Die Debatte um die Umwandlung der GEZ-Gebühr in eine Haushalts- bzw. "Zwangsabgabe" geht so mächtig los, dass es eine Debatte um Stellenabbau im ZDF jenseits von Mainz schwer haben dürfte. Außerdem: Joko und Klaas verlassen die randständige ZDF-Krabbelkiste Neo, eine eventuelle Queen-Bestattung dürften ARD und ZDF weiter parallel übertragen, der Guardian entlässt 100 Redakteure.
Am Freitagnachmittag veröffentlichte dwdl.de eine Resolution der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZDF an die Mitglieder der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten, in der von "schwerer und nachhaltiger" Beeinträchtigung.des "öffentlich-rechtlichen Programmauftrags", "unzumutbaren Ausmaßen" der "Arbeitsverdichtung" und "gefährdetem" "Betriebsfrieden" die Rede ist. Es geht um den von der KEF geforderten heftigen Personalabbau beim ZDF (siehe Altpapier).
Kritik am Führungspersonal, das sich beim Führen des ZDF hinaus aus der "babylonischen Gefangenschaft des Einkanalsenders" (Altintendant Markus Schächter bei seinem Abschied) offenbar verhoben hat, kommt im Resolutionstext nicht vor. Sie würde gewiss ebenfalls den Betriebsfrieden gefährden. "Auch viele junge und gut ausgebildete freie Mitarbeiter/innen mussten bereits den Sender verlassen", heißt es jedoch darin.
Dass zwei weitere junge freie Mitarbeiter das ZDF verlassen, meldete der Spiegel gestern vorab. Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die in den ZDF-Nischenprogrammen nicht ihre allerglücklichsten Auftritte hatten, aber ja ernsthaft als Thommy-Gottschalk-Nachfolger bei "Wetten, dass...?" im Gespräch waren, gehen 2013 vollständig zu Pro Sieben. Leicht weiteraggregiert ist die Meldung bei kress.de und dwdl.de. Dass das ZDF den beiden "viel Erfolg für die zukünftigen Projekte" wünscht, erfuhr exklusiv der Tagesspiegel.
[+++] Den Hintergrund dieser und einer Menge weiterer Öffentlich-Rechtlichen-Meldungen und -Reportagen bilden die Haushaltsabgabe bzw. der Rundfunkbeitrag, der ab 1.1.2013 die GEZ- bzw. Rundfunkgebühr ersetzt und selbst von Öffentlich-Rechtlichen-freundlichen Medien wie der TAZ "Zwangsabgabe" genannt wird.
Sicher kein Zufall, dass ARD und ZDF einen der seit Jahren sinnfälligsten Kritikpunkte an ihrer Berichterstattung bzw. "Berichterstattung" gerade jetzt abgeschafft haben: die Doppel-Übertragung von dem, was Sendermanager "royale Events" nennen. (Wobei Joachim Huber vom Tagesspiegel wiederum nachgefragt hatte und von einer feinfühligen ARD-Sprecherin "als mögliches Beispiel" eines Ereignisses "von überragender journalistischer und zeithistorischer Bedeutung", das Doppel-Übertragung weiterhin ermögliche, "den Tod und das Begräbnis der Queen" genannt bekam).
Sicher kein Zufall, dass Szenarien für die Reduzierung der ARD-Talkshowflut inzwischen konkreter durchgespielt werden (der Focus berichtet, dass "über neue Sendungen für Moderatorin Anne Will nachgedacht" werde, die ARD und Will aber noch uneins seien, ob diese neuen Sendungen die Talkshow namens "Anne Will" ersetzen oder eher Wills Aufgabenspektrum weiter bereichern sollen). Und keiner, dass die Talkshowmoderatoren mit Argusaugen über die Vermeldung ihrer Marktanteile wachen (TAZ).
Sicher kein Zufall, dass das sog. Erste gerade jetzt auch innerhalb des eigenen Programms die Programmfarbe der Selbstironie entdeckt. Michael Hanfeld hat sich in der ARD-Mediathek einen ersten Ausschnitt aus der in anderthalb Wochen programmierten Show "Das Ernste" angesehen und den Eindruck gewonnen, "als habe man die B-Mannschaft von 'Switch Reloaded' vor die Kamera gelassen, weil die Profis gerade keine Zeit hatten". (faz.net; köstlich allerdings der Gesichtsausdruck von Hanfelds Autorenbild angesichts des nebenstehenden Szenenfotos).
[+++] Mehr Hintergründe zu dieser Showidee erfährt man in wiederum im aktuellen Spiegel:
"Olli Dittrich ist zurückhaltend, aber Freunde von ihm sagen, dass er gerade ziemlich sauer ist. Zwei Jahre lang hat er für die ARD im Geheimen eine Fernsehsendung entwickelt, mit der das Erste der ZDF-Sendung 'heute-show' endlich Konkurrenz machen könnte. Eine Nachrichtensatire mit Dittrich in der Hauptrolle, als Anchor nicht der 'Tagesschau', sondern eines 'Tagesschaum'."
Was nun in der ARD laufen wird, betrachtet Olli Dittrich als Kopie seines Konzepts. Das ist das Interessanteste, in der großen Reportage im Medienressort des aktuellen Hefts (S. 160-167). Anlass ist auch hier die kommende Haushaltsabgabe:
"ARD und ZDF machen jeden zum Mitglied in einem Club, aus dem es kein Entrinnen mehr gibt. Selbst die katholische Kirche ist da generöser gegenüber denen, die sie nicht mehr mögen",
heißt es ziemlich am Anfang. Dazu haben vier Spiegel-Autoren unter der Prämisse "Eine Reise durch ein System, das Ideen verhindert" neben einem ganz interessanten Gespräch mit dem vom ZDF enttäuschten Kriegsreporter Ashwin Raman vor allem altbekannte Motive neu kuratiert, von
"Jeder pflegt seine eigenen Blumentöpfe, schimpft über die welken Blätter in den Beeten der anderen und wundert sich, warum im Schrebergarten ARD nichts Neues wächst."
bis hin zu Szenenbeschreibungen bei der Gebühreneinzugszentrale in Köln-Bocklemünd ("Selbst die Kaffeekannen sind hier beschriftet..."), wie man sie zuletzt wieder öfter las. Zwar mokiert sich der Spiegel über "Klamotten mit Heinz Erhardt oder Heinz Rühmann" an Sonntagnachmittagen im ZDF. Aber für den die Lage verkomplizierenden, auf Niggemeierniveau (Stefan Niggemeier ist einer der vier Autoren) jedoch eigentlich nötigen Hinweis, dass Spiegel TV demselben Sender noch bis Jahresende die Markus-Lanz-Kochshow zuliefert und seinerseits Mitarbeiter entlässt, weil dieser Auftrag ausläuft, fehlte der Platz. Frei online steht einstweilen eine Minimeldung zu einer Haushaltsgebühren-Umfrage.
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[+++] Wesentlich aufschlussreicher auf demselben Themenfeld, allerdings auch noch wesentlich ausgreifender, ist ein Interview mit Lutz Hachmeister in der aktuellen epd medien-Ausgabe. "Medienforscher" nennt ihn der Mediendienst in der eigenen knappen Zusammenfassung. In der vollen Breite der sage und schreibe achteinhalb DIN A 4-Seiten ist es auf der Webseite des von Hachmeister betriebenen "Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik" zu lesen.
Hachmeister selbst spricht dann im Interview von seiner "sicher ungewöhnlichen Mehrfachrolle als Medienforscher, Publizist und Filmemacher". Und dass er in letzterer Funktion eben auch Auftragnehmer öffentlich-rechtlicher Sender (und auch als solcher nicht zufrieden) ist, scheint wiederholt durch.
Überhaupt ist das Interview ein Rundumschlag gegen so gut wie alle Akteure des hierzulande herrschenden Mediensystems, etwa erstens gegen Rundfunkräte ("Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Gremien wirklich wissen, was im Realprogramm passiert. Das Gefühl hatte ich noch nie. Es gibt Aufwallungen von Programmbeiräten, wenn es auf einmal einen Talkshow-Overkill gibt..."). Zweitens gegen den Bundeskulturminister, dessen Titel exakt ja "Staatsminister für Kultur und Medien" lautet (Interviewerin Diemut Roether: "Der Bundeskulturminister macht so einiges, zum Beispiel mit der Nationalen Initiative Printmedien." - Hachmeister: "Das ist grober Unfug ohne jede Folgen...").
Drittens aber auch gegen die Digitale Gesellschaft oder, falls Hachmeister nicht speziell den gleichnamigen eingetragenen Verein meint, vergleichbare Institutionen ("Leider gibt es gar keine digitale Gesellschaft. Das ist eine schlechte Metapher von Netzaktivisten...."). Viertens natürlich vor allem gegen ARD und ZDF:
"Ach ja, es werden neue randständige Krabbelkisten aufgemacht, während die Hauptprogramme immer konventioneller und vorhersehbarer werden. Ein Medium fast ohne Überraschungen...",
sagt er zum Beispiel über die digitalen Spartenkanäle der Öffentlich-Rechtlichen (wobei "die Sender ... sich intern schon damit abgefunden" hätten, "dass sie zwei dieser Kanäle opfern werden"). Und kurz nachdem es um die guten alten Zeiten mit Franz Alt, aber auch Gerhard Löwenthal, mit Rainer Werner Fassbinder und Horst Stern ging:
"Für Heinz Ungureit, den früherern Fernsehspielchef des ZDF, der vorher Filmkritiker bei der 'Frankfurter Rundschau' war, war es das Höchste, einen Film von Ingmar Bergman zu produzieren oder mit Orson Welles nachts eine Zigarre zu rauchen. Wo, zu welcher Sendezeit, mit welchem Format welche Quote erzielt wird, war auch für diese Leute nicht völlig unwichtig, hat aber eher eine untergeordnete Rolle gespielt."
....kurz danach bringt Hachmeister auch eine Definitions-artige Formulierung für die nun startenden Debatten, die man sich merken könnte:
"Der einzige Legitimationsgrund für ARD und ZDF ist, dass sie etwas anderes produzieren, als der Markt ohnehin hergäbe. Das scheint mir ein stärkeres Kriterium als die übliche demokratietheoretische Formel der Grundversorgung, die in Zeiten neuer Player im Netz ohnehin noch einmal begründet werden muss. Das bedeutet, dass in den Sendern noch einmal eine Professionalisierungsdebatte geführt werden müsste, sie müssten ein anderes Bewusstsein dafür entwickeln, warum und wofür sie eigentlich da sind."
+++ Einen neuen Kaufkandidaten für die Zeitung, bei der Heinz Ungureit einst Filmkritiker war, nennt der Focus: die Süddeutsche Zeitung bzw. die Südwestdeutsche Medienholding, der sie gehört, könnten die Reste der Traditionszeitung kaufen, um aus der FR eine Frankfurter Lokalausgabe zu machen. Weil allerdings die in Frankfurt ansässige Horizont dieselbe Meldung schon letzte Woche hatte, beleuchtet Altpapier-Autor René Martens diese Idee für die TAZ. Und meint als Hamburger, dann sollte die SZ schon lieber in Hamburg eine Lokalausgabe aufziehen. +++
+++ Den heutigen grundsätzlichen Papierzeitungs-Abgesang ("Print erodiert, ohne Zweifel...") hat mit Thomas Koch ein prominenter Mitarbeiter der Werbeindustrie verfasst, u.a. für Carta. Selbst Heads of Media Communication bei "Werbe-Riesen" wie Nestlé beklagen bereits "zu geringen" oder "sogar einen sinkenden Return On Media Investment", erfährt man... Gegen Ende gelangt Koch aber doch zum Appell, "die Chancen, die uns die Digitalisierung bietet, [zu] ergreifen". +++ Wer eher der digitalisierungsskeptischen Fraktion angehört, bekommt auf der Süddeutsche-Medienseite frisches Material an die Hand: Beim britischen Guardian sollen "100 von 650 Redakteursstellen ... eingespart werden", das sei "Teil eines Planes, die jährlichen Verluste auf einstellige Millionenbeträge zu reduzieren". "Führende Mitarbeiter" würden die Online-First-Strategie des Chefredakteurs Alan Rusbridger "im persönlichen Gespräch" "'wahnsinnig'" nennen, schreibt Christian Zaschke unter der Überschrift "Kostenlos kommt teuer". Nichtdestotrotz ist dieser Artikel online gratis zu lesen. +++ Die nächste deutsche Krisenmeldung, die von der WAZ kommt und heute morgen digital die Runde macht, steht bereits knapp gedruckt in der TAZ. +++
+++ "Man kann natürlich den Anspruch haben, auf seiner Seite nur seriöse Nachrichten zu bringen, aber auf Facebook wird sich der New York Times-Artikel direkt neben den Bildern von süßen Kätzchen wiederfinden, und dort werden die Leute ihn sehen. Alles wird zusammengerührt. Unsere These ist also, warum sollen wir das nicht schon gleich so machen?" Mit diesem Zitat des Gründers Jonah Peretti stellt Benjamin Zeeb auf der SZ-Medienseite das US-Portal buzzfeed.com vor. +++
+++ Noch 'ne Spiegel-Vorabmeldung: ProSiebenSat.1 will sein Geld nicht nur an Joko und Klaas ausschütten, sondern auch und vor allem an die Finanzinvestoren - aber nur, um diese loszuwerden und offenbar ohne Mehrheitseigentümer an der Börse gehandelt zu werden. +++
+++ Daniel Bouhs, der in der TAZ erklärt, was noch mal die neue Haushaltsabgabe ist, erklärt in der BLZ, was noch mal Crowdfunding war. +++
+++ Von der "Tagesschau"-Jubiläumsgala zu ihrem 60. Geburtstag, die die ARD aus irgendwelchen Gründen nicht im Fernsehen übertrug, sondern bloß vor "mehr als 400 Gästen" in Hamburg aufführte, berichtete die SZ am Samstag. +++ Und wer der oben erwähnten Anne Will für ihre womöglich zur Disposition stehende gleichnamige Talkshow ein großes Kompliment ("So verschwenderisch charmant, so unaufdringlich klug, so unverkrampft menschlich...") verehrt: Jörg Thadeusz im Sonn-Tagesspiegel, der im Gegenzug den Hinweis abdruckte, dass Thadeusz seinerseits morgen in seiner Show Maria Furtwängler betalkt. +++
+++ Die heutige ARD-Doku "Was macht Merkel - Die Kanzlerin in der Eurokrise" (22.45 Uhr) zu besprechen bemühen sich in SZ und FAZ die jeweiligen Ressortleiter redlich. Die beste Besprechung aber steht im Tagesspiegel: "Beim ersten Mal fällt er noch gar nicht auf, der kleine Schriftzug unten rechts. Aber wenn auf dem Bildschirm zum zweiten oder dritten Mal diese unscharfen, etwas zu dunklen Aufnahmen auftauchen, die man mit etwas Fantasie als 'Anzugträger gestenreich ins Gespräch vertieft' deuten kann – beim zweiten oder dritten Mal also fällt der Schriftzug mit in den Blick: 'Szenen nachgestellt' Der Hinweis am Rande führt ins Zentrum des Problems", schreibt Robert Birnbaum. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Dienstag.