Die WAZ bleibt weit vorn bei Zeitungs-Ideen. Außerdem: gute Laune auf dem Lerchenberg beim "sehr coolen" ZDF und bei Olli Berben im Rahmen der aktuellen Vorabberichterstattungswelle. Wer gehört zum "Schattenkabinett des deutschen Fernsehens"?
Marktführer bei Zeitungen, was Zitationen mit innovativen Geschäftsideen betrifft, bleibt die WAZ-Gruppe aus Essen (die inzwischen zwar "Funke-Mediengruppe" heißt, das jedoch nur auf den Briefköpfen ihrer PDF-Pressemitteilungen, nicht in ihrem Internetauftritt). Gestern ging einerseits die Pressemitteilungs-basierte News von einem neuen Interview des Geschäftsführers Manfred Braun mit einer der immer noch zahlreichen Fachpublikationen, der Zeitschrift Medienwirtschaft, bei den üblichen Aggregratoren herum. Die steilste Passage der Pressemitteilung ist die mit der "Erfolgsorientierung":
"Beispielsweise begründet er das neuartige Modell, den Dortmunder Lokalteil der WR nun ausgerechnet von den 'Ruhr Nachrichten' und damit von der direkten Konkurrenz zuliefern zu lassen, freiheraus mit der Erfolgsorientierung: 'Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Ruhr Nachrichten sehr lesernah und den Leserbedürfnissen entsprechend berichten. Dies zeigt ja auch ihr Erfolg.'"
Falls Sie gerade nicht parat haben, was die WR noch mal ist bzw. eher war: Das ist die Zeitung aus der WAZ-Gruppe, deren Redaktion vollständig abgeschafft wurde (Altpapier), die als kostenpflichtig abonnierbares Träger- und Werberahmenmedium jedoch erhalten blieb und nun mit Inhalten erfolgreicherer Blätter befüllt wird. Der Erfolg dieser Maßnahme scheint sich in aussagestarken Zahlen niederzuschlagen:
"Ein Modell, das bisher, so schätzen Insider, zu vier- bis fünftausend Abonnementskündigungen geführt hat", meldet heute die FAZ. Deren Anlass ist nun nicht das Braun-Interiew, sondern eine heute beim WAZ-Blatt Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung (NRZ) anberaumte Betriebsversammlung. Das Einladungsschreiben der Betriebsratsvorsitzenden aus Moers, in alarmierendem Tonfall (z.B. zur Wochenend-Beilage: "Wenn es nicht in absehbarer Zeit gelingt, dort Anzeigen zu verkaufen und so die Kosten zu drücken...") und inklusive Auflistung der zu diskutierenden Stellenstreichungen, haben die Ruhrbarone als Foto veröffentlicht. Und auch das andere Lokalblog aus dem Ruhrgebiet hat eine WAZ-News. Bei pottblog.de ist die " Fotografieren Sie die nervigsten Huckelpisten!"-Initiative dokumentiert, bei der die WAZ auch Geld in die Hand nimmt bzw. an Inhaltelieferanten ausschüttet, und zwar offenbar 20 Euro pro Schlagloch-Foto.
Noch eine überregional interessante Facette der neuesten WAZ-Krisen, denen man nurmehr mit dem Stilmittel der Aufzählung beikommt: Die FAZ erwähnt die ungewisse Zukunft des NRZ-Chefredakteurs Rüdiger Oppers und nennt als Quelle das NDR-Medienmagazin Zapp. Dort berichtete der gebürtige Ruhrpöttler Steffen Grimberg kürzlich, dass Oppers "nur noch formal amtieren, sein Vertrag zum Jahresende auslaufen" solle. Jenseits des Niederrheins ist Oppers daher bekannt, dass er bis 2007 Sprecher des WDR war.
[+++] Damit in die Sphäre, die bei allen Zeitungszukunfts-Debatten mitschwingt, einfach weil die Einnahmen sicher sind, in die öffentlich-rechtliche. Ein Mediendrama aus dem Ruhrpott, dessen Handlung sich freilich im Verlauf in sonnigere Gefilde verlagert, zeigt am Sonntag das ZDF:
"Claudia Wesskampe muss den wohlverdienten Urlaub ins geliebte Schweden canceln und nach Süditalien fliegen, um ihren kleinen Gelsenkirchner Reisebuchverlag zu retten",
beginnt die Inhaltsangabe. Auch dort geht's um Geld und Inhalte, die dafür erzeugt werden sollen bzw. hätten werden sollen:
"Kai, ihr bester Autor und guter Freund, hat mal wieder seinen Vorschuss samt der Reisekasse verprasst, ohne auch nur eine Zeile für den romantischen Reiseführer rund um Amalfi abzuliefern..."
ZDF-Kenner erkennen bereits an der Tonalität, dass verallgemeinerbare Lösungsansätze doch nicht zu erwarten sind. Wie wir hier darauf kommen? Weil das ZDF am Sonntag natürlich nicht nur eine teure Eigenproduktion zeigt, sondern im Anschluss an die aufs "Herzkino" folgenden Nachrichten eine noch spektakulärere: "Verbrechen", eine sechsteilige Serie "nach dem gleichnamigen, Aufsehen erregenden Bestseller des Strafverteidigers und Schriftstellers Ferdinand von Schirach".
Im Vergleich mit UMUV recht spät läuft die Vorabberichterstattungswelle an. Heute jedenfalls hat die Medienseite der Süddeutschen ein grooßes Interview mit dem Produzenten Oliver Berben, das vor spannenden Fragen beinahe birst. Etwa:
"Wie schwierig ist es denn, einem deutschen Sender eine unkonventionelle Idee zu verkaufen?"
Berbens Antwort:
"Weniger und weniger schwierig. Zum einen war es bei 'Verbrechen' natürlich hilfreich, dass sich das Buch mehr als eine Million mal verkauft hat, klar. Aber ich merke, dass die Bereitschaft unkonventioneller zu sein, extrem zugenommen hat. Schon als ich mit Doris Dörrie die Miniserie Klimawechsel gemacht habe, da hat das ZDF sehr cool mitgemacht. Ich weiß, Sie wollen jetzt hören, dass es lauter böse Fernsehredakteure gab, aber auch bei Verbrechen war das nie der Fall."
Problem sei eher, meint Oliver Berben, dass es so wenige Leute vom Kaliber eines Oliver Berben gebe:
"Es sind nicht immer die angeblich so mutlosen Sender schuld, das müssen schon auch die Produzenten leisten. Alle Sender, bei denen ich war, waren offen für außergewöhnliche Ideen. Aber man muss diese außergewöhnlichen Ideen auch erst mal haben."
Dann geht's noch um die jehrzehntealte Kino-/ Fernsehfrage.
"Ich sage jetzt etwas, mit dem ich mich sehr unbeliebt machen werde: Das Niveau der Fernsehfilme war im Durchschnitt deutlich höher als das der Kinofilme. Es stimmt einfach nicht, dass im Kino grundsätzlich die besseren Geschichten stattfinden",
sagt Berben, und zwar aus seiner Kenntnis von "etwa 50 Kinofilmen", die er 2012 als Mitglied der Deutschen Filmakademie zugesandt bekam, und der von "auch etwa" 50 Fernsehfilmen, die er als Juror der von Springer ausgerichteten und vom ZDF übertragenen Goldenen Kamera anschaute. Zur weiterführenden Frage, ob deutsche Kinofilme, um die es also ausschließlich geht, nicht auch deswegen schlechter als deutsche Fernsehfilme sind, weil die Finanzierung über das öffentlich-rechtliche Fernsehen und Bundesländer-Filmförderungen jeweils vergleichbar ist (und weil selbst die vergleichsweise finanzkräftige Constantin-Film, bei der Berben akiv ist, sich selbst für ihren Natascha Kampusch-Film gleich noch die ARD-Degeto, BR und NDR ins Boot holte), war dann leider keine Zeit mehr. Man darf aber schon jetzt gespannt sein, wann Berben denn bei Markus Lanz auftreten wird, und ob er denn seine Mutter mitbringt.
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[+++] Wir wollen die Stimmung beim ZDF und den verbrüderten Anstalten auch gar nicht stören. "Der Lerchenberg hat allen Grund zur Feierlaune", kabelte ja der Shootingstar des öffentlich-rechtlichen Diskurses, der derzeitige ARD-Vorsitzende Lutz Marmor, nach Mainz. "Die Zusammenarbeit ist doch prima", habe daraufhin dort ZDF-Intendant Thomas Bellut geäußert, weiß nun der Tagesspiegel, dessen Medienressortchef Joachim Huber daraus gleich ein einschaltquotenanalystisches Gute-Laune-Stückchen ("Warum ARD und ZDF sich so lieb haben") flicht.
Und mit der gestern eröffneten Mainzelmännchen-Ausstellung in Mainz, bei der der gewitzte Bellut allen nur an harten News interessierten Medien mitteilte, dass, "wer weiß, in zehn Jahren?" es auch "Mainzelmädchen" geben könnte, ist er sogar auf dem WAZ-Portal derwesten.de prominent vertreten.
+++Das "sogenannte Schattenkabinett des deutschen Fernsehens" besteht aus "neuen jungen, Moderatoren", "die eine ebenso junge Zielgruppe zurück vor den Fernsehschirm holen sollen", wie Klaas Heufer-Umlauf, Joko Winterscheidt, Jan Böhmermann sowie dem Musiker und Klaas/ Joko-Sidekick bzw. dem "Mann, der das Fernsehen und Prominente richtig aufschreckt", Olli Schulz. So zumindest leitet Markus Ehrenberg vom Tagesspiegel seinen Text über Schulz ein, erfährt dann aber, dass Schulz "im Grunde nicht viel mit dieser im Stile von Harald Schmidt durchironisierten Generation junger wilder Moderatoren und Fernsehmacher à la Jan Böhmermann anfangen" könne. Dass Schulz mit Böhmermann eine Radioshow bestreite und im Herbst beim RBB eine eigene TV-Show bekommt, erfährt man im enorm dichten Porträt ebenso wie den Grund, aus dem er letztes Jahr bei Markus Lanz auftrat ("...um meiner Mutter eine Freude zu machen"). +++ Schmidt kann weiter durchironisieren. Trotz angeblich "neuer Sparsamkeit im Haus" hat Sky seinen Vertrag um ein Jahr verlängert (Süddeutsche). +++
+++ "Niemals waren Medien wichtiger als heute", schreibt Bettina Gaus in der TAZ, wobei sie die Sicht von kriegführenden Parteien meint. Deshalb werden so viele "Kriegsberichterstatter irgendwo auf der Welt verletzt oder sogar getötet". Anlass: die Verletzung des ARD-Korrespondenten Jörg Armbruster in Syrien (siehe evangelisch.de, Altpapierkorb gestern). +++
+++ Die Todesfälle in der französischen Fernsehunterhaltung (BLZ/ DPA), also einer Dschungelcamp-Variante, sind der Süddeutschen zufolge "ein Schock nicht nur für jenes sogenannte Reality-Fernsehen, das doch hauptsächlich raffiniertes Zirkusspektakel nach Drehplan ist", sondern auch für Onlinemedien, deren Berichte über den ersten Fall offenbar dazu beitrugen, dass sich der an der Show beteiligte Arzt das Leben nahm. +++
+++ Viele Google-News wieder: Die FAZ-Besprechung der gestrigen, über weite Strecken sehenswerten (und nun natürlich online ansehbaren) Arte-Dokumentation "Google und die Macht des Wissens" über Googles Buch-Projekte polarisiert. +++ Bei faz.net argumentiert der FAS-"Sonntagsökonom" in einer online erweiterten Fassung, dass "der Vorwurf des gefährlichen Internetmonopols" gegen den Konzern "auf dem Missverständnis, Google sei im Markt für Internet-Suchmaschinen tätig", beruhe, und beruhigt: "Google ist damit jederzeit angreifbar durch Wettbewerber, die sich eine noch bessere Suchmethode ausdenken." +++ Europas Datenschützer versuchen, sich gegen Googles Datenmacht zusammenzuraufen (taz.de). Und Alma Whitten, die "nie im Rampenlicht" stand, "obwohl sie beim Internet-Riesen einen der wichtigsten Bereiche verantwortete: den Datenschutz", wobei über dessen Wichtigkeit im Konzern ja gestritten werden könnte, gibt ihren Posten nun "ohne Angabe von Gründen" auf (newsroom.de). Nachfolger Lawrence You soll aber "nach Angaben des Firmensprechers viel Erfahrung im Datenschutz" haben. +++ "Aus einem Tal im sonnigen Kalifornien hört man ein sattes, zufriedenes Lachen", lautet der letzte Satz in Jan Füchtjohanns Artikel im SZ-Feuilleton (S. 11) über Digitales, dessen Kernthese diese ist: "Im Grunde sind die Käufer digitaler Videos, Bücher und Songs also eher Mieter als Besitzer: Sie dürfen die Inhalte zwar nutzen - aber nur zu den Bedingungen, die der Vermieter diktiert". +++
+++ Zum komplexen Firmengeflecht der Constantin (siehe oben bei Oliver Berben) gehört auch Sport1, der Fernsehsender, der nach eigenen Vorstellungen mehr ist als nur Fernsehen und kürzlich auch die Digitalradiorechte an der Fußball-Bundesliga ersteiegert hat, die bisher noch 90elf.de nutzt. Dass künftig auch der "Doppelpass" ins Radio verlängert werden soll, ist eine er wenigen konkreten Auskünfte, die Programmchef Olaf Schröder im dwdl.de-Interview gibt. +++ Peer Schader rät im Fernsehblog dem ZDF, statt der "WiSo"-Show "künftig montags von 19.25 Uhr bis 20.15 Uhr Infotafeln ein[zu]blenden, auf denen die Ergebnisse der Sendung, die dort gelaufen wäre". +++
+++ Weiterhin viel Vorab-Wirbel um den NSU-Prozess und seine Berichterstattungs-Modalitäten sowie die internationale, vor allem türkische Berichterstattung darüber. Eine Stimmungs-Umschau hat der Tsp.. "Mit Unabhängigkeit der Justiz ist aber nicht die Arroganz der Justiz gemeint. Warum es nicht möglich sein soll, Akkreditierungen freiwillig zu übertragen oder den einen oder anderen zusätzlichen Stuhl aufzustellen, hat sicherlich seine Königlich-Bayerischen Amtsgerichtsgründe, und sei es, weil man es schon immer so gemacht hat oder eben nicht", kommentiert genervt die FAZ. +++
+++ "Die Postdemokratie, die wir bisher aus klugen Aufsätzen und Ländern östlich der Karpaten oder westlich des Atlantiks kannten, tritt im alten Kerneuropa erstmals in Erscheinung", lautet Wolfgang Michals Fazit am Ende seiner Beppe Grillo-/ Berlusconi-Wahlerfolg-Analyse "Der Netzwerker gegen den Fernsehzaren", bei der nicht vollends klar ist, warum sie auf der Medienseite der FAZ steht. +++
+++ Und einen selten beachteten Kollateralschaden der Zeitungskrise (für die besonders exemplarisch wiederum die WAZ genannt wird), schildert ausführlich die TAZ-Medienseite: den Niedergang der Karikatur, bei dem Einsparungen, Zusammenlegungen und der "'Trend zur Harmlosigkeit' in den Zeichnungen", wie es Karikaturist Mathias Hühn nennt, einen Nischen-Teufelskreis bilden. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.