Die ARD plant kein Dschungelcamp

Und Transparenz auch nicht mehr als unbedingt nötig. Außerdem: Plasberg-Kritik, Dschungelcamp-Nominierungs-Kritik, Sexismusdebatten-Lob, Donnepp-Preise.

Großes Kino im idyllischen nordrhein-westfälischen Marl gestern abend (Foto indes von heute morgen): Nicht nur dass der Deutsche Preis für Medienpublizistik, der Bert Donnepp-Preis, ans Altpapier sowie an Rainer Tittelbach (der Einschätzungen, er sei der Fernsehkritiker mit dem großen Herzen, ausdrücklich bestätigte) vergeben wurde. Überdies war ein Kamerateam des vielfachen Grimmepreisträgers Dominik Graf zugegen, das auch während der anschließenden Feierlichkeit Tabletts mit ansehnlich gefüllten Pilsgläsern durchs Getümmel verfolgte und Kamerawagen hindurch gleiten ließ, sodass allen Anwesenden die Chance winkt, als Statisterie des Graf-Dokumentarfilms zum 50-jährigen Grimmepreis-Jubiläum 2014 sogar epochenübergreifend ins audiovisuelle Weltkulturerbe zumindest der deutschsprachigen Menschheit einzugehen.

Was bei der Veranstaltung u.a. gesagt wurde, vermeldet reichhaltig bebildert das Grimme-Institut selbst. Weil schnelles Internet inzwischen auch in Marl verfügbar ist, gibt's überdies einen kleinen Twitter-Liveticker der Funkkorrespondenz, dem mit freundlicher Genehmigung auch das zweite Foto entstammt. Mehr Medienecho: TAZ, Hamburger Abendblatt ("Beste Medienpublizisten schreiben im Internet"), stefan-niggemeier.de, evangelisch.de.

[+++] Aber wir wurden ja nicht für Selbstbezüglichkeit prämiert, daher heute von Marl aus hinein in die sonstigen Debatten: Gleich zweimal auf der Medienseite des Tagesspiegels, einer führenden Berliner Lokalzeitung, prominent erwähnt wird heute Frank Plasberg.

Erstens wegen seiner am Montagabend in der ARD gesendeten Talkshow "Handy an. Hirn aus - wie doof machen uns Apple und Co?"(vgl. auch faz-net-Frühkritik gestern) mit so harten Worten wie bislang selten. Schließlich genießt "hart aber fair" in der deutschen Talkshowbesprechungspublizistik immer noch einen vergleichsweise guten Ruf. Und zweitens im Rahmen von Simone Schellhammers pragmatischem Herunterbrechen der Sexismusdebatte auf den gewöhnlich Fernsehalltag, bei dem auch noch, liebenswert errötend, Til Schweiger sowie Fritz Wepper vorkommen:

"Als Moderator Frank Plasberg in 'Plasberg persönlich' (WDR) beim Thema Fußballleidenschaft zu Kabarettist und VfL-Bochum-Fan Frank Goosen sagt, er habe ja 'sogar zwei Söhne', interveniert Bärbel Höhn von Bündnis 90/Die Grünen mit 'He!' Daraufhin sagt Plasberg: 'Jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Frauenkram'."

Dass er zu wenige Fernsehsendungen gestaltet, zählt jedenfalls nicht zu den Vorwürfen, die sich Plasberg gefallen lassen muss. Mehr Sexismusdebatte bzw. ein strukturelles Lob derselben ("#Aufschrei hat gezeigt, wie Internet geht") gibt's von Antje Schrupp bei Carta.

Mehr Datenkraken-Kritik gibt's bei meedia.de, das den neueste Ortungsdienst von Facebook, den die FAZ bloß harmlos "Freundefinder im wirklichen Leben" nennt, zur "Stalker-App" zuspitzt.

[+++] Gestern in Hamburg: große ARD-Intendanten-Pressekonferenz beim NDR, dessen Intendant Lutz Marmor ja gerade den ARD-Vorsitz übernommen hat, was bekanntlich nicht verhindert hat, dass er als Kandidat für den Intendantenposten beim noch größeren WDR gern genannt wird. Von solchen Intendanten-Elefantenrunden zu berichten, zählt zu den althergebrachten Pflichten traditioneller Medienberichterstattung. Heute erfüllen sie am ausführlichsten der Tagesspiegel (wiederum Schellhammer) und dwdl.de. Mit leichten Akzentuierungen spiegeln getreulich wider, was Marmor so zu den Themen Dschungelcamp (plant die ARD trotz der Grimmepreis-Nominierung, einer "erklärungsbedürftigen und schwer zu ertragenden Entscheidung eines so ehrwürdigen, angesehenen Instituts", zitiert dwdl.de Volker Herres) und Transparenz (plant die ARD auch nicht, wobei sie das natürlich anders formulieren würde: Der 2000-seitige Bericht der ARD an die KEF sei "so etwas ...wie eine Bilanz", zitiert der Tsp.).

Gibt's Neues zur gesamtgesellschaftlich betrachtet größten Aufregung rund um u.a. die ARD, den Rundfunkbeitrag? Jawohl, "ARD-Chef verteidigt neue Rundfunkgebühr" bzw. "ARD verspricht Änderungen bei GEZ-Beitrag" tickern handelsblatt.com und spiegel.de jeweils unter Bezug auf dieselbe DPA-Meldung von der gleichen Veranstaltung. Versierte Bürokraten wie Marmor zweifellos einer ist, äußern sich eben immer so, dass (zumindest bis das Bundesverfassungsgericht geurteilt hat) alle Auslegungen ihrer Äußerungen möglich sind, und versierte Onlinejournalisten akzentuieren eben immer so, dass ihre jeweilige Klientel am ehesten klickt.

Es gibt jedoch wirklich Neues aus diesem Themenfeld, zumindest eine weitere, nicht einflusslose gesellschaftliche Gruppe, die das neue Berechnungsmodell kritisiert: die katholische Kirche bzw. die Erzbistümer Köln und Trier. Das grundsätzliche Problem sei dasselbe, dass die Stadt Köln und die Drogeriediscounter-Kette Rossmann auch hätten, die veränderte Berechnungsgrundlage, arbeitet Daniel Bouhs für die DuMont-Presse (Link führt aus solidarischen Gründen zur Frankfurter Rundschau) heraus:

"Während die Rundfunkgebühr bis zum Jahreswechsel noch an den tatsächlich aufgestellten Fernsehern, Radios oder Computern ansetzte, zählt beim Rundfunkbeitrag ein Mix aus den Kenngrößen Betriebsstätten, Mitarbeiterzahl und Fahrzeuge – wobei hier eine Staffelung eingezogen wurde und einige Nutzfahrzeuge wie Bagger und Traktoren gänzlich außen vor bleiben."

Dann kommen im Artikel ein paar der üblichen Verdächtigen mit äußerst übliche Äußerungen (niemand ist für, aber jeder gegen "unzumutbare Belastungen"...), aber auch die grüne Medienpolitikerin Tabea Rößner mit einem vergleichsweise erhellenden Gedanken zu Wort. Sie schlägt vor, die gesetzlich vorgesehene Überprüfung des Rundfunkbeitrags, in deren Folge dann Änderungen vorgenommen werden könnten,

"nicht erst nach zwei Jahren, sondern bereits Ende dieses Jahres anzusetzen. Allerdings würden auch dann noch knapp elf Monate ins Land gehen. Viel Zeit also, die das Image der öffentlich-rechtlichen Sender nur noch weiter ramponieren dürfte."


Altpapierkorb

+++ Aufmacher der Süddeutsche-Medienseite: ein Artikel über ein Printprodukt, der fünfmal "Liebe" bzw. "lieb-" enthält, und zwar in diesen Zusammenhängen: "Lieblose Produkte auf dem deutschen Zeitschriftenmarkt", "Reportageliebhaber", "Reportageliebhaber", ein "Text über 'die Liebe unter Verbrechern in einem kolumbianischen Gefängnis', eine leise Geschichte über die Sehnsüchte von Kriminellen" sowie "eine Gruppe von Investoren, die 'wissen, nicht das große Geld verdienen zu können' aber die 'Liebe zum Journalismus' mitbrächten". Es geht um das Schweizer Magazin Reportagen, das nun nicht taufrisch (vgl. BLZ 2011), aber schön ist. +++

+++ Ja, ist die SZ-Medienseite unter der Leitung der aus dem Panorama-Ressort gekommenen neuen Chefin Claudia Fromme denn bereits bunt-vermischter geworden? Das bloß wegen so einiger Texte über bayerische Fernsehphänomene wie die Augsburger Puppenkiste gestern und all die Münchener "Tatort"-Kommissare heute zu denken, wäre wahrscheinlich verfrüht. Allerdings trat Fromme gestern auf der SZ-Meinungsseite als Medien-Autorin hervor: mit einem einfühlsamen Porträt Hansi Hinterseers, bei dem man sich als Schmonzetten-Strukturalist schon noch ein paar Worte über Hinterseers Bemühungen als darstellender Künstler in einer Menge von ARD-Fernsehfilmen wie "Da wo die Heimat ist" gewünscht hätte. +++

+++ Die FAZ-Medienseite kreist heute um die neueste "Kommissarin Lund"-Staffel und ebenfalls die Puppenkiste. +++ Was die TAZ-Medienseite bringt (Kriegsreporterin, Arte-Tipp), lässt sich hier lesen. +++

Weil es mit dem mobilen Internet in Marl so schnell nun auch wieder nicht geht, gibt's weiteres Altpapier erst wieder morgen früh.