Neue Stellenstreichungen, neue Erklärungsmodelle, neue Werbekampagnen in der Verlagswirtschaft. Außerdem: Neues, ein neues Gesicht und eindrucksvolle Wortgewalt in der Sphäre der "öffentlich-rechtlichen Sorgenlosigkeit".
Wem es gut geht, wer stabiles Wachstum verzeichnet: die Medienkrise.
"Streichungen I, II und III" unterübertitelt die heutige Medienseite der TAZ ihre Meldungsleiste. Es geht im Einzelnen um die Rheinische Post (von deren Personalbbau-Projekt das Journalistengewerkschaftsheft Journalist die meisten Details kennt), um die New York Times sowie The Daily aus Rupert Murdochs Medienimperium. Dies keine ganz brandaktuelle Meldung; gestern etwa berichtete bereits die Süddeutsche, dass die "rein digitale Zeitung" am 15. Dezember letztmalig auf den iPads ihrer Abonneneten erscheinen wird.
Insofern macht sie's acht Tage länger als die FTD, die bekanntlich am Freitag letztmalig an die Kioske zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen ausgeliefert werden wird (an denen, um das tagesaktuelle Mosaik zu vervollständigen, "nach mehr als 50 Jahren" auch die Zeitschrift Tribüne, die "zum Verständnis des Judentums beitragen will", 2013 nicht mehr zu haben sein wird; "im Internet sollen aber auch künftig Interviews und Beiträge erscheinen", und das 204 Ausgaben umfassende Archiv überdies, meldet der Tagesspiegel).
Was Verlage und Journalisten so tun im Angesicht dieser Medienkrise: wie immer einander Preise vergeben, durch jetzt auch um Sascha Lobos Expertise bereicherte Jurys (siehe Altpapierkorb), wie immer Thesen formulieren natürlich und auch mal wieder eine Werbekampagne für sich bzw. für Zeitungen veranstalten. Die Meldung, dass so "die Stärken der Zeitung als universales Qualitätsmedium in einer digitalen Medienkultur stärker im Bewusstsein verankert" werden sollen, begegnet einem im Internet wie fast jede Meldung in leicht unterschiedlicher Form:
Im Internetauftritt der FTD ist sie illustriert mit einem Ausschnitt eines Kiosk-Zeitungsständers irgendwo in Deutschland, wie man ihn so schon nächste Woche nirgends mehr wird sehen können. Bei kress.de ist der beauftragte Werber abgebildet, Uli Veigel von der Düsseldorfer Werbeagentur Grey, und schaut zumindest so, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Und turi2.de hat sich schon mal einen Slogan ausgedacht.
Die frischeste Thesen-Sammlung (das muss bei evangelisch.de auch einmal gesagt werden: Das enorme Faible deutscher Onliner für durchnummerierte Thesen ist eine Nachwirkung Martin Luthers, für dessen halbjahrtausendjähriges Thesenanschlags-Jubiläum hier nebenan ja der Countdown läuft)... die frischeste Thesen-Sammlung kommt von cicero.de, um das es gestern bereits im Altpapierkorb ging.
"Zehn Thesen zur Zukunft der Medien: Promis, Facebook, Dudelfunk" lautet die Überschrift zum Beitrag von Matthias Michael, seines Zeichens bzw., wie unten drunter steht, Unternehmensberater und Journalist in Personalunion. Sein in drei Durchklick-Teile unterteilte Suada aus der natürlich ebenfalls verunsicherten Weltsicht des Cicero-Konservativismus enthält präzise formulierte Argumente ("Heute ist der Journalismus Teil der Populärkultur, für die Mächtigen eine Schlüsselindustrie, ein Geschäftsmodell...", heißt es z.B. in These 1) ebenso wie eher unsinnige ("Nur wenige Beiträge in der Blogosphäre erreichen das Niveau einer journalistischen Kultur", heißt es in These 9, obwohl Michael in seinen früheren Thesen dieses Konstrukt einer "journalistischen Kultur" eigentlich schon dekonstruiert hat).
Insofern mal die Thesen-These: Die gegenwärtigen Thesensammlungen nerven durch den von wem oder was auch immer ausgehenden Drang, immer umfassend die Welt erklären zu wollen. Schade eigentlich, denn etwa über Michaels These Nr. 10 ließe sich schön mediengattungsübergreifend diskutieren:
"Diese Tendenzen kommen der Politik und der Industrie entgegen, weil sie mit Einfluss, mit Geld und der Produktion von genehmen Inhalten die Möglichkeit haben, im Internet kritische Darstellungen nach hinten ins Niemandsland von Google zu drücken und weil sie im Fernsehen ohnedies die Agenda bestimmen..."
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Ansonsten sind natürlich auch unnummerierte Einzelthesen unterwegs. Z.B. sind sich Konstantin Neven DuMont und sein Interviewer Bülend Ürük (newsroom.de) uneins, ob Tageszeitungen, für die sich tägliches Erscheinen nicht mehr rechnet, besser zweiwöchentlich oder zwei Mal pro Woche erscheinen sollten (wobei KNDM aber deutlich seinen Wunsch rüberbringt, wieder in den DuMont Schauberg-Aufsichtsrat aufgenommen zu werden). Z.B. hat sich der Ober-Perlentaucher Thierry Chervel in einer überraschenden Volte auf die Seite seines ärgsten Gegners in anderen Streitigkeiten, der FAZ-Mehrheitsmeinung, geschlagen und attackiert ungeahnt heftig die öffentlich-rechtlichen Sender:
"Die von manchen geforderte Kulturflatrate existiert bereits – sie geht nur in Form von GEZ-Gebühren an einen überalterten und dysfunktionalen Apparat." (perlentaucher.de, via Carta)
Z.B. hat Jost Müller-Neuhof bei tagesspiegel.de einen bei allen Vorbehalten, die man gegen Verlagsangestellten-Artikel zu Fragen des Leistungsschutzrechts haben muss, zumindest bis zum letzten Absatz vergleichsweise sauber argumentierenden Pro-LSR-Artikel verfasst:
"Mit einer Lizenzgebühr ist kein Verleger gerettet. Ihnen geht es darum, überhaupt einmal als Vertragspartner auftreten zu können statt als Bittsteller. Das Schutzrecht ist für sie mehr ein symbolischer Akt als die Korrektur eines Marktversagens..."
Wie sehr da Mitleid als zentrales Argumentationsmotiv durchschimmert, gibt zumindest zu denken.
[+++] Damit dorthin, wo die Sonne scheint und das Leben noch gut ist: ins "mit Gebühren ausgepolsterte Wolkenkuckucksheim" (meedia.de) jener Öffentlich-Rechtlichen, auf die sich auch Müller-Neuhof bezieht ("Ein Motiv dürfte zudem das schlechte Politikergewissen sein, den gebührenfinanzierten Rundfunk rücksichtslos ins Netz expandieren zu lassen"). Welche Aussagen genau Kai Gniffke dem Medium Magazin emailte, aus dem Meedia-Mann Stefan Winterbauer seinen Zorn bezog, hat jenes inzwischen online gestellt. Aktuell spektakulärer: Wie die Bild-Zeitung heute auf ihrer Titelseite gegen die "Tagesschau" und deren Studioumbau schießt:
"Über 20 Millionen Euro Gebührengeld wurden für das neue Studio bereits vorab veranschlagt. Fürs Feinste vom Feinen: neues Design, Touchscreens, eine 20 Meter lange HD-Monitorwand, neue digitale Technik. Zum Vergleich: Auch das Gebühren-finanzierte ZDF zahlte für sein neues, hochmodernes Nachrichten-Studio 30 Mio. Euro, der Abo-Sender Sky nach BILD-Infos aber nur 5 Mio. Euro!"
Einen "Hauch der öffentlich-rechtlichen Sorgenlosigkeit durch den Saal" wehen fühlte auch Thomas Lückerath (dwdl.de) beim "gesetzten Dinner im Münchener HVB-Forum", mit dem die ARD-Programmdirektion ihre Weihnachtsfeier beging. Dort äußerte Volker Herres ein paar kraftvolle, leider integral noch unveröffentlichte Gegenthesen zu den oben genannten ("Verlässlich verwandelte sich das Fernsehen wieder zu einem grossen Lagerfeuer. Gesellschaft entwickelt sich eben dialektisch. Die kommunikative Vereinzelung des digitalen Nomaden sie schreit offenbar nach dem Bedürfnis eines Gemeinschaftserlebnis"), bevor es ans Dinieren ging.
Weitere Zeugnisse von der Wortgewalt der ARD-Hierarchen gibt die TAZ, die beim Beschreiben einer neuen " Doku-Initiative" eigentlich wohl mal wieder (aber mit Recht) die Talkshowflut kritisieren wollte, sich dann aber vom ARD-Chefredakteur Thomas Baumann vor allem eine Menge über Marktanteile erzählen ließ, sowie Werbeslogans ("Wir docken an den gelebten Alltag der Zuschauer an"), auf die Uli Veigel erst einmal kommen muss.
[+++] Wo bleibt nun das wirklich Positive? Erstens beim NDR. Dorthin wechselt der langjährige TAZ-Medienredakteur Steffen Grimberg (siehe Altpapier) nun also tatsächlich. Herzlichen Glückwunsch noch mal, auch ans Medienmagazin "Zapp", dem ein nicht aus der Sphäre öffentlich-rechtlicher Sorgenlosigkeit kommender Experte nur gut tun kann.
Und zweitens ist Peer Schaders (Ex-FAZ-) Fernsehblog nun tatsächlich wieder da: hier bei ulmen.tv.
+++ Falls Sie schon immer mal wissen wollten, wie es eigentlich zugeht bei einer dieser (zumindest unter Journalistenpreisgewinnern) legendenumwobenen Journalistenpreisjurysitzungen: Sonja Pohlmann vom Tagesspiegel war bei derjenigen des Reporterpreises dabei, bei der unter kräftiger Mitwirkung Sascha Lobos unter anderem über Busen, Vaginas und Penisse diskutiert wurde. Falls Sie zumindest interessiert, wer denn gewonnen hat: hier oder gleich reporter-forum.de. +++
+++ Außerdem stellt der Tsp. Georgios Pappas vor, den Deutschland-Korrespondenten des größten griechischen Fernsehsenders ERT wie auch der auflagenstärksten Tageszeitung Ta Nea, der derzeit ohne Internetanschluss aus Berlin berichtet. +++
+++ Die Medienseite der Süddeutschen berichtet heute von Gerard Baker als neuem Chefredakteur des Wall Street Journals (Die "Entscheidung... kann man nur als ein erklärtes 'Weiter so'deuten"), dessen Aufstieg wiederum mit der Aufspaltung des Murdoch-Imperiums in eine Film- und Fernseh- sowie ein Zeitungs- und Verlagshaus zusammenhängt. +++ Außerdem gibt's ebd. einen abgeschlossenen Roman von Christian Mayer über die Hauptdarstellerin des heutigen ARD-Films "Zappelphilipp": "Wer Bibiana Beglau begegnet, sollte hellwach sein. Auf alles gefasst. Sie ist ungeheuer präsent, von der ersten Minute an, und weil sie gerne mal ins Leben anderer Leute knallt..." +++ Und "ein kleines Lehrstück über digitalen Journalismus" von Johannes Boie steht dort: Reporter sollten bedenken, "dass digitale Bilder in der Regel die GPS-Daten ihres Aufnahmeortes beinhalten". +++
+++ Die FAZ-Medienseite berichtet über das hier eingangs erwähnte NYT-Sparprogramm und verschreibt sich ansonsten vollkommen der Fernsehkritik. Es geht um "Zappelphilipp", (Sandra Kegel: "Darüber hinaus erzählen die kühnen Kamerabilder des Films von den kindlichen Erlebnisräumen, die mehr und mehr verschwinden. Immer wieder sehen wir aus der Vogelperspektive tonlose Aufnahmen von Verkehrsströmen, Schienen und Stromleitungen..."), die dänische Soldaten-in-Afghanistan-Doku "Armadillo" auf Arte sowie um "Die Bayern-Story: Meister, Mythen, Millionäre" im ZDF (Jochen Hieber: "Einen respektablen Teil ihres dreißigminütigen Films widmen die Autoren jedoch der weit weniger bekannten Frühzeit des im Februar 1900 gegründeten Klubs..."; "Das vereinseigene Bayern.tv könnte das jedenfalls nicht besser machen...", würde Markus Ehrenberg vom Tsp. allerdings sagen). +++
+++ "Einst war sie vom Kölner Stadtanzeiger zur taz gewechselt, wo sie als Parlamentsberichterstatterin arbeitete. 2000 dann wechselte sie zur Financial Times Deutschland. Mit ihrer Kollegin Tina Stadlmayer teilte sie sich eine Stelle als Parlamentskorrespondentin...": Da porträtiert die TAZ die neue Vorwärts-Chedredakteurin Karin Nink. +++ Und ebd. bei der Kriegsreporterin geht's um Pressesexreisen oder so was. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.