Twitter-Butler und Mäusekino-Anbieter

Maybrit Illner attackiert den eigenen Chef, und die Sozis waren angeblich nicht über alles im Bilde, was bei der bald zombie-ähnlichen Westfälischen Rundschau abging. Außerdem: Was Lance Armstrong mit Lady Diana und Antisemitismus mit Winterwetter zu tun hat.

Knorke formulierte Kalendersprüche und Lebensweisheiten zu präsentieren, gehört ja nicht zum Kerngeschäft des Altpapiers, aber bei Constantin Seibt machen wir da gern mal eine Ausnahme. In einem neuen, hauptsächlich wohl an jüngere Journalisten gerichteten Text für den Deadline-Blog des Zürcher Tages-Anzeigers sinniert er über „Erfolgsrezepte“ für Journalisten und kommt dabei zu dem Schluss, dass es diese „Rezepte“ nicht gibt:

„(Erfolg) hat fast nichts mit dir zu tun. (...) Er ist eine Zutat, die nicht in der Arbeit selbst steckt.“

Der Erkenntnisgewinn ist in diesem Fall nicht sonderlich hoch - jeder ABC-Schütze der Kapitalismuskritik hat diesen Gedanken schon gehabt -, aber, wie schon angedeutet, es klingt so hübsch, dass man es gern in ein Poesiealbum schreiben möchte. Falls es noch Poesiealben gibt. Es folgt eine Art implizites Plädoyer dafür, Journalistenpreise abzuschaffen:

„Als junger Mensch denkt man, es wäre grossartig, geehrt zu werden. Dabei sind Ehrungen nur eine neue Sorte Frechheit: Jeder kann dir dann auf die Schulter schlagen, auch Leute, mit denen du nichts zu tun haben willst. Und Protest ist albern. Er klänge viel zu arrogant. Gegen Beleidigungen und Angriffe kann man sich wehren. Gegen Umarmungen nicht.“

Einen lebensweisheits-verdächtigen Merksatz hat auch Michael Wuliger, der Feuilletonchef der Jüdischen Allgemeinen, parat:

„Man sollte aufhören, über Antisemitismus zu wehklagen. (...) Ebenso gut kann man sich beschweren, dass es im Winter kalt ist.

Wir haben das Zitat, um des Effekts willen, etwas aus dem Zusammenhang gerissen, deshalb sei gern dies nachgereicht: Wuliger meint, dass für Juden, die sich entschieden haben, außerhalb Israels, also in der Diaspora, zu leben, Antisemitismus der Normalzustand ist. Natürlich ist der Anlass des Kommentars die Debatte um Jakob Augstein, wobei Wuliger sie aber in einen größeren diskurskonjunkturellen Zusammenhang (Stichworte: Grass, Beschneidung) einordnet.

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[+++] Nun aber zu den harten, unschönen medienökonomischen Begebenheiten dieser Tage. Die WAZ-Gruppe hat ja gerade ihre Idee präsentiert, aus der Westfälischen Rundschau ein Blatt ohne Redaktion zu machen, also die lebende Tote unter den deutschen Zeitungen zu erschaffen (siehe Altpapier).

„In der Verlagsleitung wird inzwischen überlegt, was eigentlich passiert, wenn die Redakteure richtig wütend werden und aus Solidarität die Arbeit niederlegen“,

berichtet Newsroom. Kay Sokolowsky (siehe Altpapier) würde sich bestimmt freuen, wenn es dazu käme.

Zu den Zahlen, die als Grund dafür genannt werden, dass aus der WR nun eine Art Zeitungszombie wird, sagt Jens Berendsen, einer der Geschäftsführer der an der WR beteiligten SPD-Medienholding ddvg, gegenüber Meedia:

„Ob die WR tatsächlich in den vergangenen Jahren 50 Millionen Euro Verlust produziert hat, weiß ich nicht.“

Mensch, Berendsen, altes Sozi-Haus! Sie? Wissen? Es? Nicht? Ihrer Firma gehört der Laden doch zu 13,1 Prozent! Wer soll es denn sonst wissen? Meedia bleibt sachlich - und erklärt:

„Als Minderheitsgesellschafter hatte die ddvg offenbar keine Einsicht in alle Zahlen der Zeitung – vor allem nicht dort, wo die WR mit anderen Unternehmen der WAZ-Gruppe verbunden ist.“

Berendsen behauptet, die „intern verrechneten Dienstleistungen“ seien „für uns nicht transparent“ gewesen. Und das haben sich seine Leute über all die Jahre gefallen lassen? (Nachtrag, 14 Uhr: „Er hat mit § 166 Abs. 3 HGB auch als Kommanditist ein wunderbares Drohmittel in der Hand, um in alle Bücher Einsicht zu verlangen", schreibt Altpapier-Leser Stefan Vogel via Facebook). Ergänzend verweist Meedia verweist auf einen Leserkommentar vom Mittwochabend, verfasst von jemandem, der sich lediglich „Ex-WR-Redakteur“ nennt:

„(...) Es ist nichts Besonderes, dass eine fast lupenreine Redakteursgesellschaft wie die ZVW GmbH & Co. KG ‚rote Zahlen‘ schreibt, weil ja die Einnahmen innerhalb der ‚Gruppe‘ an anderer Stelle generiert werden (man beachte z.B. die identischen Anzeigenteile WR/WP). Da ist ‚rot‘ oder ‚schwarz‘ letztlich bloß eine Frage der buchhalterischen Zuordnung.

Letzterer Satz rockt natürlich besonders. Ein weiterer, den man sich vielleicht merken muss für die nächste Party. Wenn der unbekannte Insider (der aber offenbar durchaus aufgespürt werden möchte, immerhin gibt er die Informationen preis, er habe „fast 27 Jahre“ für die WR gearbeitet und sei jetzt im Ruhestand) nicht ganz falsch liegt, wäre zu fragen, warum den Sachverhalt bisher noch kein Journalist in angemessener Form aufgegriffen hat. Aber vielleicht kommt ja demnächst noch jemand um die Ecke mit einer Story über das, was Berendsen „intern verrechneten Dienstleistungen“ nennt.

Hat sich eigentlich in der Berichterstattung über das Ende der FTD (die im Dezember wirklich gestorben ist und nicht als Zombie unter uns ist) und die Gesamtentwicklung bei den Gruner-+-Jahr-Wirtschaftsmedien jemand im Detail damit beschäftigt, wie sich die „intern verrechneten Dienstleistungen“ auf die Rötlichkeit der Zahlen ausgewirkt haben? Auf die Frage kommt man nicht nur aufgrund der Äußerungen des früheren WR-Redakteurs, sondern auch, weil Nikolaus Förster, der Chefredakteur von Impulse, der G+J den Titel gerade abgekauft hat (siehe Altpapier), sich zur mittelfristigen Zukunft seiner Zeitschrift im Branchendienst text intern (Seite 4, nicht online) folgendermaßen äußert:

„Wenn die verkaufte Auflage und der Anzeigenumsatz von Impulse auf dem Niveau von 2012 stagnierten, würden wir 2013 ein hervorragendes Ergebnis erzielen, denn es fallen keine Overheadkosten mehr an, die durch die Anbindung an einen Großverlag entstehen.“

[+++] Gestern im Fernsehen: Zum Thema „Gebühren, Quoten, Qualität – Sind ZDF und ARD ihr Geld wert?“ diskutierte Maybrit Illner unter anderem mit ihrem eigenen Chef, also Thomas Bellut, dem unvergleichlichen Hans-Peter Siebenhaar und dem natürlich ebenso unvergleichlichen Springer-Außenminister Christoph Keese. „Maybrit Illner geht den eigenen Chef an“, titelt dazu handelsblatt.com - also der Online-Ableger jener Zeitung, bei der Siebenhaar seine Brötchen verdient. Altpapier-Autor Christian Bartels beschreibt die Folgen von Illners Angriffslust:

„Gegen Ende wirkte ZDF-Intendant Thomas Bellut derart verdattert, dass ihm sogar das Top-Argument zu entfallen schien, warum noch mal das ZDF mit einer gewaltigen, nicht offen genannten Summe den Privatsender Sat.1 bei den Rechten an der Fußball-Champions League überboten hatte.“

Thomas Lückerath notiert bei dwdl.de:

„Fast alle gegen Thomas Bellut - und der schlug sich gut, wenn man vom Thema ‚Wetten, dass..?‘ absieht.“

Ähnlich die Einschätzung bei Spiegel Online (wobei der Artikel nicht nur auf Illners Sendung eingeht, sondern auch darauf, wie das ARD in ihrem eigenen Programm mit dem Thema Rundfunkbeitrag umgeht)

„Der Schlagabtausch hatte am Ende einen klaren Punktsieger: Thomas Bellut. Der ZDF-Boss parierte Angriffe, rückte Zahlen zurecht und räumte bei einigen Problemzonen Handlungsbedarf ein. Siebenhaar, der zunächst recht forsch seine Angriffe vorgetragen hatte, schien schließlich die Luft auszugehen. Keese ließ sich in einem schwachen Moment sogar zu dem Kompliment hinreißen, das ZDF halte sich vorbildlich an die im Staatsvertrag festgelegten Vorgaben.“

Ergänzt seien noch zwei Twitter-Reaktionen: Die Funkkorrespondenz hat sich über einen Gast gewundert (den Kollege Bartels im übrigen nicht schlecht fand) und Bastian Pauly etwas zur Kritik an ARD und ZDF in einem konkreten Fall bemerkt. Der eigentlich sehr polittalkshow-affine Focus-Fernsehclub - dies nur als Hinweis für regelmäßige Nachkritik-Leser - bespricht überraschenderweise nicht Illners Sendung, sondern lieber „Das fantastische Quiz des Menschen“ bzw. „Das fantastische Quiz des Popelns“ mit Eckart von Hirschhausen.

[+++] Ein paar Stunden nach Illners Sendung ging dann endlich das Medienereignis der Woche über die Bühne, das ja beinahe schon abgehakt schien, bevor es zu sehen war. In der Donnerstags-Ausgabe der SZ war das TV-Interviews Oprah Winfreys mit Lance Armstrong „Thema des Tages“. Noch vor der Ausstrahlung schrieb Anno Hecker die komplette Seite 33 des heutigen FAZ-Feuilleton voll. Wer um drei Uhr morgens  nicht das Sky-Programm Discovery Channel geschaut hat oder sich anderweitig Zugang zu Armstrongs „Doping-Beichte“ verschafft hat, muss nun natürlich das „Gesprächsprotokoll“ bei Focus Online nachlesen oder den Live-Blog des Guardian („It feels like sport's Princess Diana interview“). Der Talk ist auch das erste Aufmacherthema des Tages bei Spiegel Online (immer noch; Stand: 8.34 Uhr). Für süddeutsche.de hat Matthias Kolb eine Nachtschicht eingelegt:

„Nach wenigen Minuten haben Millionen Menschen die Sätze gehört, worüber seit Tagen spekuliert wurde. Im ersten Teil des Exklusiv-Interviews (...) gibt Lance Armstrong zu, seit Mitte der neunziger Jahre - und damit vor Beginn seiner Krebserkrankung - gedopt zu haben und unzählige Male in der Öffentlichkeit die Unwahrheit gesagt zu haben. Es ist ein Lügengebäude, das vor aller Augen zusammenbricht und über das sich auch die Hauptfigur oft zu wundern scheint (...) Obwohl sich der Kontrollfreak Armstrong wochenlang auf das wichtigste Interview seines Lebens vorbereiten konnte, ist er extrem angespannt.“

Außerdem berichten unter anderem CNN und die Berliner Zeitung. Und, ach ja, der zweite Teil des Interviews folgt in der kommenden Nacht.

[+++] Zu sagen, dass wir jetzt beim Sport bleiben, ist als Übergang zu dieser recht verrückten Geschichte allenfalls halb richtig: Es geht darum, dass ein College-Footballer glaubte, eine Online- und Telefon-Beziehung zu einer Frau zu haben, die schließlich an Leukämie starb - bis er merkte, dass er einem Schwindel aufgesessen war. An dessen Verbreitung hatten sich auch viele Medien beteiligt, die offenbar jegliche Recherchestandards ignorierten. Deadspin hat das Ganze recherchiert, unter anderem Mashable und die New York Times beschäftigen, welche Lektionen Journalisten aus der Causa ziehen können.


ALTPAPIERKORB

+++ Dem Internetaktivisten Aaron Swartz, der sich vor einer Woche im Alter von 26 Jahren umbrachte, sind weiterhin zahlreiche Artikel gewidmet - etwa bei wired.com und in der Jüdischen Allgemeinen.

+++ Ein bisher wenig bekanntes Mittel gegen kritischen Journalismus hat man im Nachbarland erprobt. Reinhard Wolff beschreibt es in der taz: „Wie hält man sich einen unbequemen Journalisten vom Hals? Indem man ihn mit Arbeit überschüttet. So dachten sich das offenbar die Verantwortlichen der ‚Danske Statsbaner‘ (DSB), der staatlichen dänischen Bahn, als sie einen merkwürdigen Deal mit einem PR-Büro schlossen. Auf Kosten der DSB und ohne Wissen des Betroffenen sollte der freiberufliche Journalist mit anderen Aufträgen so ausgiebig gefüttert werden, dass er keine Kapazität für seine kritischen Bahn-Recherchen mehr haben würde. Das ließ sich die DSB dann jährlich rund 30.000 Euro Steuergelder kosten.“

+++ Der Aufmacher der SZ-Medienseite beschäftigt sich mit der skurillen Begebenheit, dass erst jetzt, nämlich zehn Monate nachdem CNN seine Abteilung für investigative Recherche abgeschafft hat, sich im eigentlich nicht für Langsamkeit stehenden Internet Protest dagegen erhebt - und das auch nur, weil es gerade in Jon Stewarts „Daily Show“ vorkam. Peter Richter fühlt sich durch die Causa zu einem allgemeinen Befund über das Fernsehen in den USA animiert: „Dass dort CNN Gegenstand von Comedy Central ist, das ist eigentlich das viel signifikantere Phänomen: Die Satiresendungen von Stewart oder (Stephen) Colbert sind für verblüffend viele Leute inzwischen die Primärquellen zur Tagesaktualität, das heißt: zu dem Geschehen, über das die Sender berichtet haben, an denen sich in diesen Sendungen gütlich getan wird - was auch daran liegt, dass Nachrichtensender wie Fox-News und manchmal tatsächlich auch das gute alte CNN noch wesentlich mehr wie Satire auf einen Nachrichtensender wirken als die Nachrichtensendersatiren in den Satirenachrichten.“

+++ Die mobilen Varianten von Nachrichtenwebsites bieten leider oft genug nur „Mäusekino“. Das beklagt Peter Raffelt im Blog von Heike Rost.

+++ Mit welchen Worten Joko & Klaas für ihre nicht wirklich neu zu nennende Pro-Sieben-Show „Circus Halligalli“ am Mittwochabend in Hamburg warben - das hat Simone Schellhammer für den Tagesspiegel aufgeschrieben.

+++ Die Journalistinnenorganisation „Pro Quote“ attackiert das Herrenmagazin Focus. Das Hamburger Abendblatt berichtet.

+++ Journalisten, die einen Job suchen, könnten sich künftig möglicherweise als eine Art Twitter-Butler für Promis verdingen. Der New Statesman berichtet über eine Stellenanzeige, in der jemand gesucht wird, der für ein Gehalt zwischen 35.000 und 45.000 Pfund den Twitter-Account eines Fußballers betreut.

+++ Noch etwas Fußballerisches: Heute geht es in Gelsenkirchen zur Prime Time wieder los mit der Bundesliga. Das war in dieser Woche einer der Anlässe für eine überraschenderweise durchaus passable Phoenix-Talkrunde zum Thema Fußball und Sicherheit. Ich habe dazu eine Nachkritik für die Funkkorrespondenz verfasst.

+++ Und im Leitartikel der Funkkorrespondenz schreibt Tilmann P. Gangloff unter der Headline „Wasch mir den Pelz, aber bitte umsonst“ über die Vor- und Nachteile des im TV-Geschäft neuerdings in Mode gekommenen „Pitchings“ sowie über die „weltweit“ einmalige „Intransparenz“ der hiesigen Produktionsbranche.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.