How to spend it

Der Themenmonat Zeitungssterben geht weiter, mit ausgewählten News rund um die FTD. Vielleicht ein schöner Detailaspekt: Für Abfindungen stehen gewaltigen Summen bereit. Vielleicht ein neuer Erklärungsansatz: An der Tageszeitungskrise könnten die Talkshows schuld sein. Außerdem: eine neue Bezahlschranke.

Die Spannungskurve um das Ende der Financial Times Deutschland, der jüngsten deutschen Tageszeitungsgründung und letzten nichtsächsischen Zeitung des renommierten Konzerns Gruner + Jahr (G+J), folgt dem gestern an dieser Stelle skizzierten Verlauf: Verdammt wahrscheinlich, dass die FTD komplett eingestellt werden wird, aber final beschlossen und von allen zuständigen Instanzen bestätigt noch nicht.

Weil im Wettbewerb um Aufmerksamkeit ja immer auch zählt, wer etwas als erster vermeldete: Die FAZ war's, gestern um 15.42 Uhr, die im Wirtschaftsressort mit der Meldung "Gruner + Jahr stellt 'Financial Times Deutschland' ein" vorpreschte.

Zwar wurde aus dem Spiegel Online-Umfeld kurz darauf noch getwittert, ein G+J-Sprecher habe die Meldung als "Spekulation" quasi dementiert. Aber anderthalb Stündchen später, um 17.19 Uhr, konnte auch SPON dieselbe Meldung "nach SPIEGEL-Informationen" präsentieren.

Generell lässt sich davon ausgehen, wie @epdmedien twitterte, dass sicherlich niemand aus der derzeit auch nicht zu beneidenden Berufsgruppe der Verlagspressesprecher seinem Aufsichtsrat formell zuvorkommen möchte. Aber auch davon, dass Aufsichtsräte es eher doof fänden, schlechte Nachrichten vor einem gespannten Publikum zu verkünden, und sie deshalb, um Spannung rauszunehmen, lieber vorab ihren Spezis von der Presse stecken. Etwas mehr zum formellen Procedere steht im Hamburger Abendblatt.

Es gibt bereits ein beträchtliches Presseecho, das die Vorgeschichte zusammenfasst und die Verluste der FTD ("mehr als 250 Millionen Euro" seit ihrer Gründung anno 2000, meint der Tagesspiegel) beziffert. Ob die "insgesamt 15 Millionen Euro" Verluste, die die aus vier Titeln bestehende G+J-Wirtschaftspresse im noch laufenden Jahr machen soll, dazukommen, dürfte vor allem die Controller interessieren.

Jedenfalls noch hinzukommen dürften weitere 40 Millionen Euro für Abfindungen, meint in der TAZ Kai Schöneberg, der es als ehemaliger FTD-Redakteur wissen und berechnen können sollte. Insgesamt hat die G+J-Wirtschaftspresse 250 Redakteure bzw. 350 Mitarbeiter.

Falls es also so kommen sollte, wäre bemerkenswert, dass der frischen G+J-Deutschland-Chefin Julia Jäkel (die ihre blitzartige Karriere einst als "Verlagsleiterin Editionen der FTD und Herausgeberin von 'how to spend it'" startete, also Herausgeberin der Entscheider-affinen Hochglanz-"Beilage für anspruchsvollen Lebensstil", die übrigens diesem Internet zufolge noch existiert und vielleicht ja künftig der Gala beigelegt werden kann)... ..., bemerkenswert wäre also, dass es Jäkel sinnvoller scheint, diese 40 Mio.s auch noch dreinzugeben als einen gesichtswahrenderen Weg zu wählen und die FTD nicht vollständig verschwinden zu lassen. Sie habe, berichtet die FAZ:

"in den vergangenen Wochen noch zahlreiche Vorschläge für eine mögliche Fortführung der 'FTD' in veränderter Form (etwa als reine Online-Ausgabe) geprüft. Doch keines dieser Modelle wurde als wirtschaftlich tragfähig erachtet."

Was vielen Bezahlschranken-Befürwortern (siehe dazu auch den heutigen Altpapierkorb) zu denken geben könnte.

Während ansonsten Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite dasselbe in eine Menge Vorbehaltsklauseln ("bahnt sich... an", "Zeichen verdichten sich"...) packt, während meedia.de "die Zeiten, in denen das Image manchmal wichtiger war als das Betriebsergebnis", für beendet erklärt, während die Süddeutsche dazu nur meldet, was "ein mit den Plänen Vertrauter ... der Nachrichtenagentur Reuters" sagte (genau das, was FAZ und SPON auch melden), hat ausgerechnet die DuMont-Presse in der Meldungslage noch einen speziellen Dreh gefunden:

"Während die Meldung vom bevorstehenden Ende der FTD am Dienstagnachmittag schnell die Runde machte, werden manche Nachrichten über wichtige Weichenstellungen einfach übersehen: So geschehen mit einer Meldung des Hamburger Mediendienstes Media Tribune...",

schreiben BLZ/ FR. Dann entwickelt Thomas Schuler, der Mediendynastien-Experte, aus dieser Meldung von frisch veränderten Eigentumsverhältnissen innerhalb der hanseatischen Verlegerfamilie Jahr das Szenario, dass deren noch von der 71-jährigen Angelika Jahr-Stilcken hochgehaltener verlegerischer Anspruch auf dem Rückzug begriffen sei und die junge Jahr-Generation ihren G+J-Anteil doch bald an Bertelsmann verkaufen könnte.

Am Rande: Mediendienst Media Tribune - was ist das nun? Dahinter steckt u.a. Rüdiger Stettinski, einst bei text intern und später dann Pressesprecher (beim Jahreszeiten-Verlag, der kürzlich erst, lang nach Stettinskis Zeit, durch die bevorstehende Einstellung der Zeitschrift Prinz für Aufsehen sorgte).

[+++] Kurz eine andere News von der G+J-Haupteigentümer, dem renommierten Bertelsmann-Konzern bzw. von dessen Hauptanteilseigner, der noch renommierteren Bertelsmann-Stiftung: Diese will nun auch aufs brisante Feld der Ratingagenturen vorstoßen, bzw. "will den drei großen Ratingagenturen mit einem nicht-kommerziellen Messmodell Konkurrenz machen". Dazu gibt's heute diverse Agenturberichte, z.B. hier bei handelsblatt.com, das sich übrigens Berichte zum mutmaßlich bevorstehenden Aus der unmittelbaren Konkurrenz FTD verkneift. Wer sich näher mit dem medienfernen Feld der Ratings befassen will: hier die Original-Bertelsmann-Pressemitteilung ("Berlin/Washington DC/Gütersloh ...").

[+++] Zurück zur "Themenwoche Zeitungssterben" (@florianguessgen): Aus dem Erst-Krisenherd, den Verlagshäusern rund um die insolvente Frankfurter Rundschau gibt's gute und schlechte Nachrichten.

Die gute, wenn man von der vielleicht etwas höhnisch rüberkommenden TAZ-Kaffee-Unterstützung (Hausblog) absieht, lautet, dass sich beim vorläufigen FR-Insolvenzverwalter Frank Schmitt "namhafte Interessenten" für eine Fortführung der Zeitung gemeldet hätten. Erstvermelder dieser in den Meldungsspalten weit verbreiteten News war der hessische Radiosender hr info. Weitere Details? Diese Interessenten kamen "auch ... aus dem Ausland", "es werde Wochen dauern, bis Klarheit herrsche" (Süddeutsche).

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Die schlechte Nachricht fußt auf dem bislang weniger beachteten Umstand, dass mit einem möglichen Ende der Rundschau ja auch das Konstrukt der Berliner Redaktionsgemeinschaft für BLZ, FR und weitere DuMont-Zeitungen obsolet zu werden droht. Deren Mitarbeitern werden nun "Turbo-Abfindungen" (wuv.de als Erstvermelder) unter topattraktiven Bedingungen angeboten, wenn sie bloß gehen. Im Begleitschreiben dazu schrieben die Geschäftsführer Michael Braun und Stefan Hilscher von "teils dramatischen Einbrüchen bei den Anzeigenerlösen" und daher im Verlag nötigen "erheblichen Restrukturierungsmaßnahmen" - und zwar im Berliner Verlag, denn dessen Geschäfte sind's, die die genannten führen (siehe nun auch kress.de).

[+++] Gibt's denn auch heute ein all das einordnendes Erklärstück, wo das alles her rührt und hinführt? Jawoll, in der TAZ schon wieder: Georg Seeßlen analysiert das Verschwinden des Kulturguts der "bürgerlichen Zeitung im Allgemeinen, und derjenigen, die eine dezidierte, gar linke Position vertritt", im Besonderen (selbstredend allein unter Bezug auf die FR und nicht auf die FTD). Es handele sich um "Selbstmord" ( "kollektiven Selbstmord der verbliebenen Protagonisten eines Mediums"), habe aber auch mit Talkshows zu tun:

"Wenn nun die bürgerlichen Zeitungen untergehen, dann nicht allein, weil ihnen die Leser verloren gehen, die sich Information und möglicherweise auch Ordnungen, Fortschritt, Selbstbewusstsein, Alltagsritual woanders holen, sondern auch, weil die Macht ihrer nicht mehr bedarf. Die ökonomische Macht (die rücksichtsloseste von allen) wandte sich als erste von ihnen ab, es folgte die politische (wozu die bürgerliche Zeitung, wenn in einer TV-Talkshow Politik und Öffentlichkeit geschmeidiger verbunden werden können)... ... ",

heißt es in dem gedankendichten Text, über den ich persönlich noch mal ein oder zwei Stunden nachdenken müsste, bevor ich ihn verstanden haben könnte.
 


Altpapierkorb

+++ "Die Produktion von Nachrichten, Fotos, Videos, Umfragen und Leserforen kostet Geld. Reporter berichten vom Ort des Geschehens, Online-Redakteure aktualisieren täglich den Internet-Auftritt von morgens um sieben bis abends um 23 Uhr, wenn notwendig, auch darüber hinaus. Kollegen am Newsdesk koordinieren die Nachrichten für Online und Zeitung...": Mit diesen Argumenten wurde im Internet gerade eine neue Bezahlschranke heruntergelassen, und zwar in Kiel bei den Kieler Nachrichten. +++

+++ Die härteren Medienskandal-Meldungen kommen seit geraumer Zeit aus England. Heute berichtet die Süddeutsche knapp von Retweet-Ärger, den rund 10.000 britische Twitterer, die eine BBC Falschmeldung weiterverbreiteten, bekommen (dem sie aber auch relativ glimpflich entgehen) könnten. +++ FAZ und TAZ berichten von neuen Anklagen gegen prominente Ex-Mitarbeiter von Rupert Murdochs Imperiums "wegen illegaler Zahlungen an Informanten". +++

+++ Die Süddeutsche tut ansonsten etwas für die Laune der Medienseitenleser und bringt unter der tollen Überschrift "Frechheit siegt" ein langes Stück zur Missy Magazine-Erfolgsgeschichte. +++

+++ Themen der TAZ-Kriegsreporterin: das Zeitungssterben sowie das die Nachbereitung des Interviews der schon erwähnten Julia Jäkel in der Pro-Quote-TAZ. +++

+++ Das gibt's auch nicht alle Tage: Eine Fernsehfilm-Besprechung, die den Film nicht gut lobt. "Ein ARD-Film, der berühren soll, aber nicht berührt", nennt der Tsp. "Blaubeerblau" (ARD heute im Rahmen der Themenwoche Sterben). +++ Lob desselben Films gibt's aber auch: "Devid Striesow und Stipe Erceg spielen in 'Blaubeerblau' unerträglich gut", meint Heike Hupertz (FAZ, S. 31), obwohl sie anfangs gewissen Devid-Striesow-Überdruss äußert. +++ Lob natürlich auch hier nebenan bei evangelisch.de. +++

+++ Und Jochen Voss hat für die TAZ Bernd Gäblers sehr lesenswerte Bohlen-Klum-Katzenberger-Studie "Hohle Idole" (PDF; siehe z.B. heise.de kürzlich: "Ich möchte, dass die Bertelsmänner daran erinnert werden, womit sie ihr Geld verdienen") gelesen, allerdings nur im Hinblick auf Daniela Katzenberger, die oder deren Produzent Bernd Schumacher er dann doch mehr schätzt als Gäbler das tut. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.