Nazis immer besser

Zahlen wir Gebühren auch dafür, dass faschistische Ästhetik rehabilitiert wird? Außerdem auf der Agenda: Lou Reed droht einem Interviewer Prügel an, die Pro-Sieben-Talkshow „Absolute Mehrheit“ macht mit prominenten Nicht-Gästen Schlagzeilen, und über den neuen Lars-Becker-Film „Geisterfahrer“ herrscht Uneinigkeit.

Wenn sich Medienkritiker über etwas einig sind, dann darüber, dass die Substanz von Polit-Talkshows eher gering einzuschätzen ist. Andererseits werten Journalisten das Genre durch hyperinflationäre Frühkritiken auf. In Anbetracht dieser mit dem Begriff Hassliebe vielleicht nicht völlig falsch skizzierten Beziehung erstaunt es kaum, dass eine neue Talkshow gerade recht viel Aufmerksamkeit dadurch erregt, dass bekannt wird, wer nicht in der Sendung auftritt. Der wichtigste Nicht-Gast unter mehreren bekannt gewordenen Nicht-Gästen in Stefan Raabs am Sonntag bei Pro Sieben startender Polittalk- und Gewinnspielshow „Absolute Mehrheit“ ist Bundesumweltminister Peter Altmaier. Ein Politiker sagt die Teilnahme an einer Sendung ab? Das ist eigentlich nur ein Sack Reis. Aber es werden dann doch ein paar Säcke mehr daraus, wenn ein Politiker nicht etwa absagt, weil ihm gerade noch rechtzeitig eingefallen ist, dass bei ihm am Sonntagabend die Skatkumpels vorbeischauen. Altmaier hat abgesagt, weil die Redaktion von „Absolute Mehrheit“ verbreitet hat, er habe sie dazu angehalten, einen anderen Politiker, nämlich den Grünen Volker Beck, wieder auszuladen (siehe Altpapier).

„Es wäre ein Medienskandal erster Güte“, wenn es „stimmen würde“, dass Altmaier das getan hat, meint süddeutsche.de. Wie es wirklich war, erfahren wir heute aus der Perspektive eines „Sprechers des Ministers“, im Tagesspiegel zum Beispiel:

„Mit der Redaktion der Pro-Sieben-Sendung sei verabredet gewesen, dass Altmaier entweder auf Hannelore Kraft oder Andrea Nahles treffen werde. Nur auf Nachfrage habe der Sprecher später erfahren, dass daraus nichts werde, die Rede sei daraufhin von Volker Beck und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann als möglichen Gästen gewesen. Nachdem Beck bereits zugesagt habe, habe die Redaktion allerdings von sich aus entschieden, ihn nicht mehr dabeihaben zu wollen - aber offensichtlich nicht den Mut gehabt, diese Entscheidung zu vertreten. Offensichtlich sei deshalb gegenüber dem Büroleiter Becks der Eindruck erweckt worden, Umweltminister Altmaier habe auf die Ausladung gedrängt.“

Der namenlose Sprecher spielt auch im übrigens am Ende sandalenträgerfeindlichen Artikel von süddeutsche.de eine tragende Rolle:

„Altmaiers Sprecher erklärte der SZ, der Minister habe Raab vor mehr als zwei Wochen unter völlig anderen Voraussetzungen zugesagt. Ihm seien damals die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) oder alternativ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles als Gesprächspartner versprochen worden (...) Stattdessen sei der eher unbekannte Linken-Politiker Jan van Aken eingeladen worden. Daraufhin habe er angemerkt, dass doch bitte Talk-Gäste ‚von ähnlichem Kaliber‘ wie ein Bundesminister eingeladen werden sollen.“

Die taz formuliert letzteren Sachverhalt so:

„Der Umweltminister forderte daraufhin gleichwertige Gegner.“

Puh, alles bestens also. Von einem „Medienskandal erster Güte“ (s.o.) kann keine Rede sein, denn Altmaier bzw. sein Sprecher hat nicht darauf hingewirkt, dass Gäste ausgeladen werden, sondern nur darauf, dass Gäste eingeladen werden, die dem Herrn Minister „gleichwertig“ sind. Das ist doch ein himmelweiter Unterschied!

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Bei den Öffentlich-Rechtlichen wird man derweil froh darüber sein, dass mal in den Blickpunkt gerät, dass Politiker auch versuchen, auf die Programmgestaltung beim privaten Fernsehen Einfluss zu nehmen. In  zwei Texten geht es heute dennoch um Politiker und das öffentlich-rechtliche Fernsehen, in beiden unter anderem konkret um den ZDF-Verwaltungsrat. Der Tagesspiegel stellt klar, dass eine Aussage, die Ernst Elitz, einer der Lieblings-Hallodris des Altpapier-Teams, kürzlich ebd. in einem Interview machte („Man muss mal mit der Legende aufräumen, dass der Verwaltungsrat des ZDF mehrheitlich mit Politikern besetzt ist. Gegen die Verlängerung des Brender-Vertrages haben nicht nur Politiker gestimmt, sondern auch Vertreter von Verbänden etc.“) sich als Mumpitz herausgestellt hat. Und die Funkkorrespondenz macht darauf aufmerksam, dass derzeit einer der fünf von den Bundesländern im Verwaltungsrat zu besetzenden Plätzen vakant ist. Ein Sitz frei ist laut FK derzeit auch im anderen ZDF-Aufsichtsgremium, dem Fernsehrat. Der Grund: Die seit Mai amtierende saarländische Regierung hat noch keinen Vertreter berufen. Ganz so wichtig ist das ZDF also doch nicht.

[+++] Wer Nachrichten über freie Sessel in Talkshows und leere Stühle in ZDF-Gremien als ein bisschen zu grau empfindet, freut sich vielleicht darüber, dass die FAZ heute eine der besten Medienseiten ihrer jüngeren Geschichte der letzten Monate präsentiert. Hauptverantwortlich dafür ist die Schriftstellerin Sarah Khan, die gerade den ersten Michael-Althen-Preis für Kritik bekommen hat. Sie hat sich unter Design-, Kostüm- und Ausstattungsaspekten mit dem Teamworx-Schinken „Rommel“ beschäftigt und kommt dabei zu einigen allgemeingültigen Aussagen.

„Die Nazis sehen im deutschen Historienfilm viel zu gut aus (...) In Deutschland hat man sich entschieden, dass der saubere, glatte, polierte Look der natürliche Look der Nazis ist.“

lauten Khans Kernthesen. Sie schreibt weiter:

Gekonnte Sauberkeit und Frisiertheit ist eine Konvention im deutschen Filmgenre ‚Nazifilm‘, die zuletzt wieder beim ARD-Fernsehfilm ‚Rommel‘ zum Zuge kam. Sie entwickelt als Bildsprache eine Dynamik, die sich von einer auf Realismus und Faktizität gegründeten Inszenierung entkoppelt und sogar den guten Willen zur aufgeklärten Erzählung sabotieren kann.“

Bei einem Film, den Nico Hofmann, der Großmeister der Gegenaufklärung, produziert hat, ist mit einer „aufgeklärten Erzählung“ zwar sowieso nicht zu rechnen, aber abgesehen davon, könnte das vielleicht sogar der einstige Nazijäger und Nazi-Kostümfilm-Fachmann Dietrich Kuhlbrodt („Deutsches Filmwunder. Nazis immer besser“) unterschreiben. Und möglicherweise auch dies:

„Der historisch-realistische Look rehabilitiert eine faschistische Ästhetik, indem sie die Kraft von Ledermänteln, gebügelter Uniformen, ausrasierter Nacken, Messerschnitte und blendend weißer Haut nicht bricht. (...) So kommt es, dass unsere Nazis aussehen dürfen, wie sie es wohl im Ideal intendierten, was ihnen aber im Krieg und in Ermangelung von 48-Stunden-Deos und laufend Warmwasser wohl nie ganz gelang.“

Ärgerlich ist allein, dass dieser fulminante, online derzeit nicht frei zugängliche Text über die öffentlich-rechtliche Fascho-Ästhetik-Rehabilitierung namens „Rommel“, dass also der klügste Text zu diesem Film erst mehr als eine Woche nach der Ausstrahlung erscheint.

[+++] Der zweite außerordentlich starke Text auf der FAZ-Medienseite stammt von Tim Tolsdorf, er würdigt  den bisher unbekannten Michael Heinze-Mansfeld, der als einer der Pioniere des investigativen Journalismus in des Bundesrepublik gelten kann - dank einer Serie, in der 1951 in der Frankfurter Rundschau „die braune Vergangenheit vieler deutscher Diplomaten“ enthülle, sowie im Jahr darauf einer Stern-Reportage „über inhumane Methoden in einer Nervenklinik“.

[+++] „Die Täter hinter der Tastatur“ ist nicht gerade eine unreißerische Headline, und er lohnt sich dennoch, der Text, den Ingrid Brodnig für das Wiener Magazin Falter darüber geschrieben hat, wie die österreichischen Medien mit User-Kommentaren umgehen - und was das eigentlich für Leute sind, die einen großen Teil ihrer freien Zeit für Meinungsäußerungen unter Pseudonym aufwenden. Brodnig schreibt:

„Wer sich bei der Kleinen Zeitung registriert, muss mittlerweile eine gültige Handynummer angeben. Die Presse hat nun bekanntgegeben, dass Postings ohne Registrierung nicht mehr möglich sind. Der Standard führt in Kürze sogenannte „Poster-Profile“ ein, die Aktivitäten der User transparenter machen sollen. (...) Wie sehen das die Poster selbst? Was treibt die Menschen dazu an, hunderte Stunden in Foren zu verbringen und sich dauernd Scharmützel zu liefern?“

Eine Frage, die so leicht nicht zu beanworten war, denn:

„Selten war eine Recherche so schwierig: Es dauerte Wochen, um genügend Interviewpartner zu finden. Fast alle von ihnen forderten Anonymität – und noch mehr als das: Viele Gespräche konnten nur unter der Zusage stattfinden, dass ihre Identität verschleiert wird. Für eine Journalistin ist das eine skurrile Situation: Man sitzt im Wohnzimmer einer Person, spricht über ihr Leben und kann nahezu nichts davon verwenden. Es herrscht Geheimhaltung, als würde man den Angehörigen eines Zeugenschutzprogramms interviewen.

Aus deutscher Sicht ist noch interessant, was Christian Burger, der Community Manager des Standard, sagt:

„Wenn wir wie die Zeit jedes Posting manuell prüfen würden, bräuchten wir siebenmal mehr Personal.“


ALTPAPIERKORB

+++ Der Medienjournalistenliebling der Stunde dürfte Nate Silver sein. Sebastian Dörfler preist im FAZ-Feuilleton den „begnadete Statistiker“ und Blogger der New York Times, der die Wahlergebnisse in allen 50 US-Bundesstaaten vorausgesehen hat und dessen Prognosen künftig womöglich „Terroranschläge und Umweltkatastrophen verhindern“. Siehe auch Guardian.

+++ In einer abschließenden Betrachtung zur hiesigen US-Wahlberichterstattung macht Dietrich Leder in der Funkkorrespondenz eine auch darüber hinaus zutreffende Bemerkung: „Es ist vollkommen absurd, wie das Fernsehen sich derzeit geradezu zwanghaft abmüht, sich der Dienste von Twitter oder Facebook zu bedienen, ohne zu bemerken, dass es so an seiner eigenen Abschaffung arbeitet.“

+++ Ein anderes Indiz für die seltsame Beziehung mancher TV-Macher zu Twitter: Der NDR versucht seine Zuschauer dazu zu animieren, Meinungen zum 17-stündigen Dokumentationsprojekt „Der Tag der Norddeutschen“ zu twittern, indem man diesen verspricht, die Tweets im Videotext (!) zu veröffentlichen. Vielleicht ist das aber auch nur ein weiteres Indiz dafür, dass der Videotext „nicht totzukriegen“ ist (Altpapier neulich)

+++ Dafür, dass große Künstler manchmal auch große Arschlöcher sind, gibt es einige Beispiele. Ein aktuelles liefert Lou Reed. Klaus Walter berichtet im SZ-Feuilleton (Seite 15) von einem Interview, in dem Onkel Lou auf Fragen zum Thema Queerness „wie ein 12 -Jähriger“ reagiert bzw. mit Aussprüchen wie „Don"t ask me questions like that or next time I''ll hit you und „You can fuck yourself!“. „Dann wolle er bestimmt auch keine Fragen über die Bedeutung seiner jüdischen Herkunft für seine Kunst . . . ‚No!' Reed steht auf. ‚You won"t hit me, asshole!', kann ich mir dann doch nicht verkneifen. ‚Wie weit willst du das noch treiben?' gibt er zurück. Und verschwindet.“

+++ Paywalls sind in dieser Woche das „Disko“-Thema in der Jungle World. Fabian Sänger findet sie gut, Andreas Gebhard meint dagegen: „Mit der Einführung von Bezahlschranken graben die Verlage sich selbst das Wasser ab. Dass sie dabei auch noch schlau tun, hat etwas Tragikomisches.

+++ In der taz blickt Daniel Bouhs voraus auf die an diesem Wochenende in Hamburg stattfindenden Jugendmedientage, bei der Ulrich Wickert eine Keynote unter dem Motto „Greenpeace for the mind“ zu halten gedenkt.

+++ Noch mehr arbeitslose Journalisten: Meier, das Stadtmagazin für Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen, wird eingestellt, obwohl es dem Mutterkonzern, der Medien-Union, allzu schlecht nicht gehen dürfte (Rheinneckarblog).

+++ Im Iran ist der regimekritische Blogger Sattar Beheshti während eines Verhörs bzw. „an den Folgen massiver Folter“ gestorben  (Basler Zeitung). Siehe auch France 24.

+++ Schön zu lesen heute, dass sich die Fachkräfte, die sich mit Lars Beckers Film „Geisterfahrer“ (arte) auseinandergesetzt haben, überhaupt nicht eini sind. Uwe Ebbinghaus (FAZ) schreibt, der Film über zwei in kriminelle Turbulenzen geratene, Rettungssanitäter, sei „dort am stärksten, wo er den Wahnwitz einer Helfertätigkeit am Rande von Leben und Tod zeigt (...) Und selbst die arg beschleunigte Entwicklung, welche die Hamburger Jungs hin zur Kriminalität vollziehen, trägt zuweilen soghafte Züge. Das Burleske des arg konstruierten Falls nimmt den guten Ansätzen aber letztlich ihre menschliche Durchschlagskraft. Gar nichts abgewinnen kann Michael Bitala (SZ, Seite 35) dem Film. „Schlampiges Werk“ und „völliger Unfug“, lauten seine Urteile. Aus dem Häuschen dagegen: Thomas Gehringer (Tagesspiegel), der sich darüber freut, dass Becker „jenseits seiner ‚Nachtschicht‘-Reihe, diesen Mix aus Thriller und Großstadt-Ballade freier erzählen kann“, und tittelbach.tv (unter anderem wegen des „exzellenten Soundtracks“).

+++ Neue Serien, die in den USA gerade anlaufen, stellt Franz Everschor in der Funkkorrespondenz vor. Vielsversprechend scheint „Last Resort“ (ABC) zu sein: „Andre Braugher (der einstige Detektiv Pembleton aus ‚Homicide: Live on the Street‘, NBC) ist Kapitän des mit Nukleartorpedos bestückten U-Boots ‚USS Colorado‘. Vor der Küste von Pakistan erhält er durch unorthodoxe Kommunikationskanäle die Order, Ziele in Pakistan anzugreifen (...) Der Kapitän weigert sich, der Anweisung Folge zu leisten. Daraufhin wird sein Boot wegen der Befehlsverweigerung von der eigenen Seite angegriffen und muss in den Hafen einer äquatorialen Insel flüchten. Teils ‚Crimson Tide‘, teils ‚Hunt for Red October‘, etabliert der Pilotfilm die im Fernsehen ungewöhnliche Story mit ebenso ungewöhnlicher Perfektion und Spannung.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.