsche, insgesamt im Blatt noch groß im Abfeiern des vorgestrigen großen Fußballspiel-Siegs des FC Bayern (und darüber das Abfeiern des gestrigen großen Fußballspiel-Siegs von Borussia Dortmund vernachlässigend, das für eine überregionale Zeitung ja auch wichtig wäre), schreibt die "rührselige Zocker-Story vom Doppelleben des Festgeld-Fanatikers" (Michal) auf S. 6 fort. Für einige Formulierungen des gedruckten Getalkes schämt sich wahrscheinlich auch Co-Autor Hans Leyendecker selbst insgeheim etwas:

"Man kennt sich, man trifft sich, man mag sich. Das nennt man in Köln Klüngel, das wird Hoeneß vermutlich Männerfreundschaft nennen und nur unlustige Korruptions-Verfolgungs-Heinis, deren Lieblingsgetränk Essig ist, werden annehmen, dass hier eine Hand die andere zu Ungunsten einer Dritten gewaschen habe."

Und auf das Journalisten-/ Talkshow-Unwort "Geschmäckle" brauchen Leser auch nicht zu verzichten.

Härter geht's in der Tat im Norden zu. "Welche Chance hat Hoeneß, NICHT in den Knast zu wandern?", fragt die Bild-Zeitung aus Berlin. Am Rande: Geht Georg Mascolo, der renommierte Investigativjournalist und und kürzlich auf den Markt geworfene Ex-Spiegel-Chef zu Springer? So geht zumindest eine kleine Tagesspiegel-Spekulation, die sich freilich auf die Welt bezöge... Ebenfalls zum Thema Hoeneß greift der Stern aus Hamburg, dessen Cover sogar ein ungewöhnlich unvorteilhaftes Hoeneß-Foto ziert.

Die Illustrierte spielte ja schon in der Jauchdiskussion und seither auch an allen Stammtischen, die sich mit dem Thema befassten, eine Rolle, da sie im Januar über einen nicht namentlich genannten "Spitzenvertreter der deutschen Fußball-Bundesliga" schrieb, der dreistellige Millionenbeträge auf Schweizer Konten liegen habe (siehe Altpapier). Daran knüpft die neue Ausgabe also an, und hat eine News, die zumindest auf der schon angesprochenen Metaebene der Wulff-Vergleiche spektakulär klingt:

"Uli Hoeneß hat angerufen. Das ist in diesen Tagen eine Nachricht. Es ist schon spät am vergangenen Samstagabend, dem 20. April, als der Bayern-Patron auf dem Handy des stern-Chefredakteurs Andreas Petzold durchkommt. Aber Hoeneß muss etwas loswerden. Und das tut er mit der für ihn typischen Deutlichkeit..."

Kern der Sache: Hoeneß sei zwar auch Kunde der im Stern genannten schweizerischen Bank gewesen, aber wohl nicht derjenige mit 100en Millionen Euros. Hier fasst der Stern es frei online zusammen.

[+++] Ob das aktuelle Heft die Investigation weitertreibt - ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht, der Stern liegt mir nicht vor. Die Idee, dass der Stern donnerstags fürs Altpapier wichtig sein könnte, spielte in den letzten Jahren keine Rolle. Aber wir sind ja auch keine Investigations-Kolumne. Jedenfalls: Schauen Sie sich unbedingt das Video zum aktuellen Stern-Heft an! Darin nämlich performen erst- und letztmals drei Stern-Chefredakteure zugleich. Es ist das Abschiedsvideo der langjährigen, nach eigener Schätzung gut 720 Hefte lang aktiven Doppelspitze Thomas Osterkorn/ Petzold, die sich mit einem herzlichen Schulterklopfen in die Herausgeberschaft verabschieden. Und der künftig alleinige Chefredakteur Dominik Wichmann (mit dem ja doch zusammenhängen könnte, dass die Idee, sich donnerstags einen Stern zu besorgen, manchmal aufkommt) ist natürlich auch dabei.

P.S.: Überall im Norden schießt man aber nicht scharf gegen Hoeneß. Die Zeit (S. 16) bringt ein sensibles "Ein Mensch mit zwei Seelen in seiner Brust"-Portät. Hanns-Bruno Kammertöns und Moritz Müller-Wirth nähren die Zocker-Doppelleben-Story ("Wer Hoeneß in seinem über die Jahre nahezu unverändert mit Rattan möblierten 20-Quadratmeter-Büro besuchte, sah - das fällt heute vielen wieder ein -, wie er während des Gesprächs mit dem Pager Börsenkurse checkte").
 


Altpapierkorb

+++ "Kreativitätsverspannungen" diagnostiziert Anna Klöpper in der TAZ bei Verantwortlichen der öffentlich-rechtlichen Digitalableger, und beschreibt mit Beispielen von Charlotte Roche über Philip Simon bis zu Jan Böhmermann, wie die kleinen Kanäle von EinsDings bis ZDF-Neo "wilde Sparte" spielen wollen. +++

+++ Ui, eine Falschmeldung auf Twitter! Faktisch allerdings hat es kaum jemand bemerkt außer denen, die mit Pagern oder ähnlichen geräten laufend Börsenkurse checken. Die Süddeutsche berichtet auf ihrer Seite 1 eher etwas aufgeregt darüber und dann noch mal auf der Medienseite. Dort beruhigt Johannes Boie: "Die redaktionelle Kontrolle fehlt auf Twitter. Das ist nicht schlimm, Twitter an sich ist ja auch keine Nachrichtenseite, sondern ein Kommunikationsmedium der Masse. Eine zentrale Instanz, die über Nachrichten entscheidet, wäre bei Twitter ein Zensurmechanismus. Das möchte niemand. Aber deshalb kann Twitter immer nur so gut sein, wie seine Nutzer es machen." +++ Zur Analyse, wie elektronische Handelssysteme, die "mittlerweile so ausgeklügelt" seien, "dass kein Mensch mehr die Bedeutung der Meldung kontrolliert", auf so etwas reagieren, geht's zum Handelsblatt. "Flash Crashs" bleiben unvermeidlich, sagt dort ein Experte. +++

+++ Neues in puncto Netzneutralität und Drosselungs-Plänen der Deutschen Telekom (Altpapier gestern): Gleich zwei Bundesminister, Philipp Rösler (Wirtschaft) und Ilse Aigner (Verbraucher) ssowie die Bundesnetzagentur haben sich bereits im Sinne der allgemeinen Empörung geäußert (FAZ). +++ Die SZ dagegen bringt auf ihrer Meinungsseite ein Porträt des künftigen Telekom-Chef Timotheus Höttges, "der auch einen Shitstorm aushält", schon, weil er "so ein harter Hund" und "vor allem, weil er es seinen Kunden und seinen Aktionären schuldig ist". "Er ist einer, der sagt, was er denkt. Ganz direkt. Nicht bei allen Mitarbeitern kommt das gut an", lautet eine der Informationen daraus. Höttges wird "spätestens zum Jahreswechsel" René Obermanns Nachfolger. +++ Drossel-kritisch wiederum: zeit.de, die Webseite werdrosselt.de, die einen Überblick über drosselnde Provider gibt. +++

+++ Dass die deutsche Ausgabe der Huffington Post von Unternehmen des Burda-Konzerns mitbestritten werden könnte, hat horizont.net läuten gehört. Und prophezeit denen gleich eine schwere Aufgabe: "Die 'HuffPo' ist ein Gratisportal - und konterkariert damit die immer dringlicheren Bemühungen der Verlage, Paid-Content-Modelle einzuführen und zu etablieren. Häuser wie Axel Springer... und G+J ... hätten mit einer werbefinanzierten 'HuffPo' ihren eigenen Nachrichtensites zudem intern Reichweiten- und Werbeerlöskonkurrenz gemacht - für zusätzliche Werbeerlöse in ungewisser Höhe. Vor diesen Herausforderungen könnten nun Burda und ToFo stehen. Sie müssten mit der 'HuffPo' mehr gewinnen, als sie womöglich dadurch bei Focus Online verlieren." +++

+++ Aus den DuMont-Redaktionen (KSTA) kommt ein Bericht über die Pläne der Gebrüder Koch mit US-Zeitungen wie der LA Times. +++

+++ Die TAZ informiert über die Studie "Sprungbrett oder Krise? Das Erlebnis Castingshow-Teilnahme" u.a. der nordrhein-westfälischen Medienwächter. +++

+++ Schöne bunte Geschichte vom putzigen "Tatort" mit Christian Ulmen und Nora Tschirner aus Weimar: Mit "Wurden Sie gefilmt?" sucht der MDR Passanten, die beim Dreh ins Bild gerieten und nun ihre Einwilligung erteilen sollen, dass sie gegebenenfalls im Fernsehen gezeigt werden dürfen (dwdl.de). Der mit der Suche befasste MDR-Mitarbeiter Thomas Becker sagte Süddeutsche-Autorin Charlotte Theile: "Bei Frauen ist ja das Schöne, dass sie wissen, was sie anhatten". +++ Und eine Produktion des Tausendsassas Ulmen, das Arte-Projekt "About: Kate", gelangt auch am Ende der Tagesspiegel-Umschau über Second Screen-Begleitung zum Fernsehen und "crossmediales Erzählen" zu Ehren. +++

+++ Michael Hanfeld von der FAZ hat kein Sky-Abo und daher "das Jahrhundertspiel des FC Bayern gegen Barcelona" "im Radio bei B5 aktuell" gehört und glossiert heute in der FAZ die "aufgeputschte Gaga-Seligkeit" der Kommentatoren André Siems und Hans-Peter Pull: "Und am Schluss -  da kam der ultimative Hoeneß-Gag. Denn nicht dank Rundfunkgebühren wurde uns diese Fußballgala beschert, nein: 'Diese Sendung wurde Ihnen präsentiert von der Lohnsteuer-Hilfe Bayern e.V.'". Die am Rande eingestreute ZDF-Kritik ("Geschätzte 54 Millionen Euro aus Gebührengeldern gibt das ZDF pro Saison für die Champions League aus, doch das Jahrhundertspiel des FC Bayern gegen Barcelona hatte das Zweite nicht..." muss Hanfeld morgen noch etwas revidieren. +++

+++ Außerdem war Hanfeld in Berlin am Set des ARD-Spielfilms über die Spiegel-Affäre von 1962 und entwirft im Drehbericht schon eine in Gegenwart und Zukunft angesiedelte Fortsetzung der Story: "Für den 'Spiegel' ist, wie für alle traditionellen Medien, die Frage entscheidend, in welcher Ära wir uns heute befinden. Beziehungsweise, welche Armierung man im digitalen Zeitalter braucht, in dem man sich weniger von einem einzelnen Politiker, sondern von einem gesamtindustriellen Onlinekomplex bedroht sehen kann, dessen Lenker nicht gewählt worden sind." +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.