Die Vibrationen der Bild-Zeitung

Das komplexe Verhältnis der Bild-Zeitung zur ARD (und umgekehrt), auch unter besonderer Berücksichtigung der neuesten Kai-Pflaume-"Show der großen Emotionen". Was sagt Professor Siebenhaar? Außerdem: Hi-hi-Hitler.

Sollte man die immer noch meistverkaufte deutsche Tageszeitung "Bild-Zeitung" oder einfach "die Bild" nennen?

Ich schreibe immer Bild-Zeitung, einerseits weil im Internet Platz genug ist und es auf die acht Zeichen mehr nicht ankommt, andererseits vor allem, weil "Bild" ja kein Markenzeichen des Springer-Konzerns, sondern ein schönes oder zumindest wertneutrales Wort ist.

Andere Medienjournalisten schreiben zusehens "die Bild", sogar in der Süddeutschen. Dort wird auf der Medienseite heute der Sat.1-Film bzw. -Filmfilm "Herztöne" besprochen, der auf einem Roman der aus mehrererlei Bild-Zeitungs-Zusammenhängen (Seite-1-Mädchen-Betexterin, Kolumnistin, Chefredakteurs-Gattin...) bekannten Autorin Katja Kessler basiert.

Was Kessler in diesen Roman so schrieb und was "die Bild" schrieb, als Kessler diesen Roman dann vor Prominenten vorstellte, beschreibt Katharina Riehl in der SZ recht ausführlich. Was denn nun vom heutigen Film zu halten ist, leider nicht.

"Nein, ein guter Film ist 'Herztöne' nicht", leitet Jan Freitag seinen Artikel in der TAZ darüber ein. Das war's allerdings auch bereits mit Besprechung, denn ab dann schildert er den Film als "Paradebeispiel dafür, wie Produzenten querverwertbarer Medienware heutzutage kooperieren", als "Beispiel für die klebrige Zusammenarbeit verschiedener Medien zum eigenen Vorteil".

Es folgen vertiefende Erklärungen, die, wenn sie auf der Kinderseite einer Wochenzeitung erschienen oder in einer nordrhein-westfälischen Medienkompetenz-Broschüre, zweifellos aller Ehren wert wären, auf einer seit vielen, vielen Jahren werktäglich erscheinenden und oft lesenswerte Artikel enthaltenden Tageszeitungsmedienseite aber doch erstaunen, wie:

"Das Modell dahinter heißt Cross-Promotion. Sie wirkt zwischen Fernsehen und Printmedien, alten und neuen Medien ebenso wie zwischen Parteien und Pressehäusern oder Autoren und Kritikern."

Und eine ausrufezeichenlastige Aufzählung von Beispielen wie, nur zum Beispiel:

"... Das Ex-Kohl-Organ jubelt einen Sozi zum Kanzler? Schröder regiert mit 'Bild, BamS und Glotze'! ..."

Gegen Ende des Artikels werden dann noch, holterdipolter, aktuell sinnvolle Fragen angerissen. Zum Beispiel, ob ARD und ZDF, wenn sie Zeitschriftenverlags-Galas wie die zum Bambi übertragen, nicht ein "P" für Produktplatzierung einblenden müssten. Schade, dass da schon alle Zeilen vollgeschrieben sind.

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[+++] Damit zum interessantesten Medienmedien-Inhalt heute. Es handelt sich um eine Fernsehsendung, die das NDR-Fernsehen gestern um 22.00 Uhr (also zu einer guten Sendezeit, zu der sonst nur für massenattraktiv gehaltene Inhalte wie z.B. heute "Tatort"-Wiederholungen on air gehen) ausstrahlte: die 45-minütige Reportage "Über Gebühr".

Gestern wies bereits Stefan Niggemeier, der darin in der Tat gut zu Wort kommt, darauf und auch auf die aus der NDR-"Zapp"-Ecke gewohnten wunden Punkte (die "aufdringlich süffisante Art..., in der die Off-Texte vorgetragen werden") hin. Natürlich verzichtete er nicht auf den (sozusagen) gemeinsamen Auftritt des bekannten Handelsblatt-Redakteurs Hans-Peter Siebenhaar mit den Deutschen Fernsehballetten, den der Film von Grit Fischer und Maik Gizinski in genau dieser Süffisanz auch breitwalzt.

Trotzdem ein sehenswerter Film, dessen durchaus brisanten Kern Stefan Winterbauer in der meedia.de-Vorbesprechung sogar noch besser trifft. Der kommt dann, wenn die amtierenden Chefs von ZDF und ARD zum Thema Transparenz befragt werden:

"Dass aber Thomas Bellut nicht sagen will, wieviel 'Wetten dass..?' kostet oder eine der vielen Koch-Shows, mag nicht einleuchten. Als NDR-Intendant Lutz Marmor im Film auf die geheimnisumwitterten Kosten für die Talksendungen Günther Jauchs angesprochen wird, gluckst er nur und sagt: 'Es ist ja auch so, dass eine Zahl öffentlich geworden ist, die hat keiner dementiert und das lasse ich so stehen.' Transparenz besteht für zwei der Top-Vertreter des öffentlich-rechtlichen Systems also darin, Gremien zu informieren ('Interne Transparenz') oder inoffizielle Zahlen, die Medien durchgestochen wurden, nicht weiter zu dementieren..."

Insbesondere ZDF-Intendant Bellut, der gerade jetzt ja wegen der geplanten "ZDFkultur"-Einstellung (siehe Altpapier gestern) verschärft in der Kritik steht, macht einen merkwürdig sardonischen Eindruck. Der aktuelle ARD-Vorsitzende Marmor dürfte sich über die vergleichsweise große Differenziertheit auch nicht uneingeschränkt freuen - zum Beispiel wenn der Film (gemeinsam mit dem ebenfalls performenden Michael Hanfeld) fordert, die Kosten von vermutlich mehr als 100 Millionen Euro, die die ARD im Jahr für die Fußball-Bundesligarechte zahlt, offenzulegen.

Oder darüber, wie deutlich die NDR-Reportage macht, dass die 105-minütige, am 15. März von Kai Pflaume präsentierte "Show der großen Emotionen" mit dem Programmtitel "Deutschlands starke Frauen" eine Gala-artige Sendung gemeinsam mit dem Springer-Blatt Bild der Frau ist (siehe auch horizont.net). Dass also die ARD, die ja immer Hubert Burdas Bambi-Show überträgt, nun auch mit der Springer-Presse, deren "Goldene Kamera"- und "Ein Herz für Kinder"-Shows ja im Allgemeinen das ZDF überträgt, ins Gala-Bett geht. Bloß darüber, dass sein eigener Sender NDR nicht nur für "Deutschlands starke Frauen", sondern auch für einen der raren sinnvollen öffentlich-rechtlichen Beiträge in eigener Sache verantwortet, kann sich Marmor etwas freuen.

[+++] Wie sieht's heute aus im ewigen Clinch zwischen der Bild-Zeitung und ARD/ ZDF? Teils so, teils so. "Politiker und Medien-Experten sind empört!", heißt es mal wieder auf bild.de. Da geht's in aller Kürze um die Frage, warum denn die neue Staffel von "Weißensee", einer der raren guten ARD-Serien, zuerst auf DVD heraus statt ins Fernsehen kommt (die hier im Altpapier neulich schon in aller Länge Thema war). Handelt es sich beim Satz

"Medien-Experte Professor Klaus Siebenhaar: 'Der Gebührenzahler wird hier regelrecht verprellt.'"

im Bildzeitungs-Beitrag um eine weitere Verhohnepiepelung des gleichnachnamigen Handelsblatt-Redakteurs? Nein, offenbar nicht.

[+++] Wo Springer-Presse und ARD dann wieder aufs Schönste einig scheinen: wenn Thommy Gottschalk grinst. Die Meldung, dass sich der Bayerische Rundfunk nicht entblödet, für sein geplantes

"zeitgemäß-modern inszeniertes TV-Event mit Stars, die nicht nur den Sound von damals geprägt, sondern als moderne Legenden die Musik von heute maßgeblich beeinflusst haben",

den vielfachen Rundfunkgebühren-Millionär zu verpflichten, bringt bild.de völlig kritiklos. Siehe auch den Berliner Tagesspiegel, der zugleich nochmals auf Thommys Radioauftritt in Berlin am Freitag hinweist und besser noch werben und verkaufen, woher die Original-News stammt.

"Good vibrations" lautet der geplante Titel der Sendung übrigens.
 


Altpapierkorb

+++ Weitere TV-Besprechungen vom gestrigen Abend, die man heute morgen lesen sollte: die von Andreas Platthaus zu Frank Plasbergs recht beschämender Darf-man-über-Hitler-lachen?-Diskussion bei faz.net, die unter der Überschrift "Hihi, Hitler? Hi-hi-Hilfe!" u.a. den schönen Satz "Zugegeben, es ist bequem, sich über fünf Diskutanten zu erheben, die mit Frank Plasberg im Studio sitzen müssen und alle paar Minuten von sinnlosen Einspielungen unterbrochen werden" enthält. +++ Und die zu "Circus HalliGalli" (die ebenfalls, wie Plasbergs Show auch, zumindest am Rande Oliver Pocher enthalten zu haben scheint) im Fernsehblog. +++

+++ Große Debatten-Anstöße im FAZ-Feuilleton: Auf S. 29 reagiert nun auch Sascha Lobo auf die "Twitter ist für mich gestorben"-Verkündung des Piratenpolitikers Christopher Lauer. "Wenn ein Vorreiter der politischen, digitalen Öffentlichkeit einen Text über Twitter schreibt, der vom Vorsitzenden eines Vereins zur Brauchtumspflege stammen könnte, ist das ein Zeichen, um sich zu sorgen – nicht um Christopher Lauer, sondern darum, wie die Öffentlichkeit sozialer Medien wirkt, wenn es nicht gerade um Katzenfotos geht", lautet leider nicht der erste, sondern der letzte Satz des Artikels, der sich trotz der Überschrift "Es war wohl alles ein bisschen viel für ihn" nicht gegen Lauer ("...ist der meistunterschätzte Politiker seiner Partei"), sondern eher an ihn und andere Piraten zu richten scheint. An Nichtpiraten scheint er sich weniger zu richten. +++

+++ Zwei Seiten später, auf der Medienseite schreibt Jan Wiele unter dem Titel "Die Dialektik der Bauchnabelfluse" ein großes Stück über Youtube: "Der Sprengstoff steckt in der absoluten Programmlosigkeit. Diese ist es, die Youtube kategorisch unterscheidet vom gewohnten Fernsehen, und sie bezieht sich auf Sendezeiten wie Inhalte", heißt es mit Recht. Auf Youtube kann man außer lehrreichen Inhalten auch Videos von Enthauptungen in Saudi-Arabien finden. Über Youtube völlig ohne irgendwelche Zahlen zu schreiben (so wie 72 Stunden pro Minute, was im letzten September der offizielle Rauflade-Wert war), scheint mir selbst allerdings nicht besonders sinnvoll. +++

+++ Auf der SZ-Medienseite im Aufmacher geht's um Menasche Amir, "einen der wichtigsten Journalisten in Iran", der aber als Israeli ausgerechnet aus Jerusalem sendet. +++ Außerdem um die sozusagebn geglückte Abwicklung der Gruner+Jahr-Wirtschaftspresse (siehe auch Abendblatt). +++

+++ Die Abwicklung des 1887 gegründeten Traditionstitels "International Herald Tribune" zugunsten der New York Times-Expansion beschreibt Bülend Ürük kenntnisreich (bis hin zu Suzy Menkes' "herrlicher Schmalztolle") auf newsroom.de. +++ Falls Sie interessiert, ob in den USA jemand wie Stefan Raab als Moderator eines "Polit-Spitzenduells" im Fernsehen denkbar wäre, klicken Sie zum Tagesspiegel. +++ Von einer starken Demonstration für den Erhalt des Radiosenders Klubrádió in Ungarn berichtet die TAZ. +++

+++ Was ist denn nun von "Herztöne" auf Sat.1 zu halten? Die Bild-Zeitung ist, da hat Jan Freitag im o.g. TAZ-Text recht, hellauf begeistert ("Dieser Film wird jedes Zuschauer-Herz höherschlagen lassen!") und weist auch darauf hin, dass die "Dahinschmelz-Komödie" "von der Hit-Schmiede 'Teamworx'" produziert wurde - also der Bertelsmann-Firma, die ebenfalls für Sat.1 ja auch den Zu-Guttenberg-Filmfilmfilm "Der Minister" herstellte, in dem es vermutlich auch um die Bild-Zeitung gehen dürfte. +++ Viereinhalb von sechs Sternen vergibt Rainer Tittelbach: Der Film "fließt sexy mit zwar erwartbaren Wendungen dahin, ist aber zugleich mit kleinen Überraschungen und hübschen Details gespickt, die dem Ganzen einen dramaturgisch perfekten Unterboden geben". +++ "Mit Pasquale Aleardi als Frauenschwarm liegt man ohnehin immer richtig, aber auch die Frau an seiner Seite ist treffend besetzt: Mirjam Weichselbraun setzt in ihrer Nebenrolle einige Akzente und beeindruckt nicht zuletzt durch einen sehr glaubwürdigen dänischen Akzent", würde Tilmann P. Gangloff hier nebenan sagen. +++ "Es war einmal eine Zeit, in der trugen Mädchen Zöpfe mit Schleifen, und alle Farben waren ausgeblichen wie in einem alten Poesiealbum. In dieser verwehten Sepiazeit...", spielt das heutige ZDF-Stück "Die Holzbaronin" mit Christine Neubauer (FAZ, S. 31). +++

+++ Vielleicht hilft es, den ZDF-Intendant Thomas Bellut in eine Schublade mit Christian Wulff zu stecken. Damit jedenfalls leitet Tim Renner seinen Remix der Argumente in Sache "zdf.kultur" ein (u.a. Carta). +++

+++ "Die Unsitte der sich selbst verlängernden Probeabos hält nun also auch in der Digitalwelt Einzug", meint nochmals Stefan Winterbauer bei meedia.de angesichts des neuen Angebots "OK! Daily" des Klambt-Verlags für iPads. Die Kosten belaufen sich auf 89 Cent pro Woche. +++ Ob so etwas läuft, wenn andererseits sogar taz.de "die schönsten und schrecklichsten Kleider der Oscars" als Gratis-Klickstrecke anbietet, könnte spannend werden. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.