Heute noch mehr Thesen zur Zukunft des Journalismus als gewohnt! Tageszeitungs-Todesprophezeiungen, "Webkommunismus"-Kritik usw. Eine Edmund-Stoiber-Anekdote, ein Love- bzw. Candystorm aber auch. Und eine brandneue "versteckte Gefahr für die freie Presse"!
Da gibt es natürlich nichts. Wenn die renommierte Wochenzeitung Die Zeit drei der wichtigsten Regeln des Zeitungsjournalismus anwendet, um ihr aktuelles Journalismus-Special anzupreisen, muss man einfach zum Kiosk und sie sich holen.
Diese wichtigsten Regeln lauten erstens: ein süßes Tier auf dem Titel, nämlich der in der Überschrift hier genannte Hund. Zweitens: präzises Nutzwertversprechen (S. 25 laut Inhaltsverzeichnis: "Wie guter Journalismus überleben wird"). Drittens: ein kräftiger Superlativ (S. 26: "Die wichtigsten Köpfe der Branche über ihre alten Fehler und neuen Konzepte", hier schon mal anhand des Bertelsmann-Chefs Thomas Rabe von meedia.de an-aggregiert). Und - oops, das ist jetzt schon die vierte: Wenn man sonst noch etwas Wichtiges zu sagen, gefälligst durchnummerieren (S. 28: "7 Thesen/ Die Zukunft des Journalismus")!
Andererseits, ehrlich gesagt: Thesen von wichtigen Branchenköpfen prasseln natürlich auf interessierte Leser nur so ein, besonders an diesem Donnerstag. Und es wäre ja ungerecht, Medien, die sich regelmäßig um Medienthemen kümmern, schon weil sie sich ein eigenes Medienressort leisten, hintanzustellen, nur weil die tolle Zeit auch mal wieder was mit Medien macht. Also erstmal andere Thesen zur Journalismus- und Zeitungszukunft (auch wenn Knappheit an Thesen zur Journalismus-/Zeitungszukunfts-Thesen zweifellos das allerallergeringste Problem des Journalismus und der Zeitungen darstellt).
Mathias Döpfner zum Beispiel, als Springer-Chef ein enorm wichtiger Kopf der Branche, ist nicht nur in der Zeit vertreten, sondern auch in einem seiner eigenen Blätter, der Welt. Lassen Sie sich nicht von der etwas verschnarchten bzw. "kurios-traumatischen" Anekdote um Edmund Stoiber und seine Enkeltochter, an der sich Döpfner anfangs abarbeitet, abschrecken. Der Text hat starke Thesen, durchaus auf der Höhe der Zeit (z.B. dass digitale Medien "ein Potenzial, das die gedruckte Zeitung nicht einmal annähernd ausschöpft" haben: "Interaktivität, sekundenschnelle Aktualisierung, Verknüpfung von Informationen und Stichworten, unbegrenzten Platz, die Verschmelzung verschiedenster medialer Stile und Ästhetiken"), enthält aber natürlich auch Potenzial für Kontroversen. Z.B.:
"Eine weitere aus der Unsicherheit geborene Dummheit ist die Propaganda der Kostenlos-Kultur. Nach der Ideologie des spät gekommenen Webkommunismus existiert eine freie Welt nur, wenn jede Information für jedermann jederzeit frei, also kostenlos, zugänglich sei. Schwer verständlich, warum Brot oder Medizin dann etwas kosten sollten...",
schreibt Döpfner, dessen Lieblings-Sample "Selbstmord aus Angst vor dem Sterben" übrigens auch wieder vorkommt. Zentrale These: "Zeitungsjournalismus hat das Beste noch vor sich."
Nö, würde Wolfgang Münchau sagen. Das ist kein auf Döpfnerniveau klangvoller Name, aber immer war Münchau Mitgründer und Chefredakteur der FTD, die gerade im Moment wegen ihrer weiterhin wahrscheinlich bevorstehenden Einstellung in aller Munde ist. Derzeit ist Münchau einer der meinungsfrohen Kolumnisten von Spiegel Online und postuliert den "Anfang vom Ende fürs bedruckte Papier" (Überschrift): "Der Tod der Tageszeitung ist somit eine Frage der demografischen Entwicklung".
Sie merken schon: An einprägsamen Sätzen mangelt es auch Münchaus Text nicht. Vielleicht der prägnanteste davon:
"Das Internet bietet mittlerweile so viel an Gratis-Informationen hoher Qualität, dass nicht spezialisierten Tageszeitungen mittlerer Größe mit geringen redaktionellen Ressourcen der Markt wegbricht."
Interessant auch noch sein Ansatz, dass Zeitungen "überall auf der Welt ...mit dem World Wide Web" "fremdelten", also das Internet nicht verstanden haben, weshalb es "kein Wunder" sei, "dass Außenseiter mit einem unvoreingenommen frischen Blick heute den Journalismus im Internet dominieren". Wen er damit z.B. meint: die BBC in England oder Spiegel Online in Deutschland. So etwas zu schreiben steht einem Spiegel Online-Kolumnisten natürlich gut zu Gesicht.
Wer Lust hat, kann Döpfners und Münchaus nebeneinander als Pro und Contra aus jeweils konservativer Position betrachten. Wer eher an linken Positionen interessiert ist, sollte zu Carta klicken. Dort führt Wolfgang Storz, auch er ehemaliger Chefredakteur einer von Einstellung bedrohten Tageszeitung, der Frankfurter Rundschau, die kürzlich gestartete Debatte über linke Zeitungen fort. Zu Problemen, vor denen eher linke Zeitungen wie die FR und die Wochenzeitung Der Freitag ("Das Meinungsmedium") stehen, enthält Storz' Text die bedenkenswerten Sätze:
"Klar, Meinung ist am billigsten zu produzieren, aber wer braucht die noch? Bezieht doch jeder halbwegs Interessierte kostenlos Meinungen in Hülle und Fülle aus dem Meinungsmedium erster Güte: dem Internet."
Falls Mehr-Thesen-Texte bevorzugen, die auch durchnummerieren, so hat der genannte Freitag immerhin fünf Thesen zu bieten, nur zwei weniger als Die Zeit. "Zeitungskrise ja, aber wessen Zeitungskrise?", heißt der Beitrag des Altpapier-Autors Klaus Raab. Das Erfrischende daran ist, dass die Thesen (z.B. Nr. 3: "Papier ist nicht die Lösung. Kein Papier aber auch nicht") eigentlich gar keine Thesen sind, sondern die zupackende Besserwisserei vermeiden, die beim Zeitungszukunftsthesen-Lesen ja doch immer schnell nervt. Einleitend schreibt Raab:
"Es werden jetzt also wieder Zaunpfähle geschwenkt und noch einmal all jene Fragen wiederholt, auf die es nach knapp zwölf Jahren Zeitungskrisen-Dauertalk schon hunderte von Antworten gibt: Hallo, wollen wir uns alle noch ein bisschen mehr bewegen? (Antwort: manche ja, manche nein.) Gibt es eine Zukunft für die Zeitung? (Antwort: je nachdem.) Wer ist schuld? (Antworten: 'die Journalisten', 'die Verlage', 'das Internet', 'die Gratiskultur'.)"
Falls Sie lediglich handfeste Infos wünschen, etwa zur Frage, warum die Zeitungen, anstatt dauernd weitschweifig über die Krise der eigenen Gattung zu räsonieren, nicht einfach damit beginnen, von ihren Internetnutzern Geld zu verlangen, so gibt's eine kompetente Paywall-Übersicht von Falk Lüke bei taz.de ("Die Branche droht den Lesern mit einer Mauer - vor der sie selber Angst hat. Die Onlinevermarktung bringt zwar nicht genug, aber doch merkliche Summen in die Kassen der Verlage").
Und falls Ihnen aus dem aktuellen Anlass des ja noch immer ungewissen FTD-Schicksals die Frage nach der Zukunft des Subgenres Wirtschaftspresse am Herzen liegt, so gibt's dazu einen kraftvollen "Der Wirtschaftsjournalismus muss leben"-Appell von Christian Meier bei meedia.de, der gleich zweimal zum Durchnummerieren (1.bis 4. und 1.bis 5.) von Thesen oder so was ansetzt. Entspannter bzw. tazziger der Frage nach, ob der deutsche Markt "überhaupt noch eine tägliche Wirtschaftszeitung" "braucht", gehen in der TAZ Kai Schöneberg und Jürn Kruse ("Jetzt ist das Häschen wohl kollabiert", wobei die FTD das Häschen war, das "den behäbigen Handelsblatt-Igel" aber nie überholte...).
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[+++] Womit es höchste Zeit ist, die Sphäre der großen und vielen grundsätzlichen Thesen zu verlassen und in den tagesaktuellen Dschungel der laufenden Ereignisse einzudringen, die sich ja auch überschlagen. Was ist denn nun mit der FTD?
Gestern entspann sich großer Medienmedienwirbel um das mutmaßliche Aus der Gruner+Jahr-Tageszeitung (siehe Altpapier). Der eine Pol: die gewitzte Art, in der die FTD selbst die Information "Die Financial Times Deutschland steht vor der Einstellung" in ihren Onlineauftritt integrierte (und heute auch in die Papierzeitung). Darunter stehen eine Menge ermutigen wollender Leserbriefe und -mails, welche der Tagesspiegel "Lovestorm" nennt ("doch die vermeintlichen Liebesbekundungen kommen offensichtlich zu spät", während die Welt von "Candystorm" spricht.
Ein anderer Pol und lesenswert: der Erlebnis-Bericht der "letzten Praktikantin der FTD", Franziska Broich, bei unter3.net, dem Blog der Deutschen Journalistenschule in München.
Zwischen diesen emotional bestimmten Herangehensweisen war gestern beinah untergegangen, dass die "entscheidenden Stunden" der entscheidenden Aufsichtsratssitzung, auf der über die FTD und die angeschlossene G+J-Wirtschaftspresse entschieden werden sollten, anbrachen und offenbar ziemlich zäh verstrichen.
"Am Abend war dann klar: Der Aufsichtsrat hat beschlossen, die Wirtschaftszeitung wird nicht mehr erscheinen, ein Sprecher wollte das nicht kommentieren",
berichtet die Süddeutsche in einem etwas aufgeblasenen und um die nachgerückte DPA-Info, dass immer "noch letzte Gespräche zu einem möglichen Verkauf der 'FTD'" laufen würden, zerschossenen Artikel.
"Am Abend war dann klar: Der Aufsichtsrat hat beschlossen, die Wirtschaftszeitung wird nicht mehr erscheinen, ein Sprecher wollte das nicht kommentieren. Die letzte Ausgabe der FTD soll aber am 7. Dezember erscheinen, berichtete die FAZ am späten Abend",
heißt es darin. Später Abend - nun ja. 18.06 Uhr war's, als wie schon am Vortag erneut die FAZ-Wirtschaft in Gestalt ihres Hamburg-Korrespondenten Johannes Ritter beim Überbringen der schlechten Nachricht ("...sollen rund 320 der 350 Mitarbeiter der G+J Wirtschaftsmedien AG & Co. KG ihren Arbeitsplatz verlieren") Erster war. Die letzte FTD soll am 7. Dezember erscheinen, die Kündigungen sollen aber erst im nächsten Jahr rausgehen.
Einen umfangreichen Nachruf auf die FTD hat nun auch der oben schon als behäbiger Igel bezeichnete unmittelbare Konkurrent, die dann einzige deutsche Wirtschaftstageszeitung, das Handelsblatt, aufgelegt. Ehemalige FTD-Mitarbeiter, darunter der jetzige Springer-Außenminister Christoph Keese, erinnern sich, und eine Klickstrecke ist auch dabei.
Altpapierkorb
+++ Ach je, schon wieder ganz die Zeit und Die Zeit vergessen! Die sieben Thesen usw. noch gar nicht berücksichtigt. Immerhin, frei online bei zeit.de gibt's einen Widerschein des Titelthemas unter der Überschrift "Zukunft der Zeitung/ Wer sterben und wer überleben wird": "Das Sterben der meisten Tageszeitungen wird sich am Ende wohl nicht aufhalten lassen. Das mag für die Beschäftigten in den Redaktionen bitter sein, aber es muss den Journalismus nicht in die Krise stürzen – wenn es den Verlagen gelingt, auch im Netz Geschäftsmodelle zu entwickeln, die guten Journalismus möglich machen", heißt es dort am Ende. Zu den sieben brisantesten Journalismuszukunfts- und -krisenartikeln dieses Donnerstags zählt das eher nicht. +++
+++ Gewieft Brisanz schürt dagegen Michael Hanfeld in der FAZ, indem er eine neue "versteckte Gefahr für die freie Presse" identifziert: "neue Förderprogramme für Journalisten", wie sie "einer der gewieftesten Medienpolitiker" der SPD, nämlich der derzeitige nordrhein-westfälischer Staatssekretär Marc Jan Eumann, im Schilde führen soll. Dagegen anargumentierend, bringt Hanfeld auch die nüchternste Zeitungs-Krisenanalyse von heute: "Bei der dapd haben sich zwei Harakiri-Investoren verzockt, die 'Frankfurter Rundschau' ist ein Opfer jahrelanger Verlagsquerelen und die 'FTD' hat Zeit ihres Bestehens keinen einzigen Euro verdient. Punkt. Das Ende der freien Presse bedeutet das nicht." +++
+++ Wichtige Personalie in der Sphäre, in der auch Eumann sich bewegt: Jürgen Doetz tritt als Präsident des Privatsenderlobbyverbands VPRT ab (Tsp.). "Er kämpfte an allen Fronten, auch bei der EU-Kommission, die Verhandlungs- und Diskussionsrunden, die er absolvierte, sind ungezählt. Bis zuletzt zeigt er sich auf der Höhe der medienpolitischen Debatte" (Hanfeld in der FAZ). +++
+++ Jetzt neu: das "Medienhaus Deutschland"! Wie sich "unter dem reichlich ambitionierten Namen" acht Regionalzeitungsverlage zusammentaten, "um vor allem große Werbungtreibende, die sonst vor allem im Fernsehen Reklame-Spots schalten, als Kunden für ihre Blätter zu gewinnen", berichtet wiwo.de. Mit dabei sind Darlings wie die WAZ, DuMont und der Springer-Verlag, der seine Regionalzeitungen eigentlich weitgehend abgestoßen hat. Siehe auch wuv.de. +++
+++ Den DuMont'schen Berliner Verlag als potenziellen Krisenherd betrachten nun auch der Lokalrivale Tagesspiegel und kurz die TAZ. +++ In den DuMont-Zeitungen FR/ BLZ wird indes die FTD-Lage zusammengefasst. +++
+++ Die Überschrift "Von wegen Print-Krise" (dwdl.de) gilt Hubert Burdas Konzern, der neue Geschäftszahlen pünktlich zur heute abend im sog. Ersten anstehenden Bambi-Show bekannt gab. +++ Alternativprogramm: "die beste Fernsehserie der Welt", wie Sandra Kegel (FAZ, S. 33) sagen würde, auf Arte (auch 20.15 Uhr). Weil sie den deutschen Titel "Gefährliche Seilschaften" so missglückt findet, nennt sie sie im dänischen Original "Borgen". +++ Frei online nur etwas weniger begeistert: Meike Laaff (TAZ). +++
+++ Positive Überraschung in Dresden: Der neue "Sachsensumpf"-Prozess verläuft für die angeklagten freien Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel besser als angesichts früherer Prozesse ebd. zu erwarten war (TAZ). +++ Steffen Grimberg indes in der Süddeutschen. Da porträtiert er Klaudia Wick anlässlich des gerade laufenden Fernsehfilmfestivals in Baden-Baden. +++ Katrin Schuster (Freitag) hat in der Pro Quote-TAZ "Wörter, die mit 'feminis' anfangen", gezählt. +++
+++ Zurück zu den großen Thesen : Blogs und Podcasts als Gegenmodelle zur "schwerfälligen Tageszeitung" sieht John F. Nebel bei metronaut.de. +++ Und warum man Facebook nicht seine echte Telefonnummer anvertrauen sollte, beschreibt golem.de. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.