Dass die Live-Ticker so schlecht sind, ist nur ein Problem des hiesigen Onlinejournalismus. Außerdem auf der Agenda: Glückliches Küchenpersonal bei Gruner + Jahr, Jackeninnenfutter-Spartenkanäle, Metamediales zum Hurrikan Sandy. Und natürlich „Breaking Bad“.
Zu begründen, warum „Breaking Bad“ ein Meisterwerk ist, ist eine ehrenvolle Aufgabe. Aber auch eine diffizile, weil diesbezüglich schon allerlei Arbeit geleistet worden ist. Was also tun, wenn es einen aktuellen Anlass gibt für eine Würdigung, wenn also, wie heute, die vierte Staffel im hiesigen Free-TV startet?
Die SZ (Seite 32) und Die Welt haben sich für Interviews entschieden, denn Interviews gehen ja immer, wie man gerade während des Rummels um „Rommel“ (lustigster Tweet zur gestrigen Ausstrahlung hier) beobachten musste. Die Münchener sprachen mit Hauptdarsteller Bryan Cranston („Nie zuvor sah man eine Hauptfigur, die sich so radikal verändert!“), bei Springer hat man sich für den Serienerfinder Vince Gilligan entschieden. Der sagt:
„Ich denke oft an Billy Wilder, und ich denke an das alte Studiosystem. (...) Damals war ein Drehbuchschreiber beim Studio fest unter Vertrag, und seine Bücher wurden ins Kino gebracht, wenn sie fertig waren. Was dem heute am nächsten kommt, ist das Fernsehen. Man steht unter Vertrag, und was man schreibt, kommt jede, jede Woche ins Fernsehen, Folge für Folge. Das ist wundervoll, näher kann man an Old Hollywood nicht herankommen.“
Dem Tagesspiegel muss man zugute halten, dass er sich nicht für die einfachste Lösung, also das Interview, sondern für einen Fließtext entschieden hat. Barbara Sichtermann hat die Aufgabe übernommen. Zwei schöne Thesen seien hier herausgegriffen:
1) „Die Macher von ‚Breaking Bad‘ (BB) haben alle Zeit der Welt. Und das Geniale bei ‚BB‘ ist, dass diese Zeit nicht verplempert wird durch Breittreten des Stoffs, sondern gefüllt durch die Erfindung poetischer Spannungsträger.“
2) „Dass alles mit allem zusammenhängt, ist bei ‚BB‘ keine wohlfeile Behauptung, sondern ein mit großer Kunst hergestelltes erzählerisches Gewebe.“
[+++] Vom amerikanischen Qualitäts-Fernsehen der Gegenwart zum „Fernsehen der Zukunft“. So lautet der Titel eines Specials bei freitag.de, das teilweise auch in der Print-Ausgabe zu finden ist. Beteiligt ist Altpapier-Autor Klaus Raab, der sich der Frage widmet, was wäre, wenn es Fernsehen auf Abruf bereits gäbe.
„Es wäre das Ende der Dritten Programme. Jedenfalls wie wir sie kannten“,
lautet eine seiner fünf Thesen. Wenn man wollte, könnte man aus der Erläuterung auch Programmreformen für die Gegenwart ableiten:
„Theorie: Die Dritten Programme der ARD sind regional ausgerichtet. Praxis: Sie sind es nicht. Langsame Reportagen über den letzten Schmied von St. Engelberg gibt es, klar. Aber in weiten Teilen der Dritten werden Bilder von Leuten gezeigt, die ein Weinglas heben und auf undefinierbaren Wanderwegen gesamtdeutsches Volks-gut singen. Es gibt Ratgebersendungen zu Hämorrhoiden und Heilpflanzen, man unterhält sich über Blumen und über Jackeninnenfutter. Die Dritten sind weniger Regional- als Seniorensender. Und für ältere Leute muss es auch Programme geben, klar. Aber man braucht nicht alle Dritten dafür. (...) Die theoretische Vielfalt, die die Dritten herstellen, ist praktisch keine. Ein gemeinsamer Liedgut- und ein gemeinsamer Jackeninnenfutter-Spartenkanal würden personelle und finanzielle Ressourcen schaffen, die – Veränderungsbereitschaft vorausgesetzt – besser genutzt werden könnten. Für diverse echte Regionalspartenkanäle, zum Beispiel.“
[+++] Das, neben „Breaking Bad“, zweite große Thema auf der SZ-Medienseite ist die Großwetterlage bei Gruner + Jahr. Lisa Priller-Gebhardt und Katharina Riehl haben mit natürlich ungenannt bleibenden Verlagsleuten gesprochen, die nicht der Auffassung sind, dass der Verlagsgruppen-Geschäftsführer, Mehrfach-Chefredakteur und Mehrfach-Herausgeber Stephan Schäfer übers Wasser gehen kann. Bei ihnen
„hat Schäfers Berufung in die Geschäftsführung eine mittlere Glaubenskrise ausgelöst, viele befürchten eine engere Verknüpfung von Redaktion und Geschäft“.
Die Formulierung „engere“ scheint hier angebracht zu sein, denn die bisher praktizierten „Verknüpfungen“ lassen sich nicht unbedingt als locker bezeichnen:
„In Heft 10/2012 von Essen & Trinken zum Beispiel verweist das Inhaltsverzeichnis inmitten der bebilderten Anrisse von verschiedenen Beiträgen auch auf eine Anzeige eines Sektherstellers - die finde sich auf Seite 82. Das Wort ‚Anzeige' ist zwar am oberen Rand zu lesen, aber Anmutung und Schriften ähneln den anderen Themenanrissen auf der Inhalts-Seite schon sehr. Kann ein Leser da noch zwischen Inhalt und Werbung unterscheiden? Der Verlag erklärt, die Trennung zwischen Redaktion und Anzeige sei gewährleistet, weil diese 'als Anzeige klar und deutlich gekennzeichnet' sei.“
Welche Veränderungen „der offenbar sehr belastbare Schäfer“ (Hamburger Abendblatt) gerade bei der Brigitte ausgeheckt hat, kommt in dem Artikel auch zur Sprache. Damit beschäftigen sich auch die Branchendienste. Meine Lieblingspassagen aus den betreffenden Artikeln lauten: „Nicht geschlossen wird die Brigitte-Küche. Allerdings müssen sich die Fotografen und Köche auf einen Umzug einstellen. Denn sie sollen zusammen mit den Kollegen von Essen & Trinken eine neue Großküche beziehen“ (meedia.de). Beziehungsweise: „Künftig wird die Versuchsküche von Brigitte mit der von Essen & Trinken verschmolzen. Alle Arbeitsplätze aus beiden Küchen sollen erhalten bleiben“ (wuv.de). Wie schön ist doch das Leben als Küchenpersonal! Wenn Redaktionen „verschmolzen“ werden, bleiben ja nie alle Arbeitsplätze erhalten. Der nun angekündigten Teil-Verschmelzung von Brigitte mit Living at home fallen auch ein paar Redakteurinnen zum Opfer.
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[+++] Was aus G+J geworden wäre, wenn heute dort in den oberen Etagen Christoph Keese mitmischte, ist eine nicht ganz reizlose Frage, denn Springers heutiger Außenminister war ganz früher, Ende der 80er Jahre, ja mal Vorstandsassistent und Pressesprecher am Baumwall - und später auch Chefredakteur, wenn auch, wie langweilig!, nur bei einem Titel gleichzeitig, nämlich der Financial Times Deutschland.
In der Debattenreihe der Funkkorrespondenz zum „Strukturwandel der Medienpolitik“ plädiert Keese, der große Netzgemeindeliebling, heute „für eine moderne Ethik im Internet“. „Der Verantwortungsbegriff“ komme „zu kurz“, meint Keese. Er steigt mit einem recht kühnen Vergleich ein:
„Netzpolitik ist heute nicht weniger anspruchsvoll als zum Beispiel die Verkehrspolitik in den 1970er Jahren, bei der es damals darum ging, der extrem schnellen Durchdringung der Gesellschaft mit einem neuartigen technischen Gut – dem Auto – irgendwie Herr zu werden und dabei so gut wie möglich Schadensbegrenzung zu vermeiden, ohne die unbestreitbaren Vorteile des Autos durch Überregulierung zu verringern. Damals erreichte die Zahl der Verkehrstoten von Jahr zu Jahr neue Höchststände. Auf den Straßen starben Tausende von Unschuldigen, und mehr und mehr wuchs die Einsicht, dass man ihren Tod nicht einfach als Preis des Fortschritts abbuchen konnte, sondern versuchen musste, Autoverkehr so zu organisieren, dass der Eingriff in die Rechte von Dritten minimiert würde.“
Der eine oder andere Keese-Exeget könnte daraus die Hoffnung ableiten, dass es dem Verlagsmanager vielleicht mal irgendwann mal zu langweilig wird, in Friedes Namen auf Internetfuzzys herumzuhacken, und er dann lieber irgendwas mit Verkehrspolitik macht. Offen bleibt, wer die unschuldigen Toten des nicht-überregulierten Internets sind. Auf den Straßen starben 2011 übrigens 4.000 Menschen, wobei die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind, und zwar zum ersten Mal seit Ewigkeiten.
Am Ende des Textes stehen sieben „Vorschläge für ethische Grundsätze im Internet“. Einer davon lautet,
„Marktbeherrschung nicht zum eigenen Vorteil ausnutzen“.
Sehr putzig, dass das jemand aus einem Laden sagt, der es nicht selten verstanden hat, „Marktbeherrschung“ zu seinem „Vorteil auszunutzen“, aber, okay, das war ja nicht im Internet.
[+++] Kein Mangel herrscht an Metabetrachtungen zum Thema Sandy. Poynter fordert, dass bei solchen Katastrophen konkurrierende Medien auf ähnliche Weise kooperieren sollten wie Behörden und andere staatliche Institutionen. Eine besonders knappe Form der Sandy-Berichterstattungskritik findet man im Blog Fifty Grades of Che (den ich allein wegen des Namens gern öfter zitieren würde). Ausführlicheres steht bei The News International:
„That 69 were killed in the Caribbean (...), where Hurricane Sandy battered Haiti (52 dead) and Cuba, does not seem to bother either the ‘global media’ or any ‘independent’ media outlet here in Pakistan.“
Ja, Pakistan. Aber auch bei der Berichterstattung hier zu Lande sind die Verwüstungen und die Todesopfer in der Karibik ja eher ein Nebenaspekt.
[+++] Eine gewisse US-Fixiertheit auf einem anderem Feld konstatiert Anne Roth bei Carta. Sie wundert sich darüber, dass
„arme Figuren morgens um 4 Nachtschichten schieben (müssen), um noch mehr Aktualität zu simulieren. Wer braucht denn einen ‚Ticker‘, der eine Debatte der Präsidentschaftskandidaten kommentiert? Wenn mich das interessiert, kann ich es mir selber angucken. Seit einer Weile wird uns simuliert, dass die Präsidentschaftswahlen so wichtig seien, als fänden sie hier statt.“
Das ist allerdings nur ein Aspekt eines instruktiven Textes, in dem es um die generell fragwürdige Qualität von Live-Tickern und um Missstände im hiesigen Onlinejournalismus generell geht.
ALTPAPIERKORB
+++ Die „Geschichte der politischen Lüge“ sei noch „jung“, nämlich „so alt wie die Massenmedien“, glaubt Constantin Seibt (Tages-Anzeiger), der das dritte Duell zwischen Barack Obama und Mitt Romney zum Anlass genommen hat in zwei Nächten eben diese Geschichte aufzuschreiben. „Politikern wird die Lüge von ihren Anhängern nicht nur als clevere Taktik verziehen, sondern sogar als Tatkraft angerechnet. Denn sie passt zum Geschäft: In der öffentlichen Sphäre werden nicht Wahrheiten verhandelt, sondern Meinungen“, schreibt Seibt unter anderem.
+++ Agnieszka Krzeminska kritisiert in einem bei Digital Media Women veröffentlichten Offenen Brief, dass für der von der Zeitschrift W&V veranstalteten Medienkonferenz Social Media Economy Days keine „Speakerinnen“ gebucht wurden. „Auch bei vergleichbaren Konferenzen wie der dmexco oder der Social Media Conference sind Speakerinnen leider immer noch in der Minderheit. Dass sich aber unter 30 Referenten keine einzige Vortragsrednerin befindet, finde ich doch sehr befremdlich.“
+++ Ach du Scheiße! „Online paid-content market poses threat to traditional advertising“, meldet der Guardian.
+++ Die BBC porträtiert den 26-jährigen Tumblr-Erfinder David Karp (via @dvg)
+++ Gibt es gerade ein Fanzine-Revival? Die taz blickt auf einen Kongress in Berlin voraus und stellt das Heft Brava_a vor, „eine satirische Queer-Bravo“. Die Prioritäten sind klar: „Einen Blog hat das Brav_a zwar auch, aber eher, um über das Heft zu informieren.“
+++ Ulrike Simon war für die FR und die Berliner Zeitung bei einer Veranstaltung des Bundestags mit dem Titel „Politische Talkshows – Information oder Inszenierung?“ Auf dem Podium: Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse und ARD-Chefredakteur Thomas Baumann. Den Titel findet Simon „allzu plakativ“. Ich finde ihn allzu schnarchig.
+++ „Der griechische Journalist Kostas Vaxevanis, der eine Namensliste mutmaßlicher Steuerflüchtlinge veröffentlicht hat, muss nicht in Haft“, berichtet die FR (mit dpa und AFP). Hintergründe dazu liefert die FAZ auf iher Medienseite (in einem vor dem Urteil geschriebenen Artikel): „Komisch: Die griechische Justiz, üblicherweise nicht eben für ihre Schnelligkeit bekannt, brauchte kaum 48 Stunden, um Vaxevanis zu verhaften und anzuklagen. (...) Ein Grieche, der heute gegen seine Entlassung klagt, bekommt beim Arbeitsgericht einen Termin im Jahr 2016.“
+++ Qualitätsjournalismus lohnt sich wieder, zumindest für Boeing-Experten, wie wir aus der FAZ (Seite 31) erfahren: „Jakob Strobel y Serra, Redakteur im Reiseblatt dieser Zeitung, erhält den Deutschen Journalistenpreis für Luft- und Raumfahrt 2012 in der Kategorie Print. Er wird für seine Reportage ‚Der kurze Traum vom Leben als Privatpassagier‘ ausgezeichnet, in der er die Überführung eines Flugzeugs aus den Boeing-Werken in Seattle nach Deutschland beschreibt.“ 5.000 Kröten kriegt der Preisträger.
+++ Thomas Stadler schreibt in seinem Blog Internet-Law über den von dem ihn nicht zu Unrecht als „bizarr“ bezeichneten „Zusammenhang zwischen Rundfunkgebühren und der Pflicht zum Depublizieren“: „Einerseits wird der Bürger über die Rundfunkgebühren gezwungen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit derzeit ca. 7,5 Milliarden EUR im Jahr zu finanzieren. Andererseits bedingt aber genau diese Gebührenfinanzierung nach Ansicht der EU-Kommission eine Wettbewerbsverzerrung zulasten der privaten Konkurrenz, weshalb dem Bürger die Inhalte, die er über seine Rundfunkgebühren finanziert hat, nur für kurze Zeit zur Verfügung gestellt werden dürfen.“
+++ Johannes Gernert zieht in der Zeit (Seite 29) eine 100-Tage-Bilanz des bisherigen Wirkens Marissa Mayers als Yahoo-Chefin. Warum sie „einen der schwierigsten“ Jobs „im Silicon Valley“ hat? Das Unternehmen habe ein „Identitätsproblem“, weil es „vieles auf einmal“ mache. Zudem: „Yahoo war nie ein aufregendes Start-up. Am Anfang stand ein solider Verwaltunsgedanke, wie er gut zu einem Bibliothekar aus Detmold passen würde.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.