Presse-Panik und Sendezeit-Vertreib

Trägt Aldi zum neuesten Massen-Personalabbau bei Papierzeitungen bei? Wie steht es um Medien-Werbeeinahmen in Afghanistan? Und was sagt Katja Riemann?

Zu den schönen und guten Aspekten gedruckter Zeitungen zählt, dass sie völlig unterschiedlichen Themen einen gemeinsamen Rahmen geben, der nicht nur für einen Augenblick (je nach dem, wie die Feeds gerade rauschten oder man selbst gerade browste) besteht, sondern länger Bestand hat und Zusammenhänge aufzeigt.

Zum Beispiel heute auf der Medienseite (39) der Südddeutschen: Die gesamte Randspalte rechts füllt, natürlich nur bis zum Sudoku-Rätsel unten, ein weiterer Artikel über Sitzungen bzw. Versammlungen im Landtag bzw. der Landesrundfunkanstalt Brandenburgs, also zur (im Altpapier schon ziemlich oft, als erstes in diesem) gestreiften Frage, ob der Pressesprecher des Ministerpräsidenten und/ oder der Chefredakteur des RBB zurücktreten sollten. Sachlage ist: Die Opposition ist für Rücktritte, Regierung und Senderleitung sind dagegen, und weil letztere regieren bzw. leiten, kommt es wohl zu keinen Rücktritten. Ehrlich gesagt: Falls man nicht selber im betreffenden Landtag bzw. Sender sitzt, braucht man das nicht zu lesen.

Geradezu bestürzend aber der Kontrast (das ist der einzige Zusammenhang), den der Aufmacher derselben Medienseite links daneben dazu bildet: Da berichtet Peter Burghardt unter der Überschrift "Wo die Wahrheit stirbt" aus Mexiko. Aktueller Anlass ist ein jüngerer Leitartikel der Zeitung Zócalo aus der Stadt Saltillo: "Angesichts der Tatsache, dass weder Garantien noch Sicherheit für die volle Ausübung des Journalismus bestehen, hat der Redaktionsrat beschlossen, ab sofort keine Informationen mehr über das Organisierte Verbrechen zu veröffentlichen", habe darin gestanden. Es folgen viele Beispiele und Zahlen, die zeigen, wie mexikanische Drogengangster Journalisten ermorden und bedrohen, und diese entweder weiter berichten, bis sie eventuell ermordet werden, oder, der Sicherheit ihrer Familien wegen, ankündigen, künftig zu schweigen. "In die Lücke stoßen" dann Webseiten, Blogs (wie El Blog del Narco), Twitter und Facebook. Die Initiatoren wollen möglichst anonym bleiben, Kartelle aber setzen Belohnungen für Hinweise auf ihre Identitäten aus.

Medienseitenlesern sind solche erschütternden Berichte schon öfters begegnet. Gerade im Kontrast zum eher langweiligen Bericht aus Brandenburg zeigt sich aber nahezu idealtypisch die Spannbreite der Medien, die das Ressort so spannend macht. (Der Mexiko-Artikel steht derzeit nicht frei online; wer jetzt Aktuelles über Journalismus in Ländern mit ungewisser und sich vermutlich verschlechternder Sicherheitslage lesen will, findet in der TAZ einen über Afghanistan, wo "Sender sowie Zeitungen ... etwa 5 Prozent ihrer Kosten über Werbeeinnahmen" decken können). Dass es sinnvoll ist, relative Lappalien wie den Pressesprecher-Anruf beim theoretisch staatsfernen Sender zu thematisieren, damit (grob vereinfacht) nicht schlimmstenfalls alles endet wie in Mexiko und das Land "eine recherchefreie Zone" wird, wird jedenfalls klar.

[+++] Wir sind in Deutschland natürlich in jeder Hinsicht weit entfernt davon. Doch so gut wie alle Zeitungen nehmen Quartal für Quartal weniger ein, werden dünner oder sparen, auch ohne dünner zu werden, Personal ein. Dazu stand gestern tief unten im Altpapierkorb der Link zur Webseite mit dem vielleicht unglücklich gewählten Namen nationalatlas.de, die jedoch nicht rechts orientiert ist, sondern halt so heißt und aktuell gutes digitales Karten- u.a. Material (Foto oben) zu Auflagenentwicklung, Kooperationen u.a. in der Zeitungskrisenlandschaft bietet. Tagesaktuell gibt es dazu harte Neuigkeiten aus Essen von der WAZ-Gruppe. Darüber berichtet ebenfalls die SZ knapp, ausführlicher und mit mehr Details aus dem "Ihr Vorgesetzter wird Sie zeitnah über die Details informieren"-Anschreiben an die Mitarbeiter berichtet newsroom.de. Bei der WAZ, die erst im Januar mit "innovativem Zeitungssterben" (siehe Altpapier) überregional Aufsehen erregte, scheint schon wieder eine weitere Massenentlassung bevorzustehen, bzw., wie meedia.de gesagt bekam, ein Massen-"Personalabbau", nämlich von "bis zu 200 Arbeitsplätzen".

"Der starke Wettbewerb, der signifikant einbrechende Anzeigenmarkt und die erodierenden Auflagenzahlen deutscher Tageszeitungen führen auch bei unserer Mediengruppe zu Umsatzrückgängen in Millionenhöhe",

zitiert newsroom.de aus der bislang nur internen Mitteilung, an der weiterhin interessant ist, dass der mögliche oder feststehende Werbeverzicht eines Unternehmens, das die deutsche Presselandschaft bisher ziemlich substanziell mit am Leben erhält, konkret genannt wird:

"Unsere Anzeigenerlöse haben sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch verringert. Discounter werben immer weniger in der Gattung Tageszeitung, auch die Handelsbranche spart. Aldi prüft bereits in mehreren Regionen den Verzicht auf Printwerbung..."

"Es herrscht Panik in Essen", bilanziert, ohne Aldi zu nennen, die SZ (deren Lokalausgaben ja auch Discounter-Werbung enthält).

Natürlich stoßen auch im Ruhrpott Blogs in die Lücke (z.B. pottblog.de, ruhrbarone.de über den aktuellen WAZ-Verfall). Überhaupt müssen Zeitungskrisen keine Journalismuskrisen sein und haben viele Gründe. Das ist schon oft aufgeschrieben worden. Einer der Gründe: schlechte Journalismus-Qualität.

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[+++] Damit zum Mainstream-Medientopthema: Katja Riemann. Gestern hat die Schauspielerin, über die man diese oder jene Meinung haben kann, auf ihre schön schlichte Webseite katjariemann.de ihre Ansichten zur umfassenden Aufregung um ihren Auftritt vor einer Woche in der NDR-Show namens "DAS!" (siehe Altpapier gestern) aufgeschrieben. Ihr Text beginnt mit den Worten

"Whow, muss ich sagen, was derzeit im Staate Dänemark passiert. ...",

Wer sich dennoch dafür interessiert, sollte es jedenfalls bitte auf katjariemann.de lesen. Und nicht zu einem der Artikel in den Onlineauftritten u.a. der Qualitätszeitungen klicken (nur z.B. spiegel.de, sueddeutsche.de, tagesspiegel.de), die das, was Riemann schreibt, mit ulkigen Fotos und knackigen Zusammenfassungen dessen, was bisher geschah, zu mehr oder minder eigenen Artikeln strecken.

Der Grund liegt auf der Hand: Nachdem schon die Meldungen über jenen Auftritt und die über Riemanns Facebook-Account gut klickten, müssen die erbärmlichen "Schlimmste TV-Interviews"- und "Berühmteste  TV-Ausraster"-Remixe, die ebenfalls viele Qualitäts-Onlinemedien von einander abgeschaut haben (z.B. hier, hier) ganz besonders durch die Decke geschossen sein. Dass man so etwas beim nächsten vermeintlichen "Ausraster" wieder aus dem Archiv holen und zum Durchklicken auf die Startseite stellen kann, weiß natürlich ebenfalls jeder Onlineredakteur.

Das ist aber auch kein spezifisches Problem des Onlinejournalismus, wie der Tagesspiegel beweist, der heute auch in der Druckzeitung seine Medienseite mit dem Artikel "Von Kinski bis Völler - die berühmtesten TV-Ausraster" bestreitet. "Die Klickzahlen für das Video von Katja Riemanns Auftritt bei der NDR-Sendung 'Das!' steigen weiter und weiter", lautet dort der erste Satz, so als würden die auf Youtube für jedes Video angegebenen Klickzahlen manchmal auch sinken.

Als Beispiel dafür, wie aus einer der viel zu zahlreichen Prominenten-Talk-Sendungen der zahlreichen öffentlich-rechtlichen Sender, die eigentlich zum Sendezeit-Vertreib und als Werbeplattform für tingelnde Medien-Celebritys dienen, aus irgendwelchen Gründen (in einem frischen Freitag-Feuilleton, das sich auch an Worten wie "Actressen" und "phallisch" erfreut, macht Klaus Ungerer den "völlig verzerrenden Zusammenschnitt" eines "bekannten Medienjournalisten", Stefan Niggemeiers, dafür verantwortlich) mit immer noch mehr more of the same-"Artikeln" zu einer die digitalen wie gedruckten Boulevard- wie Qualitätsmedien anfüllenden Bullshit-Blase anschwoll - dafür wird diese Riemann-Sache vielleicht in die Mediengeschichte eingehen.
 


Altpapierkorb

+++ Morgen steht im Bundesrat das Leistungsschutzrecht auf der Agenda. Die gerade in der Hinsicht oft kritisierter FAZ-Medienseite macht es heute vorbildlich und räumt einer Pro- und einer Contra-Position exakt gleich viel Platz ein. Pro argumentiert Rolf Schwartmann ("Bei näherer Betrachtung ist die Rechtslage aber nicht so unklar wie vielfach behauptet. Unbestimmte Rechtsbegriffe sind in unserer Rechtsordnung üblich...", Facebook, Twitter und bitly würden "nicht in den Anwendungsbereich des Leistungsschutzrechts fallen", auch rivva.de kaum, sondern nur "Dienste wie 'Flipboard', die ganze Artikel samt Fotos zusammenstellen". +++ Contra argumentiert Ralf Dewenter ("Es ist also im Einzelnen weder geklärt, welche Unternehmen Lizenzen erwerben müssten, noch ist genau definiert, welche Plattformen Lizenzen erteilen dürften. ... ... Darüber hinaus wirkt ein Leistungsschutzrecht innovationsfeindlich. Es verhindert die Einführung von innovativen Geschäftsmodellen wie etwa Bezahlschranken für Online-Artikel. ... Erhalten die Verlage nun eine pauschale Vergütung dafür, dass andere ihre Inhalte an Nutzer vermitteln und damit Aufmerksamkeit erzeugen, so ist der Anreiz gering, die Nutzer gegebenenfalls selbst zur Kasse zu bitten. Dies ist jedoch unter Umständen ineffizient und unterstützt die von den Verlagen so gescholtene 'Gratiskultur im Internet'"). +++ Außerdem gibt's einen neuen Offenen Brief von LSR-Gegnern an den Bundesrat (tagesspiegel.de: "Prominenter Protest", siehe auch Carta). Schön die beiden ersten Kommentare unter demselben Brief bei Alvar Freudes Odem-Blog: "Wenn da schon Politiker unterschreiben, hätte man ja auch mal bei Piraten anfragen können ..." - "Glaubst Du, dass sich die Landesregierungen von Unterschriften von Piraten-Politikern überzeugen lassen?" +++

+++ Wer hat im Quotenduell der TV-Giganten gestern abend gewonnen? UMUV 3 (dwdl.de)! "Das Erste hatte als größter Verfolger nicht mal halb so viele Zuschauer. Dort kam das Melodram 'Verratene Freunde'" u.a. mit Katja Riemann "zur besten Sendezeit nicht über 3,57 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 11,3 Prozent hinaus". +++ "Bis zu sieben Millionen Zuschauer haben den radikalen und höchst umstrittenen Film über fiktionale Begebenheiten während des zweiten Weltkrieg gesehens - weniger als erhofft", würde Björn Wirth (Berliner Zeitung) sagen und hat nun auch ZDF-Fernsehfilm-Chefin Heike Hempel im Interview ("Der Film erinnert in seiner Darstellung des Krieges durchaus an amerikanische Serien. Gab es Vorbilder?"). +++

+++ Der eben erwähnte Stefan Niggemeier diskutierte gestern abend in einer ZDF-Nebensender-Talkshow mit Intendant Thomas Bellut und anderen. Besprechungen gibt's bei dwdl.de und sueddeutsche.de. +++ "Weg also mit Boulevard wie 'Hallo Deutschland' und 'Leute heute'. Das kann RTL eh besser. Weg auch mit seichten Spätabend-Talks, dieser Beschäftigungstherapie für Moderatoren wie Markus Lanz und dieser PR-Plattform für sogenannte Gäste", fordert Daniel Bouhs bei Spiegel Online vom ZDF zum bevorstehenden großen Geburtstag. +++ Über am Wochenende bevorstehende "Massenproteste" gegen den neuen Rundfunkbeitrag schreibt die Welt. +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite 31 kann sich Michael Hanfeld, auf wenigen Zeilen, doch für die oben gestreifete RBB-Sache entflammen: "Der Intendantin Dagmar Reim und allen, die behaupten, der RBB sei gegen politische Einflussnahme gefeit, braucht man nicht zu glauben. Hier sind zwei Rücktritte fällig." +++ "Ein einziges Desaster" sei die heute bei ZDF-Neo (21.45 Uhr) anlaufende Serie "Camelot", heißt es ebd.. +++

+++ Die Polizeiaktion gegen die Augsburger Allgemeine im Januar (siehe Altpapier) ist gerichtlich bewertet worden - als rechtswidrig. Allerdings, "der Auffassung der Augsburger Allgemeinen, dass Forennutzer als Informanten der Redaktion auch in den Schutzbereich der Pressefreiheit fallen, wollte das Landgericht dagegen nicht folgen. Userbeiträge seien zum einen nicht dem redaktionellen Bereich zuzuordnen. Zum anderen sei ein Forumsnutzer nicht als Informant eines Pressemitarbeiters anzusehen. Die Verantwortung für derartige Beiträge liege nach den Nutzungsbestimmungen für das Forum allein beim jeweiligen Nutzer, von deren Inhalt sich die Betreiberin ausdrücklich distanziere", schreibt der dortige Online-Redaktionsleiter Sascha Borowski. +++

+++ Das Problem, "über Nacht 30.000 neue Freunde" bekommen zu haben, hatte sueddeutsche.de. Unterm Text will Chefredakteur Stefan Plöchinger ausdrücklich nicht suggerieren, "die FDP ... habe Twitterfollower gekauft". Aber die TAZ will. +++

+++ Nachtrag aus dem Tagesspiegel von gestern: Bernd Buchholz, in dessen Zeiten als Gruner+Jahr-Chef dieser renommierte Verlag ja noch so allerhand Wirtschaftspresse herausgab, will sich als FDP-Bundestagskandidat "der Wirtschafts- und Energiepolitik widmen, ebenso... der Innen- und Rechtspolitik". +++

+++ Nach der gestern hier erwähnten "Bundesliga-Bombe" (dwdl.de) fürs digitale und Online-Radio wollte Sport 1, das die diesbezüglichen Rechte anstelle von 90elf.de ersteigert hat, noch keine "tiefergehenden Informationen" herausrücken, was es damit plant. +++

+++ Und dass Götz George nun doch noch einmal Gelegenheit bekommt, sonntagabends um 20.15 Uhr "Scheiße" sagen zu können so wie Til Schweiger "fuck", freut den Tagesspiegel. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.