Keine zwei Meinungen

Zumindest im Fall der Polizeirazzien bei freien Fotografen. Mehrere Meinungen weiterhin zu den Zukunftschancen der Frankfurter Rundschau. Außerdem: der härteste Schlag für die papierbedruckende Industrie überhaupt, "Kikeriki-Journalismus".

Eigentlich ist es im Medien-Journalismus häufig sinnvoll (nicht unbedingt für Individuen, aber für Teams oder Redaktionen), zu einem Thema erst einmal zwei oder noch mehr unterschiedliche Meinungen zu vertreten. Schon weil man oft noch gar nicht genau weiß, welche sich als die relativ richtigste erweisen wird. Jetzt gibt es etwas, zu dem keine zwei Meinungen möglich sind.

"Ungeheuerlich" bzw. "völlig überzogen" meinen die Journalistengewerkschaften dju und DJV, "inakzeptabel" sagt der Zeitungsverlegerverband BDZV zur polizeilichen Razzia bei neun Fotografen am gestrigen Mittwoch. "Polizei tritt Grundrechte mit Füßen" meint der Verband der freiberuflichen Fotografen,  Freelens, und schildert, was einem seiner Mitglieder widerfuhr:

"Um 6.55 Uhr klingelte es an der Tür von Björn Kietzmann. Ausgestattet mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgeriches Franktfurt / Main begehrten Polizisten Einlass, um seine Redaktionsräume zu durchsuchen und die Herausgabe von Fotos zu verlangen. Bundesweit erging es so sieben weiteren Fotografen. Sie alle hatten am 31.3.2012 auf einer Anti-Kapitalismus-Demonstration in Frankfurt im Auftrag von u.a. Spiegel, taz, Frankfurter Rundschau und der DPA fotografiert",

bei der ein Polizist schwer verletzt worden war. Tausende beschlagnahmter, im Digitalzeitalter also: kopierter Fotos von dieser Demonstration sollen bei der Tätersuche helfen. Und weil Fotografen ja fotografieren, hat Freelens dazu einen Ausriss aus dem "Nachweis über sichergestellte/ beschlagnahmte Gegenstände" abgebildet, den die Polizei dem betroffenen Fotografen zurückließ. Darauf ist ausdrücklich die Durchsuchung außer eines Wohn- auch eines Redaktionsraumes vermerkt. Das wiederum ist spätestens seit 2007 bundesverfassungsgerichtlich verboten.

Was die Argumente der Staatsanwaltschaft betrifft, herrscht gewisse Diffusion, die jedenfalls aber die Unangemessenheit der Aktion unterstreicht: "Die Fotografen sind keine Beschuldigten, ihre Bilder sollen den Behörden lediglich bei der Suche nach Verdächtigen helfen", berichtet der Tagesspiegel, für den ebenfalls betroffene Fotografen fotografierten. "Die Staatsanwaltschaft Frankfurt, die die Durchsuchung bei acht Fotografen beantragt hat, behauptet, diese wären nicht als Pressefotografen tätig, sondern gehörten selbst der linksradikalen Szene an", schreibt Freelens. Auflösung: "Die Staatsanwaltschaft Frankfurt begründet die Durchsuchung mit einem Missverständnis. Man sei 'davon ausgegangen, dass es sich nicht um Pressefotografen handelt', erklärt Pressesprecherin Doris Möller-Scheu". Das berichtet die TAZ, für die u.a. der (gestern bereits um 6.00 Uhr betroffene) Fotograf Christian Mang arbeitet.

Nicht mit juristischen Kategorien, sondern mit der in diesem Kontext raren des Mitleids ("Warum hilft die taz nicht, so ein Verbrechen aufzuklären? Haben wir etwa kein Mitleid mit dem Opfer?"...) erläutert der TAZ-Hausblog, warum noch mal Journalisten "darauf angewiesen [sind], von allen Beteiligten als unabhängige Berichterstatter wahrgenommen zu werden".

Mehrere Fotografen wollen gegen die Durchsuchungen klagen, Freelens kündigt eine "Fortsetzungsfeststellungsklage gegen das Land Hessen" an. Insofern wird diese Sache die Medien noch lange beschäftigen. Und immerhin den Begriff der Pressefreiheit, über dessen manchmal vielleicht inflationäre Verwendung sich ja wiederum streiten ließe, mit Leben füllen. Schließlich könnte, angesichts der Augsburger Redaktionsdurchsuchungs-Posse neulich (siehe Altpapier) gar der Eindruck aufkommen, dass diverse Staatsanwaltschaften die Zeitungskrise nutzen möchten, um ihren Spielraum zu erweitern,

[+++] Der in absoluten Zahlen heftigste Ausdruck der wenn nicht Zeitungskrise, dann der Krise der Geschäfte mit bedrucktem Papier steht ebenfalls heute in Presse und Internet: "1000 Mitarbeiter verlieren ihren Job", und das in der insgesamt nur 30.000 Einwohner zählenden schleswig-holsteinischen Stadt Itzehoe. Das berichtet die Süddeutsche im Wirtschaftsressort, weil das zu fast drei Vierteln Bertelsmann und zu einem Viertel Springer gehörende Gemeinschaftsunternehmen Prinovis seine dortige Druckerei zu schließen ankündigte. Dort wurden bzw. werden noch Spiegel und Stern, aber auch Otto- und Ikea-Kataloge gedruckt.

"Weil Magazinleser immer öfter online lesen, die Auflagen zurückgehen und sich auch das klassische  Kataloggeschäft zunehmend ins Internet verlagert", heißt es im gewohnt unternehmensnahen Artikel der SZ. "...Versandhändler drucken weniger oder dünnere Kataloge. Der Druckmarkt wird Jahr für Jahr um etwa 2 Prozent  schrumpfen. Das bedeutet, es wird weitere Insolvenzen geben", sagt Prinovis-Chef Bertram Stausberg im FAZ-Interview (S. 13).

Gewerkschaftler-Kritik am Unternehmen findet man anderswo: in der TAZ, wo sich Ver.di-Fachbereichsleiter Martin Dieckmann bitter beklagt ("Statt eine gemeinsame Strategie im Überlebenskampf zu entwickeln, hätte Bertelsmann nur seine 'Unternehmen aufeinandergehetzt, sich gegenseitig die Hölle heiß zu machen') und sogar von 1.100 Arbeitsplätzen die Rede ist, sowie in den Kieler Nachrichten aus der Region:

"Auch der langjährige Betriebsrat Klaus Hillmer ist mit früheren Arbeitskollegen angerückt. Der  69-Jährige hat sich vor einer Eingangstür postiert. 'Wir sind solidarisch mit euch' steht auf Schildern, die den 30 Männern um die Bäuche baumeln. Manche halten Fahnen der Gewerkschaft Verdi in der Hand. '60 Jahre wurde hier der 'Stern' gedruckt und jetzt wird  der Standort von der Karte ausgelöscht', sagt  Hillmer. Von früheren Gesprächen am Verhandlungstisch  wisse er: 'Dichtmachen ist für Bertelsmann einfacher  als verkleinern'."

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[+++] Nur völlig am Rande: "Rettet den Feierabend", heißt das Titelthema des heute neu erschienenen Stern-Heftes. "Es geht in der Tat darum, irgendwann abends auch mal Schluss zu machen", sagt Chefredakteur Andreas Petzold im aktuellen Werbevideo. Abo-Kündigungen in Itzehoe, von denen im vorigen Artikel die Rede ist, haben andere Gründe.

[+++] Irgendwo zwischen drastisch Verkleinern und gleich Dichtmachen befindet sich auch die traditionsreiche Frankfurter Rundschau. Der eine Kaufinteressent für die (ebenfalls eine Druckerei enthaltende) insolvente Zeitung ist die Frankfurter Allgemeine, die schon deshalb, weil sie mit der FAZ und der Neuen Presse bereits andere Frankfurter Zeitungen herstellt, ziemlich viel von der FR dichtmachen dürfte. Der andere ist der türkische Verlag Estetik Yayincilik, der die Druckerei und auch in der Redaktion zumindest "rund 100 Stellen erhalten" möchte. Über dessen Angebot gibt es allerdings mehrere Meinungen.

Die relativ präzisesten Informationen hat die DPA, die nun in Istanbul mit Verleger Burak Akbay sprach (newsroom.de). Die relativ deutlichste Meinung hat sich die TAZ gebildet, indem sie mit ungenannten FR-Mitarbeitern sprach:

"'Seit dieser Investor sein Interesse in einer Pressemitteilung öffentlich machte, die sich wie eine Selbstbeweihräucherung liest, ist er nicht mehr ernst zu nehmen', so ein Redakteur. Tatsächlich wurde in besagter Mitteilung vom 29. Januar doppelt so oft der Name Sözcü erwähnt wie derjenige der Rundschau."

Das Handelsblatt bringt dann noch das Gerücht auf, Akbays türkische Zeitung "Sözcü" "sei von der umstrittenen Fetullah-Gülen-Bewegung unterwandert, konservative Muslime, die großen Einfluss in der Türkei besitzen". Wo Ihnen die hier im Altpapier schon begegnet sein könnte? In der Streitungkeit zwischen den vom einstigen Netzeitungs-Chefredakteur Michael Maier herausgegebenen Deutsch-Türkischen Nachrichten und dem Spiegel (siehe z.B. hier). Allerdings, hat das Handelsblatt investigiert,

"spricht schon der erste Blick auf die Seite der Onlineausgabe von 'Sözcü' an diesem Mittwoch gegen die Theorie: Mit laszivem Blick schaut dem Leser eine halbnackte Catrina Darling entgegen, die Cousine von Herzogin Kate Middleton."

Völlig unlasziv geht's dort am heutigen Donnerstag auch nicht zu.


Altpapierkorb

+++ "Es gibt einen Kikeriki-Journalismus, der permanent um  Aufmerksamkeit fleht und der nervt." So genervt zeigt sich heute Hans Leyendecker auf der SZ-Meinungsseite, und zwar von "Repräsentanten der internationalen Polizeibehörde Europol" bzw. den Medien, die auf sie eingingen (wie, ohne dass Leyendecker es nennt, Spiegel Online), denn "bei näherem Hinsehen stellt sich der größte Sportbetrugsfall aller Zeiten als eine Mischung aus einer alten Bestandsaufnahme  und aus neuen Verdachtsfällen heraus." +++

+++ Öffentlich-Rechtlichen-Debatte: Während bildblog.de der Rundfunkgebührenpflichtigkeit der Friedhofsbagger nachgegangen ist, hat das in puncto Öffentlich-Rechtlichen-Kritik führende Handelsblatt einen neuen Verbündeten aufgetan, einen grundseriösen: den Bund der Steuerzahler und seinen Verbandspräsident Reiner Holznagel. Dieser kritisiert eine neue Imagekampagne, "die mit TV-Spots, Anzeigen- und Plakatmotiven für den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk und die neue GEZ-Gebühr wirbt" und aktuell Claus Kleber und Thommy Buhrow fröhlich grinsen lässt. Interessant daran: Solche Gaga-Anzeigen schalten ARD und ZDF ja gern auch in sog. Qualitätszeitungen, die dieser Tage und Jahre nicht direkt unter zuvielen Anzeigeanfragen leiden. +++ Eigentlich kein grundsätzlicher Öffentlich-Rechtlichen-Kritiker, jetzt aber als Buch-Autor doch in eine markenrechtliche Auseinandersetzung mit der ARD verstrickt: Altpapier-Autor Matthias Dell. Siehe stefan-niggemeier.de. +++

+++ Kai Gniffke lässt gerade die "Tagesschau"-Handy-App "für den internen Gebrauch  erweitern: Mit einem Klick auf die Schaltfläche  'Live', die nur speziell ausgewählte Reporter sehen, baut sich direkt eine Leitung zur zentralen  Nachrichtenredaktion der ARD in Hamburg auf". So werde das Handy zum filmenden "Taschenbüro" für Reporter, berichtet Daniel Bouhs in der TAZ. +++

+++ Die Anstalt MDR kommt in diesem Artikel der Berliner Zeitung nicht gut weg: Wollte er aus politisch-programmatischen Gründen Thomas Kubans Undercover-Berichte aus der rechtsradikalen Szene nicht senden? +++ Der Ex-Intendant des MDR, Udo Reiter, gab der Zeit ein großes Interview, das meedia.de liebevoll weiteraggregiert hat. Was die Zeit sich dabei dachte, das Interview in westdeutschen Ausgaben gar nicht zu bringen - unklar. +++

+++ Aus der BLZ inzwischen auch online: der heutige Bericht zur Deutsche Welle-Intendantensuche. +++

+++ Auf der SZ-Medienseite: großer Bericht zur Lage der BBC, deren neue Serie "Blandings" zwar zeige, dass "auch der mit Abstand beste Rundfunksender der Welt mal so richtig danebenhauen" kann, die aber dennoch und trotz der jüngsten Skandale "insgesamt ... derzeit gut angesehen bei den  Bürgern" sei. Allerdings stehen Entlassungen wegen Sparvorgaben und daher vielleicht auch Streiks an.  +++

+++ Die FAZ-Medienseite 31 berichtet knapp von einem gescheiterten Anschlag auf den Publizisten Lars Hedegaard, den Vorsitzenden der dänischen "Gesellschaft für Pressefreiheit". +++ Und davon, dass das Fernsehen "zur Berlinale" "fast wie zur WM" berichte. Zwar werden die auf dem Festival aufgeführten Filme anders als die WM-Spiele nicht übertragen, doch "generell verbessert sich das Spielfilmprogramm während des Filmfestivals auf eine Weise, die  wünschen lässt, es wäre alle Tage Berlinale". +++ Der Tsp. ist ganz begeistert von Anke Engelke.

+++ Mithilfe des zeitweilig schwer zu erreichenden Peerblog versuchen anonyme Unternehmer zu verhindern, dass Peer Steinbrück Kanzler wird, falls wir das richtig verstanden haben. "Auch Internetnutzer zeigten sich befremdet", schreibt die Süddeutsche im Bericht darüber, dass nun auch die Bundestagsverwaltung diese Sache prüfen will. +++

+++ Da wir oben bereits im TAZ-Hausblog verweilten: Auch unklar ist die Lage des (online weiterhin aktuell zu erreichenden) Satireressorts Wahrheit. +++

+++ Und die FAZ nennt unter der etwas seltsamen Überschrift "Die Fernseher" auch die neuen Donnepp-Preisträger: "Die Macher des Blogs 'Altpapier' widmen sich dem  aktuellen Mediengeschehen", heißt es völlig zurecht. +++

Das tun sie auch am Freitag wieder.