Glanz & Bewegung

Große Interviews: der neue Stern-Chef, der alte ZDF-Chef. Große Betriebsversammlungen vor tristem Hintergrund in Frankfurt und im Pott. Dort aber auch komplexes Familienglück.

Zu den vornehmsten Pflichten von Chefredakteuren der gedruckten Wochenpresse gehört es vielleicht schon seit Helmut Markworts Fernsehwerbespots, die jeweils aktuelle Ausgabe in einem kurzen Werbevideo zu präsentieren. Lange dabei: Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Auch wenn er die Tricks der Telegenität ja vom Talkshow-Präsentieren kennt, wirkt er oft, z.B. im gestern gefilmten Video, derart rechtschaffen müde von der gerade abgeschlossenen Arbeit, dass Zuschauer zumindest eine Ahnung von der harten, aber auch notwendigen Aufgabe des Blattmachens bekommen.

Welches Erzeugnis der Wochenpresse in diesem di Lorenzo-Video vorkommt, inzwischen aber auch selbst, ebenfalls mittwochspätnachmittags seine neueste Ausgabe per Video aus der Chefetage präsentiert: der Stern. "Dominik Wichmann: Der Stern 'glänzt nicht'", lautet die Überschrift der ersten Vorabmeldung zur aktuellen Zeit-Ausgabe, weil die Zeit nämlich "das allererste Interview" (di Lorenzo im Video) mit dem neuen Stern-Chefredakteur Wichmann hat.

Dass der Stern tatsächlich nicht gerade glänzt, bringt dessen aktuelles Werbevideo ganz gut rüber. Dort performt der noch amtierende Co-Chefredakteur Thomas Osterkorn und wirkt ebenfalls müde, aber nicht direkt durchdrungen von der publizistischen Aufgabe, ein Heft mit "vielen, zum Teil privaten Fotos aus dem Familienleben des US-Präsidenten" an die Kioske zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen kutschieren lassen zu müssen. Im Video plaudert Osterkorn dann noch kurz mit dem Stern-Auslandsressortleiter Hans-Hermann Klare über all das, was jedem Lieschen Müller (kein Gender-Begriff, einer aus der Stern-Zeitgeschichte!) zu Barack Obama auch gerade einfiele.

Gediegen indes das Gespräch, das Götz Hamann für die Zeit mit Dominik Wichmann führt (S. 30, derzeit nicht frei online, von meedia.de etwas weiteraggregiert). Wichmann trägt auf dem Foto, anders als auf dem bei stern.de, ähnlich wie in der meedia.de-Montage, keine Brille und versprüht so eine Menge Glanz u.a. aus seinen Augen. Und er sagt allerhand Sätze, die potenzielle Mitglieder der Stern-Zielgruppe kaum kaltlassen könnten, wie:

"Ich will wieder mehr Wert auf das Erzählen in Bildern legen, auf Interviews, Augenzeugenberichte. Weil es die wärmeren, empathischeren, unmittelbareren Ausdrucksformen sind. Print darf den Leser nicht kaltlassen..."

Die aufschlussreichste Passage des Gesprächs ist die, in der zunächst Wichmann sagt:

"Der 'stern' muss mich bewegen. Und deshalb werden wir auch unseren alten Werbe-Claim wieder aufgreifen. Er hieß: 'Der stern bewegt'. Jetzt wird er heißen: 'Was uns bewegt'."

Zeit: "Sie wissen, wie die Rubrik heißt, in der dieses Interview erscheint? 'Was bewegt ... Dominik Wichmann'"

"Echt? Das wusste ich nicht."

Zeit: "Was meinen Sie mit 'bewegen'?"

"Wir brauchen mehr Leidenschaft."

Zeit: "Und wo finden Sie die Quelle dafür?"

"Der 'stern' selbst ist die Quelle. ..."

Undsoweiter. Fabelhaft ausgeruht jedenfalls, die Menschen von der Wochenpresse.

[+++] Anderes Thema, selbe Zeitung: Ganz vorn auf derselben Zeit hat Uwe Jean Heuser guten Rat für die öffentlich-rechtlichen Sender, etwa: "Sie sollten auf Werbung und Sponsoring verzichten, originelle Formate für die Mattscheibe und das Netz entwickeln und selbstbewusst zu guten Sendungen stehen, auch wenn die nicht so viel Quote bringen." Dieser Leitartikel ist selbstverständlich nur ein Teaser für das zweite große Medieninterview der Zeit, das ebenfalls das Wirtschaftsressort aus Anlass der aktuellen Spiegel-Titelstory (siehe also Altpapier vom Montag) mit dem ZDF-Intendanten Thomas Bellut führte (S. 21, Vorabmeldung).

Interviewerin Alina Richter geht gewissenhaft durch, was der Spiegel auflistet, Bellut betont mit gewohnter Vehemenz seine Aufklärungsansprüche schon vor zehn Jahren wie auch heute sowie seine Betroffenheit (am Ende des Interviews, wenn es um den Samuel-Koch-Unfall geht).

Was Werbung- und Sponsoring betrifft, holt er die ebenfalls uralte Leier "Würden sie gestrichen, müssten die Beiträge erhöht werden" heraus. Was die Aktenlage zu den dem ZDF angeblich nur als Entwurf, aber nicht in abgeschlossener Form bekannten Verträgen der Gottschalk-Bruder-Firma Dolce Media betrifft, bleiben vielleicht leichte Unklarheiten. Aber hey, wie sagt Bellut so treffend: "In der Kritik sind ja derzeit ältere Geschichten". Auch hier die vielleicht schönste Passage des Interviews:

Zeit: "War es Zufall, dass Gottschalk immer wieder positive Bemerkungen über Autos herausgerutscht sind?"

Bellut: "Das weiß ich nicht."

Zeit: "Hatten Sie Ihren Star-Moderator nicht unter Kontrolle?"

"Ein Thomas Gottschalk in einer Live-Sendung ist nicht kontrollierbar."

Zeit: "Ließen Sie ihn gewähren, weil sein Erfolg Sie abhängig von ihm machte?"

"Ich will gern zugestehen, dass ein Star auf dem Höhepunkt seiner Popularität eine andere Bedeutung für einer Sender hat als einer mit einer geringeren Popularität. Aber wir sind nicht nachlässig mit ihm umgegangen..."

Undsoweiter. Aus dem einst beklagten Umstand, dass Thommy Gottschalk, der Star, das ZDF freiwillig verließ, um seinen Ruf anderswo nachhaltig zu ramponieren, holt Bellut eine Menge für sich heraus.
 
[+++] Mehr Gottschalks-Stoff im Altpapierkorb. Jetzt ein harter Szenenwechsel dorthin, wo, gewiss im Schweiße des Angesichts, sechsmal pro Woche blattgemacht wird, die Zukunft aber unsicher ist. Gestern war Betriebsversammlung bei der Frankfurter Rundschau. "Die Hälfte der etwa 500 Mitarbeiter" erfuhr vom Insolvenzverwalter Frank Schmitt wenig Neues (TAZ). Die Zukunft bleibt ungewiss. Ein gravierendes Problem neben der Insolvenz der Zeitung ist die Entscheidung des Springer-Konzerns, "ab Februar nach über 30 Jahren seine Zeitungen nicht mehr in Neu-Isenburg drucken lassen", also in der FR-Druckerei, der damit die Hälfte ihres Umsatzes wegbricht.

Einen weiteren Bericht von derselben Veranstaltung hat die Frankfurter Neue Presse und steigt tiefer in unschöne Details ein. "Selbst wenn die Rundschau erhalten bleibt, wird es für einen erheblichen Teil der Belegschaft sehr blutig werden", wird der Betriebsratsvorsitzende Marcel Bathis zitiert. Und mit: "Wir lassen uns nicht wie ein wehrloses Lamm zur Schlachtbank führen". Was eventuelle Investoren betrifft, wird eine vegetarische Metapher bemüht,  "ich kann mir leider auch keinen Investor backen" (Schmitt wiederum).

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[+++] "Wir wollen wenigstens versuchen zu kämpfen", wird Uwe Tonscheidt zitiert, der Betriebsratsvorsitzende der Westfälischen Rundschau - also der gerade (siehe Altpapier gestern) auf innovative Weise plattgemachten Redaktion der als abonnierbare Hülle jedoch zum Weiterbestehen vorgesehenen Zeitung. Von einem "absoluten Kulturbruch" spricht er auch. Der DAPD-Artikel ist im bunten Panoramaressort bei derwesten.de/wr, also im Internetauftritt der WR, zu finden. Inzwischen online: der gestern erschienene Bericht der BLZ, die vom schon älteren Rat der Unternehmensberatung Schickler, die WR einzustellen, weiß. Von der Gewerkschaft DJU initiiert: rundschau-retten.de. Weitere Links zum den Westen aufwühlenden Thema gibt's im  Pottblog.

[+++] Zu dem Thema gehört aber auch human touch aus den Familienstämmen der WAZ-Gesellschafter. Dort ist eine neue Adoption zu vermelden: "Stephan Holthoff-Pförtner (64), Rechtsanwalt aus Essen und Mitgesellschafter der Zeitungsgruppe WAZ (u. a. 'Westdeutsche Allgemeine', 'Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung'), hat seinen Anwaltskollegen Georg Scheid (41) adoptiert", meldet manager-magazin.de vorab. Die schönste Einschätzung, wie Holthoff-Pförtner "auf einen Schlag Vater, Schwiegervater und zweifacher Großvater geworden" ist, vor dem komplexen Hintergrund der adoptionsreichen WAZ-Historie hat Bülend Ürük bei newsroom.de.
 


Altpapierkorb

+++ Wer "immer die krassesten Zahlen präsentiert", zumindest wenn es um das in der Dgitalära besonders beliebte News-Generierungs-Tool sogenannter repräsantativer Umfragen geht: Forsa. Und im eingangs Stern, da "erklärt Forsa-Chef Manfred Güllner, ein Schamane des Informationszeitalters, stets, was die Zahlen bedeuten und wer was mal wieder falsch macht". Dabei sollte man "die Forsa-Zahlen vor allem zur SPD so lesen wie, sagen wir, einen Kommentar in Bild. Es sind strategisch platzierte Meinungsäußerungen", meint Stefan Reinecke in der TAZ. +++

+++ Überhaupt, voll auf Medien, die aktuelle TAZ: Im Titelseiten-Kommentar geht's wegen der neuesten Facebook-Attraktion Graph Search (FAQ von Marin Majica/ BLZ) um "die zunehmende Zentralisierung" bzw. "Engstirnigkeit" des Internets. Außerdem werden "Alternativen zu Google" empfohlen. +++

+++ Auf der Kommentarseite geht's um Befürchtungen anlässlich der Berichterstattung zum NSU-Prozess: "Geschichten über Beate Zschäpe, die in der Zelle friert oder die auf einem Video zu sehen ist, bringen keine Erkenntnisse über die Strukturen hinter der Ikone des Rechtsterrorismus." +++ Etwas weiter hinten gibt's anlässlich eines Vanity Fair-Covers (Foto? Gibt's auf dem Springer-Boulevard) einen Aufruf, Erzbischof Georg Gänswein aus dem Zölibat zu befreien. +++ Und um Presserabatte geht's auf der eigentlichen Medienseite. +++

+++ RTL droht sich vom digitalen Antennenfernsehen DVB-T abzuwenden (Tagesspiegel). +++

+++ Die FAZ-Medienseite macht am Rande auf eine Meldung des Zentralverbands Deutsches Kfz-Gewerbe zur Rundfunkgebühr aufmerksam. +++ Im großen Aufmacher-Artikel ist Michael Hanfeld aber komplett begeistert von einem Erzeugnis des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: von der ZDF-Krimireihe "Nachtschicht". Sie sei "ein Phänomen. Sie läuft nur einmal im Jahr. Jeder Film steht für sich, und doch fügt sich die Arbeit des Regisseurs und Autors Lars Becker zu einem übergreifenden Kanon. Er arbeitet an einem Sittenbild, das es im deutschen Fernsehen nur einmal gibt. Dafür versammelt er ein eingeschworenes Team, das jede Nacht bis an die Grenzen geht. Und darüber hinaus. Ein Besuch am Set", heißt's im Vorspann. Der erste Satz des Artikels, "In dieser Hamburger Märznacht ist es kalt wie im tiefsten Winter", verrät, dass Hanfeld dem Dreh der am kommenden Montag ausgestrahlten Folge beiwohnte. +++

+++ Die Süddeutsche kümmert sich auf ihrer Medienseite u.a. unter der Überschrift "Wie erste Blogger die Paywall für sich entdecken" um Blog-Finanzierung, angeregt von Andrew Sullivan, und fragte u.a. bei Markus Beckedahl nach, der kürzlich für netzpolitik.org "ein monatliches Minus von rund 2200 Euro" errechnete. +++ Brandheiße Meldung ebd.: "Das ZDF hat die Firma Dolce Media zur Klärung der Schleichwerbe-Vorwürfe bei 'Wetten, dass..?' aufgefordert. Der Anwalt der Firma, Michael Bartsch, teilte auf SZ-Anfrage mit, es liege eine schriftliche Anfrage des ZDF vor. Der Sender bestätigte, Christoph Gottschalks Firma Dolce Media um eine Stellungnahme gebeten zu haben." +++

+++ Thommy Gottschalk bald auch im RBB-Radio (Tsp.)! +++

+++ Instruktives zu dieser Werbesache außerdem bei wuv.de: ein FAQ (bei dem freilich berücksichtigt werden muss, dass wuv für "werben und verkaufen" steht) und ein Interview mit einem Mann, der Gottschalk wirklich nahegekommen sein muss. "Das ZDF hat meiner Meinung nach zu keinem Zeitpunkt Schleichwerbung erlaubt. Das ZDF hat sich an den Rundfunkstaatsvertrag gehalten...", sagt der ehemalige Haribo-Marketingleiter Michael Cremer. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.