Deutschland kriegt die Zeitungskrise. Mit der renommierten Frankfurter Rundschau steht eine im Prinzip überregionale Tages- und Qualitätszeitung mit großer Vergangenheit vor einer verdammt unsicheren Zukunft. Und mit dem Prinz auch gleich noch ein zumindest für sein Genre altes Stadtmagazin.
Der gestrige 13. November war nicht nur ein "historischer Einschnitt" (Chefredakteurin Ines Pohl vorn auf der TAZ) und "kein guter Tag für die Printbranche" (meedia.de), sondern in Deutschland ihr bislang schwärzester. Einer, der den häufig hämisch, aber eher theoretisch benutzten Kampfbegriff vom "Totholz" mit wahrem Leben füllt.
Gleich zwei Print-Erzeugnisse mit für ihre Gattung traditionreicher Geschichte werden definitiv bzw. ziemlich wahrscheinlich verschwinden. Flapsiger formuliert: Auch "Deutschland kriegt die Zeitungskrise" (TAZ wiederum). Hat sich Thomas Knüwer in seinem Blog schon zum mutmaßlichen Ende der FR geäußert? Noch nicht, am Mittwochmorgen steht dort ein Loblied auf coole Coca-Cola-Werbung ganz oben.
Die harten Fakten: Sowohl beim Hamburger Jahreszeiten-Verlag, der nur noch bis Dezember die in vielen Städten erscheinende Zeitschrift Prinz herausgibt, nach noch nicht gelöschten eigenen Angaben ein "einzigartiges Magazin für das Leben in den deutschen Großstädten", als auch beim Kölner Verlag M. DuMont Schauberg (MDS), dem größten Gesellschafter der nun insolventen Frankfurter Rundschau wird einer Menge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (rund 50 hier, an die 500 dort) Dank ausgesprochen.
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Die MDS-Pressemitteilung enthält den Satz "Somit war auch für die Geschäftsleitung keine Perspektive der Fortführung des Unternehmens mehr erkennbar", der wegen seiner Härte vielleicht in die (deutschsprachige) Mediengeschichte eingehen wird.
Wie sehr insbesondere die Insolvenz der FR die Kollegen trifft, lässt sich an der Welle von Artikeln über ihre ruhmreiche Vergangenheit und ihr sich abzeichnendes Ende erkennen, die seit gestern online und heute in vielen Zeitungen erscheinen. Das auch, weil viele Ehemalige des Blattes inzwischen anderswo schreiben.
Zum Beispiel hat Peter Körte, bis 2001 Feuilletonredakteur der Rundschau, für die FAZ "eine Art Nachruf" unter der auch nicht soften Überschrift "Der Tag der lebenden Toten" verfasst, der gestern so früh (16.52 Uhr) online ging, dabei so komplexe Gedanken enthält, dass man fast meinen könnte, er habe schon länger ziemlich fertiggeschrieben in der Schublade bzw. auf der Festplatte geruht:
"Wann immer ich in den letzten Jahren das vertraute Grün der 'Frankfurter Rundschau' gesehen habe, musste ich an ein Modell denken, welches der Philosoph David Hume gewählt hat, um die Verwirrungen zu beschreiben, die beim Nachdenken über Identität und Wandel entstehen. Ist ein Schiff, an dem über die Jahre nach und nach alle Teile ausgetauscht werden, überhaupt noch dasselbe Schiff? Ist die 'Rundschau', deren Aus jetzt endgültig droht, noch die 'Rundschau'?"
Wie ging es ab mit dem, um im Bild zu bleiben: Untergang?
Als Erstvermelder der gestern um 9.45 Uhr beantragten Insolvenz gelten der Spiegel, also Spiegel Online (dort im Krisenberichterstattungs-Team: Markus Brauck, der einst mal die Medienseite der FR, als es eine solche noch eigenständig gab, machte; Kernthese des Artikels: "Die Pleite des Blattes könnte der Auftakt für ein Zeitungssterben in den nächsten Monaten werden") sowie die FTD. Diese wird in weiteren Berichten (Handelsblatt, in SZ und FAZ aber auch) nicht nur als einer der Erstvermelder angeführt, sondern auch als der Titel, der der FR, was eventuelle Einstellung betrifft, schon bald folgen könnte.
Kernthese des FTD-Artikels: "Damit kapitulieren zwei prominente Haupteigner vor der Krise der Printmedien in Deutschland". Der zweite Haupteigner neben MDS ist bekanntlich die SPD, die deswegen auch schon angegangen wird, das aber hier nur am Rande.
Zurück zum Zeitablauf: Bereits am Montag war "eine kurzfristige Einladung zu einer Belegschaftsversammlung am Dienstagnachmittag herumgeschickt" worden, die die Eingeladenen Böses schwanen ließ, berichtet Michael Ridder im Hamburger Abendblatt, das auch in einem weiteren Artikel, wie alle anderen Blätter auch, die ganze Vorgeschichte erzählt, z.B., dass "seit 2011 ...der Mantel von der MDS-Redaktionsgemeinschaft in Berlin produziert" wurde. Seitdem ist die FR eine "Regionalzeitung mit Berliner Mantelteil", würde Jürn Kruse (TAZ) sagen, seitdem muss sie ja allen Nicht-Frankfurtern gleichgültig sein (und ist an vielen Berliner Kiosken, die die weithin identische BLZ führen, gar nicht mehr zu haben).
Das mit der Redaktionsgemeinschaft liest sich im Hamburger Abendblatt aber vielleicht einen Tick interessanter, weil das Abendblatt in Kürze ja ebenfalls Teil einer Redaktionsgemeinschaft wird und ebenfalls nur noch die lokalen Themen betreuen darf, den Mantel aber aus Berlin geliefert bekommt.
Wie sieht's mit den Zukunftsaussichten der FR aus?
"Das ist ein Schock für Sie, die Leserinnen und Leser der FR, und es ist ein schrecklicher Tag für die Belegschaft. Aber es ist nicht das Ende der Frankfurter Rundschau!",
ruft mit sympathischen Pathos die Belegschaft der FR ganz oben im eigenen Internetauftritt.
Sonst ruft es leider so gut wie niemand. Sonst werden die Verluste beziffert und die Fehler analysiert, d.h. wird mit begreiflicher Zufriedenheit konstatiert, dass außer den "allgemeinen", alle Zeitungen betreffenden auch "besondere Ursachen" vorliegen, wie etwa Herausgeber Werner D’Inka auf der FAZ-Titelseite schreibt (um, was das Allgemeinere betrifft, einen Aufruf an die "an die Gratismasche der digitalen Welt gewöhnte Gesellschaft" folgen zu lassen).
Die besondereren Ursachen aus den 90er und Nuller Jahre bringt am pointiertesten (oder zumindest pointierter als der von Arno Frank für die TAZ interviewte DJV-Vorsitzende Michael Konken) der gern befragte Zeitungswissenschaftler Horst Röper im DPA-Interview auf den Punkt:
"Die Schwierigkeit war, eine Zeitung überregional zu führen, die aber überregional nicht die große Leserschaft hatte, also eigentlich im Kern eher eine regionale Zeitung ist; diese aber bundesweit anbieten zu müssen, mit einem dementsprechenden Kostenapparat."
Zurück ins Jahr 2012: Vor gestern hatte die FR-Krise zuletzt etwas größere Öffentlichkeit Anfang dieses Jahres erfahren, als die Gesellschafter beschlossen hatten, bis 2015 weitere 25 Millionen Euro "zur Verfügung zu stellen". Anschließend seien die Gesellschafter davon überrascht worden,
"dass die Verluste mit dem zweiten Quartal 2012 quasi zu 'galoppieren' begannen",
formuliert der Tagesspiegel. "Jeden Tag, den die gedruckte FR erscheint, macht sie einen Verlust in fünfstelliger Höhe", würde Steffen Grimberg, langjähriger FR-Krisen-Analytiker, in der TAZ sagen, und:
"Der Tod kam, weil der Mut zu spät kam."
Ja, hätte denn Mut zur rechten Zeit denn geholfen? Nicht unbedingt, schließlich können "Mut und irrationale Hartnäckigkeit" auch "nah beieinander" liegen (um kurz zum Thema Prinz, aber nicht aber aus der TAZ weg zu schalten).
Zurück zur Zukunft der FR: Caspar Busse und Marc Widmann, das Krisenberichterstattungs-Team der Süddeutschen, schreibt selbst: "Die Aussichten sind alles andere als rosig", hat sich das anonym aus der Belegschaft aber noch härter formulieren lassen:
"'Hier rechnet keiner damit, dass die Zeitung in irgendeiner Form weitergeführt wird, die wird einfach komplett eingestellt, mit Stumpf und Stiel', heißt es aus der Redaktion."
Und der schon zitierte Horst Röper paraphrasiert in o.g. Interview gar circa dreimal innerhalb von fünf (Online-)Zeilen, dass er für die Rundschau keine Zukunft sieht:
"Ich sehe das leider so. Ja. Ich kann mir keine Auffanglösung vorstellen. Ich glaube nicht, dass irgendwelche anderen Verlage oder Investoren nun bereit wären, bei der 'Frankfurter Rundschau' einzuspringen. Dafür sind die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse über Jahre zu schlecht gewesen. Das ist äußerst bedauerlich. Aber ich kann mir in der Tat keine Zukunft vorstellen."
Also sehen wirklich alle außer den sich im eigenen Internetauftritt offiziell Betroffenen sehen die FR am Ende? Nein, Michael Hanfeld vom Lokalrivalen FAZ (dort auf S. 3) hat ein Herz:
"Für die 'Frankfurter Rundschau' besteht durch die Insolvenz wenigstens noch die Chance, dass andere an die Stelle der jetzigen Eigentümer treten. Wer sich um die deutsche Presselandschaft verdient machen will, er hätte in Frankfurt die Chance dazu. Auf die Redaktionsmannschaft, deren Leidensfähigkeit legendär ist und die man nur dafür bewundern kann, wie sie bei all dem täglich Blatt machte, dürfte er zählen."
Faktisch sehe es so dass, die FR "nun abhängig von den Entscheidungen des Insolvenzverwalters" sei.
Hanfeld weiß natürlich, dass Herz allein keine Zeitungen verkauft oder Klicks bringt. Daher hat er überdies einen Text über den bisher überall immer gern als Retter gefeierten, nun definitiv angezählten kölschen MDS-Verleger Alfred Neven DuMont beauftragt. Während Claudia Tieschky in der SZ (S. 31) diesem konzediert: "Er wollte die FR ... wirklich retten... Das Gerücht, er habe viel privates Geld dafür in die Hand genommen, ließ er unkommentiert. ... Aber er hat die Probleme ... unterschätzt", klingt der faz.net-Bericht über die Lage in Köln weniger unaufgeregt. Nicht zuletzt, weil Jan Hauser den aus dem Zeitungsbusiness länger abgetauchten Konstantin Neven DuMont ans Telefon bekam.
Eher Konsequenzen als in Köln dürfte die FR-Insolvenz aber in Berlin haben. Auch dort gab's gestern eine Betriebsversammlung, schließlich liefert die Berliner Zeitung ja den Mantelteil für die insolvente FR. Was ging auf dieser Versammlung ab?
"Unmittelbare Auswirkungen sind denkbar vor allem für die Redaktionsgemeinschaft, die mit knapp 30 Mitarbeitern vor allem die bundespolitische Berichterstattung sichert, außer für die FR auch für die 'Berliner Zeitung', den 'Kölner Stadtanzeiger' sowie für die in Halle erscheinende 'Mitteldeutsche Zeitung'. Die Redaktionsgemeinschaft wird bisher von der FR zu 40 Prozent finanziert. Teilnehmern zufolge sagte MDS-Vorstand Franz Sommerfeld in der Versammlung, die Gründung der Redaktionsgemeinschaft habe sich gelohnt, es gebe das Interesse, sie zu erhalten",
diese lauwarmen Worte übermittelt gerne der Tagesspiegel, also der Hauptkonkurrent der mitbetroffenen BLZ, im schon oben verlinkten Sammelartikel.
Und falls zählt, was Redakteure der betroffenen Blätter gestern schrieben, damit es heute in den gedruckten Ausgaben der Blätter erscheint: Die BLZ bringt auf ihrer gedruckten Medienseite eine Erklärung, die weitestgehend an die offizielle MDS-Erklärung angelehnt ist - und nur BLZ-Leser, die sich gut auskennen, erkennen lässt, wie eng BLZ und FR bislang miteinander zusammenhängen.
Das Schlusswort überm Strich soll Willi Winkler gehören, der auf der SZ-Medienseite 31 das historische Renommee der FR zusammenfasst:
"Den Abgesang auf diese heroische Zeit schrieb [der einstige FR-Feuilletonchef Wolfram] Schütte selber, als er 1999 eine ganze Zeitung von der Gretchenfrage bis zu Raddatz' geklautem Bahnhof nur mit Goethe füllte (und damit auch noch Anzeigen akquirierte!). Das traute sich nur die FR, die am erfolgreichsten war, als sie aus Überzeugung geschrieben wurde. Falls es wirklich aus sein sollte mit ihr, stirbt auch das erste und letzte Gebot des Journalismus, nämlich dass er mehr sein sollte als ein Gewerbe."
Altpapierkorb
+++Jetzt Arten von Prinz-Nachrufen: Arno Frank, der das o.e. liebe Konken-Interview zur FR für die TAZ führte, gibt dem sterbenden Stadtmagazin auf SPON Saures: "Die 'Mutter aller Stadtmagazine' war eigentlich schon immer nutzlos. Ihr Verschwinden ist eine Chance für echte, verwurzelte Regionalhefte". +++ Dass ein solches, eins mit Namen Meier, gerade auch eingestellt wurde, hatte Renè Martens gerade im Altpapierkorb erwähnt - und erwähnt es auch heute in der TAZ. Er beweist zumindest Herz für die "50 festangestellten Redakteure, die aus der gesamten Republik in der Verlagszentrale Hamburg-Winterhude antanzen mussten", um dort "die deprimierende Neuigkeit mitgeteilt" zu bekommen. Aus diesem Artikel stammt auch der schon zitierte Satz über die Nachbarschaft von Mut und irrationaler Hartnäckigkeit. +++ Und falls Sie oben nicht zur Jahreszeitenverlag-Pressemitteilung geklickt haben: Die läuft gemäß alter Manager-Schule ernsthaft unter dem Titel "Multimediale Neuausrichtung der Marke ...". ("... digitale ...-Produktfamilie und Magazinreihe ... werden ausgebaut, die monatliche Printausgabe wird deshalb nicht fortgesetzt"), wozu Martens ebenfalls Einschätzungen liefert. +++
+++ Auf der vermischten Feuilleton/ Medien-Seite der BLZ dreht Ulrike Simon die aktuelle Spiegel-Medienstory (siehe Montags-Altpapierkorb) über Gruner+Jahr weiter und stieß auf
"eine Reihe weiterer grenzwertiger Fälle und klarer Verstöße gegen das im Pressekodex verankerte Trennungsgebot", z.B., was das "perfekte Wohlfühl-Wochenende" einer Brigitte-Ressortleiterin in einem saarländischen "Romantik-Hotel" betrifft. +++
+++ Eine Form der Zukunft des Journalismus: eingebettete, also embedded Blogs. Für das, was Wolfgang Michal neulich prophezeite, hat Vera Bunse, ebenfalls bei Carta, neue Beispiele unter Auto- und Foodbloggern gefunden. +++
+++ Der Tagesspiegel informiert auf seiner Medienseite über die Entwicklung rund ums "rechtskatholische" Portal kreuz.net und über die jetzt bundesverfassungsgerichtlich verbriefte Meinungsfreiheit, jemanden ggf. "rechtsradikal" nennen zu dürfen. +++
+++ "Der ruhende Pol in einer BBC, die dem Chaos anheimzufallen droht": Chris Patten, Vorsitzender des BBC-Trust, meint Christian Zaschke auf der SZ-Seite 4. +++ Hierzulande wieder am Laufen: der "Sachsensumpf"-Prozess (TAZ knapp). +++
+++ Gäbe es nicht die größeren Krisen, könnte auch das schon ein kleines Menetekel sein: die Schließung des Haupstadtbüros des Bonner General-Anzeigers (TAZ). Gerade weil viele Bonner ja in Berlin arbeiten bzw. umgekehrt, "darf die Entscheidung schon Verwunderung auslösen", meint Markus Ehrenberg im Tsp. und Michael Hanfeld in der FAZ. Letzterer weist daraufhin, dass der heute hier schön öfters erwähnte MDS-Verlag "seit ein paar Jahren mit achtzehn Prozent beteiligt ist" an dem Blatt. +++
+++ Und beim Stern, der renommierten Illiustrierten von der Waterkant, sind sie auch gerade ziemlich durch den Wind, wie Stefan Niggemeier in seinem Blog darlegt. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.