...desto mehr werden Papiermedien gelesen? Schöne Zeitungs-Zahlen aus Asien und Afrika, ein spektakulärer Zeitschriften-Deal in Australien. Und: Hat wer public geschmiddet, bzw.: Wie war Dirty Waldi Harry?
Ob es eine uneeingeschränkt blendende Idee war, der mexikanischen Journalistin Anabel Hernández den Pressefreiheitspreis "Golden Pen of Freedom" ausgereichnet in der Ukraine zu überreichen, die in der aktuellen Reporter-ohne-Grenzen-Rangliste der Pressefreiheit den mediokren 116. Platz unter 179 Staaten belegt, steht vielleicht auf einem anderen Blatt.
Jedenfalls tagt im ukrainischen Kiew gerade der World Newspaper Congress der globalen Verlegerorganisation WAN-IFRA. Dort werden eine Menge guter Nachrichten und Erfolgsgeschichten berichtet bzw. erzählt (wie man etwa dicht gestaffelt im "Kiev 2012 Event Blog" sieht). Und es wurden aus europäischer bzw. "westlicher" Sicht tatsächlich erstaunliche Zahlen verkündet:
"Wie viele Abgesänge auf die gedruckte Zeitung bereits gesungen wurden, ist kaum zu zählen. Dabei wird sie von so vielen Menschen wie nie zuvor gelesen – zumindest weltweit betrachtet: 512 Millionen Exemplare sind 2011 pro Erscheinungstag verkauft, das sind noch einmal 1,1, Prozent mehr als im Vorjahr",
freut sich der Tagesspiegel beim Zusammenfassen. Zu den zahlreichen Zahlen im weiteren Verlauf gehört der sechste Platz, den die deutsche Bild-Zeitung in der Rangliste der meistverkauften Zeitungen belegt. Es wird aber dennoch deutlich, wo genau Zeitungen noch gedeihen: Das Auflagenplus kommt vor allem aus dem Mittleren Osten und Nordafrika; die beiden global meistverkauften Zeitungen sind japanische.
Deprimierender kann man diese Zahlen (die WAN-IFRA hinter einer Bezahlschranke beherbergt) selbstverständlich ebenfalls interpretieren, nicht nur, weil sie natürlich auch digitale Faktoren enthalten. Das hat auf deutsch Christian Meier für meedia.de erledigt ("...76 Milliarden Dollar betrugen die weltweiten Einnahmen mit Zeitungswerbung im vergangenen Jahr. Vor fünf Jahren waren es noch 128 Milliarden Dollar...").
[+++] Dennoch passt es, global betrachtet, wie die Faust aufs Auge (sofern man findet, dass Fäuste sprichwörtlich gut auf Augen passen, was unter Anwender dieses Bildes umstritten ist), dass einer der großen deutschen Verlage gestern eines der größten deutschen Zeitschriftengeschäfte seit... seit... (vielleicht kann mal jemand die zehn teuersten Printdeals der Welt aggregieren?), jedenfalls: dass ein deutscher Verlag umgerechnet etwa 407 Millionen Euro für den Kauf eines Zeitschriftenverlags im von hier aus gesehen fernsten Osten, in Australien, bezahlen will. Der Heinrich-Bauer-Verlag glaubt an Print, schreibt er zur Ankündigung, ACP Magazines zu übernehmen.
Zumindest sind auch in diesem Fall die Zahlen spektakulär. Für Bauer sei der Kauf des australischen Gruner+Jahr-Äquivalents ein "Schnäppchen", meint meedia.de. Für den Verkäufer, den Finanzinvestor CVC Capital Partners, wäre das Geschäft, das noch "mit einer Reihe von Vorbedingungen verbunden" sei (Bauer), "der größte Verlust, den eine Private-Equity-Firma jemals im asiatischen Raum jemals abschreiben müsste". Liefe es wie geplant, würde CVC gemessen am Kaufpreis, den es bezahlte, einen "Verlust in Höhe von 1,46 Mrd. Euro" machen (FTD/ Reuters, mit imposantem Print-hinter-Gittern-Symbolfoto).
[+++] In Europa bleibt Print eher keine uneingeschränkte Boom-Industrie. Etwa gehe es, wie die TAZ berichtet, nun "der größten Qualitätstageszeitung Ungarns", der linksliberalen Népszabadság, "an den Kragen": Vor enorm komplizierten Hintergründen, in denen sowohl Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder als auch der schweizerische Ringier-Verlag (für dessen Osteuropa-Geschäft Schröder schließlich auch mal als Berater unterwegs war) auftauchen, bleibe nur die Wahl zwischen einigen Pest und Cholera-Optionen, meint Ralf Leonhard. Ebenfalls mit von der Partie, aber nur indirekt: der Verlag der sechtsgrößten Zeitung der Welt, Axel Springer also, der seine Osteuropa-Division bekanntlich mit derjenigen Ringiers fusioniert hat. Bloß in Ungarn wurde das nicht gestattet, was ebenfalls zur aktuellen Komplikation beiträgt.
[+++] Während in der Ringier-Heimat Schweiz die traditionsreiche Neue Zürcher Zeitung aus Spargründen zwei Beilagen einstellen soll, wie die Süddeutsche unter Berufung auf den (frei online damit nicht zu findenden) Tages-Anzeiger kurz berichtet, und es offenbar sogar sein könnte, dass das geplante Herunterlassen einer Bezahlschranke um nzz.ch aus Kostengründen verschoben werden könnte, sieht es in Polen wiederum anders aus.
Dort hat eine gemeinsame Online-Bezahlschranke für "Web-Angebote von sieben polnischen Verlagen" gerade den Betrieb aufgenommen, meldet heise.de:
"Wer die 42 Websites ohne Einschränkung besuchen möchte, muss pro Woche umgerechnet 2,37 Euro bezahlen. Ein Monatszugang kostet 4,70 Euro und ein Jahres-Abo 47 Euro".
Es handelt sich um das slowakisch-slowenische Piano-Modell. Und in Polen sind auch Töchter deutscher Verlage dabei, die der Verlagsgruppe Passau und Ringier Axel Springer Poland.
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[+++] A propos Bezahlschranke: Wie war, hinter derjenigen, womöglich leidlich funktionierenden des privaten Fernsehens, die Premiere der neuen alten Harald-Schmidt-Show gestern? Hat jemand die per Twitter gestreute Anregung zum "Public Schmidding sozusagen!", also dass man quasi die Bezahlschrankengebühr mit seinem Bier verrechnet, angenommen?
Immerhin gab es vorm Neustart gestern noch ein langes SPON-Interview, bei dem Andreas Borcholte und Stefan Kuzmany leider nicht lange bei der hübschen Prämisse blieben, Schmidt nicht immer nur mit Thommy Gottschalk, sondern eher mit dem weiteren Free-TV-Renegaten Waldi Hartmann zu vergleichen, in dem Schmidt aber dennoch so viele Pointen verbriet (z.B. "Zum Beispiel Klaas Heufer-Umlauf?" - Schmidt: "Zum Beispiel. Sehr guter Mann." - "Was unterscheidet den von Joko Winterscheidt?" - "Da überfordern Sie mich. Ich kann die beiden erst seit ungefähr vier Monaten auseinanderhalten. Beide haben Frisuren, die ich von 1938 kenne... ..."), dass Schmidt-Kennern schon wieder Böses ob der Pointen-Dichte im neuen Show-Alltag schwanen musste.
Heute morgen herrscht angesichts der gestrigen Show schönste Meinungsvielfalt. "Fernsehen zum Wohlfühlen", "erfrischend selbstironisch", ist Marc Bartl bei kress.de ganz begeistert, und zitiert z.B. den Scherz vom Becher heißen Kaffee, den Schmidt sich (allegorisch) aus Solidarität mit den streikenden Stewardessen in den Schritt gegossen haben will.
"Alter Wein in alten Schläuchen", meint dagegen Markus Ehrenberg (tagesspiegel.de):
"Das Kölner Studio in bekannten warmen Brauntönen, 1a-Anzug, Stand-Up, eher wenige Wortscharmützel mit Bandleader Helmut Zerlett, Gags vom Tischsessel, am Ende Musik der Cellistin Sol Gabetta und der Pianistin Hélène Grimaud, wechselnde Sidekicks als Stichwortgeber. Diesmal intervenierte – eher glücklos - Klaas Heufer-Umlauf, von dem man sich gut vorstellen könnte, dass er später mal so etwas macht wie die Schmidt Show."
Und falls Sie bei solchen Kontroversen die Wahrheit am ehesten in der Mitte verorten: die Naja...-Position vertritt Christoph Driessen (newsroom.de, welt.de).
+++ Einen relativ entspannten Text, der dennoch nicht grundsätzlich gegen das Leistungsschutzrecht ist, gibt's nun auch. Auf der Süddeutschen-Medienseite argumentiert Niklas Hofmann, "dass eine Vielzahl ... Snippets dem Leser in der Summe einen Eindruck davon verschafft, welche Texte er zu einem Thema vielleicht lesen wollen würde und welche nicht. Ein Service, der sie zusammenträgt, erfüllt als so genannter News-Aggregator also einen durchaus nützlichen Dienst, der sich gewinnbringend vermarkten lässt. Bundesregierung und Presseverlage sehen darin insofern ein Problem, als der Zugriff Googles und anderer Dienstleister auf Artikel im Netz automatisch und unentgeltlich geschieht. Der ursprüngliche Anbieter erhält im Idealfall neue Leser, Geld erhält er nicht." Frei online steht der relativ entspannte Text, der dennoch nicht grundsätzlich gegen das Leistungsschutzrecht ist, jedoch derzeit nicht. +++
+++ "Transmediale Formate sind der letzte heiße Shit im Medienbusiness", fasst ein dreiköpfiges Team der Berliner Zeitung Erkenntnisse von der Medienveranstaltungskonglomerat Medienwoche/ IFA (siehe auch Altpapier gestern) zusammen. +++ Die Medienwoche ist auch der Grund, aus dem der Tsp. fast ein Jahr, bevor bild.de mit seinen Bundesliga-Bewegtbildberichten starten wird, davon berichtet. Denn dort gab Geschäftsführerin Donata Hopfen ein paar Ideen zum Besten: "Wenn Bild.de bereits am vergangenen Wochenende das Spiel Hamburger SV gegen Werder Bremen übertragen hätte, wäre die Geschichte um die Rückkehr von Stürmer Rafael van der Vaart und seiner Frau Sylvie nach Hamburg deutlich mehr Platz als in der 'Sportschau' eingeräumt worden." +++ Umwabert von unvermeidlichen Currywurst-Schwaden tat sich Steffen Grimberg (TAZ) indes eine Diskussion zwischen Tom Tykwer und Frank Schätzing, der "zivilisationskritischen Version von Mario Barth", an. +++ Wer hartes Zahlenmaterial bevorzugt: Die Landesmedienanstalten haben wieder ihren Digitalisierungsbericht herausgegeben (hier komplett als PDF, hier zusammengefasst, noch übersichtlicher bei heise.de). +++
+++ Zurück zur Journalismuszukunft: "In Zukunft wird sich der Journalismus nicht mehr am Markt alleine behaupten können", sagt Stephan Weichert im Interview des Blogs der Frankfurter Buchmesse: "... Durch das Internet findet ein Perzeptionswandel statt, auch für den Blogger sind Texte wichtig, aber ein Online-Beitrag lebt regelrecht. Er verändert sich, weil man Fehler korrigieren und der Leser mit dem Autor in Interaktion treten kann. Das Bloggen ist jedoch eine vollkommen andere Herangehensweise als bei einem journalistischen Artikel, der idealerweise noch drei Mal gegengelesen wird, bevor er in den Druck geht oder online gestellt wird. Dass Informationen flüchtiger werden, ist leider nicht zu ändern. Trotzdem gibt es natürlich auch qualitativ hochwertigen Journalismus im Netz, der zu Unrecht noch immer einen schlechten Ruf hat. Trotz der großen Bedeutung des Internets und der Online-Medien, glaube ich an die Zukunft des gedruckten Wortes, gerade bei Wochenzeitungen und Magazinen". +++
+++ Über Geo Saison, das seine Septemberausgabe mit der schönen Zeile "Freiheit genießen in Burma" bewirbt, ärgert sich die TAZ-Kriegsreporterin. +++ Immerhin gilt Burma nicht die Titelstory des G+J-Titels, die gilt, "Seesack öffne dich!", Hamburg. +++ "Scheiß RTL" darf man wohl schreiben, aber nicht, wenn man dazu das RTL-Logo verwendet. Vom entsprechenden Kölner Prozess berichten DAPD/ KSTA. +++ Hier gibt's noch eine ganze Reihe lustiger T-Shirts der Prozesspartei fernsehkritik.tv. +++
+++ Das "Franchise-Prinzip für Krimis", das das ZDF für seine "Soko"-Serien entwickelte, habe es nun auch auf seine Nicht-"Soko"-Bayernkrimis übertragen und ein in Garmisch-Partenkirchen angesiedeltes "Rosenheim-Cops"-Spinoff ersonnen, berichtet die Süddeutsche. Dass die ebenfalls öffentlich-rechtliche ARD mit ihren lustig gemeinten Vorabendkrimis den gleichen Unfug anstellt, deutet Jörg Seewald zumindest an. +++ "Die Öffentlichkeit tabuisiert den Tod nicht, sie liebt ihn, sie vermarktet ihn, sie banalisiert ihn. Ohne müde zu werden, verhandeln und bebildern die Medien und das Kino den Tod, die Leiche, das Sterben", schreibt Ines Kappert in der TAZ zur talkshowkompatiblen "Ankündigung des eigenen Todes" durch den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. +++ Zur Schwedenkrimiflut wird nun auch von der Constantin beitragen, meldet wiederum die Süddeutsche. Dazu wurde der ZDF-Skandinavienkrimi-Mann Peter Nadermann angeheuert. +++
+++ "Die Zukunft sieht in einer Episode der 'Simpsons' so aus: Die iPods schließen sich zusammen und unterwerfen die Menschen, welche sie einst unterhalten sollten. Die gelb gezeichnete Ausgabe der Menschheit schlurft aneinandergekettet durch eine postapokalyptische Landschaft. Hinter ihr stehen iPods, überlebensgroß, mit grantigem Display-Gesicht, und schwingen die Kabel der Kopfhörer als Peitsche. 'Was wollt ihr denn von uns?', ruft ein Gequälter. 'Gar nichts', entgegnet ein iPod, 'wir peitschen einfach gern!"', wird dann noch auf der FAZ-Medienseite glossiert. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.