Durst nach Unterhaltung

Raue Sitten in Sachsen-Anhalts Zeitungslandschaft. Sanfte Umarmungen durch Datenkraken. Ringkampf als Pressesprecher-Ausbildung? Außerdem: Welche Schauspielerin nicht die 22. "Tatort"-Kommissarin wird.

Durst nach Unterhaltung? Diese einprägsame Metapher ist dem Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. zu danken, seines Zeichens der "Interessenvertretung für Unternehmen im Bereich interaktives Marketing, digitale Inhalte und interaktive Wertschöpfung". Dieser BVDW vermeldete gestern die nicht ungeheuer umwerfende Neuigkeit, dass einer von ihm beauftragten repräsentativen Umfrage zufolge 77 Prozent der deutschen Internetnutzer "Online-Videos schauen". Fairerweise muss man dazu schreiben, dass diese Nutzer nach dieser Darstellung nicht nur nach Unterhaltung dürsten, sondern nach anderem auch noch:

"Bewegtbild besitzt eine klar erkennbare Relevanz, um die heutigen Grundbedürfnisse der Internetnutzer und ihren Durst nach Unterhaltung und Informationen mehr als ausreichend zu befriedigen",

lautet die BVDW-Botschaft streng amtlich (siehe auch DPA-Kurzfassung). Angesichts der Informations- (und so gesehen natürlich erst recht: Unterhaltungs-) Fluten, die sonst oft und ja auch zurecht beklagt werden und der die Menschen bzw. die Unternehmen, denen sie vertrauen, mit Filtern begegnen, angesichts solcher Flüssigkeits-Bilder ist Durst vielleicht sogar eine gute Metapher.

Zu den Informationen von Mittwochmorgen: Die wohl interessanteste Info aus dem Medienmedien-Bereich stammt aus der nicht im engeren Sinne schönen Elbe-Stadt Magdeburg, die jedoch etwa genausoviele hochmittelalterliche Sakralbauten wie Nach-Wende-Shoppinghöllen -center zu bieten hat (Foto), außerdem eine Menge sozialistischen Realismus, und daher definitiv interessant anzuschauen ist. Außerdem stammt die Info aus dem Print-Geschäft. Womit Sie schon wissen, dass es keine gute ist.

"Eigentlich sind die Messen gesungen für die bisherige Zentralredaktion der Magdeburger Volksstimme. Zum 1. Februar ist sie zerschlagen und in drei Mini-GmbHs aufgeteilt worden",

schreibt (in nun also katholischer Metaphorik) die TAZ. Dann berichtet Michael Bartsch, wie die Volksstimme 1991 an den "sonst eher im seichten Medienmarkt rührenden", nämlich von A wie Adel exklusiv bis Y wie Yeah! ("Das frische und fröhliche Starmagazin für kleine Ladies") Unterhaltungs-Bedürfnisse weckende und stillende Hamburger Heinrich-Bauer-Verlag gelangte. Dass dieser in seinem Internetauftritt für seine einzige deutsche Tageszeitung noch eine "Auflage von 199.202 Exemplare" angibt, mit IVW-Zahlen von 2010, während die TAZ "noch eine Auflage von rund 187.000 Exemplaren" der Volksstimme nennt, verdeutlicht das Problem der Papierzeitungen gut.

Bauers Mittel dagegen in Magdeburg: Zerschlagung.

"'Für den seit Jahren hochprofitablen Verlag gab es keinerlei wirtschaftliche Notwendigkeit, die Redaktion zu zerschlagen', sagt der inzwischen gekündigte Betriebsratsvorsitzende Winfried Borchert. In den vergangen Jahren wurden bereits alle 18 Lokalredaktionen ausgegliedert und Personal reduziert. Die nunmehr vielfach scheinselbstständigen Mitarbeiter können weit unter Tarif honoriert werden und bleiben ohne soziale Sicherung",

heißt es im TAZ-Artikel, der überdies von einer Strafanzeige der Journalistengewerkschaft DJV gegen Volksstimme-Manager berichtet, weil "dem DJV-Landesvorsitzenden Uwe Gajowski durch Sicherheitskräfte der Zutritt zu einer Betriebsratssitzung verwehrt" worden sei. Scheint so, als sei das mediale Klima im rauen Magdeburg wirklich rauer als anderswo im Land. Vielleicht auch nur der Zeit etwas voraus. Weitere Infos zum Thema gibt's natürlich nicht bei volksstimme.de (der Artikel "Journalisten dürfen keine Bittsteller sein" inklusive SPD-Politiker-Kurzinterview bezieht sich auf Bundespolitisches), aber beim DJV Sachsen-Anhalt (etwa zu einer "Mahnwache vor der Volksstimme" "trotz Eiseskälte" im meteorologischen Sinne).

Die Meldung von einem Entschließungsantrag sämtlicher Fraktionen des ebenfalls in Magdeburg ansässigen Landtags "zur Stärkung der Situation der Journalistinnen und Journalisten in Sachsen-Anhalt" scheint es nur im Facebook-Auftritt des dortigen DJV-Verbandes zu geben. Dabei ist sie angesichts des sonstigen Desinteresses aller deutschen Parlamente an sinnvoller Medienpolitik bemerkenswert. 

[+++] Mehr zu Facebook folgt unten. Zunächst geht's einen Sprung nordöstlich nach Potsdam. In der vom aktuellen Spiegel berichteten Sache der Politikersprecher-Anruf-Affäre beim RBB bzw. der Frage, inwieweit es sich um eine Affäre handelt (siehe Altpapier vom Montag), legt die Süddeutsche heute relativ kräftig nach:

"Journalisten, die über Brandenburg und Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) berichten, kennen das: Kaum ist ihr Beitrag erschienen, klingelt das Telefon. Regierungssprecher Thomas Braune, ein Mann von leicht entzündlichem Temperament,  meldet sich schon mal, wenn ihm eine Veröffentlichung nicht gefällt",

schreibt die Berlin- und Brandenburg-Korrespondentin Constanze von Bullion. Und stellt kurz darauf auch noch die These in den Raum, Braune könnte so den in seiner Jugend in der DDR erlernten (seinerzeit noch unstrittig olympischen) Ringkampf mit anderen Mitteln fortführen.

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[+++] Auf der Reise durch die ostdeutschen Bundesländer noch einen Tick nach Norden, ins alte Ost-Berlin. Die FAZ hat sich für die Serien-Seite in ihrem Feuilleton (also eine Seite, die sich allein auf DVD erschienenen Fernsehserien widmet) nicht nur die "Hannibal the Cannibal"-Serie mit Mads Mikkelsen in der Titelrolle angeschaut, sondern für die Randspalte auch die nun auf DVD zu habende, fürs ARD-Programm aber erst im Herbst eingeplante zweite Staffel der Serie "Weissensee". Um die Frage nach den für eine TV-Produktion seltsamen Veröffentlichungs-Verhältnissen ging es hier im Altpapier schon im Februar.

Zunächst das Inhaltliche: Gut sei auch die zweite Staffel der für ihre erste Staffel hoch gelobten Serie, meint Regina Mönch:

"Alle Skepsis, der Sprung in die Endzeit der DDR - die ja im Unterschied zu den Folgen der ersten Staffel, die im weithin unbekannten bleiernen Jahr 1980 spielen, bis zur Erschöpfung in Filmen und Dokumentationen ausbuchstabiert ist - könnte ihr den Glanz des Besonderen nehmen, ist unbegründet. Obwohl es ein paar weniger historische Zitate und originale Dekorationen auch getan hätten. Wer 'Weissensee' schaut, weiß, dass er selbst denken darf."

Dann das Strukturelle: Dass Regina Ziegler die Serie lieber früher vermarktet, sei "aus der Perspektive einer freien Produzentin, die in Vorkasse geht, ökonomische Vernunft". Warum die ARD, die ja viele Serien im Programm hat, bloß kaum gute, die Ausstrahlung aufschiebt, versteht Mönch trotz wortreicher Sender-Auskünfte ("Auch habe man einen 'optimalen Sendeplatz' gewollt, das sei 'in jedem Fall' der Dienstagabend (wer das nicht versteht: da lief vor zwei Jahren sechsmal 'Weissensee')") nicht, und gelangt zum Fazit:

"Das sogenannte Spoilern, wozu auch das Ausplaudern eines spannenden Serienschlusses gehört, hatte bisher den Ruch des Illegalen, etwas, was man eigentlich nicht machte. Nun organisiert der größte Gebührensender des Landes diese kleine Spielverderberei selbst. Daran ist nicht zu rütteln, auch wenn der CDU-Medienpolitiker und Chef der sächsischen Staatskanzlei, Johannes Beermann, dafür Regina Ziegler an den Pranger zu stellen versucht."

Wo hatte sich Beermann in der Richtung geäußert? In einer der kleinen "Politiker und Medien-Experten sind empört!"-Umfragen der Bild-Zeitung. Falls Sie mehr zum Thema lesen möchten: Die WAZ hat vor zwei Wochen zum Thema ein Interview mit Ziegler geführt, in dem diese vor allem im Schmonzetten-Business umtriebige Produzentin sich übrigens auch gern bereit erklärte, für nur zwei Millionen Euro pro Folge so was wie "Homeland" auf deutsch zu produzieren.

[+++] Damit zum Thema Facebook - eigentlich völlig anderes Thema, andererseits aufgrund der weiter rasant sinkenden Degrees-of-separation-Rate gibt's natürlich doch jede Menge Zusammenhänge. Sei es der am Mittwochmorgen noch ausbaufähige Facebook-Auftritt von "Weissensee 2" (76 Fans), sei es der oben erwähnte Umstand, dass der DJV Sachsen-Anhalt eine nicht unspektakuläre News gar nicht ins eigentliche Internet gestellt, sondern nur auf Facebook gepostet hat.

Warum man das nicht tun sollte, erläutert auf der SZ-Medienseite Johannes Boie. Anlass ist eine zuvor bei sueddeutsche.de vermeldete britische Studie über Facebook-Nutzer und ihre "Gefällt mir"-Klicks. Der zufolge

"konnte das Geschlecht eines Nutzers mit 88 Prozent, seine Hautfarbe mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit errechnet werden. Die Studie hätte noch genauere Ergebnisse liefern können, wenn nicht nur die freiwillig herausgegebenen 'Gefällt mir'-Daten der Nutzer zur Verfügung gestanden hätten, sondern alle Daten, die man bei Facebook anhäuft. Diese Daten aber kann man als Privatperson gar nicht herausgeben, weil man sie weder besitzt noch im Detail kennt. Wer aber besitzt und kennt sie stattdessen? Facebook. Und genau da liegt das Problem."

Wie realistisch die Forderung nach einem "Knopf zur Selbstauskunft bei Facebook, Twitter und Co." ist, wie sueddeutsche.de den Artikel in der Onlinefassung überschrieb, darüber ließe sich sicherlich streiten. Auf der Medienseite der Papierzeitung heißt der Artikel "Wie es euch gefällt" und ist illustriert mit einem großen Foto des Schattens von Max Schreck als Nosferatu - also aus einem Stummfilm, den sich inzwischen jeder jederzeit anschauen könnte, weil er immer öfter auf Youtube raufgeladen wird (und nicht gelöscht, denn gelöscht werden auf Youtube nur neuere Spielfilme gelegentlich...).

Jedenfalls ist Boies entspannter, aber nicht entspannender Text einer der nicht so zahlreichen lesenswerten Artikel zur Datenkraken-Frage.
 


Altpapierkorb

+++ "Aber den deutschen Krimi. Reizt Sie die Rolle des 'Tatort'-Kommissars? Devid Striesow, Eva Mattes oder Martin Wuttke, das sind ja keine ganz Schlechten." - "Alles großartige Kollegen. Das Format hat Bestand. Und man sollte nie nie sagen. Aber wie viele 'Tatort'-Kommissare haben wir jetzt in Deutschland?" - "21 Ermittler-Gespanne." - "Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, im 22. Team die Kommissarin zu geben".  Schönes Interview des Tagesspiegel mit der Schauspielerin Birgit Minichmayr (die sich hoffentlich leisten kann, ihre Wählerischkeit beizubehalten) - auch wenn die Interviewer irgendwie ganz vergaßen, nach Dieter Pfaff zu fragen, obwohl Minichmayrs Auftritt in der heute in der ARD gesendeten neuen "Bloch"-Folge mit dem gerade verstorbenen Schauspieler in der Titelrolle der Anlass war... +++ "Wer nie einen 'Bloch' gesehen hat, der schaue wenigstens 'Das Labyrinth'. In memoriam Dieter Pfaff", schreibt Heike Hupertz auf der FAZ-Medienseite dazu. +++

+++ Gestern im FAZ-Wirtschaftsressort, dann gern online, aber auch gedruckt (Tsp.) aggregiert: das Millionenminus des Zeitschriftenverlags Gruner+Jahr als spektakulärste Zahl aus dem neuen, offiziell noch unveröffentlichten Bertelsmann-Bericht. Die "allgemeine Anzeigenflaute in Deutschland, die im vergangenen Jahr insbesondere die Flaggschiffe 'Stern' und 'Brigitte' getroffen hat", sei schuld. Ein Bertelsmann-weites Sparprogramm namens "Operational Excellence" soll helfen, hieß es in der FAZ. +++ Der gestern hier erwähnte BLZ/ FR-Bericht Ulrike Simons über G+Js Stern und dessen neuen Chefredakteur, "den kahlköpfigen Familienvater mit dem markanten Blick" Dominik Wichmann, steht inzwischen online. +++

+++ Buchmessen-halber viele Berichte rund um Amazon derzeit. Darunter in der BLZ dieser den Atlantik überspannende von Thomas Schuler, der die Entstehung des (ebenfalls von Bertelsmann gesteuerten) "aus Notwehr" erklärt: "Die Verlage haben Angst, dass die digitalen Konkurrenten Amazon, Google und Apple eine Plattform für Autoren schaffen." +++

+++ Die Zahl der eingegangenen Bewerbungen für den WDR-Intendantenposten beläuft sich auf 37 (SZ) bzw. mehr als 40, wie der Tsp. korrekt meldet, denn dazu kommen ja "noch die bereits vorliegenden, respektive zu erwartenden Vorschläge aus dem Kreis der Rundkratsmitglieder", die vermutlich auch aussichtsreicher sind. +++ Schöne Geste aber von Rundfunkratschefin Ruth Hieronymi an Konstantin Neven DuMont, zu betonen, "dass darunter keine offensichtlichen Spaßbewerbungen seien" (SZ). +++

+++ Die FAZ vermeldet eine weitere Klage des als ersten Klägers gegen die Haushaltsgebühr (siehe Altpapier) bekannten Passauer Juristen Ermano Geuer: "einen Eilantrag ..., mit dem er eine einstweilige Anordnung gegen den Datenabgleich erwirken will, den der 'Beitragsservice' (GEZ) seit dem 1. März mit den Registern der Einwohnermeldeämter vornimmt". +++ Außerdem schildert sie die Probleme der Washington Post mit einem Foto, die deren Foreign-affairs-Blogger Max Fisher hier selber schildert. FAZ-Vorwurf  an die Zeitung: Sie "verfälscht ein Foto aus dem Gaza-Krieg und verkauft ihre Leser für dumm". +++

+++ Dass "eine Radiosendung kaum verheimlichen kann, welches Geschlecht sich da gerade äußert", hat Katrin Schuster dem 100-Prozent-Frauen-Tag des RBB-Radios Eins entnommen (epd medien). +++

+++ Die Nazivergangenheit des Süddeutsche Zeitungs-Mitbegründer Franz Josef Schöningh war natürlich Thema der Süddeutschen (siehe Altpapierkorb). Von der Wiederinstallation einer Konterfei einer Bronzetafel mit dem Konterfei eines Chefredakteurs "der Vorgängerzeitung der Süddeutschen Zeitung", der Münchner Neuesten Nachrichten, des vor 80 Jahren verhafteten und 1934 in Dachau ermordeten Fritz Gerlich, berichtet dieselbe nun im Lokalteil. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.