Was die deutsche Mediengesellschaft immer noch zusammenschweißt: der Sonntagskrimi mit seiner anschwellenden Schar von Superstars, Empörung angesichts von durch Plumpheit bestechenden Versuchen, Einfluss auf öffentlich-rechtliche Berichterstattung zu nehmen.
Huch. Eine "ZDF-Affäre", die beim Online-Leitmedium Spiegel Online gestern zeitweise sogar ganz oben stand. Was ist denn da passiert?
Gestern hatte die Süddeutsche berichtet, dass am Sonntag Dr. Hans Michael Strepp, der exzellent erreichbare Leiter der CSU-Pressestelle, den diensthabenden Redakteur in der "heute"-Redaktion des ZDF angerufen habe, um einen Bericht über einen bayerischen SPD-Landesparteitag zu verhindern. Beim ZDF sei man "baff" gewesen, habe sich aber nicht an entsprechender Berichterstattung hindern lassen.
Genau so war es wohl. "Ein Dementi sieht anders aus" als das, was Strepp von sich gab, nach dem der Fall ins Rollen kam ("Die Berichterstattung des ZDF ist bekanntermaßen von einer Unabhängigkeit geprägt, bei der sich bereits jeder Gedanke an eine Beeinflussbarkeit verbietet... Sollte ein solcher entstanden sein, so möchte ich dazu mein Bedauern ausdrücken"). Und "Rückendeckung" sähe anders aus als das, was seine Vorgesetzten, vor allem Ministerpräsident Horst Seehofer, der just gestern auch einmal als Medienpolitiker performte, nämlich auf den heimatlichen Münchener Medientagen auftrat (siehe Altpapierkorb), Strepp zukommen ließ, fasst der Tagesspiegel zusammen.
Die heutige gedruckte Presse fährt die "Affäre" kleiner als SPON gestern, sieht ihn aber eindeutig. Die TAZ ist am relativ aufgeregtesten und wundert sich, "dass auf dem Lerchenberg nicht alle Alarmsirenen schrillten, als CSU-Sprecher Strepp versuchte, der Informationsfreiheit den Segen zu entziehen". Schließlich bleibe nun der Eindruck, "beim ZDF kann jeder Politiker einfach mal anrufen und versuchen, sich ein Programm nach seinen Wünschen zu bestellen. Wenn er Glück hat, kommt das nicht einmal raus."
Selbst die FAZ veräppelt in ihrem mittleren Politikressort die CSU mit einem Gerhard-Polt-Spruch (auf die Frage, "ob er tolerant sei...: 'Für meinen Bedarf g’langt’s.'"). Die Süddeutsche lässt die Aufregung weit hinten im Bayernressort ausklingen. Und für die Medienseite der Berliner Zeitung blätterte Ulrike Simon ihr Telefonbuch durch. Sie bekam den überall anderswo als prominentestes Exempel für Parteipolitik-Einflussnahme aufs ZDF nur erwähnten Ex-ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender an den Apparat. Der erinnere
"sich gut an derlei Anrufe zu Beginn seiner Zeit als ZDF-Chefredakteur. Nachdem er gedroht habe, diese Begehrlichkeiten öffentlich zu machen, seien sie später ausgeblieben. Insofern sei er froh, wenn solche Ansinnen scheiterten, sagte Brender und fügte hinzu: 'Es zeigt, wie wichtig die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sein wird'".
Das muss schließlich noch klären, ob die gern postulierte Staatsferne des ZDF in dessen aktueller Form überhaupt gegeben ist. Wem es aktuell übrigens gelungen sei, derlei Anrufer zum Verstummen zu bringen, ist nach eigenen Angaben ARD-aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke. Der "sagte der Berliner Zeitung, in seiner Redaktion habe Strepp nicht angerufen. 'Offenbar sind potenzielle Anrufer bei der 'Tagesschau' von der Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens überzeugt'".
Spätestens an dieser Stelle beginnt die Posse etwas merkwürdig anzumuten. Einerseits entfachte der Anruf erwartbare Empörung der üblichen Verdächtigen (selbstredend auch bei Michael Konken/ DJV; weitere Samples bei sueddeutsche.de) und bot dem aktuellen ZDF-Chefredakteur Peter Frey eine preiswerte Steilvorlage, seine überall zitierte Aussage "Wir senden, was wir senden, egal wer anruft. Die 'heute'-Redaktion hat ihre Unabhängigkeit bewiesen" anzubringen.
Andererseits lief er dem aktuellen Seehofer-Image diametral entgegen; schließlich entblödet sich die CSU nicht einmal, den unter Seehofer-Fans halbwegs bekannten Spruch "Das können Sie alles senden!" aus einem "legendären und fast schon kultigen Interview" (CSU-Shop) auf Notizbüchern (10,00 €), DIN A4-Schreibblöcken (14,00 €), T-Shirts (13,00 €) und Kugelschreibern (0,59 €; jeweils zzgl. Versandkosten) zu vermarkten.
Einer, dem die Sache "auf den zweiten Blick seltsam" vorkam, ist Lutz Kinkel aus dem stern.de-Hauptstadtbüro. Dass er nach allerhand Herumrätseln schon eine Erklärung für Strepps plumpen Aussetzer gefunden hat, kann man allerdings nicht behaupten.
[+++] Jedenfalls, das ZDF sendet, was es sendet. Darunter sehr viele Krimis, wie kürzlich etwa die rüstige ZDF-Krimiveteranin Hannelore Hoger beklagte (Und zurzeit übrigens so viele bayerische Krimiserien, dass man fast schon meinen könnte, da hätte ein Standortpolitiker beim Sender angerufen und Bescheid gesagt, wenn schon so viele Krimis liefen, wo gefälligst die gedreht werden müssten...). Aber schließlich muss sich das ZDF zumindest in Konkurrenz zur ARD behaupten, die schließlich ebenfalls eine gewaltige Menge Krimis ausstößt.
Womit wir beim zweiten Top-Thema "Tatort" sind. Als gestern im Altpapierkorb vom 501. Ermittler-Duo die Rede war, war dies eine polemische Übertreibung. In Wahrheit ist der "unerwartete Zuwachs", den die jahrzehntealte Krimireihe in Gestalt von Nora Tschirner und Christian Ulmen bekommt (wie es eine sehenswerte Pressemitteilung des zuständigen MDR neckisch umschreibt), unter den aktiven "Tatort"-Teams das 22.. Das hat die Süddeutsche errechnet:
"Es wird immer enger für die Ermittler-Teams des 'Tatort'. 15 sind schon im Einsatz, sechs weitere sind in Planung, und wenn es nach dem Bayerischen Rundfunk geht, sollen 2014 auch in Franken neue Kommissare zu sehen sein. Das sind dann 22 Teams für circa 35 Folgen pro Jahr."
Die Enge rührt daher, dass die "Tatort"-Erstausstrahlungen nur an Sonntagen laufen (an denen überdies auch noch die "Polizeiruf 110"-Krimis laufen, deren Ermittlerteams man hinzuzählen könnte -sind's wirklich nur vier?). Wenn immer mehr Ermittler-Figuren sich die notwendig konstante Anzahl von Sendeterminen teilen müssen, wird darunter zwangsläufig das alte Ideal leiden, dass der "Tatort" vom "Wiedererkennungswert und der stetigen Entwicklung seiner jeweiligen Teams" lebt, meinen Katharina Riehl und Michael Bitala.
Wegen der "Promi-Flut" könnte der "Tatort" "seinen Charakter als Serie" verlieren, und seine "Seele" überdies, meint meedia.de, das allerdings die Begriffe "Serie" und "Reihe" durcheinanderbringt. Eloquenter in dieselbe Kerbe haut Joachim Huber:
"Die 'Tatortisierung' der deutschen Fernsehlandschaft plus das Engagement der Superstars bringen den Krimi um",
und
"Die Dominanz der Prominenz wird das eigentliche 'Whodunit' aus dem 'Tatort' weiter herauspressen",
so lauten nur zwei der Merksätze aus seiner kleinen Tagesspiegel-Wutrede.
Immerhin, Fluktuation herrscht bei den "Tatort"-Darstellern in beide Richtungen. Das heißt, es drängen nicht nur Superstars hinein ins Format, sondern auch welche hinaus. Ebenfalls der Tagesspiegel hatte als erster die News, dass Nina Kunzendorf, vielleicht nun kein Superstar, aber eine der besten Schauspielerinnen des Formats, die mit Joachim Krol auch eines der besten "Tatort"-Teams bildete (in einem der hessischen "Tatorte"), nach fünf Folgen Schluss macht.
Dass der Tagesspiegel zwar keinen Grund dafür nennt, aber den prominenten Medienanwalt Christian Schertz zitiert ("...teilte mit, den Vertrag nicht kommentieren zu wollen"...), lädt natürlich zu Spekulationen ein, die der Tsp. dann auch gleich selbst anstößt:
"Aus ARD-Kreisen heißt es, dass Kunzendorf mit der inhaltlichen Gestaltung ihrer Rolle unzufrieden gewesen sei: Tiefer Ausschnitt, enge Jeans, dazu Cowboystiefel und Kaugummi, das ist typisch für ihre Kommissarin Mey. Auf dieses Tussi-Image hatte Kunzendorf wohl keine Lust mehr."
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Wer der Einladung ebenfalls folgt: Michael Hanfeld vom Kunzendorf-"Tatort"-Schauplatz Frankfurt bei faz.net, mit Samples aus älteren "Tatort"-Kritiken, in denen die Kommissars-Tussi immerhin "als Rollensynthese aus 'Pretty Woman' und 'Erin Brockovich'" gelobt wurde... Der Text ist zumindest interessanter als die uninspirierte Glosse auf der FAZ-Medienseite zum neuen "Tatort"-Schauplatz Weimar, in der Jochen Hieber allen Ernstes dichtet "Wo sollen in der unbestrittenen Kapitale deutscher Klassik jene kriminellen Infamien sprießen, die einen Polizeieinsatz überhaupt nötig machen?", als sei ihm entgangen, dass in der öffentlich-rechtlichen Heiter-bis-tödlich-SOKO-Bayerncops-Heimatkrimi-Schwemme nicht auch noch wesentlich beschaulichere Käffer zu Krimiserienschauplätzen hochsterilisiert worden.
Anschließend fordert Hieber eine "Tatort"-Adaption des Schiller-Stoffs "Der Verbrecher aus verlorener Ehre" von 1786. Was immerhin beweist, dass der "Tatort" die deutsche Mediengesellschaft, so immer noch zusammenhält.
[+++] Und wo bleibt das Positive? Hier. Christian Ulmen verjubelt seine Superstar-Gagen nicht, sondern stellt etwas Sinnvolles an. Seine Webseite ulmen.tv wird ausgebaut und bietet demnächst auch dem Ex-FAZ-Fernsehblog eine neue Heimat. Sie erklärt das so:
"Während die etablierten Online-Medien mit ihren Kritiken zu "Tatort" und Talkshows vollständig ausgelastet sind, steht im Fernsehblog, was sonst alles im Programm passiert. Und wie das Medium mit seinen Protagonisten umgeht. Und was die Zuschauer davon haben."
+++ Obwohl sie mit einer "ungewöhnlich gehaltvollen Eröffnungsdiskussion" verblüfften (Süddeutsche, S. 31) von der Wucht der sonstigen Ereignisse in den Altpapierkorb gedrängt: die Münchener Medientage. "Das Plenum in der Münchner Messe wurde deutlich verjüngt und hatte mit der Medienwissenschaftlerin Miriam Meckel eine neue, debattierfreudige Moderatorin", heißt es in der FAZ, für deren Bericht der o.g. Seehofer-Horst den roten Faden bildet. Die TAZ fasst sehr knapp, aber mit Reminiszenz an die berüchtigte "Elefantenrunde", die früher dieselben Veranstaltung eröffnete, zusammen. +++
+++ Auch in Hamburg, nämlich bei der Hamburgischen Notarkammer, wurde in erlesener Runde die Lage der Medien beredet. Bei seinem "ersten öffentliche Auftritt nach seinem Rücktritt als Vorstand der Nachrichtenagentur" DAPD, die bekanntlich insolvent ist, brachte Martin Vorderwülbecke das coole Schlagwort "Google-Steuer" aufs Tapet (kress.de). Es ging um "Wege vom Suchmaschinen-Giganten Geld zu holen, um die freie Presse ohne Staatsgeld zu retten", würde Daniel Kummetz von der TAZ sagen, der irgendwie auch aufs "große Anzugträgertreffen" gelangte, auf dem von Insolvenz aber keine Rede war. +++
+++ Hinter erst dieser auf den zweiten Blick, dann aber sehr SPD-kritischen Webseite steckt nicht die CSU, sondern Philip Brechler, ein Berliner Pirat, der wiederum von einer Romney-kritischen Webseite aus dem US-Wahlkampf inspiriert wurde. +++
+++ Der beste Experte fürs Pressegrosso unter den deutschen Journalisten ist Altpapier-Autor René Martens. Heute erklärt er im Freitag, um was es sich noch mal handelt und was der Bundestag in der Hinsicht gerade beschlossen hat. +++ Außerdem ebd.: ein gewaltiges Plädoyer für Medienbildung in der Schule von Roberto Simanowski. +++
+++ In der ohnehin komplizierten Diskussion um die sog. Drittsendezeiten gibt es nun auch eine auch nicht unkomplizierte Debatte um das Format "Jüdische Woche TV", informiert der Tagesspiegel. +++ Der auch meldet, dass die gestern bei Arte vorgesehene und in der FAZ besprochene Dokumentation zum Kafka-Nachlass wegen einer Klagedrohung des Berliner Verlegers Klaus Wagenbach gar nicht gesendet wurde. +++
+++ Zur Krise bei der spanischen Zeitung El País, bei der 149 Redakteure entlassen werden sollen und über die die FAZ schon häufiger berichtete, hat sie nun den Chefredakteur Javier Moreno interviewt. +++
+++ Ein "Mammutprojekt zur US-Präsidentschaftswahl" des WDR-Radiosenders 1Live ist Thema in der TAZ. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.