Die Satire heutzutage ist leider schlecht, ausgerechnet jetzt. Aber dafür wird uraltes Qualitätsfernsehen theaterreif. Außerdem: Die ARD und ihre Spanien-Berichterstattung; die Perspektiven für eine deutsche Huffington Post; antifaschistische Spione in sozialen Netzwerken. Und wer interpretiert uns den Gag mit der „Sudetendeutschen Heizung“?
Morgen ist, wie an jedem letzten Freitag des Monats, Titanic-Tag. Aber ein besonderer Tag ist das schon lange nicht mehr. Hilmar Klute, der kürzlich in der SZ anlässlich des Spektakels um das Papst-Titelbild durchaus mit einem gewissen Bedauern konstatierte, dass die Titanic „seit einigen Jahren eine Nischenexistenz“ führe, „nicht mehr am kritischen Diskurs dieses Landes“ teilnehme und „zu kabarettistisch“ geworden sei, setzt heute im SZ-Feuilleton (Seite 11) seine zumindest teilweise erfrischende Grundsatzkritik fort. Anlass ist das auch bereits im Altpapier zur Sprache gekommene Bettina Wulff-dreht-Mohammed-Film-Cover:
„Bei der Titanic redet man eigentlich nur noch vom Titelbild, weil der schriftliche Inhalt des Hefts längst nicht mehr der Rede wert ist. Das Cover wird Bettina Wulff zeigen, die von einem bewaffneten muslimischen Kämpfer bedroht oder verteidigt wird, je nach Sichtweise, man mag sich da wohl nicht festlegen. Es ist eine läppische Montage, unentschieden und hasenfüßig in der Haltung. Geht es um Frau Wulff und ihren im Land schon fleißig runtergebashten Wunsch, mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen? Ein Thema, das übrigens längst keines mehr ist, und auch das ist ein Problem der Titanic: Sie kaut ewig auf alten Kamellen rum.“
Klute beschäftigt sich seinem Text mit dem Zustand der Satire im Allgemeinen, es geht, zum Beispiel, auch um die Qualität der Zeichnungen in Charlie Hebdo:
„Selten genoss die Satire so viel öffentliche Aufmerksamkeit wie in diesen Tagen. Selten war die Aufregung um satirische Zeichnungen und Titelbilder in Deutschland und vor allem in Frankreich so groß.“
„Schade“ sei aber,
?„dass die Satire ausgerechnet zu der Zeit, da dermaßen viel Aufhebens um sie gemacht wird, so schlecht ist wie selten zuvor.
[+++] Hin und wieder für die Titanic geschrieben hat der heutige FAZ-Redakteur Dietmar Dath, und Satire hat der Fast-Alles-Könner auch heute noch im Repertoire. Für den Tonträger seiner Band The Schwarzenbach hat Dath eine auf der Umschlagseite der neuen konkret-Ausgabe erschienene Anzeige getextet. Man findet dort zwei erfundene Werbezitate, eines davon lautet „Dieses Zitat ist nicht von mir“ und ist einem gewissen „Doktor Thomas Steinfeld, Sudetendeutsche Heizung“ zugeschrieben.
Heißa! Ein FAZ-Redakteur bringt ein neues Kulturprodukt heraus, und in der Reklame dafür verhohnepipelt er einen Ex-FAZ-Redakteur, der ja auch gerade erst unter viel beachteten Umständen (siehe Altpapier) ein Kulturprodukt auf den Markt gebracht hat, in dem wiederum verschlüsselt ein hohes Tierchen der FAZ vorkommt. Viel Interpretationsspielraum also für uns Medienbetriebsnudeln. Ich weiß im Übrigen natürlich nicht mit Sicherheit, ob der erwähnte Gag von Dath stammt, aber es spricht alles dafür. Und die beworbene Platte erscheint erst am 26. Oktober, vielleicht kommt sie ja in späteren Altpapieren noch mal vor.
[+++] Haben die Nachrichtensendungen der ARD zu Beginn der Proteste in Spanien versagt? Diese Frage wirft ein Shitstorm auf, mit dem sich die „Tagesschau“ am Dienstagabend bei Facebook konfrontiert sah. Der fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen in der Schweiz tätige Konrad Weber rekapituliert die Kritik und das „verzweifelte Community-Management“ der ARD-Leute in seinem privaten Blog. Und bemängelt, dass
„die Kommentar-Schreiber für Onlinemedien und Nachrichten im Fernsehen plötzlich dieselbe Geschwindigkeit und inhaltliche Fülle verlangen. Ein merkwürdiger Ansatz, werden doch hier Birnen mit Äpfel miteinander verglichen. Klar, man hätte in den Spätnachrichten der ARD-‚Tagesschau‘ die Ereignisse - wenn auch nur kurz - erwähnen müssen. Dennoch kann auch in Zukunft ein Fernsehsender mit den aktuellen Qualitätsansprüchen an Storytelling, Form und Inhalt niemals mit versendeten Tweets, hochgeladenen Fotos oder rudimentär zusammengeschnittenen Youtube-Videos mithalten. Das ist auf die lange Frist aber auch nicht die Aufgabe dieses Mediums. Deshalb erstaunen solche Kommentare umso mehr.“
In etwas beamtenhafter Manier setzt sich ARD-aktuell-Chefredakteur Thomas Hinrichs zur Wehr:
„Wir schätzen sehr den konstruktiven Diskurs mit unseren Freundinnen und Freunden auf Facebook. Nicht selten werden wir auf einzelne Aspekte eines Themas aufmerksam gemacht.“
Aber:
„Wir lassen uns nicht beeinflussen oder unter Druck setzen.“
Einen nicht besonders guten Witz hat er dann auch noch auf Lager:
„Die Gebührenfinanzierung begründet unsere Unabhängigkeit. Wir sind unabhängig gegenüber politischen Interessen, gegenüber wirtschaftlichen Interessen.“
Darauf steigt Vera Bunse bei Carta ein:
„Shitstorms sind die neuen Fernsehpreise. Allerdings sollte man nicht – berechtigte – Kritik damit verwechseln und sich auf die eigene hehre Unabhängigkeit berufen. Es könnte jemand auf die Idee kommen, von der Besetzung der öffentlich-rechtlichen Fernsehgremien bis zur anteiligen Berichterstattung über einzelne Parteien in den Sendern eine Buchführung aufzumachen.“
[+++] Wer das Qualitätsfernsehen der 60er und frühen 70er Jahre einschätzen können möchte, sollte zumindest Teile der DVD-Edition mit Günter Gaus‘ Interviewreihe „Zur Person“ im Schrank haben. Sage nicht ich, aber mir sind schon Leute begegnet, die Entsprechendes angedeutet haben. Hans-Dieter Schütt wird dies wohl unterschreiben, er preist im Neuen Deutschland jenes Format als „die ritterlichste aller TV-Gesprächsreihen“. Den Superlativ von „ritterlich“ haben wir auch lange nicht mehr gelesen. Schön, dass es dafür sozialistische Tageszeitungen gibt. Anlass für den Artikel ist der für unsere Leser in der Bundeshauptstadt erfreuliche Umstand, dass das Berliner Ensemble an diesem Wochenende „Gaus-Filmnächte“ im Programm hat. Unter anderem Gaus‘ Interviews mit Rudi Dutschke und Hannah Arendt kommen damit sozusagen auf die Bühne. Unschön ist allerdings, dass über Gaus, der ein Freund der klaren Worte war, nun einer schreibt, der dies eher nicht ist. Schütt schwurbelt sich jedenfalls ordentlich was zurecht:
„Interviews sind Verlustanzeigen. Unsere Sprache nämlich, wo sie eine öffentliche Funktion wahrnimmt, signalisiert den nicht zu tilgenden Abstand zwischen uns und dem Bild, das uns aussagt. Für eine Gesprächssituation konditioniert man sich zwischen Verbergungs- und Entblößungssprache.“
[+++] Auf ein anderes im weiteren Sinne medienhistorisches Thema geht Christiane Kohl in der SZ (Seite 38) ein: Sie berichtet von einer neulich im Haus des Rundfunks in Berlin stattfindenden ARD-Veranstaltung, bei der unter anderem ein Thema war, dass sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk in den neuen Bundesländern auch etwas anders hätte entwickeln können:
„Anfangs hatten ostdeutsche Rundfunkmacher noch mit der Gründung von ein bis zwei großen Ost-Sendern geliebäugelt: etwa einer Nord-Ostdeutschen Rundfunkanstalt, kurz NORA genannt oder auch einem gesamtostdeutschen Sender mit dem Arbeitstitel O3. In der westdeutschen ARD aber fürchteten die Verantwortlichen, dass damit nur ein Stück DDR in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überführt werden sollte.“
Nicht zuletzt - und das steht in dem Text auch - befürchteten sie, dass die alten Machtverhältnisse innerhalb der ARD bedroht worden wären.
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[+++] Und damit in die Gegenwart, wenn nicht gar in die Zukunft. Thema Nummer eins auf der SZ-Medienseite ist der so genannte Drohnenjournalismus. Um Drohnen ging es am Mittwoch in der SZ noch unter ganz anderen Aspekten. Heute fragt Katharina Riehl:
„Sind Drohnen, diese fliegenden Kampf- und Aufklärungsgeräte - je nach Größe und Qualität sind sie schon für ein paar hundert Euro zu haben, sie sind manuell steuerbar oder per Autopilot -, heute auch ein journalistisches Arbeitsgerät? (...) Die Geräte, zumeist Mini-Hubschrauber, gibt es in allen Formen und Größen mit Flügelspannweiten von mehr als 60 Metern. Interessant für Fotografen sind die kleineren, auch für Zivilisten zugänglichen Ausgaben, weil es inzwischen Kameras gibt, die trotz hoher fotografischer Qualität kaum Gewicht haben.“
Ausführlich zitiert wird als Experte Matt Waite, der in der vergangenen Woche beim Scoopcamp in Hamburg zum Thema referierte (siehe zweites Video von oben) und eine Zukunft ausmalte, in der viele Freelancer mit solchen hubschrauberartigen Dingern arbeiten. Auch auf einem anderen Medienkongress ging es gerade um Drohnenjournalismus.
+++ Aufmacher der FAZ-Medienseite ist ein Text über Johannes Baldauf und zwei weitere Kollegen, die für eine Initiative der Amadeu Antonio Stiftung in aufklärerischer Absicht als eine Art verdeckter Ermittler in sozialen Netzwerken unterwegs ist. Baldauf hat, schreibt Andreas Nefzger, mehrere Profile angelegt, um herauszufinden,
„wie sich die rechte Szene im Internet organisiert (...) Mit seinen falschen Profilen schließt Baldauf Freundschaft mit Menschen aus der Szene und findet Zugang zu einschlägigen Gruppen. Diese sind meist geschlossen, die Inhalte und Diskussionen also nur für einen ausgesuchten Personenkreis sichtbar. Um aufgenommen zu werden, muss Baldauf mit seinem Profilen den Eindruck erwecken, als gehöre er zur Szene. Sein Rechtspopulist (...) und mag neben den Fernsehsendungen, Büchern oder Bands, die viele junge Männer schätzen, auch szenetypische Künstler und Autoren, Thilo Sarrazin etwa. Sein Verschwörungstheoretiker gibt kaum Persönliches preis – weil er sich um seine Daten sorgt – und mag zum Beispiel Dan Brown. 'Man muss in Klischees denken‘, sagt Baldauf.“
ALTPAPIERKORB
+++ Die Huffington Post hat angekündigt, demnächst in Deutschland eine Ausgabe auf die Beine stellen zu wollen, aber dagegen spricht unter anderem, dass sie hier wohl keinen Partner finden wird. Das hat der Tagesspiegel in Erfahrung gebracht. Und sollte das Leistungsschutzrecht kommen, sähen die frisch, fromm, fröhlich und frei aggregierenden HuffPo-Leute hier erst kein Land.
+++ Ein Comic zur Nicht-Honorierung von HuffPo-Bloggern findet sich derweil bei gocmics.com (via @freie).
+++ Und was steht in der Huffington Post gerade so? Zum Beispiel, dass ein brasilianisches Gericht Google aufgefordert hat, „Innocence of Muslims" unzugänglich zu machen.
+++ Brasilianische Urteile gegen Google, Teil 2: Ein dortiges Gericht „will den Google-Landeschef für ein angeblich verleumderisches Video über einen Politiker haftbar machen, weil Google es nicht von seiner Video-Plattform YouTube verbannt hat“, schreibt Falk Lüke in der taz. Und geht das Thema jenseits dieses Falls auch grundsätzlicher an: „Das Gerichtsurteil aus São Paulo, gegen das Google Berufung angekündigt hat, ist die Konsequenz (eines) Schlingerkurses: Wenn Google doch immer wieder in das eingreift, was die Nutzer zu sehen bekommen, warum sollte es dann nicht bei einem umstrittenen Video genauso eingreifen können?“
+++ Ebenfalls in der taz (und zwar von mir): einige mal wohlwollende, mal zweifelnde Anmerkungen zum neuen Spiegelblog (sieh Altpapier).
+++ Der New Yorker nimmt den haushohen Sieg der Kriegsheimkehrer-Serie „Homeland“ bei den Emmy-Awards zum Anlass, das israelische Vorbild „Hatufim“ und dessen Schöpfer Gideon Raff zu würdigen.
+++ Von den österreichischen Medientagen berichtet Die Presse. „Falter-Gründer Armin Thurnher, der die Diskussion moderierte“ habe Wolfgang Fellner, den Herausgeber „der Beinahe-Gratiszeitung Österreich“ „mit dem Herausgeber-Du“ angesprochen, heißt es. Wieder mal ein neues Wort gelernt: Herausgeber-Du.
+++ Stefan Winterbauer bereitet für meedia.de noch einmal die im Altpapier vom Mittwoch bereits thematisierte Performance von Ernst Elitz beim BDFZV-Kongress auf. Die „Schlusssätze“ seiner „Keynote“ seien „nur noch ein Zeugnis erschütternder Realitätsferne“ gewesen. Mit anderen Worten: Ungefähr das, was man von Elitz erwartet. Traurig eigentlich. Elitz, Jahrgang 1941, ist ja einer der gar nicht so wenigen männlichen Journalisten, die nicht in Würde altern können, sondern ohne jede Not in aller Öffentlichkeit vielleicht nicht ihre Würde, aber zumindest ihren Ruf verspielen. Allemal ein interessantes psychologisches Phänomen.
+++ Bevor sie zu Halbgöttern werden, „teilen junge Ärzte die Sorgen aller Auszubildenden“, erfahren wir auf der FAZ-Medienseite über „Junior Docs“, eine bei ZDF neo zu sehende Reportagereihe über acht junge Hamburger, die am Beginn ihrer Facharzt-Ausbildung stehen. Aber ob man das jetzt gucken sollte, weiß man nach Lektüre des Textes auch nicht so richtig.
+++ Wegen einiger Spitzen gegen den Helmut-Kohl-Experten Heribert Schwan lesenswert: Die FAZ-Frühkritik zur gestrigen „Anne-Will“-Sendung über Kohl.
+++ Anhand eines Vergleichs zwischen New York Times und Guardian liefert die Niederländerin Marije Rooze in ihrer Masterarbeit einen faszinierenden Überblick über die jüngere Geschichte der Datenvisualisierung. Die Hamburger Akademie für Publizistik stellt die Arbeit vor.
Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.