Nach drei Tagen schmutzigen Personalmanagements und üppiger Vorberichterstattung sind die Spiegel-Chefs nun doch weg. Empörung und andere Reaktionen. Natürlich Nachfolge-Spekulationen. Außerdem: welche Rolle neue Eliten bei künftiger Journalismusfinanzierung spielen müssen; Neues zur UMUV-Rezeption (bald auch in USA).
Wer versteht es besser, eine Geschichte so zu drehen, dass man als Berichterstatter lange etwas davon hat, als der Spiegel?
Jetzt sind also "zwei exzellente Journalisten, die in den vergangenen Jahren und in verschiedenen Funktionen ... Kreativität und Führungsstärke bewiesen" sowie "als Chefredakteure ...maßgeblich dazu beigetragen" haben, "ein weltweit beachtetes kritisches Magazin" bzw. ein immerhin "führendes journalistisches Angebot im deutschsprachigen Internet" voranzubringen, auf dem Markt. So formuliert Spiegel-Verlags-Geschäftsführer Ove Saffe über Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron anlässlich ihrer gestrigen Abberufung und Beurlaubung "mit sofortiger Wirkung".
Der Original-Vermelder der News, Kai-Hinrich Renner vom Hamburger-Abendblatt, berichtet im abendblatt.tv-Video bescheiden, wie er "bisschen Glück gehabt" hat, weil er hörte, "da läuft was Komisches mit Abfindung" beim Spiegel.
Renner war halt der, den "man", also die Spiegel-Geschäftsführung, "von außen andeuten" ließ, "dass für sie", die bisherigen Chefredakteure "kein Bleiben sei", würde Michael Hanfeld von der FAZ sagen, bzw. dichtete es im gestern an dieser Stelle gelobten, inzwischen frei online verfügbaren Beitrag dazu. "Dolchstoßlegende", "kompletter Blödsinn", schreibt Renner in einem ausführlichen Werkstattbericht zurück. Hanfeld hat darauf noch nicht reagiert; einen neueren Beitrag zur langlaufenden Entwicklung gibt's aber auch bereits von ihm:
"Den beiden Chefredakteuren wurde ihre Absetzung zwischen Tür und Angel mitgeteilt, der Redaktion die Nachricht am Vormittag verkündet. Mascolo soll das Haus grußlos verlassen haben, Müller von Blumencron noch eine emotionale Abschiedsrede gehalten haben."
"In der Redaktion löste der abrupte Rauswurf Irritation und teilweise Entsetzen aus", sowohl Freude "über die Entscheidung selbst" als auch Empörung "über die Art", wie sie vollzogen wurde, heißt es im Emotionen-Panoptikum der Süddeutschen.
Weitere Einschätzungen zur Art: "Dilettantismus pur" (Werner Funk, u.v.a. Ex-Co-Chefredakteur des Spiegel in den 1980er Jahren, in den "Tagesthemen"). "Wahnsinn, jenen zu kündigen, der gezeigt hat wie Medien-Wandel erfolgreich zu bewältigen ist" (Gerlinde Hinterleitner, Chefredakteurin der österreichischen standard.at, via Twitter). "Deutschlands Online-Journalismus verdankt Mathias Mueller v. Blumencron sehr, sehr viel. Ich bin entsetzt ueber die Art des Umgangs mit ihm", twitterte Wolfgang Blau aus Großbritannien.
Freilich, wer ab und zu die Spiegel Online-Startseite hinabscrollt, weiß, dass nicht alles Gold ist, was auch gar nicht mehr so doll glänzt. Ein journalistisches Spiegel Online-Problem arbeitet Frank Lübberding (wiesaussieht.de) an einem aktuellen Beispiel heraus: "Ernsthafte Diskussionen ... werden zur Phasendrescherei und der Titel dient als Trigger in der Aufmerksamkeitsökonomie. Selbst wenn er völlig absurd ist".
Die ökonomieökonomische SPON-Lage beschreibt Joachim Huber so:
"Auch Spiegel Online, nach Bild.de reichweitenstärkstes Nachrichtenportal, ist bei aller journalistischen Kraftentfaltung nicht die 'Cash Cow' geworden. Der Werbeumsatz 2012 lag geschätzt bei 30 Millionen Euro, ob das in die schwarzen Zahlen hineinreicht, wird von manchem Mitarbeiter bezweifelt."
Das "Auch" bezieht sich darauf, dass demselben, beim Tagesspiegel scheinbar nur online erschienenen Artikel zufolge, "'Spiegel TV', einstmals eine starke Marke im deutschen Fernsehmarkt mit jährlicher Millionenausschüttung ans Mutterhaus, ...nur mehr ein Fragment" sei. Dass anderswo in deutschen Online-Redaktionsstuben mehr und besser Geld verdient wird, will Huber sicherlich nicht sagen.
Es geht um einen "Kulturkampf zwischen Print und Online", wie es Experte Stephan Weichert aus Hamburg im eben verlinkten "Tagesthemen"-Beitrag formuliert. "Passen Online und Print einfach nicht zusammen?", fragt Klaus Raab in der TAZ einen weiteren Journalistik-Professor, Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. "Wenn das", nämlich Bezahlschranken, "immer mehr Medien einführen, wird eine Elite der Mediennutzer auch nach und nach bereit sein, für Journalismus zu zahlen", lautet eine Antwort.
Jetzt aber: die Nachfolge-Frage. "'Spiegel' sucht Führer", titelseitelt die TAZ (taz.de, größer und dauerhafter online bei meedia.de), weil ja schon seit Tagen "Namen ... im Dutzend auf den Markt geworfen" werden. Raab hatte im Altpapier am Montag ja schon zehn gute Dutzend Namen gereimt. "Hans und Franz", würde Klaus Kocks noch hinzufügen:
"Den Nachfolger suchen, um den Vorgänger los zu werden, das gehört zu den wirklich schmutzigen Verfahren im Personalmanagement. Wie Sauerbier wird Hans und Franz angeboten, was einst als der Olymp des Journalismus galt."
Die nach medienmedienjournalistischen Dreh-Prinzipien laufend aktualisierte Namensliste lautet heute morgen circa: "Jakob Augstein als Kandidat der Linken, die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel als Favoritin der Frauen und dpa-Chefredakteur Wolfgang Büchner als Mann der Mitte" (tagesspiegel.de). Vielleicht doch nicht Meckel (Abendblatt), vielleicht noch Prantl, Heribert, oder Krach, Wolfgang, von der Süddeutschen (TAZ). Dass in solchen Situationen auch erst mal Namen verbrennen müssen, wissen die ja, die so was interessiert. "Die Ankündigung, man wolle 'in Kürze' entscheiden, werten Branchenexperten als Schutzbehauptung", meint der früher für die TAZ, nun für den NDR tätige Branchenexperte Steffen Grimberg.
Und weiß, dass Jakob Augstein "sein Interesse intern recht offenkundig angemeldet haben soll". Zwar werde diesem "nachgesagt ..., bei der von ihm verlegten Wochenzeitung 'Der Freitag' die Mühen der Ebene zu scheuen" (wiederum Top-Branchenexperte Renner per Kommentar). Aber eine Ebene ist der Olymp ja nicht.
Ist Augstein selbst mit entscheidungsbefugt? Jein. Der 24-prozentige Anteil der Augsteins am Spiegel-Verlag wird zur notwendigen Dreiviertelmehrheit nicht benötigt. Das heißt, entscheiden müssen die Mitarbeiter KG mit ihrem 50,5 Prozent-Anteil (die, wie Renner im heutigen Werkstattbericht betont, "nur den Print-Redakteuren, nicht aber den Kollegen von 'Spiegel Online' und 'Spiegel TV'... gehört") und Gruner + Jahr mit seinem 25,5 Prozent-Anteil.
[+++] Gruner wiederum ist schon wieder am Durchstarten (kress.de). Beziehungsweise stellt der Verlag online seine alte, neue Wirtschaftszeitschrift Capital vor, die man einerseits als tristen Rest der G+J-Wirtschaftspresse sehen kann, der "vor allem" aus "arbeitsrechtlichen Gründen" von Hamburg nach Berlin verlagert worden sein könnte (FAZ 2012). Angesichts der Halbwertszeit des Mediengeschäfts kann man aber auch positiver herangehen: "Leitmotiv des überarbeiteten Magazins, dass [sic] zum Neustart extra von Hamburg nach Berlin zog, ist die Erkenntnis, dass heute Wirtschaft auch Gesellschaft ist", meint meedia.de.
Jedenfalls, unter capital.de/das-ganze-sehen gibt es die Präsentation zu enorm entspannten Ibiza-Grooves für Entscheider (Tonspur) und kontrastivem Schweinerock als Untermalung des knapp zweiminütigen Videos, in dem u.a. der neue Herausgeber Andreas Petzold, der neue Chefredakteur Horst von Buttlar und der neue Geschäftsführer Soheil Dastyari auftreten. Dastyari, der von der G+J-Sparte Corporate Publishing kommt und sich dort launig auch als "Kulturwissenschaftler, Markenstratege, Filmfanatiker, Semiprofikoch" vorstellt, spricht bereits davon, eine "neue Medienfamilie" zu "kreiieren", sowie von einer "neuen Leistungselite" als Zielfgruppe. In puncto Journalismus-Finanzierung kommt auf die Eliten also allerhand zu.
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[+++] Harter Schnitt nun zur UMUV-Rezeption. "Die Mediendebatte um das ZDF-Kriegsdrama 'Unsere Mütter, unsere Väter' hat in Polen einen Tiefpunkt erreicht. Das konservative Nachrichtenmagazin 'Uwazam Rze' druckte auf seiner Titelseite eine Fotomontage, die Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Uniform eines KZ-Häftlings hinter Stacheldraht zeigt", meldet DPA (newsroom.de). "In den Reaktionen ... ist ein differenzierter Ansatz neben schrillen Tönen, die es natürlich auch gab, vorherrschend gewesen", berichtet Konrad Schuller aus Warschau bei faz.net (inklusive Link zum Twitteraccount des powertwittternden polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski).
Freilich, auch Fernsehen ist Wirtschaft, und gerade ist in Cannes wieder Fernsehmesse (frische Partyfotos bei Facebook!). Alexander Krei von dwdl.de ist dort und berichtet außer von einer neuen europäisch koproduzierten TV-Serie über "eine Polizei-Spezialeinheit des Internationalen Gerichtshof (ICC) in Den Haag" auch von den Verkäufen von UMUV, das "nun auch den Sprung in die amerikanischen Kinos schaffen wird". Zwar nicht in viele, aber mit großem Getöse. Der Filmexporteur Betafilm wirbt:
"The highly acclaimed event production Generation War, praised as a 'turning point in German television' (Der Spiegel), has scored record ratings in Germany, triggering an unprecedented debate about personal guilt in WWII. ..."
Wer war das noch mal, der neulich im Spiegel vom "neuen Meilenstein in der Erinnerungskultur der Deutschen" schrieb?
Georg Mascolo, im Editorial zur Titelstory "Das ewige Trauma - Der Krieg und die Deutschen", das als erstes Spiegel-Heft überhaupt die 200.000er- Grenze beim Kioskverkauf unterschritten haben soll und deshalb in allerhand Berichten zur derzeitigen finsteren Spiegel-Lage erwähnt wird.
+++ Heribert Prantl, auch bekannt aus Spiegel-Chef-Nachfolger-Namenslisten, kommentiert auf der SZ-Meinungsseite die Weiterentwicklung der Christian-Wulff-Sache nicht ohne etwas, freilich allgemeine Selbstkritik: "Wer die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts liest, der erschrickt über die Selbstgerechtigkeit, Missgunst, Feindseligkeit und Häme gegen Wulff, die dort zum Ausdruck kommt. Sie ist aber die - nun freilich paragrafengestützte - Fortsetzung der Selbstgerechtigkeit, der Missgunst, der Feindseligkeit und der Häme, die zuvor in den Medien geherrscht hatte." +++
+++ Wer nun offenbar ein "Bezahlsystem für Nachrichten" einführt: Facebook (sueddeutsche.de). +++
+++ Das widerfährt der WAZ in letzter Zeit selten: dass sie aufgrund ihrer Recherchen erwähnt wird. Die Abmahnung des Bundesverteidigungsministeriums für die WAZ-Gruppe aus urheberrechtlichen Gründen (derwesten.de), macht die Süddeutsche zum Thema - allerdings nicht ohne den Neuigkeitswert der Dokumente zu bezweifeln. +++
+++ Neues vom "Windhunderennen" um die Journalistenplätze beim Münchener NSU-Prozess: Bei sueddeutsche.de spricht Ismail Erel, stellvertretender Chefredakteur der Zeitung Sabah, die vor dem Bundesverfassungsgericht klagt, eine am 5. März um 19 Minuten zu spät in der Türkei eingangene Akkreditierungsbedingungen-E-Mail. +++ Der Chefredakteur der Sabah-Europa-Ausgaben, Mikdat Karaalioglu, sagt im TAZ-Interview: "Das Festhalten an Vorschriften ist eine sehr deutsche Verhaltensweise und natürlich in Ordnung. Wir bemängeln nur die fehlende Sensibilität der Justiz". +++
+++ "Wie immer bei solchen Empörungsveröffentlichungen, wird das übliche Reiz-Reaktions-Schema an talkshowtauglichen Worthülsen produziert", schreibt zum Thema Offshoreleaks Dirk Elsner u.a. bei Carta, zieht "vor den Journalisten der ICIJ" jedoch seinen Hut. +++ "Nachdem der erste Pulverdampf verzogen ist, fragt sich allerdings der halbwegs informierte Zeitgenosse: War das alles? Die Medien haben doch seit Jahren über Offshore-Praktiken in der Wirtschaft berichtet. Liefert dieser Berg an gestohlenen Daten keine konkreteren Informationen?". Das alles und noch mehr fragt Rainer Stadler in der NZZ. +++
+++ Auf S. 6 der FAZ erinnert Michael Ludwig an den russischen Lokalreporter Michail Beketow, der gerade gestorben, aber nach Aussagen seiner Freunde "schon in jener Novembernacht gestorben" ist, in der er 2008 "nachts vor seinem Haus von Unbekannten zusammengeschlagen und so schwer verletzt" wurde, "dass er hilflos einen ganzen Tag in der Kälte liegen blieb." "Wegen der erlittenen Hirnverletzungen konnte er kaum noch sprechen"... Frei online dazu: eine Agenturmeldung im Tagesspiegel. Älter und aktuell umso trauriger: reporter-ohne-grenzen.de. +++
+++ Beim Berichterstatten über das Ende von schuelerVZ, einst einem digitalen Stolz der Verlagsgruppe Holtzbrinck, prophezeit der Tagesspiegel (aus derselben) auch dem letzten verbliebenen erfolgreichen deutschen Netzwerk Xing durch die Blume Probleme: "Auch bei StudiVZ glaubte man lange Zeit, dem mächtigen US-Netzwerk Facebook auf Dauer Paroli bieten zu können". +++
+++ Außerdem auf der SZ-Medienseite: ein Bericht von der 25 Jahre-/ 1000 Sendungen-Jubiläumsfeier des ZDF-Magazins "Mona Lisa", einer aus den USA zur neuen "Mad Men"-Staffel, in der die Werber-Serie die 1970er Jahre erreicht ("Das passt zu einem Amerika, das zu müde ist, um noch glamourös zu sein"). +++ Außerdem auf der FAZ-Medienseite: die Reaktion des Hessischen Rundfunks auf Vorwürfe von Amazon und dessen Partnern (siehe daserste.de); wie sich an Margaret Thatcher auch noch zu ihrem Tod die Geister scheiden ("In der Presse wird sie gewürdigt, auf Twitter tobt der Mob, auf manchen Straßen ist Party: Szenen einer zerrissenen Gesellschaft"). Über Twitter-Reaktionen berichtet auch die TAZ. +++ Und es wird anlässlich des "Crossovers" der deutschen Sat.1-Serien "Der letzte Bulle" und "Danni Lowinski", also der Begegnung von beider Hauptfiguren, vermeldet, dass beide Serien fortgesetzt werden sollen. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.