Feuchtigkeitscreme ist kein Rohöl

Ein neuer Riesen-Giganten-(Buch-)Verlag, ein neuer (und ein bald ehemaliger) Tageszeitungs-Chefredakteur sowie die älteren Debatten rund um Pressesprecher, Talkshows, Piraten und dergleichen.

Zu den großen Künsten im Journalismus zählt diejenige des stimmigen Vergleichs, der Leserinnen und Lesern mit einem Bild aus ihrem eigenen Alltag verdeutlicht, was Sache ist. Heribert Prantl zum Beispiel versteht es immer wieder, so etwas aus dem Ärmel zu schütteln.  "Die Geldwäsche-Gesetze müssen in die Wäsche", schreibt er heute (zu einem der wenigen Themen, die nichts oder kaum etwas mit Medien zu tun haben) auf der Meinungsseite der Süddeutschen.

Große Vergleichs-Kunst, die etwas mit Medien zu tun hat, zieht sich heute aber auch durch die großen Zeitungen, und zwar weil gerade ein "neuer Superverlag" (SZ, S. 2), der "erste wirklich globale Publikumsverlag", also der "weltgrößte Publikumsverlag" (Zitate aus dem Wirtschaftsressort der FAZ) im Entstehen begriffen ist. Das heißt, die Buchverlagssparten von Bertelsmann aus Gütersloh und Pearson aus London wollen fusionieren (meedia.de).

Falls Sie nüchternere Einschätzungen der bislang bekannten Details lesen wollen, empfehlen wir Thomas Schulers Artikel in der Berliner Zeitung, dessen Begeisterung sich in der Aussage "Jetzt wird die Entwicklung wirklich global" eines Wiener Buchmarktberaters erschöpft, oder den von Gregor Dotzauer im Tagesspiegel-Wirtschaftsressort ("Die Konsequenzen der angekündigten Fusion sind so unabsehbar, dass die meisten darüber nur spekulieren können und sich nicht namentlich äußern wollen", schreibt er und verzichtet auch auf die Wiedergabe der meisten Spekulationen).

Mehr her machen beim raschen Lesen natürlich Formulierungen wie "Ostwestfalen, die Mitte der Welt" (Überschrift auf der SZ-Seite 2 zum Artikel, in dem Caspar Busse über den "Big Bang, der Bertelsmann wieder zur großen Nummer machen soll", berichtet) oder "weltweiter Superverlag" (ebd.). Hans-Jürgen Jakobs, dem wir hier in Kürze wiederbegegnen, erklärt die Logik der Fusion so:

"Es ist eine Zweckehe in einem Markt, der von den zwei großen Trends der Wirtschaft durcheinandergerüttelt wird: von der Digitalisierung und der Globalisierung. Anders als bei Joghurts oder Hemden oder Autos können hier die Produkte - getextete und bebilderte Inhalte - über das Internet auch zugestellt werden."

Müssen sich Verbraucher von Büchern angesichts der Fusion Sorgen über Qualität und Vielfalt des künftigen Angebots machen, wie das auf dem Automarkt wohl der Fall wäre? Nein, würde Johan Schloemann sagen:

"Leser interessieren sich nicht für Verlage. Käufer von Hautcremes, Nudeln oder Strumpfhosen wissen meistens ziemlich genau, von welcher Marke das ausgewählte Produkt stammt. Anders hingegen ist es bei den Käufern und Besitzern von Büchern: Sieht man ab von ein paar literarischen Afficionados und von den Profis der Buchbranche, so steht den Lesern viel weniger vor Augen, in welchem Verlag der Krimi oder das Kochbuch, wie es bezeichnenderweise heißt, erscheint. Man sagt ja nicht: Die Feuchtigkeitscreme 'erscheint' bei Nivea oder (um anstelle des Imprints den Großkonzern zu nennen) bei Beiersdorf. Und man sagt auch nicht: Die Penne rigate 'erscheinen' bei Barilla oder bei Buitoni. In wievielter Auflage?"

Schloemanns Artikel erschien - oder erscheint, wie auch immer in der schnelllebigen Echtzeitära die korrekte Formulierung für Tageszeitungen lautet - heute vorn auf dem Feuilleton der Süddeutschen.

"Für die Leser ist der Zusammenschluss nicht unbedingt eine gute Nachricht", ebenso wie für Autoren, würde indes Marcus Theurer in der FAZ-Wirtschaft sagen (S. 13, online ähnlich). Die FAZ widmet dem Thema ferner einen weiteren Wirtschafts-Artikel (S. 18), in dem weitgehend dasselbe steht, und im Feuilleton der mehr oder weniger geschluckten Marke Penguin Books einen von Gina Thomas aus London. Außerdem hat die FAZ Bertelsmann-Vorstandschef Thomas Rabe interviewt (S. 13 wiederum, nicht frei online). Es geht außer um Marktanteile und eventuelle Kartellamts-Einwände um kalifornische Online-Konzerne. Auf die Frage "Ist das Ganze eine defensive Reaktion auf die wachsende Marktmacht verlagsfremder Konzerne wie Amazon, Google und Apple?" antwortet Rabe:

"Es geht hier nicht darum, ein Gegengewicht zu Amazon zu schaffen. Wir werden auch in Zukunft mit Amazon als großem Kunden zusammenarbeiten."

Amazon wiederum hätte wie die genannten anderen Konzerne sicher gern jeden Endverbraucher und jedes Unternehmen als Kunden. Aber ob es selber gern Kunde sein möchte, gar auch noch großer Kunde? Da könnte die eigentliche künftige Konfliktlinie verlaufen.

Da nützt "die neu entstandene Machtbalance ... der gesamten Branche", meint Hans-Peter Siebenhaar im Handelsblatt, der metaphorisch nicht nur zu Johannes Gutenberg (Sein "Zeitalter ... geht nach mehr als einem halben Jahrtausend zu Ende") sowie in die Heimat der Metapher, ins alte Griechenland ausgreift ("Für Bertelsmann ... ist diese Transaktion endgültig der Aufstieg in den Bücherolymp"), sondern auch zu folgender conclusio gelangt:

"Die von Bertelsmann initiierte Fusion seiner Buchsparte mit Penguin ist nichts anderes als eine Wette, dass im Geschäft mit Inhalten auch in Zukunft niemand um die Verlage herumkommt. Die Wette kann aber nur gewonnen werden, wenn die Kreativität in einem fusionierten Megakonzern nicht unter die Räder kommt. Denn Kreativität ist das Röhol der Branche."

[+++] Was die Verlagsfusions-Einschätzer Hans-Peter Siebenhaar und Hans-Jürgen Jakobs künftig gemeinsam haben: den Arbeitgeber. Denn letzterer langjähriger Altpapier-Darling (siehe etwa das Altpapier zu Jakobs' 20 Thesen zum Zustand des deutschen Medienjournalismus aus dem November 2011, siehe etwa Jakobs' Geschenkpapier zum zehnjährigen Altpapier-Jubiläum) ist zum Chefredakteur des Handelsblatts berufen worden.

Das heißt, der bisherige Chefredakteur Gabor Steingart wird ab 1.1.2013 nicht mehr Chefredakteur sein, und das ist durchaus ein "spektakulärer Wechsel" (kress.de). "Steingart übernimmt Geschäftsführung", überschreibt der verlagsgesellschaftlich verwandte, also befangene Tagesspiegel seine Meldung. Die darin nicht bezifferte Rolle als neuer Minderheitsgesellschafter der Verlagsgruppe Handelsblatt beziffert kress.de auf eine bis zu fünf-prozentige.

Die schönsten Formulierungen, Erstaunen über die Beförderung des keineswegs sehr langjährigen Chefredakteurs auszudrücken, ohne gleich eine Einschätzung zu liefern, fand das Wirtschaftsressort der FAZ: "Mit einer überraschenden Personalentscheidung lässt die Verlagsgruppe Handelsblatt aufhorchen", steht dort: "Steingart, erst seit 2010 Chefredakteur der Wirtschaftszeitung 'Handelsblatt', wird diesen Posten niederlegen, um ...in die Geschäftsführung der Düsseldorfer Verlagsgruppe zu wechseln".

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+++ "Den Tritt in die Kniekehle des politischen Gegners beherrschte er nahezu perfekt...", charakterisiert die Medienseite der Süddeutschen ihren heutigen Interviewpartner, den ehemaligen hessischen Regierungssprecher Dirk Metz, der seinerseits heuzutage Kommunikationsberater ist und Besucher seiner Homepage mit einem "herzlichen Glückauf" willkommen heißt. Als Sprecher sprach Metz für Roland Koch, der medienpolitisch ja vor allem als Nikolaus-Brender-Abräumer bekannt geblieben ist. Darum geht's vor dem Hintergrund der jüngsten Affäre. In der Hinsicht ist das Interview nicht ungeheuer interessant, denn Metz bleibt loyal ("Der ZDF-Verwaltungsrat hat nach der Rechtslage Personalentscheidungen zu treffen...").

Was er zu Fragen rund um den Anruf des inzwischen ehemaligen CSU-Sprechers Hans Michael Strepp beim ZDF (siehe Altpapier) sagt, formuliert der Medienanwalt Ralf Höcker, der freilich auch kein ehemaliger Pressesprecher ist, bei vocer.org pointierter:

"Für Anrufe beim ZDF gibt es sogar eine ausdrückliche Regelung in § 15 Abs. 1 des ZDF-Staatsvertrages: 'Jedermann hat das Recht, sich mit Eingaben und Anregungen zum Programm an das ZDF zu wenden.' ... ...

Pressefreiheit und Meinungsvielfalt sind eher dann in Gefahr, wenn ein Pressesprecher sich nicht mehr traut, den eigenen Standpunkt klarzumachen."

Was Metz sagt, wird interessanter, wenn es ins Allgemeinere geht:

"Ich bin jetzt seit Jahrzehnten in der Welt der Kommunikation zuhause, und es ist nicht so, dass erst Twitter und Facebook diese Welt verändert haben. Bis Mitte der achtziger Jahre ..."

und dann folgen Sätze über die Entwicklung von immer mehr Fernseh-Programmen, dem Videotext und dann auch dem Internet. Interviewer Christoph Hickmann sagt: "Man kann es auch so sehen, dass die Politik transparenter geworden ist." Metz entgegnet:

"Nicht unbedingt, denn die Themen sind ja auch immer komplizierter geworden. Gleichzeitig wird erwartet, dass sofort ein Patentrezept, eine rasche Antwort auf jedes Problem geliefert wird, und für Fernsehen und Radio noch dazu in 15 Sekunden. Dieser Sofortismus ist von Übel. Komplizierte Fragen, und das muss nicht nur die der Präimplantationsdiagnostik sein, kann man in dieser Zeit nicht erklären. Wenn für nachdenkliche Sätze keine Zeit mehr ist, führt das natürlich dazu, dass öffentliche Äußerungen immer steriler und holzschnittartiger werden."

Womit wir quasi bei den Talkshows sind.
 


Altpapierkorb

+++ Die aktuelle Entwicklung, dass die ARD mindestens eine ihrer fünf werktäglichen Polit-Talkshows streichen wollen könnte (siehe Altpapier gestern) , beschäftigt erstens den Tagesspiegel. Der hat sich unter womöglich betroffenen Talkern umgehört und Sätze wie "Entschieden ist ja noch nichts. Aber sollten Quote, Qualität und Relevanz die kriegsentscheidenden Kriterien sein, mache ich mir keine Sorgen" (Anne Will) zu hören bekommen. +++ Die Entwicklung beschäftigt zweitens die FAZ, in der Michael Hanfeld erstens die Aktualität herausnimmt ("Wer bei der ARD etwas bewegen will, kann also nicht früh genug anfangen, um schließlich irgendwann ans Ziel zu kommen. Irgendwann, das wäre in diesem Fall Ende 2013, denn dann laufen bei einigen der Betroffenen die Verträge aus") und zweitens investigativ die Adresse der Hybris herausbekommen hat: "Wer sich mit den Themen der Talkshows und deren Zuschnitt und Themenkonjunktur beschäftigt, findet übrigens auch schnell heraus, wo die Hybris wohnt", schreibt er, und zwar wohne sie bei Frank Plasbergs Team, das der FAZ geantwortet habe: "Leider können wir Ihnen nicht weiterhelfen. Wir geben generell keine Informationen nachträglich über unsere Sendungen und Gäste heraus". +++

+++ Christoph Blocher, der "nationalkonservative Schweizer Politiker und Unternehmer" (Süddeutsche), will eine "Basler Zeitung nackt", kündigte er einer anderen Schweizer Zeitung, der Sonntagszeitung, an. +++

+++ Wie sich Piratenpolitiker am "arschkalten" Montag in Berlin zu entkleiden ankündigten, um Berichterstattung über Flüchtlinge im Hungerstreik anzukurbeln, schildert die TAZ: "Laura Dornheim kommt am Abend zuvor darauf. Sie verschickte an verschiedene Journalisten eine Twitter-Nachricht: 'Wer berichtet übers refugeecamp?' Ein Bild-Autor fragte zurück: 'Ist der Johannes Ponader da? Dann würde ich auch kommen.' Laura Dornheim: 'Verdammt, da hungern Menschen. Wenn es hilft, stell ich mich auch oben ohne hin.' Seine Antwort: 'Deal'." +++ Kommentierend springt Jan Feddersen ebd. den Piraten bei ("Wie in allen anderen Medien überwiegt in diesen Tagen auch in der taz, was die Piratenpartei anbetrifft, unfreundliche Skepsis bis hin zu hochnäsiger Belehrungsallüre"). +++ Ein aktuelles Exempel für Piraten-Skepsis bietet die Süddeutsche. +++

+++ Griechenland ist ein Super-Dauerthema in den Medien, selten jedoch auf Medienseiten. Heute berichtet auf der der TAZ Jannis Papadimitriou von der Verhaftung des Journalisten Kostas Vaxevanis, der im Magazin Hot Doc eine "Liste mit den Namen und Bankkonten mutmaßlicher Steuersünder, die 2010 von der damaligen französischen Finanzministerin und heutigen IWF-Chefin Christine Lagarde ihrem griechischen Amtskollegen Giorgos Papakonstantinou auf dem kurzen Dienstweg überreicht wurde und auf unerklärliche Art im Labyrinth der Bürokratie verschwunden sein soll", veröffentlichte. Nun drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis. +++

+++ "Wenn man heute Bilder betrachtet, die [Jimmy] Savile und [Gary] Glitter in ihren grotesken Outfits gemeinsam in Fernsehshows zeigen, umgeben von jungen Mädchen, dann wird einem ganz anders. Mit dem Wissen von heute wirkt es offensichtlich: Die grinsenden Glitzermänner, die Mädchen, es ist wie in einem Horrorfilm, in dem jeder Zuschauer das Böse sieht, nur das Opfer nicht, dem man zurufen möchte: renn!", heißt's auf der Seite 3 der SZ über den Missbrauchsskandal um den kürzlich verstorbenen BBC-Moderator. +++

+++ "Die folgende Sendung ist für Zuschauer zwischen vierzehn und neunundvierzig Jahren nicht geeignet", hieß es auf der Tele 5-Werbeshow mit Moderator Oliver Kalkofe, der die FAZ beiwohnte. +++

+++ Im "'Rommel'-Textbegleitungsendspurt" (siehe Altpapier) legt die TAZ nach. +++ Lief der Film schon, kommt er noch? Am Donnerstag ist's so weit. +++

+++ "Das spendenfinanzierte Recherchebüro Pro Publica ist aus der US-Medienszene nicht mehr wegzudenken" (BLZ). +++

+++ Aus deutschen Medien ist vor allem jeweils das nicht wegzudenken, womit die Käufer dieser Medien relativ nachweislich sympathisieren. Bzw.: "Wenn Medien grüne Themen pushen, dann geschieht das nicht nur aus ideologischen, sondern auch kommerziellen Gründen. Viele Medienkonsumenten, gerade der intelligenteren Medien, sind nun mal (potentielle) Grünen-Wähler, und die wollen bedient werden. Wenn in der 'Frankfurter Rundschau' seitenweise Texte über die 1968er zu lesen sind, in der 'Zeit' über fehlende Ausbildungschancen und Kinderkrippen, in der 'Welt' über den Unsinn des Sozialismus und in der 'Jungen Welt' über den Unsinn des Kapitalismus, dann wird damit immer auch der Leser bedient. Deshalb liest man in solchen Medien auch kaum je etwas Positives über die Unterschicht. Das sind nämlich keine potentiellen Kunden", schreibt Ronnie Grob bei medienwoche.ch. +++

+++ Und vielleicht lachen ja viele TAZ-Leser kräftig über die Liste derer ab, von denen die TAZ gern angerufen werden würde, nachdem Hans Michael Strepp sie niemals anrief. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.