Neues vom Bergbau

Auf der Agenda heute: ein Vorausblick auf den nächsten Prozess in Sachen Ottfried Fischer gegen Bild, Gedanken über belgische Snippet-Streit-Lösungen sowie den Zusammenhang zwischen Leistungsrecht und Volkswirtschaft. Die Frage des Tages lautet indes: Sind wir alle Kohlekumpel? Außerdem: Phoenix geht es gut, den deutschen TV-Produzenten könnte es besser gehen. Und die SZ deckt auf: Ein 39-jähriger Blogger kann sich kein Auto leisten!

Die Zeit der Bilanzen ist längst wieder gekommen, und in der Schweiz haben sie gerade den „Journalisten des Jahres“ gewählt, zumindest die Leser des Fachblatts Schweizer Journalist haben das getan. Der Sieger des Wettbewerbs heißt Peer Teuwsen, er leitet das Büro der Zeit im Nachbarland. Die Überschrift zum entsprechenden Text ist ein Zitat des Gekrönten, es lautet:

„Ich schreibe für mich.“

Da der Artikel - anders als diese Zusammenfassung der Wahlergebnisse - nicht frei online steht, beschränken wir unsere Beurteilung jetzt einfach mal auf die Headline, und die macht ja durchaus etwas her angesichts der verbreiteten Klick- und Quotenprostitution und der „Wir müssen den Leser/Nutzer abholen“-Mantren. Moment mal, klingt das nicht allzu sehr nach Old School, was Teuwens sagt? Doch, könnte aber auch die Next School sein.

Die Wochenzeitung, deren Schweizer Filiale Teuwsen leitet, blickt im Wirtschaftsressort ihrer aktuellen Ausgabe voraus auf den kommenden Dienstag, wenn sich in München zum nunmehr vierten Mal Ottfried Fischer und die Bild-Zeitung gegenüberstehen. Es geht (siehe auch Altpapier) um ein Video, das den Schauspieler beim Sex mit einer Prostituierten zeigt - und die Frage, ob ein Lebewesen, das mittlerweile Bild-Ressortchef ist, das Filmchen zur Nötigung Fischers missbraucht hat. Der frühere SZ-Chefredakteur und aktuelle M.- DuMont-Schauberg-Aufsichtsrat Hans Werner Kilz und Martin Kotynek schreiben:

„Wird der Reporter wegen Nötigung verurteilt, müsste die Klatschpresse ihre Gepflogenheiten ändern. Denn dann wäre zu erwarten, dass nach Ottfried Fischer auch andere Prominente Mut fassen, sich zu wehren."

Hubert Spiegel wertet im FAZ-Feuilleton ein ihm vorliegenden Gutachten aus, das der Springer-Verlag zu dieser Sache bei Wilfried Hassemer, dem früheren Vizepräsidenten des Budnesverfassungsgerichts, in Auftrag gegeben hat. Das komme

„zu dem Schluss, dass die strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Journalisten, die sich neben der Nötigung auch auf eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen erstreckt, nicht begründet seien. Wenn das Münchner Landgericht dem Gutachten des ehemaligen Verfassungsrichters folgen sollte, werden die Persönlichkeitsrechte Ottfried Fischers, der zuvor oft genug freizügig Einblick in sein Privatleben zugelassen habe, hinter dem Grundrecht der Pressefreiheit zurückstehen müssen.“

[+++] Auf ihrer Medienseite hat die FAZ - wir kommen jetzt langsam zu den Standardthemen - Reto Hilty, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, zum Thema Leistungsschutzrecht interviewt. Endlich, würde vielleicht Stefan Niggemeier sagen, denn von jenem Insititut stammt eine kritische Stellungnahme, deren Nicht-Erwähnung er der FAZ und anderen neulich vorgeworfen hat. Der MPI-Direktor fragt nun:

„Welches Interesse hat der deutsche Nutzer, hat die deutsche Wirtschaft? Das Interesse besteht darin, möglichst einfach – was nicht heißt: kostenlos – Zugang zu Informationen zu bekommen. Ein Verbotsrecht belastet daher in erster Linie inländische Nutzer, während Nutzer im Ausland der deutschen Regelung nicht unterliegen. Ich verstehe nicht, wie man ein Gesetz erlassen kann, das die eigene Volkswirtschaft benachteiligt.“

Es mag ja sein, dass Hilty rein rechtlich Recht hat, aber will man in einer Reihe stehen mit jemanden, der einen derart patriotischen Tonfall drauf hat? Das Gespräch steht noch nicht mittlerweile online, dafür aber außerdem ein zum Thema passender Michael-Hanfeld-Text, der in der Printausgabe in das Interview eingeklinkt ist. Es geht um die Einigung zwischen Google und den belgischen Verlegern im Streit um Textausschnitte, der vorsieht, dass künftig Geld vom Suchmaschinenkonzern an einige Verlage des Landes fließt.

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Hanfelds Euphorie hält sich erwartungsgemäß in Grenzen:

„Das erscheint als Kompromiss, in dem die Verlage ihre Position weitgehend räumen und der für Google preiswert ist. Er betrifft auch nur rund dreißig Prozent der belgischen Presse. Zum finanziellen Volumen schweigen sich die Beteiligten aus, die Verlage dürften mit rund fünf Millionen Euro pro Jahr rechnen, wird spekuliert.“

Beim in der Sache kompetenteren Johannes Boie (SZ) klingt es dagegen differenziert optimistisch:

„Die Vereinbarung in Belgien, die Google mit allen Verlagen in der Rechteverwertungsgesellschaft Copiepresse geschlossen hat, sieht nun zunächst einmal vor, das Schlachtfeld zu verlagern. Google wird finanziellen Ausgleich leisten, aber nicht direkt als Bezahlung pro Snippet, sondern vor allem in Form von Anzeigenschaltungen in den Medien der Verlage.“

Boie verweist auf den vielerorts zitierten Blogbeitrag von Belgiens Google-Chef Thierry Geerts, in dem von Maßnahmen zur „Erhöhung der Verlagseinkommen“ die Rede ist, und folgert:

„Damit sind zwei Dinge klar, womöglich auch für den deutschen Markt. Erstens ist Google grundsätzlich bereit, für die Verwendung der Snippets eine Gegenleistung zu erbringen. Und zweitens: Ganz ohne Google geht es für die Verlage derzeit eben auch nicht. Dafür spricht auch die Historie des Konfliktes in Belgien, wo die Auseinandersetzung über Jahre hinweg noch heftiger geführt worden ist als in Deutschland.

Während Boie von „Vorbildcharakter“ spricht, meint Sonja Pohlmann im Tagesspiegel: „Ein Vorbild für Deutschland ist das Modell aber wohl nicht.“

[+++] Und weiter geht es im Debattenzirkus: Wolfgang Michal stellt in einem Text für Carta aus gegebenem Anlass (siehe Onlinejournalismus-Blog bzw. Carta-Crosspost) kurz mal klar, dass er keineswegs zur „digitalen Avantgarde“ gehöre, die, aber das nur nebenbei, hier neulich angemessen verarztet wurde. Die knackigste Passage in Michals Text ist indes ein historischer Exkurs zum Thema die Verlage und das Internet:

„Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie das Internet Mitte der neunziger Jahre in den Redaktionen der großen Verlage auftauchte. Uns Redakteuren (ich war damals bei Gruner + Jahr) wurde der Internetanschluss mit der Begründung verweigert: Das ist viel zu teuer. Das hält euch nur vom Arbeiten ab. Man war gezwungen, zum Chef vom Dienst zu gehen, wenn man ‚im Internet‘ mal etwas nachschlagen wollte. Später wurde dann Wikipedia verteufelt und als seriöse Quelle ausgeschlossen. Die ganze Haltung zum Web war negativ besetzt und auch ein bisschen dünkelhaft von oben herab. Bernd Buchholz, der Ex-Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, hielt bis zuletzt wenig von diesem Zeug.“

[+++] Peter Raffelt kennt den Verlag, dessen früherer Chef „bis zuletzt wenig von diesem Zeug“ hielt, denn er leitete bis vor ein paar Tagen die Bildredaktion der FTD. In einem Blogbeitrag wirft er nun die Frage auf, ob Journalisten die „Bergbauarbeiter des 21. Jahrhunderts“ sind oder vielmehr die „Zeitung die Kohle des 21. Jahrhunderts“ ist. Das erste Zitat stammt aus einem am Donnerstag im Altpapier erwähnten NDR-Film über die FTD, und es kursierte auch bei Twitter.

Im Kern kritisiert der Optik-Experte Raffelt allerdings, dass man sich heute über die Visualisierung von Inhalten zuwenig Gedanken macht und auch zuwenig in sie investiert. Er ärgere sich darüber,

„dass wir zwar immer darüber lesen, (...) dass wir den Leser durch gute Gestaltung dazu bringen, einen Inhalt überhaupt erst wahrzunehmen“,

aber die entsprechenden Fachleute „viel zu wenig zu Rate ziehen“. Raffelt weiter:

„Wir erleben gerade den rasanten Anstieg der mobilen Nutzung unserer Inhalte, ohne uns entsprechend mit den richtigen visuellen Kommunikationsformen dieses Kanals zu beschäftigen. Erstmal raushauen, danach kann man immer noch darüber nachdenken, welches denn die geeignete Form ist.“

[+++] Stefan Aigner, der Journalist hinter dem regionaljournalistischen Blog regensburg-digital, ist ein verdienstvoller Mann, er knickt bei Klagen mächtiger Gegner nicht ein, und es ist natürlich verdienstvoll, dass die SZ (Seite 35) ihn porträtiert. Aber Rudolf Neumaiers Text ist teilweise nur schwer erträglich. Im Artikel bezeichnet Neumaier Aigner unter anderem als einen

„Blogger aus einer ziemlich heruntergekommenen Schreibstube, der sich kein Auto leisten kann. Mit 39 Jahren.“

Bemerkenswert, dass Neumaier hier ein, vorsichtig formuliert: kleinbürgerliches Verständnis von Lebensqualität zum Ausdruck bringt, das nicht so recht passt zum nicht-kleinbürgerlichen Image der SZ.

Weiter geht es mit den Äußerlichkeiten:

„Aigner trägt Jeans und einen dicken Wollpullover, klar, das Fahrrad ist sein Dienstfahrzeug, und es ist kalt.“

Hm, kann man in diesen Tagen einen dicken Wollpulver nicht auch dann tragen, wenn das Fahrrad nicht das Dienstfahrzeug ist? Und Neumaier hat für Äußerlichkeiten sogar noch mehr Platz:

„Er hat einen Ohrring im linken Ohr, und sein Fünftagebart ist ungefähr so lang wie die Stoppeln auf seinem Kopf. Die Haare stutzt er selbst. Wenn man weniger als ein Volontär verdient, also deutlich weniger als 2000 Euro, spart man sich den Friseur. Aber lieber so und regelmäßig 'a Gschicht, wo‘s schäwert (scheppert - Anm. AP), als 5000 Euro und lauter Scheißgschichtn'“.

Ist das ist nun abgestandender 90er-Jahre-Porträtjournalismus? Oder schwingt - bei aller Sympathie, die Neumaier für Aigners Wirken hat - in den teilweise spöttischen Äußerungen über den prekär lebenden Kollegen die Angst mit, selbst auch einmal zu den Prekären zu gehören?

Interessant - und ein bisschen deprimierend - an Aigners Geschichte ist ja eigentlich, dass er zu den renommiertesten, völlig verlagsunabhängigen Ihr-Ding-Durchziehern unter den hiesigen Online-Journalisten gehört, dieses Modell finanziell aber selbst bei einem zumindest branchenintern bekannten Mann wie ihm nicht funktioniert. Aigner ist somit quasi auch ein Argument gegen die Propaganda der heute schon erwähnten „digitalen Avantgarde“, und das ist nun definitiv relevanter als die Tatsache, dass er die Haare nicht schön hat.

[+++] Was konkrete Krisennews angeht, blicken wir heute mal in den Wilden Westen, genauer gesagt: nach Kansas. Dort geht es noch ein bisschen rauer zu als hier zu Lande. Der US-Medienblogger Jim Romenesko berichtet, dass The Kansas City Star zwei Reportern mitgeteilt hat, dass einer von ihnen entlassen wird. Wer gehen muss, sollen sie aber untereinander ausmachen.

Ähnlich unschön eine ebenfalls von Romenesko aufgegriffene Praktikanten-Suchanzeige des Orange County Register. Die Zeitung lockt Interessenten unter anderem hiermit:

„We have secured multiple-bedroom apartments for trainees.“

Vielleicht ist der Gedanke mit den Bergarbeitern des 21. Jahrhunderts doch ein bisschen zu optimistisch.


ALTPAPIERKORB

+++ Wer sich über die vielen gemäßigt kritischen Artikel über die reanimierte Satirezeitschrift Pardon geärgert hat, wird sich darüber freuen, dass Richard Herzinger (Die Welt) keinen Grund sieht, sich zu mäßigen: „Gute, ironische Texte kann man (...) inzwischen längst in jeder Lifestyle-Zeitschrift, ja in jeder sogenannten Qualitätszeitschrift lesen. Das Spiel mit Wort und Bild, ja Zwang zur Witzigkeit gehört längst zum Standard des Journalismus. Um die Existenz einer Satirezeitschrift zu rechtfertigen, genügt nicht der Anreiz zu dezentem Schmunzeln. Sie müsste schon brüllendes, kopfloses Gelächter auslösen, angesichts einer in den Wahnwitz verrannten Welt, die gerade darum zum Schreien komisch (...) Dass das Erscheinen einer Neuausgabe von Pardon notwendig erschien, hat ein Schlaglicht auf den Satirenotstand in Deutschland geworfen. Leider hat die Zeitschrift ihn nicht behoben, sondern nur verschlimmert.

+++ Leitartikel in der Funkkorrespondenz (nicht durch die URL irritieren lassen!) ist ein Beitrag zu einer Studie über den deutschen TV-Produzentenmarkt, die demnächst auch in Buchform erscheint. Zum Thema „Kosten, Kostenentwicklung und Kostendruck“ heißt es unter anderem: „Kostendruck wird seitens der Sender nicht nur dadurch erzeugt, dass die Preise fallen. Er entsteht auch, wenn die Preise, zu denen die Sender Programm einkaufen, stabil bleiben, gleichzeitig aber die Preise der Leistungen steigen, die die Produzenten einkaufen müssen.“ Außerdem erfahren wir zum Beispiel, dass beim „Tatort“ seit 2003/2004 die Zahl der Drehtage von 28 auf 23 gesunken ist.

+++ Gute Frage: „Ist ‚Beckmann‘ nur eine Sendung für Leute, die ihre Anspruchslosigkeit gern auch an wichtigem Personal durchgesetzt sehen?Jürgen Kaube (faz.net) stellt sie anlässlich der gestrigen Sendung mit Peer Steinbrück, der dem „desinteressierten Geplapper des Herrn Beckmann“ offenbar kaum Nennenswertes entgegenzusetzen hatte. „So blieb die Frage, wie man sich Peer Steinbrück im Angriff auf Angela Merkel vorstellen soll, wenn er sich nicht einmal gegen Reinhold Beckmann durchsetzen mag.“

+++ Phoenix, der Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, fordert mehr „Cross-Promotion“ im Ersten (die taz in Kürze), aber sonst geht es ihm ganz gut, jedenfalls rangiert er 2012 quotenmäßig wieder vor n-tv und N24. Der Tagesspiegel berichtet etwas ausführlicher.

+++ Außerdem im Tagesspiegel: „100 Tage Harald Schmidt bei Sky“. Scheint mir doch ein arg konstruierter Anlass zu sein.

+++ Christoph Lanz von der Deutschen Welle berichtet schließlich in der Berliner Zeitung darüber, wie ein anderer Auslandssender, nämlich das putineske Russia Today, expandiert. Anfang 2013 eröffnet der Sender „in Berlin eine global agierende Videoagentur“.

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.