Rauflust und Remmidemmi

Die "Tagesschau" wurde 60 und sowohl gut wie auch schlecht gefunden. Ein prominenter Journalist übernimmt einen prominenteren Posten. Und auch sonst ist nicht nur Flausch.

Es gibt die allerletzte Druckausgabe einer traditionsreiche Zeitschrift und einen neuen Chefredakteur mit klangvollem altem Namen, ansonsten ziehen die Karawanen ihre bekannten Bahnen in der zwischen den Jahren vordergründig immer etwas größeren Ruhe.

Die Zeitschrift, die Kunden, die auch diesen Artikel gekauft haben, sich unbedingt sichern sollten, ist die Newsweek, "das rauflustigste amerikanische Wochenmagazin", wie die Welt es nennt.  Es

"widmet sein Abschieds-Cover dem Übergang von der Vergangenheit zur Zukunft. Eine nostalgisch anmutende schwarz-weiße Luftaufnahme der Häuserschluchten Manhattans mit dem 'Midtown Headquarters', dem vom 'Newsweek'-Schriftzug gekrönten historischen Sitz des Verlages, wird durch eine Twitter-affine Zeile gebrochen: '#Letzte Print-Ausgabe' lautet sie, und das vorangestellte Doppelkreuz, in der Sprache der sozialen Netzwerke Hashtag genannt, soll eine Verschlagwortung in die Moderne symbolisieren",

erklärt das Springer-Blatt, das ansonsten prominente Newsweek-Coverstars von den Beatles bis zu Bill Clinton Revue passieren lässt. Die Zeile lautet tatsächlich natürlich  #LastPrintIssue. Falls Sie das erwähnte " letzte papierene" Editorial von Tina Brown, das die Überschrift "Sometimes, change isn’t just good, it’s necessary" trägt, lesen möchten: bitte hier. Weitere deutsche Textmedleys ähnlichen Zuschnitts gibt's etwa bei SPON und handelsblatt.com.

[+++] Der klangvolle Chefredakteurs-Name lautet Jakob Augstein. Dass der Verleger der kriselnden Wochenzeitung Der Freitag sich selbst auch zu deren Chefredakteur ernnannte, meldet heute die TAZ und berichtete ausführlicher bereits vor Weihnachten wiederum die Welt, ohne auf die schillernderen Details aus Augsteins Vita sowie auf human touch zu verzichten:

"... Das ist nach Informationen der 'Welt am Sonntag' am Freitag auf einer Betriebsversammlung verkündet worden. ... Nach Angaben von Teilnehmern wirkte Augstein dort trotz des drakonischen Sparprogramms keineswegs zerknirscht."

Was wird aus Augsteins Vorgänger? "Der alte Chefredakteur, Philip Grassman, wird Augsteins Stellvertreter". Vielleicht tritt man hinter solch einem klangvollen Namen gern zurück ins zweite Glied, zumal der Klang beinahe zurselben Zeit an anderer Stelle in schönerem, auf- statt abbauendem Zusammenhang ein wenig erneuert wurde:

"Kurz vor Weihnachten, am 21. Dezember, haben wir erfahren, dass der gemeinnützige Carta e.V. im kommenden Jahr von der Rudolf Augstein Stiftung gefördert wird. Die Stiftung unterstützt finanziell unsere Redaktion und die Infrastruktur der Website. Wir freuen uns, denn damit ist das Weiterbestehen von Carta 2013 gesichert. Danke",

kann Tatjana Brode auf Carta schreiben.

[+++] Auf den gewohnteren Bahnen der Medienkritik geht's wie in den Vorweihnachtswochen auch um die neue Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und, gern vor diesem Hintergrund, besonders um die "Tagesschau". Deren offizielles 60-jähriges Jubiläum lag nämlich am 26. Dezember, also gestern. Zu diesem Anlass gibt's eine freundliche Rückschau, die sogar dermaßen freundlich ist, dass darin der Kai-Gniffke-Satz "Das Wichtigste ist: 'Tagesschau' bleibt 'Tagesschau'" zitiert wird (Berliner Zeitung).

Und geradezu eine kleine Flut von "Tagesschau"-kritischen Artikeln gibt es, die allesamt aus dem Imperium der FAZ kommen. Frei online steht die linguistisch gestützte, aber natürlich auch sprachspielerische Inhalteanalyse aus der FAS:

"Es stimmt ja, dass sie vielen zur Gewohnheit geworden ist. Nur leider klingt es heute, hört man ihren Verantwortlichen zu, manchmal, als wäre der gemeinschaftsstiftende Effekt der 'Tagesschau' ihre eigentliche Aufgabe. Sie gebe vielen Menschen in Deutschland eine Struktur, sagte der NDR-Intendant Lutz Marmor auf der Jubiläumsgala Anfang Dezember, als wäre er der Seelsorger der Nation. Wer dermaßen beseelt ist von der eigenen Bedeutung, der kommt kaum auf die Idee, dass die Beliebtheit der 'Tagesschau' womöglich mit ihrer Qualität gar nichts zu tun hat; dass sie sich ihre Relevanz nur vom Weltgeschehen borgt; dass sie sich ändern müsste, wenn auch die Welt sich ändert, über die sie berichtet",

schreibt Harald Staun, um am Ende noch ausdrücklicher zum Nachdenken über "effektivere Konzepte der Weltbeschreibung" aufzufordern.

Und weil in der Frankfurter Allgemeinen-Welt der Binnenpluralismus noch funktioniert, schreibt heute in der Werktags-FAZ Michael Hanfeld dasselbe mit anderen Akzenten auf:

"Die 'Tagesschau' profitiert in einzigartiger Weise davon, dass sie das Sehverhalten der Zuschauer zu einer Zeit prägen konnte, in der es noch keine Konkurrenz gab. Das Beste an ihr ist ihre Sendezeit."

Vermutlich, weil sogar die gesamte FAZ-Medienseite 31 die Überschrift "Sechzig Jahre 'Tagesschau': Routine, Rituale, Redundanzen" trägt, stehen unter Hanfelds großem Artikel noch zwei kleinere jüngerer FAZ-Autoren in leichter Pro- und Contra-Anmutung ("Auch junge Leute brauchen 'Tagesschau' - bisweilen" und "Warum junge Leute ohne 'Tagesschau' besser fahren"), die sich allerdings lesen, als hätten solche jungen Leute altvordere FAZ-Veteranen imitieren wollen ("...während sich im Internet ein Sturm der Unübersichtlichkeit auf meist privaten Blogs zu einem bedrohlichen Tsunami der Datenflut entwickelt...") oder seien zumindest in diese Richtung redigiert worden.

"Was die Nachrichtensendungen angeht: Man könne doch kaum ernsthaft behaupten, dass deren Angebot an die Möglichkeiten heranreicht, welche die Lektüre von mehreren Zeitungen bietet. Es sei nun wirklich nicht so, dass die öffentlich-rechtlichen Sender unabdingbar für eine gediegen abwägende Meinungsbildung wären",

schreibt nun wiederum ein etwas älteres Semester, Helmut Mayer, in einer Anti-Rundfunkbeitrags-Glosse auf der ersten Feuilletonseite (wobei seine Verwendung des Konjunktivs keineswegs bedeutet, dass er jemanden zitiert oder selbst anderer Meinung sei, sondern eher halt der schönsten FAZ-Sprachschule entspringt).

Und was das Internet angeht, so schreibt direkt daneben Frank Schirrmacher von "auf Klicks und Remmidemmi zielendem Journalismus". Das steht am unteren Rande eines fünfspaltigen Hammer-Texts, zumindest für reifere Hardcore-Feuilletonisten. Die eingangs erwähnte Rauflust besteht also auch 2013 fort. Weiter damit im....


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+++ "Man kann und muss wohl auf beiden Seiten im Suhrkamp-Drama viel kritisieren. Aber deshalb muss man nicht hinnehmen, dass ein auf Klicks und Remmidemmi zielender Journalismus die Verlegerin zur Lady Macbeth von Nikolassee macht. Wo gerade alle von 'das Gott' reden, kann man hier ohne Übertreibung sagen: dieses abscheuliche Narrativ hätte es mit einem Mann als Nachfolger nie gegeben", lauten die wunderbar gedankengesättigten letzten Sätze des Schirrmacher-Artikels, in dem es zwischen einem Artikel des namentlich wiederholt kritisierten Richard Kämmerlings in der Welt vom 21.12., einen FAZ-Artikel vom 20.12., einen Leserbrief ebd. vom 22. ..., also um sagenhaft komplexen, irreduziblen Suhrkamp-Stoff geht. +++

+++ Das Internet bleibt das Internet und die bei kreuz.net abgeschaltete "Fundamentalisten-Meute zieht weiter" (Süddeutsche). +++ 

+++ Mehr Öffentlich-Rechtlichen-Stoff, zwischen Monika Piels 308.000-Euro-Gehalt und angeblich sechs Millionen Euro, die die ARD ihrem ehemaligen Vorabend-Talker Thommy Gottschalk gezahlt haben soll, Haushaltsabgaben-halber remixt von Kai-Hinrich Renner (schon wieder welt.de). +++

+++ Dass der Springer-Konzern "in jeder zweiten Ausgabe einen Propagandafeldzug gegen die GEZ führt", flicht Matthias Kalle in seinen Öffentlich-Rechtlichen-freundlichen Fernsehjahresrückblick im Tsp. ein. +++

+++ "Wie Papst Benedikt XVI. zu Twitter kam", erzählt jetzt auch die Süddeutsche auf ihrer Medienseite, auf der sie heute vor allem die bayerische Heimatkrimi-Hauptdarstellerin Johanna Bittenbinder vorstellt. Daneben steht, wie in vielen Blättern, ein Nachruf auf Jack Klugman. +++

+++ Was der Kulturstaats- und damit auch Medienminister Bernd Neumann in einem DPA-Gespräch mal wieder medienmäßig so gesagt hat, fasst der Tsp. zusammen. +++

+++ Die türkische Fernsehserie über Sultan Süleyman den Prächtigen und was der auch nicht unprächtige Ministerpräsident Tayyip Erdogan darüber so sagte, jetzt auch in der TAZ. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.